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1.2 Der Gegenstandsbereich des Bandes

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Wenn man danach fragt, woraus eine Sprache besteht, so lautet eine gängige Antwort: Aus Wörtern. Das mag daran liegen, dass Wörter die Bestandteile einer Sprache sind, die uns am ehesten zugänglich erscheinen. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt sich, wenn wir eine fremde Sprache hören, die wir nicht verstehen. In diesem Fall nehmen wir keine einzelnen Wörter wahr, sondern hören nur einen kontinuierlichen Lautstrom, der an- und abschwillt, hin und wieder seine Tonlage ändert und von einigen Pausen zum Luftholen durchzogen ist – tatsächlich sind wir nur dann in der Lage, eine lautliche Äußerung in individuelle Wörter zu zerlegen, wenn wir über gewisse Kenntnisse in der betreffenden Sprache verfügen. Dies zeigt uns, dass die Wahrnehmung und Identifizierung von Wörtern wesentlich davon abhängt, dass wir die Bedeutung der Äußerung (zumindest teilweise) erkennen können. Bei Wörtern handelt es sich also um Informationseinheiten, die eine bestimmte Bedeutung mit einer lautlichen Repräsentation verknüpfen. Darüber hinaus enthalten Wörter Informationen über ihr syntaktisches Verhalten, d.h. über mögliche oder notwendige Kombinationen mit anderen Wörtern. So wird es den meisten Sprechern des Deutschen klar sein, dass ein Wort wie besteigt keine vollständige Äußerung darstellt, sondern noch mindestens zwei Ergänzungen benötigt (z.B. wie in [Leopold] besteigt [das Matterhorn]). Ebenso gilt, dass ein Artikel wie das zwar mit einem Substantiv wie Buch oder Pferd verknüpft werden kann, nicht aber mit einem Adjektiv wie satt. Eine nähere Betrachtung zeigt also, dass es sich bei den vermeintlich einfachsten Bestandteilen von Sprache um komplexe integrierte sprachliche Bausteine handelt, die auf kleinstem Raum drei verschiedene Arten von Informationen bündeln (Bedeutung, Lautgestalt und syntaktisches Verhalten). Die kompetente Verwendung von Wörtern im Kontext einer Sprache stellt ein hochspezialisiertes Fähigkeitssystem dar, das wir beherrschen, ohne uns seiner Funktionsweise bewusst zu sein. So ist jedem Sprecher des Deutschen klar, dass es sich bei Gurke und Wolke um Wörter des Deutschen handelt, die sich in Lautgestalt und Bedeutung unterscheiden. Baut man sie in syntaktische Strukturen wie Sätze ein, so unterscheiden sich auch die Sätze in Laut und Bedeutung:

(1)a.Die Gurke ist grün.
b.Die Wolke ist grün.

Ebenso verfügen wir über eine implizite Kenntnis der Regeln, die den Aufbau von Wörtern bestimmen. So wissen wir, dass die Wörter Gurke und Wolke nicht nur in einer Form auftreten – man kann sie in den Plural setzen, indem man ein -n anfügt. Die pluralischen Formen erfordern allerdings einen anderen syntaktischen Kontext, da die Form des Verbs mit dem geänderten Numeruswert des Nomens übereinstimmen muss (sog. Subjekt-Verb-Kongruenz). Das vorangestellte Sternchen/Asterisk (*) signalisiert, dass das Beispiel in (3) nicht wohlgeformt bzw. nicht akzeptabel ist.

(2)Die Gurken/Wolken sind grün.
(3)*Die Gurken/Wolken ist grün.

Ein weiteres Beispiel für unser unbewusstes Wissen betrifft einen kreativen Aspekt von Sprache, nämlich die Bildung neuer Wörter aus vorhandenen Wörtern bzw. Wortbausteinen. So werden die meisten Sprecher erkennen können, dass ein Wort wie löwensicher (aus Löwe(n)+sicher) zwar kein gängiges, aber dennoch potentiell mögliches Wort des Deutschen ist, während dies für gurkensicher eher nicht zutrifft. Der zweifelhafte Status von gurkensicher ist auf eine semantische Unverträglichkeit zurückzuführen – bei Bildungen der Art X+sicher muss X in der Regel etwas potentiell Gefährliches oder Bedrohliches bezeichnen. Während gurkensicher uns zwar seltsam, aber dennoch irgendwie formbar vorkommt (z.B. in einer Welt, in der von Gurken eine Bedrohung ausgeht), sind Neuschöpfungen wie *Gurk(e)keit (aus Gurke+keit) oder *ungurk(e)bar (aus un+Gurke+bar) völlig ausgeschlossen. Die fehlende Wohlgeformtheit solcher Bildungen ist darauf zurückzuführen, dass sie gegen grammatische Regeln verstoßen (z.B. kann -keit nur an ein Adjektiv, nicht aber an ein Substantiv herantreten, vgl. Kapitel 5 für Details).

Der unbewusste Charakter dieser Form unseres sprachlichen Wissens erschwert – aus fachdidaktischer Perspektive – die Vermittlung entsprechender Kenntnisse in Schule und Universität. Der vorliegende Band begegnet dieser Problematik, indem er eine Synthese aus sprachwissenschaftlicher und sprachdidaktischer Perspektive anstrebt, die spezifische Probleme des Grammatikunterrichts an der Schule berücksichtigt und als Grundlage für Studium, Referendariat und Lehrerfortbildung dienen kann. Inhaltlich gibt der Band einen Überblick über wesentliche einschlägige Phänomene des Deutschen und führt anhand dieser in zentrale Begriffe und Analysemethoden ein. Zu jedem Teilbereich werden nicht nur Empfehlungen zur weiterführenden Lektüre, sondern auch Aufgaben angeboten, die eine selbständige Lernkontrolle und Prüfungsvorbereitung ermöglichen.

Zur Vertiefung der in dem vorliegenden Band verhandelten fachwissenschaftlichen Gegenstände eignen sich die Überblicksdarstellungen in der Dudengrammatik (Duden 2016) und in Eisenberg (2013). Eine empfehlenswerte populärwissenschaftliche Einführung in die wunderbare Welt der Wörter ist Miller (1993). Darüber hinaus gibt es eine Reihe nützlicher Online-Angebote zur deutschen Grammatik, die gegebenenfalls schneller zur Hand sind:

 ProGr@mm (die Propädeutische Grammatik), ein Lernsystem zur Grammatik des Deutschen, das ursprünglich für die universitäre Lehre konzipiert wurde: http://hypermedia.ids-mannheim.de/programm/index.html

 grammis 2.0, ein multimediales Informationssystem zur deutschen Grammatik: http://hypermedia.ids-mannheim.de

 canoonet, ein Online-Service, der Wörterbücher und Informationen zur Grammatik des Deutschen bereitstellt

 Ein ausführlicher Foliensatz zu einer stärker theoretisch orientierten Einführung in die Morphologie findet sich auf der Homepage von Fabian Heck (Universität Leipzig): http://home.uni-leipzig.de/heck/

Wir möchten uns an dieser Stelle bei Sandra Döring und Peter Gallmann bedanken, deren Kommentare und Hinweise wesentlich zur Verbesserung des ursprünglichen Manuskripts beigetragen haben. Ferner gilt unser Dank unseren Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden des Lehramts Deutsch, die uns mit Rat und Tat unterstützt haben: Lisa Alert, Patrick Brandt, Lara Hann, Fabian Heck, Marek Konopka, Franziska Münzberg, Fabiana Netzband, Dominik Spott, Ulli Wassner, Angelika Wöllstein und Anne Wolter. Weiterhin möchten wir uns bei allen Studierenden, die im SoSe 2016 und 2017 das Seminar „Kritische Auseinandersetzung mit der Schulgrammatik“ (Universität Leipzig) besucht haben, bedanken, da sie uns mit ihren kritischen Fragen und ihren Eindrücken aus den Praktika wichtige Anhaltspunkte für die Konzeption des Buches gegeben haben. Alle verbleibenden Unzulänglichkeiten sind natürlich von uns zu verantworten.

Das Wort

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