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2.5 Was ist ein Wort? Annäherung an den Analysegegenstand

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Ein Blick in gängige Lehrwerke zeigt, dass die Bestimmung von Wortarten recht unvermittelt beginnt. Nicht selten finden sich Überschriften wie „Wörter untersuchen“, „Wörter erforschen“ oder „Wortarten bestimmen“. Was jedoch unter Wort zu verstehen ist, wird nicht thematisiert. Stattdessen steht ohne Kontextualisierung die erste Wortart wie z.B. Verb oder Substantiv im Fokus des Unterrichts. Dieses Vorgehen scheint auf der Annahme zu beruhen, dass Schülerinnen und Schüler bereits wissen müssten, was Wörter als Bausteine ihrer Sprache eigentlich sind. Schließlich besitzen die Lernenden die Fähigkeit, sich mündlich und im Laufe der Schulzeit auch zunehmend schriftlich standardsprachlich korrekt auszudrücken. Sie nutzen zwar Wörter, um sich mitzuteilen, ein Begriffsverständnis geht damit aber nicht automatisch einher. Vielmehr muss das Einnehmen der Metaebene – also das Sprechen oder Nachdenken über Sprache – gezielt angestoßen und begleitet werden.

Noch bevor Wortarten eine Rolle spielen, ist es also ratsam, den Gegenstand, der untersucht und kategorisiert werden soll, gemeinsam mit den Lernenden zu erarbeiten und schließlich zu konzeptualisieren. Stellt das unterrichtsbegleitende Lehrwerk keine Vorschläge bereit, dann fällt es in den Aufgabenbereich der Lehrperson, geeignete Materialien zusammenzustellen. Ausgangspunkt der didaktischen Strukturierung bildet – gemäß dem Modell der didaktischen Rekonstruktion (vgl. Kattmann/Duit/Gropengießer /Komorek 1997) – das Wechselspiel zwischen Schüler- und Fachperspektive. Die Lernenden sind kein leeres Blatt, sondern sie bringen unterschiedlich geartete (Alltags-)Vorstellungen und Vorwissensbestände mit, auf die es im Unterricht – unabhängig von ihrer fachwissenschaftlichen Korrektheit oder Plausibilität – Bezug zu nehmen gilt:


Abbildung 2: Modell der didaktischen Rekonstruktion (Komorek/Fischer/Moschner 2013)

Die Lehrperson bereitet den fachlichen Gegenstand nicht einfach aus ihrer eigenen Sichtweise heraus auf und reduziert all das, was sie nicht als wichtig oder schülergerecht empfindet, sondern sie rekonstruiert den Unterrichtsstoff gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern. Indem direkt an den bestehenden Konzepten gearbeitet wird, können unscharfe oder fehlerhafte Vorstellungen nachhaltig erweitert bzw. korrigiert werden.

Fragt man Schülerinnen und Schüler1, was sie unter dem Begriff „Wort“ verstehen, begegnet einem zunächst Unsicherheit.

(13)a.„Wort, gute Frage!“ (S1)
b.„Ich weiß was es ist, aber kann es nicht so richtig erklären.“ (S2)
c.„Schwer zu sagen. Ich nutze sie gerade.“ (S3)

Offenbar sind Konzepte vorhanden, diese können jedoch nicht ohne Weiteres verbalisiert werden. Die nachträglich angeführten Erklärungen beziehen sich auf die lautliche Struktur bzw. innere Gliederung eines Wortes, aber vor allem auf dessen Funktion im kommunikativen Handeln2.

(14)a.„Also Wörter sind aneinander gereihte Buchstaben die unsere Sprache lebendig machen, so können wir komunizieren und uns gegenseitig verstehen.“ (S1)
b.„Ein Begriff für die einzelnen Teile unserer Sprache. Wir unterhalten uns mit ihnen, oder schreiben damit.“ (S2)
c.„Aneinandergereihte Buchstaben und Silben, die Dinge oder Handlungen beschreiben.“ (S3)
d.„Wörter sind alles, ohne sie kann man nicht kommunizieren.“ (S4)

Um die Verbalisierung bestehender Konzepte zu erleichtern und deren Erweiterung vorzunehmen, eignen sich solche Übungen, die von den Schülerinnen und Schülern eine zu begründende Entscheidung verlangen und zugleich Konfliktpotenzial bereitstellen.

(15)Wie viele Wörter zählst du in den folgenden Sätzen? Begründe deine Entscheidung.
a. Dort steht ein Haus.
b. Marius schlief spät ein.
c. Machste keine Pause?

Die konkrete Umsetzung der Übung kann unterschiedlich erfolgen. Wichtig ist jedoch, dass die Entscheidungen visualisiert und somit für alle erkennbar sind:

 Alle Schülerinnen und Schüler stellen sich in einer Linie auf. Bei jedem gezählten Wort gehen die Lernenden einen Schritt nach vorn.

 Die Schülerinnen und Schüler halten Zettel mit der Anzahl der identifizierten Wörter hoch oder befestigen sie an der Tafel.

 Die Ecken des Klassenraums werden durchnummeriert. Die Schülerinnen und Schüler signalisieren durch die ausgewählte Ecke, wie viele Wörter sie innerhalb des Satzes zählen.

Die wohlüberlegte Auswahl von Beispielsätzen nimmt entscheidend Einfluss auf den Lernerfolg. Während Satz a) kaum Konfliktpotenzial bietet, lässt sich mit den Sätzen b) und c) der orthografische und der phonologische Ansatz hinterfragen: Sind schläft … ein und machste als ein Wort oder als zwei Wörter zu zählen? Da beide Antwortmöglichkeiten denkbar sind, entsteht eine Form der Anschlusskommunikation, in der verschiedene Konzepte gegenübergestellt und abgewogen werden, ohne jedoch zwangsläufig auf Fachtermini zurückgreifen zu müssen. Vor allem erfahren die Schülerinnen und Schüler, dass im Grammatikunterricht ebenso wie im Literaturunterricht Diskussionen jenseits der Pole richtig und falsch geführt werden können und müssen.

Um zur Unterscheidung von syntaktischem Wort und lexikalischem Wort überzuleiten, bietet es sich ebenso an, mit konkreten Beispielen zu arbeiten. Auch bei der folgenden Übung besteht der Vorteil darin, dass die Lernenden in ihren eigenen Worten beschreiben können, was sie vorfinden und wie sie zu ihrer Entscheidung gekommen sind.

(16)Wie viele unterstrichene Wörter zählst du insgesamt in den nachfolgenden Sätzen? Begründe deine Entscheidung.
a.Das Fell des Tigers glänzt.
b.Tiger leben nicht in Deutschland.
c.Nachts hörten sie das Gebrüll von Tigern.
d.Der Tierpfleger gibt dem Tiger Wasser.
e.Der Tiger ist ein gefährliches Raubtier.
f.Ben fürchtet sich vor dem Tiger im Käfig.3

Die Bandbreite an möglichen Antworten ist groß. Es handelt sich um

 ein einziges Wort: Tiger.

 sechs Wörter, da sie immer in einem neuen Satz stehen.

 drei Wörter, die sich in ihrem Aussehen unterscheiden: Tigers, Tiger, Tigern

 fünf Wörter mit unterschiedlichen Eigenschaften: a: Genitiv Singular; b: Nominativ Plural; c: Dativ Plural; d und f: Dativ Singular; e: Nominativ Singular.

Keine Option ist falsch, lediglich unterschiedliche Konzepte tragen dazu bei, dass die Zählung anders ausfällt. Dieses Bewusstsein gilt es auch bei den Schülerinnen und Schülern zu schärfen: Die Perspektive bestimmt die Antwort. Um das Anspruchsniveau zu erhöhen, eignet sich ein Satz mit dem Verb tigern. Hinsichtlich des Aussehens unterscheidet es sich im Vergleich zu Satz (16c) nur durch die Groß- bzw. Kleinschreibung des Anfangsbuchstabens. Betrachtet man allerdings die grammatischen Eigenschaften, zeigt sich ein deutlicher Kontrast, der zu den Wortarten überleiten könnte.

Der Mehrgewinn, den die konzeptuelle Unterscheidung von syntaktischem Wort und lexikalischem Wort mit sich bringt, lässt sich an zwei Szenarien zeigen.

(17)Das Laufen fällt ihm nach dem Sturz noch schwer.

Schülerinnen und Schülern, die das unterstrichene Wort als Substantiv bestimmen, ist genauso zuzustimmen wie Lernenden, die es der Wortart Verb zuordnen. Auch hier ist wieder die eingenommene Perspektive entscheidend. Dient das Lexem, also das „Ursprungswort“, als Anker für die Bestimmung oder die Wortform, also das syntaktische Wort, wie es im konkreten Satz erscheint? Nur eine Variante als richtig anzuerkennen, würde nicht nur unnötig den Antwortradius, sondern auch die Schülerinnen und Schüler in ihrem forschenden Denken über Sprache einengen. Substantivierungen oder auch adjektivisch gebrauchte Partizipien (das rennende Kind) eignen sich bestens, um zu zeigen, dass sich die Wortart nach dem jeweiligen Wortkonzept richtet.

Die Erkenntnis, dass sich die konkrete Wortform und das Lexem voneinander unterscheiden können, hilft darüber hinaus bei der Recherche in Nachschlagewerken, in denen die Nennformen der Wörter aufgelistet sind. Ein gezieltes und effizientes Nachschlagen setzt voraus, dass die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, das Lexem korrekt zu bilden.

Auch fernab des Lehrwerks ist es also möglich, grammatische (Grundlagen-)Konzepte zu entwickeln und zu schärfen. Dafür ist es allerdings erforderlich,

 solche Übungen zu gestalten, die die Vorstellungen und Vorwissensbestände der Lernenden sichtbar werden lassen, um direkt an und mit ihnen zu arbeiten.

 solche Beispiele zu wählen, die Konfliktpotenzial bieten und damit die Basis für Diskussionen bilden.

 den Schülerinnen und Schülern zu demonstrieren, dass sich Grammatikunterricht nicht im Schwarz-Weiß-Denken erschöpft.

Das Wort

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