Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe - Erich Auerbach - Страница 11

II. «Figurafigura» als RealprophetieRealprophetie bei den KirchenväternKirchenväter

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Die eigentümlich neue Bedeutung des Wortes in der christlichen Welt findet sich zuerst, und zwar sogleich sehr häufig, bei TertullianTertullian. Um ihren Inhalt zu entwickeln, sollen einige Stellen besprochen werden.

In der Schrift adversus Marcionem 3, 16 spricht TertullianTertullian von Hosea, dem Sohne Nuns, der von Moses Josua genannt wird (nach 4. Mos. 13, 16): … et incipit vocari Jesus … Hanc prius dicimus figuram futurorum fuisse. Nam quia Jesus Christus secundum populum, quod sumus nos, nati in saeculi desertis, introducturus erat in terram promissionis, melle et Jacte manantem, id est vitae aeternae possessionem, qua nihil dulcius; idque non per Moysen, id est, non per legis disciplinam, sed per Jesum, id est per evangelii gratiam provenire habebat (vulgärlat. Form für «geschehen sollte»), circumcisis nobis petrina acie, id est Christi praeceptis; Petra enim Christus; ideo is vir, qui in huius sacramenti imagines parabatur, etiam nominis dominici inauguratus est figura, Jesus cognominatus. Es handelt sich hier um die Namengebung Josua-Jesus als prophetischen Vorgang, der Späteres vorausverkündigt.19 So wie Josua, und nicht Moses, das Volk Israel ins gelobte Land Palästina führte, so führt Jesu Gnade, und nicht das jüdische Gesetz, das «zweite Volk» in das gelobte Land der ewigen Seligkeit. Der Mann, der als prophetische Vorankündigung dieses noch verborgenen Mysteriums auftrat, qui in huius sacramenti imagines parabatur, wurde unter der figurafigura des Gottesnamens eingeführt. Die Namengebung Josua-Jesus ist also eine RealprophetieRealprophetie oder vorausdeutende Gestalt des Zukünftigen; figurafigura ist etwas Wirkliches, Geschichtliches, welches etwas anderes, ebenfalls Wirkliches und Geschichtliches darstellt und ankündigt. Das gegenseitige Verhältnis der beiden Ereignisse wird durch eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit erkennbar; so sagt TertullianTertullian etwa adv. Marc. 5, 7: Quare Pascha Christus, si non Pascha figura Christi per similitudinem sanguinis salutaris et pecoris Christi? Oft genügen schattenhafte Ähnlichkeiten in der Struktur der Vorgänge oder in ihren Begleitumständen, um die figura erkennbar zu machen; es war ein bestimmter Interpretationswille erforderlich, um sie jeweils zu finden. So etwa, wenn ib. 3, 17 oder adv. Iudaeos 14 die beiden Opferböcke aus 3. Mos. 16, 7ff. als Figuren der ersten und zweiten Ankunft Christi gedeutet werden; oder wenn aus Adam als figura Christi Eva als figura Ecclesiae entwickelt wird, wie es De anima 43 (vgl. auch De monogamia 5) geschieht: Si enim Adam de Christo figuram dabat, somnus Adae mors erat Christi dormituri in mortem, ut de iniuria (Wunde) perinde lateris eius vera mater viventium figuraretur ecclesia.20 Über die Entstehung dieses Interpretationswillens werden wir noch sprechen. Die Art der Interpretation zielte darauf ab, die im Alten TestamentAltes Testament auftretenden Personen und Ereignisse als Figuren oder RealprophetienRealprophetie der Heilsgeschichte des Neuen zu deuten. Dabei ist zu beachten, daß TertullianTertullian ausdrücklich es ablehnt, die wörtliche und geschichtliche Geltung des Alten Testaments durch die FiguraldeutungFiguraldeutung zu entkräften. Es besteht vielmehr bei ihm eine entschiedene Abneigung gegen etwaige Übergriffe des SpiritualismusSpiritualismus; er will keineswegs das ATAltes Testament als bloße AllegorieAllegorie verstehen; überall habe es wörtlichen Wirklichkeitssinn, und auch da, wo es sich um figurale Prophetie handle, sei die Figur ebenso geschichtliche Wirklichkeit wie das durch sie Prophezeite. Die prophetische Figur ist sinnlich-geschichtliche Tatsache, und sie wird durch sinnlich-geschichtliche Tatsachen erfüllt: TertullianTertullian gebraucht hierfür den Ausdruck figuram implere (adv. Marc. 4, 40 figuram sanguinis sui salutaris implere) oder confirmare (de fuga in pers. 11 Christo confirmante figuras suas): wir wollen die beiden Ereignisse von nun an als Figur und Erfüllung bezeichnen.

Der energische RealismusRealismus TertulliansTertullian ist auch sonst bekannt. Für ihn ist die figurafigura, im einfachen Sinne von «Gestalt», ein Teil der Substanz, und diese setzt er adv. Marc. 5, 20 gleich mit dem Fleisch. Kurz zuvor (4, 40) spricht er vom Brot in der Eucharistie Corpus ilium suum fecit «hoc est corpus meum» dicendo, «id est figura corporis mei». Figura autem non fuisset, nisi veritatis esset corpus. Ceterum vacua res, quod est phantasma, figuram capere non posset. Aut si propterea panem corpus sibi finxit, quia corporis carebat veritate, ergo panem debuit tradere pro nobis. Faciebat ad vanitatem Marcionis, ut panis crucifigeretur. Cur autem panem corpus suum appellat, et non magis peponem, quem Marcion cordis loco habuit? Non intelligens veterem fuisse istam figuram corporis Christi, dicentis per Ieremiam (11, 19): Adversus me cogitaverunt cogitatum dicentes, Venite, coniiciamus lignum in panem eius, scilicet crucem in corpus eius. Diese lebendigen Sätze – im folgenden wird dann, nicht minder energisch, nach Gen. 49, 11 und Jes. 63, 1 der Wein, figura sanguinis, als probatio carnis verstanden21 – geben den klarsten Begriff von der Sinnlichkeit beider Pole der FiguraldeutungFiguraldeutung TertulliansTertullian; spiritual ist jeweils nur das Verständnis, intellectus spiritalisintellectus spiritalis, der die Figur in der Erfüllung wiedererkennt. Die Propheten haben, so sagt er de resurr. carnis 19ff., keineswegs nur in Bildern gesprochen, sonst könnte man ja die Bilder gar nicht erkennen; vieles sei ganz wörtlich zu verstehen, wie auch im Neuen TestamentNeues Testament: nec omnia umbrae, sed et corpora; ut in ipsum quoque Dominum insigniora quaeque luce claius praedicantur; nam et virgo concepit in utero, non figurate; et peperit Emanuelem nobiscum Jesum Christum, non oblique. Und er wendet sich eifrig gegen diejenigen, die die klar verkündigte Auferstehung der Toten in imaginariam significationem distorquent. In dieser Art finden sich viele Stellen, in denen er die spiritualisierendenSpiritualismus Neigungen zeitgenössischer Gruppen bekämpft. Sein RealismusRealismus läßt sich noch genauer an dem Verhältnis der Figur zur Erfüllung erweisen, da zuweilen das eine, zuweilen das andere einen höheren Grad von geschichtlicher Konkretion zu haben scheint. Wenn zum Beispiel in dem Satz adv. Marc. 4, 40 an ipse erat, qui tamquam ovis coram tendente sic os non aperturus figuram sanguinis sui salutaris implere concupiscebat? die Figur ein bloßes Gleichnis, der Knecht Gottes als Lamm, zu sein scheint – oder wenn ein anderes Mal das Gesetz im ganzen Christo als Erfüllung gegenübergestellt wird (ib. 5, 19 de umbra transfertur ad corpus, id est de figuris ad veritatem) so scheint es vielleicht, daß das Gleichnis im ersten Fall und das Abstractum im zweiten der Figur geringere Wirklichkeitskraft zumessen. Doch fehlt es auch nicht an Beispielen, in denen die Figur als das sinnlich Stärkere erscheint. So finden wir De bapt. 5, wo der Teich Bethesda als Figur der Taufe auftritt, den Satz: figurafigura ista medicinae corporalis spiritalem medicinam canebat, ea forma qua semper carnalia in figuram spiritalium antecedunt. Doch ist eines und das andere, der Teich Bethesda und die Taufe, ein sinnlich wirklicher Gegenstand oder Vorgang, und geistig daran ist nur die Deutung oder Wirkung; denn auch die Taufe ist, wie TertullianTertullian selbst sogleich (ib. 7) hinzufügt, eine fleischliche Handlung: sic et in nobis carnaliter crurit unctio, sed spiritaliter proficit; quomodo et ipsius baptismi carnalis actus, quod in aqua mergimur, spiritalis effectus, quod delictis liberamur. Man fühlt aus diesen Beispielen, daß TertullianTertullian auch in den ersterwähnten Fällen das Lamm nicht nur gleichnishaft, sondern wirklich, das Gesetz nicht nur abstrakt, sondern die Zeit des Gesetzes als geschichtlichen Zustand im Auge hatte. Zuweilen geschieht es auch, daß zwei Aussprüche zueinander im Verhältnis von Figur und Erfüllung stehen, wie defuga in pers. 11: certe quidem bonus pastor animam pro pecoribus ponit; ut Moyses, non domino adhuc Christo revelato, etiam in se figurato, ait: Si perdis hunc populum, inquit, et me pariter cum eo disperde (Exod. 32, 32). Ceterum, Christo confirmante figuras suas, malus pastor est, etc. (Joh. 10, 12) – doch sind beide Aussprüche geschichtliche Vorgänge, und überdies sind es ja weniger sie, als Moses und Christus selbst, die zueinander im Verhältnis von Figur und Erfüllung stehen.22 Die Erfüllung wird oft, wie oben in einem Beispiel, als veritasveritas, die Figur entsprechend als umbraumbra oder imagoimago bezeichnet; doch ist beides, Schatten und Wahrheit, abstrakt nur in bezug auf die erst verhüllte, dann offenbarte Bedeutung, konkret jedoch in bezug auf die Dinge oder Gestalten, die als Träger der Bedeutung auftreten. Moses ist nicht minder innergeschichtlich und wirklich, weil er umbra oder figura Christi ist, und Christus, die Erfüllung, ist keine abstrakte Idee, sondern innergeschichtlich und konkret. Die geschichtlich-wirklichen Figuren sind geistig zu deuten (spiritaliter interpretari), aber die Deutung weist auf eine fleischliche, also geschichtliche Erfüllung (carnaliter adimpleri. De resurr. 20) – denn es ist eben die Wahrheit Geschichte oder Fleisch geworden.

Seit dem 4. Jahrhundert tritt das Wort figurafigura und die damit verbundene Deutungsweise bei fast allen lateinischen Kirchenschriftstellern in voller Ausbildung zutage.23 Zuweilen freilich wird, wie später ganz allgemein, auch die gewöhnliche AllegorieAllegorie als figura bezeichnet; LactanzLactanz Div. Inst. 2, 10 deutet Süd und Nord als figurae vitae et mortis, Tag und Nacht als wahren und falschen Glauben; doch sogleich mischt sich der christliche Bezug auf Vorbedeutung und Erfüllung hinein: etiam in hoc praescius futurorum Deus fecit, ut ex iis verae religionis et falsarum superstitionum imago quaedam ostenderetur. Und so tritt figura mehrfach in dem Sinne «tiefere Bedeutung in bezug auf Zukünftiges» auf: was Jesus erduldet habe, non fuerunt inania, sed habuerunt figuram et signcationem magnam, und er spricht in diesem Zusammenhang von den göttlichen Werken überhaupt, quorum vis et potentia valebat quidem in praesens, sed declarabat aliquid infuturum (ib. 4, 26). Von dieser Gesinnung ist auch seine Eschatologie beherrscht, die, nach einer damals weit verbreiteten Spekulation, die sechs Schöpfungstage als sechs Millennien deutet, die nun fast zu Ende seien; das tausendjährige Reich stehe bevor (ib. 7, 14): saepe diximus minora et exigua magnorum figuras et praemonstrationes esse; ut hunc diem nostrum, qui ortu solis occasuque finitur, diei magni speciem gerere, quem circuitus annorum mille determinat. Eodem modo figuratio terreni hominis caelestis populi praeferebat in posterum fictionem.24

Bei den meisten Autoren der gleichen Zeit findet sich die FiguraldeutungFiguraldeutung mit ihren berühmtesten Beispielen gleichsam als tägliches Brot,25 und ebenso auch der Gegensatz figurafigura und veritasveritas. Doch trifft man auch zuweilen eine stärker spiritualistischeSpiritualismus, allegorischeAllegorie und moralische Deutungsweise – etwa in den Bibelkommentaren von OrigenesOrigenes. An einer Stelle, die vom Opfer Isaaks handelt – es ist dies sonst eines der berühmtesten Beispiele realistischer Figuraldeutung – steht bei seinem lateinischen Übersetzer RufinusRufinus (PG 12, 209 B; das griechische Original ist verloren) Folgendes: Sicut in Domino corporeum nihil est, etiam tu in his omnibus corporeum nihil sentias: sed in spiritu generes tu filium Isaac, cum habere coeperis fructum spiritus, gaudium, pacem. Zwar ist auch OrigeOrigenesnes keineswegs so abstrakt allegorisch wie etwa PhiloPhilo; lebendig und unmittelbar den wirklichen Leser und sein wirkliches Leben betreffend erscheinen auch bei ihm die Ereignisse des Alten TestamentsAltes Testament; allein wenn man beispielsweise seine schöne Erklärung des dreitägigen Weges im Exodus liest (a. a. O. p. 313ss.), so ist doch das Überwiegen des Mystischen und Moralischen vor dem eigentlich Geschichtlichen sehr deutlich zu fühlen.26 In dem Unterschied zwischen der mehr innergeschichtlich-realistisehen Deutungsweise TertulliansTertullian und der mehr allegorisch-moralischen Origenes’Origenes tritt ein auch sonst bekannter Konflikt innerhalb des frühen Christentums zutage: die einen strebten danach, den Inhalt der neuen Lehre, insbesondere aber den Inhalt des Alten TestamentsAltes Testament ins rein Geistige zu wenden und ihren geschichtlichen Charakter gleichsam zu verflüchtigen – während die anderen ihn in seiner vollen, freilich tief bedeutungserfüllten Innergeschichtlichkeit zu bewahren wünschten. Im Westen ist diese letztere Tendenz unbedingt siegreich geblieben, obgleich auch die andere nie ihren Einfluß verloren hat, was sich ja schon in dem Eindringen der Lehre von den verschiedenen Schriftsinnen zeigt; denn diese läßt zwar den wörtlichen oder historischen Sinn bestehen, reißt aber seinen Zusammenhang mit der ebenso wirklichen Praefiguration auseinander, indem sie anstelle und neben die praefigurale Deutung andere rein abstrakte Deutungen setzt. An dem Ausgleich beider Gesinnungen, der doch im ganzen zugunsten der lebendig figuralen Deutung ausfiel, ist entscheidend AugustinAugustinus beteiligt, dessen Geistigkeit viel zu lebendig und geschichtlich war, um sich mit dem bloß abstrakt AllegorischenAllegorie zu begnügen.

Daß die ganze antike Tradition in AugustinAugustinus lebte, erkennt man auch bei dieser Gelegenheit, in seinem Gebrauche des Wortes figurafigura. Es erscheint als allgemeiner Gestaltbegriff in all seiner ererbten Vielfalt, statisch und in Bewegung, als Umriß und plastisch, für Welt oder Natur im ganzen und für den einzelnen Gegenstand; als das Äußerlich-Sinnliche, neben forma, color u. ä. (epist. 120, 10 oder 146, 3), damit aber auch als das Wandelbare gegenüber dem unvergänglichen Wesen, und in diesem Sinne interpretiert er 1. Cor. 7, 31: Peracto quippe iudicio tunc esse desinet hoc coelum et haec terra, quando incipiet esse coelum novum et terra nova. Mutatione namque rerum non omni modo interitu transibit hic mundus. Unde et apostolus dicit: praeterit enim figura huius mundi, volo vos sine sollicitudine esse. Figura enim praeterit, non natura (De civ. 20, 14). Figura erscheint ferner als Götzenbild, als Traumgestalt oder Vision, als mathematische Form; es fehlt kaum eine der vielen bekannten Abwandlungen. Weitaus am häufigsten aber erscheint es als RealprophetieRealprophetie. Augustin übernimmt ausdrücklich die figurale Interpretation des ATAltes Testament, empfiehlt sie mit Nachdruck für Predigt und Mission (z. B. de catichizandis rudibus 3, 6) und gestaltet sie selbst weiter aus; die ganze Fülle ihrer Deutungen zieht in seinem Werke an uns vorüber: die Arche Noah ist praefiguratio ecclesiae (De civ. 15, 27); Moses ist auf mehrfache Art figura Christi (z. B. de civ. 10, 6 od. 18, 11); das sacerdotium Arons ist umbra et figura aeterni sacerdotii (ib. 17, 6); Hagar, die Sklavin, ist figurafigura des Alten Testaments, der terrena Jerusalem, Sarah aber des Neuen, supernae Jerusalem, civitatis Dei (ib. 16, 31; 17, 3; expos. ad. Gal. 40); Jacob und Esau figuram praebuerunt duorum populorum in Christianis et ludeis (de civ. 16, 42); die gesalbten Könige von Juda (Christi) figuram prophetica unctione gestabant (ib. 17, 4). Das sind nur wenige Beispiele; das ganze ATAltes Testament, zumindest die entscheidenden Gestalten und Ereignisse werden einheitlich figural interpretiert; auch da, wo Worte und Wortprophezeiungen in ihrem verborgenen Sinn erläutert werden, wie z. B. das Dankgebet Annas (1. Sam. 2, 1–10) in de civ. 17, 4, ist die Deutung meist nicht nur allegorisch, sondern figural; die Lobpreisung Annas über die Geburt ihres Sohnes Samuel wird als Figur der Verwandlung des alten irdischen Königs- und Priestertums in das neue himmlische erklärt, wobei sie selbst zur figurafigura ecclesiae wird.

Auf das eindringlichste wehrt sich AugustinAugustinus gegen die rein allegorischeAllegorie Auffassung der heiligen Schriften und gegen die Meinung, es sei das Alte TestamentAltes Testament gleichsam eine hermetische Schrift, die nur durch eine den wörtlich-historischen Sinn und das gemeine Verständnis ausschließende Deutung zu begreifen sei: jeder Gläubige könne gleichsam stufenweise zu ihrem erhabenen Inhalt vordringen: … sancta scriptura parvulis congruens nullius generis rerum verba vitavit, ex quibus quasi gradatim ad divina atque subliiam noster intellectus velut nutritus assurgeret, heißt es de trin. 1, 2, und mit noch deutlicherem Bezug auf das hier in Rede stehende Figuralproblem: Ante omnia, frater, hoc in nomine Domini admonemus et praecipimus, ut quando auditis exponi sacramentum scripturae quae gesta sunt, prius illud quod lectum est credatis sic gestum quomodo lectum est; ne substrato fundamento rei gestae quasi in aere quaeratis aedificare (Serm. 2, 6f.).27 Auch nach seiner, damals schon längst zur Tradition gewordenen Auffassung ist das ATAltes Testament rein realprophetischRealprophetie, und mit noch größerem Nachdruck als andere beruft er sich dafür auf einige Stellen der PaulusbriefePaulus (Apostel), von denen wir noch zu handeln haben werden. Die Gesetzesbeobachtungen, quas tamquam umbras futuri saeculi nunc respuunt Christiani, id tenentes, quod per illas umbras figurate promittebatur, und die Sakramente, quae habuerunt promissivas figuras, sind Buchstabe, und zwar eben in dem Sinne, daß ihre unbezweifelte fleischlich-geschichtliche Wirklichkeit durch die christliche Erfüllung, nicht minder geschichtlich, enthüllt und geistig gedeutet – und, wie wir gleich sehen werden, durch eine neue, vollständigere, klarere Versprechung ersetzt worden ist; und daher habe der Christ sich zu verhalten non ad legem operum, ex qua nemo iustificatur, sed ad legem fidei, ex qua iustus vivit (de spir. et litt. 54, 23). Die alten Juden, quando adhuc sacrificium verum, quod fideles norunt, in figuris praenuntiabatur, celebrabant figuram futurae rei; multi scientes, plures ignorantes (Enarr. in Psalm. 39, 12); die gegenwärtigen Juden, und hier klingt das in der gesamten späteren Judenpolemik immer wiederkehrende Thema an,28 sträubten sich in starrer Verblendung, dies anzuerkennen: Non enim frustra Dominus ait Judaeis: si crederetis Moysi, crederetis et mihi; de me enim ille scripsit (Joan. 5, 46): carnaliter quippe accipiendo legem, et eius promissa terrena rerum coelestium figuras esse nescientes (de civ. 20, 28). Noch aber ist die Erfüllung durch das «Himmlische» nicht vollbracht; und so zeigt sich, wie schon bei einigen Früheren, noch ausgeprägter bei AugustinAugustinus, daß die Gegenüberstellung zweier Pole, Figur und Erfüllung, zuweilen ersetzt wird durch einen dreistufigen Vollzug: das Gesetz oder die Geschichte der Juden als prophetische figurafigura für Christi Erscheinen; die Inkarnation als Erfüllung dieser figura, und zugleich als neue Verheißung von Weltende und Jüngstem Gericht; und schließlich das künftige Eintreffen dieser Ereignisse als endgültige Erfüllung. Vetus enim Testamentum est promissio figurata, novum Testamentum est promissio spiritualiter intellecta heißt es Serm. 4, 9, und noch deutlicher contra Faustinum 4, 2: Temporalium quidem rerum promissiones Testamento Veteri contineri, et ideo Vetus Testamentum appellari nemo nostrum ambigit; et quod aeternae vitae promissio regnumque coelorum ad Novum pertinet Testamentum: sed in illis temporalibus figuras fuisse futurorum quae implerentur in nobis, in quos finis saeculorum obvenit, non suspicio mea, sed apostolicus intellectus est, dicente Paulo, cum de talibus loqueretur: Haec autem … (folgt 1. Cor, 10, 6 und 11). Obgleich hier auch die endgültige Erfüllung als unmittelbar bevorstehend angesehen wird, ist es doch deutlich, daß es sich um zwei Versprechungen handelt, eine scheinbar zeitliche, verhüllte im ATAltes Testament und eine klar ausgesprochene überzeitliche im Evangelium. Damit erhält zugleich die Lehre vom vierfachen Schriftsinn einen weit stärker realistischen und geschichtlich konkreten Charakter, indem drei von den vier Bedeutungen konkret ereignishaften, miteinander verknüpften Sinn gewinnen, und nur eine rein moralisch-allegorisch bleibt, wie AugustinAugustinus dies in der Schrift de gen. ad litt. 1,1 auseinandersetzt: In libris autem omnibus sanctis intueri oportet, quae ibi aeterna intimentur (Weltende und ewiges Leben, analogischer Sinn), quae facta narrentur (wörtlich-geschichtlicher Sinn), quae futura praenuntientur (Figuralsinn im engeren Verstande, im AT die RealprophezeiungenRealprophetie des Erscheinens Christi), quae agenda praecipiantur vel moneantur (moralischer Sinn).

Wenn nun zwar AugustinAugustinus den abstrakt allegorischenAllegorie SpiritualismusSpiritualismus weit von sich weist und die gesamte Deutung des ATAltes Testament bei ihm aus dem konkret Innergeschichtlichen entwickelt wird, so besitzt er doch eine Idealität, die das konkrete Ereignis, so vollständig es auch erhalten bleibt, als figurafigura aus der Zeit heraus und in die Perspektive der Jederzeitlichkeit und Ewigkeit versetzt. Solche Gedanken waren in dem Gegenstand der Fleischwerdung des Wortes an sich beschlossen, die figurale Deutung der Geschichte legte sie nahe, und sie zeigen sich auch schon sehr bald; wenn etwa TertullianTertullian sagt (adv. Marc. 3, 5), daß in Jes. 50, 6 dorsum meum posui in flagella (VulgataVulgata corpus meum dedi percutientibus) das Zukünftige als schon Geschehenes, Vergangenes figural dargestellt wird, so fügt er hinzu, daß es bei Gott keine differentia temporis gebe. Aber es scheint doch niemand unter den Vorgängern und Zeitgenossen diesen Gedanken so tief und vollständig entwickelt zu haben wie Augustin. Den Gegensatz, den TertullianTertullian hier nur wegen der Perfektform der Aussage empfindet, hat er grundsätzlich immer wieder herausgestellt; etwa de civ. 17, 8: Scriptura sancta etiam de rebus gestis prophetans quodammodo in eo figuram delineat futurorum: oder, bei Gelegenheit einer Diskrepanz zwischen dem Psalm 113 In exitu und der entsprechenden Erzählung im Exodus (Enarr. in Psalm. 113, 1): ne arbitremini nobis narrari praeterita, sed potius futura praedici … ut id, quod in fine saeculorum manifestandum reservabatur, figuris rerum atque verborum praecurrentibus nuntiaretur. Und die Gesinnung, in welcher das Jederzeitliche der Figuren aufgefaßt wird, läßt sich am besten durch eine Stelle beschreiben, die freilich auf die FiguraldeutungFiguraldeutung nicht ausdrücklich Bezug nimmt: Quid enim est praescientia nisi scientia futurorum? Quid autem futurum est Deo qui omnia supergreditur tempora? Si enim scientia Dei res ipsas habet, non sunt ei futurae sed praesentes; et per hoc non praescientia, sed tantum scientia dici potest. (De div. quaest. ad Simpl. II qu. 2 n. 2).

Für die Mission des vierten und der folgenden Jahrhunderte war die FiguraldeutungFiguraldeutung von großem praktischen Nutzen; in Predigt und Unterweisung wird sie ständig verwandt, oft freilich vermischt mit rein allegorischen und moralischen Deutungen. Ein schulmäßiges Lehrbuch der figuralen und moralischen Erklärung sind die Formulae spiritalis intelligentiae des in Lérins ausgebildeten Bischofs Eucherius von LyonEucherius v. Lyon (Anf. 5. Jh.);29 aus dem 6. Jahrhundert stammen die Instituta regularia divinae legis des Quaestors sacri palatii JuniliusJunilius (PL 68), Übertragung einer von der antiochenischen Schule beeinflußten griechischen Schrift; in ihrem ersten Kapitel findet sich folgender Lehrsatz: Veteris Testamenti intentio est Novum figuris praenuntiationibusque monstrare; Novi autem ad aeternae beatitudinis gloriam humanas mentes accendere. Ein praktisches Beispiel, wie gegenüber Neubekehrten die figurale Unterweisung angewandt wurde, bietet etwa die Erklärung des Passahopfers im zweiten Sermon des Bischofs GaudentiusGaudentius v. Brescia von Brescia (PL 20, 855 A), in der sich ein vielleicht unbewußter Ausdruck des figuralen Zeitperspektivismus findet, indem von der (zeitlich vorausgehenden) figurafigura gesagt wird, sie sei nicht veritasveritas, sondern imitatio veritatis. Vielfach sind auch seltsame und gesuchte Figuraldeutungen zu finden, und die rein abstrakte und moralische AllegorieAllegorie mischt sich immer wieder hinein; doch ist die zugrundeliegende Anschauung, das ATAltes Testament sei eine geschichtlich konkrete Praefiguration des Evangeliums, sowohl im ganzen wie in ihren wichtigsten Einzelbeispielen zur festen Überlieferung geworden.

Wir kehren hier noch einmal zur semantischen Untersuchung zurück und fragen, wie figurafigurafigura bei den Kirchenvätern zu seiner neuen Bedeutung bei den KirchenväternKirchenväter gekommen ist. Die ältesten Schriften der altchristlichen Literatur sind griechisch geschrieben, und das Wort, das dort zumeist für «RealprophetieRealprophetie» gebraucht wird – z. B. im Barnabasbrief – ist τύποςτύπος. Dies führt zu der Vermutung – die vielleicht dem Leser schon bei einigen unserer Zitate, etwa den LactanzLactanzstellen, gekommen sein mag –, daß figurafigura unmittelbar aus seiner allgemeinen Bedeutung «Bildung», «Formung», «Gestalt» zu seinem neuen Inhalt kam, und in der Tat legt der Sprachgebrauch gerade bei den ältesten lateinischen Kirchenschriftstellern dies nahe: wenn etwa häufig von Personen oder Ereignissen des ATAltes Testament gesagt wird, daß sie figuram Christi (ecclesiae, baptismi etc.) gerunt oder gestant, daß das jüdische Volk in allem figuram nostram portat, daß die Heilige Schrift figuram delineat futurorum, so läßt sich figura in diesen Sätzen ohne weiteres mit «Gestalt» übersetzen. Doch sogleich mischt sich auch die σχῆμασχῆμα-Vorstellung der bildlich-rhetorischen Umschreibung, der Verhüllung und Verwandlung hinein, ja sogar der Täuschung, wie dies alles die vorchristliche Dichtung und Beredsamkeit ausgebildet hatte. Der Gegensatz figurafigurafigura bei den Kirchenvätern und veritasveritas, das Deuten (exponere) und Enthüllen (aperire, revelare)30 der Figuren, das Gleichsetzen von figura mit umbraumbra, von sub figura mit sub umbra (etwa ciborum oder allgemeiner legis, unter welcher figura etwas anderes, Zukünftiges, Wahres verdeckt liegt) – das alles zeigt in dem neuen Gestaltbegriff figurafigura, der eine praefiguratio ist, das Weiterleben des rhetorisch-bildlichen Gebrauchs, nur daß er aus der rein nominalistischenNominalismus Welt der Rednerschulen und aus dem halb spielenden Mythos OvidsOvid ins Wirkliche und zugleich Geistige, also ins Eigentliche, Bedeutende und Existentielle gelangt ist. Auch der Gegensatz zwischen den Wort- und den Inhaltsfiguren, den wir bei QuintilianQuintilian trafen, ist in der Unterscheidung von figurae verborumfigurafigurae verborum, figurae senentiarum, prophetischen Worten, Gleichnissen u.ä. und figurae rerumfigurae rerum, eigentlichen RealprophetienRealprophetie, wiederaufgenommen worden. Zugleich ist der Pendelausschlag der potestas verbi auf der neuen Grundlage recht weit geworden. Wir finden figura als «tiefere Bedeutung» etwa bei SeduliusSedulius (ista res habet egregiam figuram. Carm. pasch. 5, 348f.) und bei LactanzLactanz (oben S. 454); als «Täuschung» oder «täuschende Gestalt» (FilastriusFilastrius 61, 4 sub figura confessionis christianae «indem sie vorgeben, Christen zu sein», oder Sulpicius SeverusSulpicius Severus de vita b. Martini 21, 1 vom Teufel sive se in diversas figuras spiritalis nequitiae transtulisset, oder Leo MagnusLeo d. Große epist. 98, 3, PL 54, 955 A, lupum pastorali pelle nudantes qua prius quoque figura tantummodo convincebatur obtectus); als «leere» oder «täuschende Redensart», «Ausflucht» (per tot figuras ludimur, PrudentiusPrudentius, peristeph. 2, 315, oder RufinusRufinus, apol. adv. Hier. 2, 22 qualibus [Ambrosium] figuris laceret); auch als «Rede» oder «Wort» schlechthin (te … incauta violare figura, Paul. Nol. carm. 11, 12); und schließlich auch in Abwandlungen der neuen Bedeutung, die eine angemessene Übersetzung kaum gestatten: in der Dichtung de actibus apostolorum des Subdiakons AratorArator (Subdiakon), aus dem 6. Jahrhundert, PL 68, finden sich die Verse tamen illa figura, qua sine nulla vetus (i. e. Veteris Testamenti) subsistit littera, hac melius novitate manet (2, 365); und etwa aus gleicher Zeit stammt eine Stelle aus den Dichtungen des Bischofs Avitus von VienneAvitus v. Vienne (carm. 5, 254, MG Auct. ant. VI, 2),31 wo vom Jüngsten Gericht die Rede ist: wie Gott bei der Tötung der Erstgeburt in Ägypten die mit Blut bestrichenen Häuser verschont hat, so möge er dann auch die Gläubigen an dem Zeichen der Eucharistie erkennen und verschonen: Tu cognosce tuam servanda in plebe figuram. – Es ist zuletzt auch noch darauf hinzuweisen, daß neben dem Gegensatz von Figur einerseits und Erfüllung, Wahrheit andererseits noch ein anderer Gegensatz, der zwischen figurafigura und historiahistoria, auftritt; historia, oder auch litteralittera, ist der Wortsinn bzw. das durch ihn erzählte Ereignis, figurafigurafigura bei den Kirchenvätern ist derselbe Wortsinn oder das Ereignis in bezug auf die darin verhüllte zukünftige Erfüllung, und diese selbst ist veritasveritas, so daß also figura hier als mittlerer Terminus zwischen littera-historia und veritas erscheint. Hier ist figura etwa gleichbedeutend mit spiritusspiritus oder intellectus spiritalisintellectus spiritalis, wofür zuweilen auch figuralitas gesetzt wird, wie in der folgenden Stelle aus der Continentia Vergiliana von FulgentiusFulgentius (90, 1): sub figuralitate historiae plenum hominis monstravimus statum. Natürlich können figura und historiahistoria oft für einander eintreten (ab historia in mysterium surgere, sagt Gregor der GroßeGregor d. Große in Ezech. 1, 6, 3), und späterhin bedeuten sowohl historiare wie figurare «bildlich darstellen», «illustrieren», das erstere jedoch nur im Wortsinn, das andere daneben auch übertragen «allegorisch deuten».32

Figurafigura ist nicht das einzige Wort, welches im Lateinischen für RealprophetieRealprophetie gebraucht wird; sehr oft findet man die aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücke allegoriaAllegorie und besonders typus; allegoriafigurafigura u. allegoria bedeutet allgemein jede tiefere Bedeutung, nicht nur die Realprophetie, doch ist die Grenze fließend, denn auch figura und figuraliter gehen oft über den Bezirk des Realprophetischen hinaus. TertullianTertullian verwendet allegoria fast gleichbedeutend mit figurafigurafigura bei den Kirchenvätern, wenngleich viel seltener, und bei ArnobiusArnobius (adv. nationes 5, 32) findet sich der Gegensatz historiahistoria und allegoria; allegoria wurde auch durch Gal. 4, 24 gestützt. Immerhin ist allegoria nicht überall gleichbedeutend mit figura zu verwenden, da es nicht den Inhalt «Gestalt» umfaßt; man konnte nicht schreiben Adam est allegoria Christi. Dagegen steht typusτύπος(typus) nur als Fremdwort hinter figura zurück, was freilich recht wichtig ist, denn für diejenigen, deren Sprache das Lateinische (oder später eine romanische Sprache) war, erweckte figurafigura mehr oder weniger bewußt all die Vorstellungen, die in seiner Bedeutungsgeschichte enthalten waren, indes typus ein übernommenes und unlebendiges Zeichen blieb. Was nun die lateinischen Worte betrifft, die neben und anstelle von figura für «RealprophetieRealprophetie» verwandt wurden oder doch dafür in Betracht kamen, so sind es folgende: ambagesambages, effigieseffigies, exemplumexemplum, imagoimago, similitudosimilitudo, speciesspecies und umbraumbra. Ambages scheidet aus, da es allzu peiorativ ist; effigies ist als «Abbild» zu eng und hat, auch im Vergleich zu imago, wie es scheint, wenig Expansionskraft entwickelt: die anderen schneiden alle auf verschiedene Weise die Bedeutung «RealprophetieRealprophetie», erfüllen sie aber nicht. Sie werden alle gelegentlich verwendet, am häufigsten imago und umbra. Imagines, absolut und ohne Genitiv, hießen in den römischen Häusern die Ahnenbilder, im christlichen Gebrauch wurden es die Bilder der Heiligen, so daß die Bedeutungsgeschichte von imago einen anderen Verlauf nahm; immerhin war, nach der VulgataVulgata, der Mensch ad imaginem Dei geschaffen, und so hat die Konkurrenz von imago sich lange neben figura gehalten, allerdings nur an solchen Stellen, wo die Bedeutung «Bild» aus dem Zusammenhang heraus mit «Realprophetie» identisch wurde. Umbraumbra wurde vor allen durch einige Stellen aus den Apostelbriefen gestützt (Kol. 2, 17; Hebr. 8, 5 und 10, 1); es kommt sehr viel vor, doch handelt es sich dabei eher um eine metaphorische Fassung des Begriffs RealprophetieRealprophetie als um diesen selbst. Jedenfalls vereinigte keines dieser Worte die Elemente des Begriffs so vollständig wie figurafigura: das Schöpferisch-Bildende, den Wandel im bleibenden Wesen, das Spiel zwischen Abbild und Urbild; und so ist es nicht verwunderlich, daß figura am häufigsten, am allgemeinsten und am bezeichnendsten dafür verwendet wurde.

Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe

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