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4 Der Jägerstammtisch
ОглавлениеEs ist die bürgerlichste und bekannteste Gaststätte in der ganzen Stadt. Ihr Name „Springender Hirsch“ und da ist es nicht verwunderlich, dass sich in ihren Räumlichkeiten ein Jägerstammtisch befindet. In einer Ecke des Schankraumes, in der Nähe des Tresens, steht ein großer, massiver, runder Tisch, „Eiche rustikal“. An den Wänden, auf einer beige Leinentapete, hängen Ölschinken mit Jagdszenen und ausgestopften Jagdtrophäen. Diese Trophäen, würden sicher noch viel lieber in der freien Natur umher streifen, als sich hier, im ausgestopften Zustand an einer Wand zu befinden und das nur teilweise, wie der imposante Kopf eines Keilers es demonstrativ dokumentiert.
Um den Tisch herum sitzen 7 Honoratioren der Stadt. Der Herr Bürgermeister Dr. Günter Behrens, ein untersetzter, pausbäckiger Mann, mit einer rötlichen Hautfarbe, die von vielen, kleinen, bläulichen Äderchen durchzogen ist. Seine kleinen, listig blickenden Augen, huschen wieselflink von einem Tischnachbarn, zum nächsten. Seine dicke Hornbrille wird scheinbar allein von der Nase getragen und seine dicklichen Lippen, lassen von Zeit zu Zeit ein leises, schmatzendes Geräusch hören. Seine großen, abstehenden Ohren, ragen aus einem fast kahlköpfigen Schädel heraus. Sein Körper ist in einem weißen Oberhemd, mit einer lila Krawatte verziert und in einem anthrazitfarbenen Sakko gezwängt. Der Optiker Georg Fischer, ist wohl das absolute Gegenteil des Herrn Bürgermeister, er könnte Willhelm Busch als Schneider Böck, Modell gestanden haben und so bedarf es wohl keiner weiteren Beschreibung. Der Schulrektor des Heinrich Heine Gymnasium, Dr. Heinz Janssen, strahlt eine Gelassenheit aus und sein herablassender Blick verdeutlicht, dass er sich in diesem Kreis für den intelligentesten hält. Für Ihn ist der Herr Professor Dr. Karl Neihus kein Genie, sondern nur ein Fachidiot. Durch seine kalten, grauen Augen, den schmalen Lippen und der blonden Kurzhaarfrisur, wirkt die ganze Person sehr dominant. Der Polizeipräsident Marcel Pierer, ist eine imposante Erscheinung, mit den wohl breitesten Schultern in der ganzen Tischrunde. Alles an ihm wirkt grobknochig, seine Wangenknochen, sein Kinn, seine vorstehende Stirn und dies alles wird durch den starkwüchsigen, schwarz glänzenden Harrschopf und den buschigen Augenbrauen verstärkt. Die dunkelblaue Polizeiuniform rundet die ganze, befehlsgewohnte Persönlichkeit ab. Der Förster Eduard Grünwald, ist der sportliche Typ In dieser Runde. Seine braun getönte Haut, ist ein Indiz für häufigen Aufenthalt in der frischen, freien Luft. Seine hageren, aber gleichmäßigen Gesichtszüge, werden durch tiefe Falten zerfurcht, die seinem smarten, freundlichen Erscheinungsbild keinen Abbruch tun. Seine grünen Augen scheinen ständig zu lächeln. Sein Lodenjanker, erinnerte nur ansatzweiße an eine Jägeruniform, gibt seinem Auftreten aber eine elegante Note. Der Industrieunternehmer Stephan Bartels, ist ein hagerer, blassheutiger Typ, in einem teuren, Anthrazit Maßanzug, einem hellblauen Seidenhemd und einer silbergrauer, anthrazitstreifigen Seidenkrawatte. In seinem Gesicht dominiert die große Brille, mit ihrem robinroten Horngestell. Seine ergrauten Haare, werden mit Pomade flach an seinen Kopf angelegt. Seine blauen, stechenden Augen, in Verbindung mit seiner schmalen Nase, geben ihm ein adlerhaftes Aussehen. Der Professor Dr. Karl Neihus, ist bereits allen bekannt.
Diese ehrenwerten Herren, treffen sich zweimal im Monat, einmal abends und einmal, so wie heute, mittags, zu einem ausgiebigen Mittagessen, mit anschließendem Plaudern und in dieser Phase befand sich jetzt die Runde. Der Bürgermeister lässt seinen Blick über jeden einzelnen streifen und fragt: „Was haltet ihr von der unsinnigen Demonstration gegen die Treibjagd?“
„Überhaupt nichts Günter, dass sollten Sie doch wissen“. Meinte Stephan Bartels. „Ihre Einstellung kenne ich zur genüge, aber wie ist es mit euch anderen, zum Beispiel mit Ihnen Eduard?“
„Für mich wurde es höchste Zeit, dass etwas gegen die Treibjagden unternommen wird.“ „Hört, hört“, mischt sich der Polizeipräsident ein. „Haben Sie nicht auch einen Jagdschein?“
„Natürlich habe ich als Förster einen Jagdschein, aber ich habe noch nie an einer Treibjagd teilgenommen, da ich sie grundsätzlich ablehne. Vielleicht komme ich irgendwann einmal mit zu eurem Spektakel und kann bei der Gelegenheit, ein paar Kreaturen vor euren Büxen retten.“ Eduard konnte nicht ahnen, wie bald die letzten, ironisch gemeinten Worte, Wirklichkeit werden sollten.
„Aber Eduard, Sie wissen das unser Stammtisch, Jägerstammtisch heißt und ich frage mich warum Sie eigentlich hier sind?“ „Ja, ja Georg, es ist mir bewusst, aber für mich sind die Tiere nicht zum sinnlosen Töten auf unserem blauen Planeten, sondern ich erfreue mich an ihrer Schönheit, an ihrer Einmaligkeit und bewundere ihre Einbezogenheit in die Natur. Meinen Jagdschein besitze ich, weil ich ein Förster bin und als Förster verstehe ich mich als Pfleger für die Natur und mit ihr den Wald und die Tiere. Mein Waffenschein kommt erst dann zum Tragen, wenn ich kranke oder verletzte Tiere von ihrer Qual erlösen will.“ „Um auf Ihre Frage zurück zu kommen, ich bin hier, mit der naiven Hoffnung, euch zu beeinflussen, von eurer sinnlosen Lust auf das Töten, von wehrlosen Kreaturen abzulassen. Doch wenn ich es mir richtig überlege, ist es sicher ein vergebliches Unterfangen.“
„Es klingt sehr ehrenvoll, aber ich bezahle für die Möglichkeit meinen Jagdschein zu benutzen sehr viel Geld und lasse mir dieses Recht nicht nehmen.“ „Das sehe ich auch so.“ Unterstützt der Schuldirektor die Meinung und fügt dem noch hinzu. „Außerdem stehen wir in der Evolution ganz oben und schon in der Bibel steht: „… macht euch die Erde untertan.“ „Aber, aber“, schaltet sich der Industrieunternehmer in das Gespräch mit ein. „Heinz, jetzt tragen Sie aber zu dick auf, ich für meinen Teil möchte meinen Spaß und ich will spüren, wie mir das Adrenalin in die Blutbahnen schießt, wenn ich Aug in Aug vor einem wilden Wesen stehe und ich weiß, dass ich stolz bin, dass bald an einer Wand in meiner Villa, eine herrliche Trophäe hängen wird. Dabei ist es mir völlig egal, wo ich in der Evolution stehe.“
„Mutig, mutig, genau, dass ist es, was ich euch vorwerfe“, empört sich der Förster. „Ihr ignoriert die Lebewesen, euch ist egal was mit ihnen geschieht und ihr vergesst, dass jedes Lebewesen und jede Pflanze mehr in die Natur gehört, als wir Menschen. Vergesst nie, vergesst es nie, was ich euch jetzt noch sagen möchte.“ „Wir brauchen die Natur, aber die Natur braucht uns nicht!“
„Jetzt ist es aber genug, äußert sich in einem scharfen Ton der Professor. „Es ist in der heutigen Zeit ja wohl keine Frage, dass wir über alle Lebewesen stehen und es wohl selbstverständlich ist, da wir die einzigen sind, die über eine Intelligenz verfügen und ich gehe noch ein Stück weiter und behaupte, dass einige von uns noch über den Rest der Menschheit stehen.“ „Jetzt werden Sie aber unverschämt,“ empört sich der Rektor, sein Oberkörper beugt sich nach vorne, seine Hände stützen ihn über die Arme auf der Tischplatte ab und das so stark, dass seine Fingergelenke weiß anlaufen. „Sie wollen sich doch wohl nicht, über die am Tisch sitzenden Personen hinausheben?“ Bei diesen Worten blitzten seine Augen, wie Laserstrahlen, zu dem Professor Dr. Karl Neihus hinüber, aber der Professor, hat nur ein müdes, verächtliches Lächeln für den Rektor über.
„Nun ist es aber genug“, donnert die Stimme des Polizeipräsidenten, dabei streckt sich sein Kinn energisch nach vorne und sein energischer Blick geht einmal in die Runde. „Haben Sie alle vergessen, warum wir heute hier sind? Sie müssen mir doch sicher Recht geben, dass wir mehrheitlich dafür sind, die Demonstration nicht für gut zu heißen. Günter, sagen Sie uns doch bitte, warum Sie die Demonstration überhaupt genehmigt haben?“
„Weil mir keine andere Möglichkeit blieb, denn jede Person in diesem freien, unserem Land, besitzt das Grundrecht zur freien Meinungsäußerung und solange die Demo nicht gegen das Grundgesetz gerichtet ist, oder auf den Umsturz des Staates hinarbeitet, habe ich überhaupt keine Handhabe, etwas dagegen auszurichten und ich möchte auch, dass es in dieser Runde akzeptiert wird.“
„Wenn das so weiter geht, werde ich bald, keine Büxen mehr verkaufen können.“ „Aber Stephan, Pflugscharen statt Waffen, wäre das nichts für Sie.“ Bei dieser Äußerung fliegt dem Optiker ein spöttisches, breites Lächeln über sein Gesicht. „Hören Sie bloß auf, Georg, es genügt mir schon, von meinem Sohn solche Sprüche anzuhören, aber ich könnte Ihnen ja tolle, stabile Brillengestelle aus Krupp – Stahl anfertigen, oder haben Sie Angst, dass solche Brillen ein Leben lang halten und Ihre Kunden aussterben?“ Diese Worte erheitern alle, in dieser Runde.
Nach einer kurzen Pause, in der die Einen Ihren Gedanken nachhängen und die Anderen einen Schluck von Ihren Getränken genießen, nimmt Förster Grünwald wieder das Gespräch auf: „Mein Vorschlag wäre, die Demonstration zu ignorieren, denn das ich sie begrüße, ist Ihnen allen ja bekannt und um eure Meinung zu unterstützen, wäre es sicher nicht von Vorteil, wenn sie überbewertet wird. Es gibt nichts Unwichtiges, das nicht als Meldungen in Presse, Fernsehen und Internet aufgewertet wird und je mehr Unruhe, Konfrontationen, wie auch Brutalitäten auf so einer Veranstaltung stattfinden, umso mehr Beachtung und Erfolg wird sie haben.“
„Da muss ich ausnahmsweise unserem lieben Herrn Förster zugestehen, dass er in diesem Fall Recht haben könnte, außerdem neigt sich die Mittagspause ihrem Ende zu und ich werde in meinem Institut erwartet.“ „Ja Karl, wir wissen es alle, dass ohne Sie das Institut schon gar nicht mehr da wäre, oder es wäre nur ein ganz banales Krankenhaus, aber in einem haben Sie recht, die Mittagspause ist auch für mich beendet und auch ich werde im Polizeipräsidium erwartet, um in Erfahrung zu bringen, wie weit die Vorbereitungen für die Demo gediegen sind. Meine Leute sind genauestens instruiert was zu tun ist und technisch sind sie voll ausgerüstet, vom Megafon, bis Wasserwerfer ist alles vorhanden, - man muss ja auf alles vorbereitet sein.“
„Oh, oh.“ Lässt sich, die Schultern zuckend, der Förster vernehmen. „Ich ahne Schlimmes, aber ich werde es ja miterleben“. Mit einem hingeworfenen - Malzeit - steht er auf, hat ein verkrampftes Lächeln für alle im Gesicht und verlässt den „Springenden Hirsch.“ Nach ein paar belanglosen Floskeln und Sprüchen, löst sich die Tischrunde auf und alle verlassen die Lokalität.