Читать книгу Oktobermeer - Erik Eriksson - Страница 11
2.
ОглавлениеDas Schiff lag mit dem Steven zum Land hin, die Ankerkette war fest gespannt. Nachdem die Volgobalt Nr. 143 vor Anker gegangen war, hatte sie in der ersten halben Stunde ziemlich geschaukelt, da der Anker nicht richtig Halt gefunden hatte, denn der Boden bestand laut Seekarte aus Lehm und Sand. Michail hatte die Bewegungen des Schiffes bemerkt. Er wusste, dass das geringfügige Abtreiben eine längere Schwimmstrecke für ihn bedeutete. Er hatte zwei Leuchten an Land gesehen, von Häusern oder vielleicht von einer Brückenbeleuchtung, er war nicht ganz sicher. Er beobachtete die Lichter und den Winkel zwischen ihnen und dem Schiff, sah die Bewegung vom Land weg, dachte, dass der Abstand bald zu groß sein würde.
Dann jedoch hatte der Anker Grund gefunden, die Landlichter blieben in ihrer Stellung, die Volgobalt lag mit ihrem dunklen Schiffskörper fest in Windrichtung, während sich das Abenddunkel über das Åländische Meer legte.
Michail befand sich allein an Deck. Er legte die blaue wattierte Winterjacke ab, ließ sie an der Steuerbordseite außen hinunterfallen, der Wind ergriff sie, er konnte die flatternden Ärmel noch erkennen, ehe die Dunkelheit und die Wellen die Jacke verschluckten. Die Wollmütze und der Pullover folgten nach.
Jetzt war er noch mit einem blau karierten Baumwollhemd bekleidet, mit grauen Arbeitshosen und dünnen Lederschuhen.
Dann stieg er über die Reling, hielt sich mit einer Hand fest, hockte sich hin, um den Abstand zum Wasser zu verringern, es waren vielleicht vier Meter. Er ließ los, streckte die Beine.
Die Kälte des Wassers umfing ihn unmittelbar: der Griff um den Brustkorb, um den Magen, der Schmerz an den Wangen, eine kurze Verzweiflung, schnelle Armbewegungen nach oben, das rostbraune Schiffsblech direkt vor dem Gesicht. Er stieß sich ab, gewann etwas Platz, begann, am Steven vorbei zu schwimmen, gegen die Wellen, hin zum Land.
Er konnte jedoch den Strand nicht sehen. Das war allerdings keine Überraschung, er hatte mit schlechter Sicht gerechnet. Trotzdem war das Gefühl des Ausgestoßenseins mächtig, die Wellen waren stärker, als er sich hatte vorstellen können, der Widerstand, der Wind, das kalte Wasser, das über seinem Gesicht zusammenschlug.
Er war jetzt an der Ankerkette vorbeigeschwommen, und er blickte nicht zurück. Wenn ihn jemand beobachtet hätte, dann hätte er jetzt Stimmen und Kommandorufe hören müssen, ein Scheinwerfer wäre angemacht worden. Er konnte die Topplaternen des Schiffes erkennen, man hätte ihn jedoch nicht länger sehen können, im Fall, dass man etwas bemerkt hätte. Er war im Dunkeln verborgen. In dem einsamen, lähmenden Wasserdunkel, in der furchtbaren kalten Nacht, auf dem Weg hin zu einem Strand, den er nicht sehen konnte, weg von dem Schiff, das er verlassen hatte.
Er versuchte mit langen, ruhigen Zügen zu schwimmen, rhythmisch zu atmen. Die Wellen kamen ihm jedoch entgegen, sie schlugen über ihm zusammen, und das eiskalte, peitschende Wasser klatschte ihm die ganze Zeit über gegen das Gesicht. Seine Wangen waren taub von der Kälte, er merkte, wie sich sein Hals zusammenzog, er befürchtete, dass er einen Krampf bekam.
Dann versuchte er sich mit gesenktem Kopf auszustrecken. Er atmete ein, schwamm mit kräftigem Beinschlag, lag ein paar Sekunden gestreckt da, atmete unter Wasser aus, ließ die Wellen über dem Nacken zusammenschlagen, hob schnell den Kopf und holte wieder Luft.
Er wandte sich nicht um. Er sah nach vorne, versuchte, das Land zu erkennen.
Er glaubte etwas Neues zu vernehmen, ein anderes Geräusch als das Klatschen der Wellen gegen seinen Kopf. Ein zischendes abgelegenes Geräusch von Brandung. Dieses neue Geräusch verschwand jedoch wieder.
Er drehte sich um, versuchte, eine Weile auf dem Rücken zu schwimmen.
Das neue Geräusch war wieder da. Jetzt war er sich ganz sicher, es klang wie ein Wasserfall, Gischt, Wirbel, Wellenschlagen gegen Land. Ja, das mussten die Wellen sein, die auf den Strand schlugen.
Aber er war zu eifrig geworden. Er hatte den Hals ausgestreckt, um sehen zu können, und eine große Welle über den Kopf bekommen, er hatte Wasser geschluckt, hatte zu husten angefangen, den Rhythmus verloren und war zurückgetrieben worden.
Dieser Fehler hatte Kräfte gekostet. Er vermochte nicht mehr länger ausgestreckt zu liegen und unter Wasser auszuatmen, er brauchte mehr Luft, streckte wieder den Hals nach oben und bekam erneut eiskalte Wellen gegen Kopf und Gesicht.
Er sank zurück unter die Wasseroberfläche, aber der brennende Druck auf der Brust, die Angst, die vom Luftmangel herrührte, zwangen ihn wieder nach oben. Er schlug mit den Armen aus, in einem verzweifelten Versuch, an Höhe zu gewinnen, nach oben zu kommen und Luft zu bekommen, die Lunge zu füllen. Aber er bekam hauptsächlich Schaum und Wasser ins Gesicht. Wieder versank er, noch einmal zwang er sich, nach oben zu kommen, atmete mit einem Ruck ein, versuchte, zu dem langsamen Schwimmen zurückzukehren.
Jetzt jedoch begannen seine Kräfte abzunehmen. Er konnte nur noch ein paar Schwimmzüge machen, ehe er wieder versank, hinuntergepresst von den Wellen.
Ihm wurde schwindlig, er sah nur noch eine von Blitzen durchzuckte Dunkelheit, lag nicht länger ausgestreckt im Wasser, die Beine sanken ab, die Arme waren ausgestreckt, aber er vermochte seinen Körper nicht mehr in eine liegende Stellung zu bringen.
Michail war nicht länger imstande zu schwimmen. Er war dabei zu versinken, er fühlte die eisige Kälte und die Verzweiflung.
Sein Fuß war gegen irgendetwas gestoßen. Er hatte es nicht gemerkt. Dann schlug auch das Schienbein gegen etwas Hartes, ebenso das Knie, eine scheuernde Bewegung gegen eine Felskante, dann noch ein Schlag.
Als er unbewusst das Bein anzog, schlug er mit dem anderen Fuß gegen das Harte. Er war allzu benommen, um etwas zu begreifen. Sein Bein bewegte sich, er trat im Wasser, sein Körper kämpfte, aber sein Kopf wusste nicht, was die Beine taten. Er schluckte Wasser, er erlebte das Dunkel und Todesangst, seine Füße jedoch und seine Beine hatten festen Halt gefunden, eine Klippe, einen Fels.
Die Wellen wurden zurückgesogen, die Bewegung des Wassers drehte sich, eine seichte Stelle vor dem Land hatte Strudel verursacht. Michail wurde hinausgezogen, dann wieder zurück auf die seichte Stelle zu. Er konnte knien, er strauchelte, konnte sich mit seinen ausgestreckten Armen abstützen.
Er keuchte, spuckte Wasser aus, wurde von einem krampfartigen Husten geschüttelt, spuckte Schleim aus, fühlte, wie das schneidend kalte Wasser aus seiner Nase spritzte, atmete stoßweise, schmerzhaft, fiel hin, als eine Welle ihm die Arme wegschlug, erhob sich jedoch wieder und begriff, dass er es geschafft hatte.
Er wusste, dass er nahe daran gewesen war, im Wasser zu bleiben. Er war noch nicht auf dem Strand, er war sehr müde, fühlte keine Freude, aber er wusste doch, dass er es geschafft hatte.
Jetzt stand er auf. Das Wasser stand ihm fast bis an die Hüfte. Er konnte den Strand erkennen und begann, langsam in die Richtung zu gehen.
Aber das Wasser wurde wieder tiefer. Er stand auf einem Felsen, der vor dem Strand lag. Er musste noch durch tiefes Wasser hindurch, ruhiges Wasser zwar, aber er würde wieder gezwungen sein zu schwimmen. Er merkte, dass er zitterte. Nachdem er noch ein paar Schritte in Richtung auf das tiefe Wasser hin gemacht hatte, zögerte er, sich in die Kälte zu begeben.
Er machte ein paar Schwimmzüge. Er war schwach, begann wieder zu husten. Jeder Schwimmzug bedeutete eine große Anstrengung, er zwang sich, den Kopf über Wasser zu halten, er konnte schlecht sehen, irgendetwas Graues trübte ihm den Blick, irgendetwas Graues, Dunkles, das in Schwarz überging.
Michail wusste, dass der Strand nahe war, trotzdem hatte er das Gefühl, als ob ein Meer vor ihm lag. Und er versank immer tiefer in dem Dunkel, hinein in eine betäubende Kraftlosigkeit, in der sein eigener Wille nicht länger irgendeine Bedeutung hatte.
Als er mit den Knien auf dem steinigen Untergrund aufschlug, merkte er es nicht. Als er sich die Ellenbogen an den scharfen Kanten blutig schlug, fühlte er nichts.
Die Wellen, die an der Stelle, an der Michail an Land gekommen war, den Strand erreichten, waren schwach, die seichte Stelle draußen hatte als Wellenbrecher gedient. Michail blieb vorne am Strand liegen. Er hatte Schürfwunden auf den Wangen, hatte einen Arm unter den Kopf gelegt, sein Mund befand sich über der Wasseroberfläche. Irgendwann während der Nacht war er ein paar Meter hinauf auf die am Strand wachsenden Büsche gekrochen. Dort war er recht lange liegen geblieben. Als es hell wurde, kroch er noch ein Stück weiter nach oben, dann fiel er in einen tiefen Schlaf.
Es regnete die ganze Zeit über, und auch der Wind war nicht abgeflaut.