Читать книгу Geisterenthüller John Bell - Erik Schreiber, Friedrich Rolle, Leo Woerl - Страница 7
ОглавлениеAn diesem Abend bereitete ich mich sorgfältig vor. Ich würde früh am nächsten Morgen nach ... shire aufbrechen, um für meine Zwecke die Rolle eines Amateurfotografen anzunehmen. Da ich alle notwendigen Details von Edgcombe bekommen hatte, ging ich meine Vorgehensweise schon einmal sorgfältig im Geist durch. Zunächst würde ich ein kleines Dorf namens Harkhurst besuchen und in dem Gasthaus, dem ‚Crown and Thistle‘, absteigen. Hier hatte Wentworth zwei Wochen verbracht, als er mit seinem Auftrag, den Fluss Merran zu zeichnen, startete. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass ich dort einige Informationen erhalten konnte. Die Umstände würden dann meine weiteren Schritte bestimmen, aber meine Absicht war, von Harkhurst zum ‚Castle Inn‘ zu reisen, das etwa sechs Meilen Fluss aufwärts lag. Das war das Gasthaus, in der sich die Tragödie zugetragen hatte.
Gegen Abend des folgenden Tages kam ich in Harkhurst an. Als meine Kutsche vor dem ‚Crown and Thistle‘ vorfuhr, stand die Wirtin in der Tür. Sie war eine drall gebaute Dame mit gütigem Gesicht. Ich fragte nach einem Zimmer.
„Natürlich, mein Herr“, antwortete sie. Sie geleitete mich in das kleine Gasthaus und führte mich die Treppe hoch, um mir ein kleines Zimmer zu zeigen, recht sauber und bequem, mit Fenster zum Hof. Ich sagte, dass ich es nehmen würde, und sie eilte nach unten, um das Abendessen vorzubereiten. Nach dem Mahl, das sich als hervorragend herausstellte, beschloss ich, den Wirt in der Bar aufzusuchen. Er zeigte sich sehr gesprächig und aufgeschlossen.
„Das ist ein abgelegener Ort“, sagte er. „Wir haben nicht oft jemanden, der einen ganzen Monat bleibt.“ Während er sprach, ging er zur Tür und ich folgte ihm. Die Schatten der Nacht begannen sich herabzusenken, aber sie konnten die Schönheit des malerischen Weilers nicht vor mir verbergen.
„Und doch ist es ein wunderschöner Platz“, sagte ich. „Ich hätte gedacht, dass er Touristen anlocken würde. Zumindest für Fotografen ist es ideal hier.“
„Sie haben recht, mein Herr“, antwortete der Mann, „und obwohl wir nicht oft Gesellschaft im Gasthaus haben, kommt hier und da ein Künstler auf Wanderschaft vorbei. Es ist keine drei Wochen her“, fuhr er fort, „dass ein Gentleman wie Sie bei uns war, nur ein wenig jünger, der für ein oder zwei Wochen blieb. Er war ein Künstler, und er zeichnete von morgens bis abends – ach, der arme Kerl!“
„Warum sagen Sie das?“, fragte ich.
„Ich habe guten Grund dazu, mein Herr. Hier, Weib“, rief er über seine Schulter zu Mrs. Johnson, seiner Frau, die gerade dazu kam, „dieser Gentleman hat nach unserem Gast, Mr. Wentworth, gefragt, aber vielleicht sollten wir ihm heute Nacht nicht so eine düstere Geschichte erzählen.“
„Bitte tun Sie es“, sagte ich. „Was Sie angedeutete haben, hat meine Neugierde geweckt. Warum bedauern Sie Mr. Wentworth?“
„Er ist tot, mein Herr“, sagte die Wirtin mit feierlicher Stimme. Ich täuschte Entsetzen vor und sie fuhr fort: „Und es war alles seine eigene Schuld. Ach je, ich muss beinahe weinen, wenn ich daran denke. Er war der netteste Gentleman, den ich je getroffen habe, und so stark, herzlich und angenehm. Nun, mein Herr, alles ging gut, bis er eines Tages zu mir sagte: ‚Ich werde Sie verlassen, Mrs. Johnson. Ich werde zu einem kleinen Gasthaus namens ‚Castle Inn‘ gehen, weiter den Merran hinauf.‘
‚Das ‚Castle Inn‘‘, rief ich aus. ‚Nein, Mr. Wentworth, das werden Sie nicht, nicht wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.‘
‚Und warum nicht?‘, fragte er, mich mit seinen so strahlend blauen Augen anschauend, wie Sie sie noch bei niemandem gesehen haben. ‚Warum sollte ich nicht im ‚Castle Inn‘ einkehren? Ich habe den Auftrag diese spezielle Flussbiegung zu zeichnen.‘
‚Nun dann, mein Herr‘, antwortete ich, ‚wenn das so ist, nehmen Sie ein Pferd und einen Wagen von hier und fahren hinüber, sooft Sie möchten. Das ‚Castle Inn‘ ist kein christlicher Ort zum Einkehren.‘
‚Wie meinen Sie das?‘, fragte er mich.
‚Ihm wird nachgesagt, dass es dort spukt, mein Herr, und was in diesem Haus passiert, weiß Gott allein, aber das ,Inn‘ hat jahrelang keinen Gast gehabt, nicht seit Bailiff Holt dort zu Tode gekommen ist.‘
‚Zu Tode gekommen?‘, fragte er. ‚Und wie ist das passiert?‘
‚Gott weiß es, ich nicht‘, antwortete ich. ‚Und die Untersuchung des Gerichtsmediziners ergab, er sei an Herzversagen gestorben, was immer das bedeutete, aber die Leute hier meinen, es war vor Entsetzen.‘ Mr. Wentworth hat nur gelacht. Er glaubte kein Wort von dem, was ich sagte, und am nächsten Tag, mein Herr, war er weg und hatte alle seine Habseligkeiten mit sich genommen.“
„Und was passierte dann?“, fragte ich, als sie innehielt.
„Was dann passierte, mein Herr? Genau das, was ich erwartet hatte. Zwei Tage später erhielten wir die Nachricht von seinem Tod. Armer junger Gentleman! Er starb in demselben Zimmer, in dem Holt seinen letzten Atemzug getan hat. Und oh, und es gab einen großen Wirbel, denn es stellte sich heraus, dass er, obwohl er auf uns ziemlich arm gewirkt hatte, mit wenig oder gar keinem Geld, nicht mittellos war und dass er reiche Verwandtschaft hatte und ein großes Vermögen auf ihn wartete. Natürlich gab es gerichtsmedizinische Ermittlungen und all das, und berühmte Ärzte kamen aus London und unser Dr. Stanmore, der die Straße hinunter wohnt, wurde gerufen. Obwohl sie alles taten, was in ihrer Macht stand, und ihn auch mit dem Mikroskop untersuchten, konnten sie keine Todesursache finden, und so bescheinigten sie Herzversagen, wie auch im Fall des armen Holt. Aber, mein Herr, das war es nicht. Es war Entsetzen, blankes Entsetzen. An diesem Ort spukt es. Es ist ein geheimnisvolles, schauderhaftes Haus und ich hoffe nur für Sie, dass Sie nichts mit ihm zu tun haben werden.“
Sie fügte noch ein paar Sätze hinzu und verließ uns.
„Das ist eine merkwürdige Geschichte“, sagte ich, mich zu Johnson wendend. „Ihre Frau hat meine Neugier angefacht. Ich würde nur zu gerne noch mehr Einzelheiten erfahren.“
„Da scheint es nicht mehr zu erzählen zu geben, mein Herr“, erwiderte Johnson. „Es ist wahr, was meine Frau sagt, dass das ,Castle Inn‘ einen schlechten Ruf hat. Es nicht der erste, noch nicht mal der zweite Todesfall dort.“
„Sie erwähnten den Dorfdoktor. Denken Sie, er könnte mich weiter über das Thema aufklären?“
„Ich bin sicher, er wird sein Bestes tun, mein Herr. Er wohnt nur sechs Häuser weiter, in dem roten Haus. Vielleicht möchten Sie die Straße hinuntergehen und mit ihm sprechen?“
„Sind Sie sicher, dass er es nicht als zu aufdringlich empfindet?“
„Nicht er, mein Herr. Er wird nur zu erfreut sein, sich mit jemandem von außerhalb dieses kleinen verschlafenen Nests zu unterhalten.“
„Dann werde ich ihn aufsuchen“, antwortete ich, nahm meinen Hut und ging die Straße hinunter. Ich hatte Glück, Dr. Stanmore zu Hause anzutreffen und in dem Moment, in dem ich sein Gesicht sah, beschloss ich, ihn ins Vertrauen zu ziehen.
„Die Sache ist die“, sagte ich, nachdem wir uns die Hände geschüttelt hatten, „ich hätte mir nicht die Freiheit genommen, bei Ihnen vorzusprechen, wenn ich nicht das sichere Gefühl hätte, dass Sie mir helfen können.“
„Und auf welche Weise?“, fragte er, nicht steif, sondern mit einem eifrigen, forschenden, interessierten Blick.
„Ich wurde aus London hierher geschickt, um in dem etwas rätselhaften Wentworth-Fall zu ermitteln“, sagte ich.
„Wirklich?“, fragte er überrascht. Dann fuhr er ernst fort: „Ich fürchte, da haben Sie sich auf eine wahrlich aussichtslose Unternehmung eingelassen. Man hat bei der Autopsie nichts herausgefunden, was den Tod verursacht haben könnte. Es gab keine Verletzungsspuren am Körper und alle Organe waren gesund. Ich habe Wentworth öfter getroffen, als er hier verweilte, und er war ein herzlicher und stark aussehender junger Mann, wie ich selten jemanden getroffen habe.“
„Aber das ,Castle Inn‘ hat einen schlechten Ruf“, warf ich ein.
„Das ist wahr. Die Leute hier fürchten sich davor. Man sagt, es spukt dort. Aber ehrlich, mein Herr, Sie und ich müssen uns über solch dumme Geschichten keine Sorgen machen. Der alte Bindloss, der Wirt, lebt seit vielen Jahren dort und es konnte ihm nie etwas Verwerfliches nachgewiesen werden.“
„Ist er alleine?“
„Nein, seine Frau und seine Enkelin leben auch dort.“
„Eine Enkelin?“, sagte ich. „War das nicht das Mädchen, dass eine überraschende Aussage bei der Befragung machte?“
„Nichts von Bedeutung“, antwortete Dr. Stanmore, „Sie hat nur wiederholt, was Bindloss selbst schon gesagt hatte – dass es im Haus spukt und dass sie Wentworth gebeten habe, nicht in diesem Zimmer zu schlafen.“
„Wurde jemals versucht zu klären, warum es in diesem Zimmer spukt?“, fragte ich weiter.
„Nicht, dass ich wüsste. Wahrscheinlich sind Ratten der Auslöser.“
„Aber gab es nicht schon andere Todesfälle in dem Haus?“
„Das stimmt.“
„Wie viele?“
„Nun, ich selbst hatte mit nicht weniger als drei ähnlichen Vorkommnissen zu tun.“
„Und was war das Urteil der Jury?“
„In allen Fällen Tod durch Herzversagen.“
„Das heißt, Todesursache unbekannt,“ sagte ich, ungeduldig aufspringend. „Es wundert mich, Dr. Stanmore, dass Sie sich mit diesem Stand der Sache zufrieden geben.“
„Was hätte ich denn machen sollen?“, fragte er. „Ich werde gebeten, die Leiche zu untersuchen. Ich finde alle Organe völlig gesund vor. Ich kann nicht die kleinste Spur von Gewalteinwirkung entdecken noch irgendeines Giftes. Welch andere Aussage kann ich mit gutem Gewissen treffen?“
„Ich kann nur sagen, dass es für mich nicht zufriedenstellend wäre“, antwortete ich. „Ich möchte hinzufügen, dass ich von London hierhergekommen bin mit der festen Absicht, dieses Rätsel zu lösen. Ich werde selbst im ,Castle Inn‘ absteigen.“
„Und?“, fragte Dr. Stanmore.
„Und in dem verfluchten Zimmer schlafen.“
„Natürlich glauben Sie nicht an den Geist.“
„Nein, aber ich glaube an falsches Spiel. Nun, Dr. Stanmore, werden Sie mir helfen?“
„Sicherlich, wenn ich kann. Was soll ich tun?“
„Dies – ich werde morgen zum ,Castle Inn‘ gehen. Wenn ich nach drei Tagen nicht zurückgekehrt bin, werden Sie nach mir suchen und gleichzeitig diesen Brief an Mr. Edgcombe, meinem Londoner Anwalt, senden.“
„Wenn Sie nach drei Tagen nicht wieder hier erschienen sind, werde ich die Hölle in Bewegung setzen“, versprach Dr. Stanmore, „und natürlich Ihren Brief absenden.“
Kurz darauf schüttelten der Doktor und ich uns zum Abschied die Hände.