Читать книгу Geisterenthüller John Bell - Erik Schreiber, Friedrich Rolle, Leo Woerl - Страница 8

Оглавление

Nach einem frühen Abendessen am folgenden Tag verließ ich meine gutmütigen Wirtsleute; mit Rucksack und der Kamera über der Schulter machte ich mich auf den Weg. Ich achtete darauf, niemandem zu erzählen, dass ich zum ,Castle Inn‘ ging, und aus diesem Grund nahm ich auch einen Umweg durch ein Waldstück.

Die Sonne ging fast unter, als ich mich einem zerbrochenen Wegweiser näherte, auf dem in halbverwitterten Buchstaben zu lesen war: ‚To the Castle Inn‘. Ich befand mich am Anfang eines schmalen Trampelpfads, der offensichtlich kaum benutzt wurde, denn er war dicht mit Gras bewachsen. Von dort aus konnte ich kein bewohntes Grundstück erblicken, aber gerade in diesem Moment drang ein leises, etwas zusammenhangloses Lachen an mein Ohr. Ich drehte mich schnell um und sah ein hübsches Mädchen mit hellen Augen und kindlichem Gesicht, dass mich mit Interesse betrachtete. Ich hatte kaum Zweifel, dass es sich um die Enkelin des alten Bindloss handelte.

„Würdest du mir freundlicherweise sagen“, bat ich, „ob dies der Weg zum ,Castle Inn‘ ist?“

Meine Bemerkung überraschte sie offensichtlich. Sie beugte sich vor, packte mich an der Hand und versuchte, mich von dem Trampelpfad wegzuziehen, zurück auf den Hauptweg.

„Gehen Sie weg!“, schrie sie, „wir haben keine Betten im ,Castle Inn‘, die zu einem Gentleman passen. Gehen Sie! Gehen Sie!“, fuhr sie fort und zeigte auf den sich windenden Weg. Ihre Augen loderten nun in ihrem Gesicht, aber ich bemerkte, dass ihre Lippen zitterten und dass sie kurz davor stand, in Tränen auszubrechen.

„Aber ich bin müde und meine Füße schmerzen“, antwortete ich. „Ich sollte für die Nacht in dem Gasthaus absteigen.“

„Tun Sie das nicht!“, wiederholte sie. „Sie stecken Sie in einen Raum mit einem Geist. Gehen Sie nicht dorthin. Es ist kein Ort für Gentlemen.“ Nachdem sie dies gesagt hatte, brach sie nicht in Tränen aus, sondern in ein helles, schrilles, fast idiotisches Lachen. Sie schlug sich plötzlich mit einer Hand an die Stirn, drehte sich um und floh so schnell wie der Wind den schmalen Pfad entlang und außer Sicht. Rasch folgte ich ihr. Ich glaubte nicht, dass das Mädchen nur annähernd so verrückt war, wie sie wirkte, aber ich hatte keinen Zweifel, dass etwas Außergewöhnliches ihren Verstand belastete.

Nach der nächsten Kurve kam das Gasthaus in Sicht. Es war ein eigenartiges Gebäude und ich blieb einen Augenblick lang stehen, um es anzusehen. Das Haus war ganz aus Stein gebaut. Im mittleren Teil gab es zwei Stockwerke. Er hatte eine quadratische Grundfläche und an jeder der vier Ecken ragte ein runder Turm empor. Das Haus war direkt am Fluss errichtet worden, direkt unterhalb eines großen Mühlteichs. Ich ging zur Tür und klopfte mit meinem Stock an. Sie war verschlossen und sah genauso wenig einladend aus wie der Rest dieser Gegend. Nach einem Moment wurde sie zwei oder drei Inch weit geöffnet und das mürrische Gesicht einer alten Frau tauchte in dem Spalt auf.

„Was wollen Sie?“, fragte sie.

„Ein Bett für die Nacht“, antwortete ich. „Können Sie mich unterbringen?“

Sie schaute misstrauisch zunächst auf mich, dann auf meine Kamera.

„Sie sind ein Künstler, ohne Zweifel“, sagte sie, „und die wollen wir hier nicht mehr.“

Sie war dabei, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen, aber ich schob meinen Fuß in den Türspalt.

„Ich bin leicht zufriedenzustellen“, sagte ich. „Können Sie mir nicht irgendeine Lagerstätte für die Nacht anbieten?“

„Sie haben besser nichts mit uns zu schaffen“, antwortete sie. „Gehen Sie nach Hackhurst. Sie können dort im ‚Crown and Thistle‘ absteigen.“

„Da komme ich her“, antwortete ich. „Und die Wahrheit ist, ich kann keinen Meter mehr laufen.“

„Wir wollen keine Gäste im ,Castle Inn‘“, beharrte sie. Dabei lehnte sie sich vor und sah mir ins Gesicht. „Sie gehen besser“, warnte sie mich, „sie sagen, der Ort sei verflucht.“

Ich brachte ein Lachen hervor.

„Sie erwarten nicht, dass ich das glaube, oder?“, sagte ich. Sie betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Ihr Gesichtsausdruck war furchtbar düster.

„Sie müssen alles wissen, mein Herr“, sagte sie nach einer Pause. „Etwas geht in diesem Haus vor und keine lebendige Seele weiß, was es ist. Denn es gab niemanden, der überlebt hätte, um davon berichten zu können. Es ist nicht mehr als eine Woche her, dass ein junger Gentleman herkam. Er war wie Sie, tolldreist, und auch er wollte ein Bett und akzeptierte kein Nein. Ich sagte ihm deutlich, und mein Mann ebenso, dass dieser Ort von Geistern heimgesucht wird. Er glaube es genauso wenig wie Sie. Nun, er schlief in unserem einzigen Gästezimmer, und er – er starb dort.“

„Woran ist er gestorben?“, fragte ich.

„Angst“, war die kurze, lakonische Antwort. „Nun, möchten Sie hereinkommen oder nicht?“

„Ja. Ich glaube nicht an Geister. Ich möchte ein Bett und ich bin entschlossen, Ihres zu nehmen.“

Die Frau stieß die Tür weit auf.

„Sagen Sie nicht, dass ich Sie nicht gewarnt hätte“, rief sie aus. „Kommen Sie herein, wenn Sie unbedingt müssen.“ Sie führte mich zur Küche, wo ein Feuer im Ofen glimmte.

„Setzen Sie sich, ich rufe Bindloss“, sagte sie. „Ich kann Ihnen nur dann ein Bett versprechen, wenn Bindloss zustimmt. Liz, komm mal für eine Minute her.“

Man hörte schnelle, jugendliche Schritte im Flur und das hübsche Mädchen, dass ich am Anfang des Trampelpfades gesehen hatte, trat herein. Ihre Augen suchten mein Gesicht, ihr Lippen bewegten sich, um etwas zu sagen, aber kein Laut kam heraus.

„Geh, und finde deinen Großvater“, befahl die alte Frau. „Sag ihm, hier ist ein Gentleman, der ein Bett wünscht. Frag ihn, was zu tun ist.“ Das Mädchen bedachte mich mit einem langen und eigenartigen Blick, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Sobald sie fort war, lehnte die alte Frau sich vor und schaute mich neugierig an.

„Es tut mir leid, dass Sie bleiben“, sagte sie. „Vergessen Sie nicht, dass ich Sie gewarnt habe. Denken Sie daran, das hier ist wirklich kein anständiges Gasthaus. Einst war es eine Mühle, aber das war vor Bindloss‘ und meiner Zeit. Einst kamen die Herren im Sommer zum Fischen, aber dann kam die Geschichte mit dem Geist auf und zuletzt hatten wir so gut wie keine Gäste mehr, nur dann und wann einen seltsamen und ungewollten Gast. Sehen Sie, es gab drei Todesfälle hier. Ja“ – sie hob eine ihrer knochigen Hände und begann an den Fingern abzuzählen – „ja, drei bisher. Drei, genau. Ah, da kommt Bindloss.“

Man hörte einen schlurfenden Schritt aus dem Flur und ein alter Mann, vom Alter gebeugt, mit einem langen weißen Bart betrat den Raum.

„Wir haben keine Betten für Fremde“, rief er in einem lauten und aggressiven Tonfall. „Hat Ihnen das meine Frau nicht gesagt? Wir vergeben keine Zimmer hier.“

„Wenn das der Fall ist, sollten Sie keinen Wegweiser am Ende des Pfades aufstellen“, entgegnete ich. „Ich bin nicht in der Stimmung, noch einmal acht Meilen durch unbekanntes Gelände zu laufen, um einen anderen Unterschlupf zu finden. Können Sie mich nicht irgendwie unterbringen?“

„Ich habe dem Gentleman alles erzählt, Sam“, sagte seine Frau. „Er ist genauso wie der junge Mr. Wentworth und fürchtet sich kein bisschen.“

Der alte Wirt kam näher und schaute mich an.

„Passen Sie gut auf,“ sagte er, „Sie bleiben auf eigenes Risiko. Ich möchte Sie nicht hier haben, und meine Frau auch nicht. Also ja oder nein?“

„Ja“, sagte ich.

„Es gibt nur ein Zimmer, in dem Sie schlafen können.“

„Ein Zimmer ist ausreichend.“

„Es ist das, in dem Mr. Wentworth gestorben ist. Wollen Sie nicht lieber Ihre Sachen nehmen und gehen?“

„Nein, ich werde bleiben.“

„Dann gibt es nichts mehr zu sagen.“

„Lauf, Liz“, sagte die Frau, „und zünde den Kamin im Salon an.“

Das Mädchen verließ den Raum und die Frau nahm eine Kerze in die Hand und sagte, sie würde mir die Kammer zeigen, in der ich schlafen sollte. Sie führte mich einen langen engen Flur entlang und öffnete eine Tür. Zwei Stufen führten in den eigenartigsten Raum hinunter, den ich je gesehen hatte. Die Wand war komplett rund und mit einer grotesk gemusterten Tapete ausgekleidet. Ein schmales Bettgestell aus Eisen fand sich in der Mitte und der Boden war bis auf eine kleine Fußmatte neben dem Bett blank. Ein billiger Waschplatz, zwei Stühle und ein kleiner Tisch mit einer stumpfen Glasplatte standen an der Wand neben einer tiefen Schießscharte, die das Fenster bildete. Der Raum befand sich offensichtlich in einem der Rundtürme. Ich hatte noch nie ein weniger einladendes Quartier bezogen.

„Ihr Abendessen wird sofort fertig sein, mein Herr“, sagte die Frau und stellte die Kerze auf den kleinen Tisch, bevor sie mich alleine ließ.

Dieser Ort fühlte sich klamm und zugig an. Die Flamme der Kerze flackerte und brachte den Talg einseitig zum Schmelzen. Es gab keinen Kamin im Zimmer und oben verjüngten sich die Wände zu einem Punkt hin, was dem ganzen Raum den Anschein eines riesigen Trichters gab. Ich machte mich kurz frisch, so gut es mir gelang, und ging in den Salon. Dort stand ich beim Feuer, dass nur ärmlich brannte, als sich die Tür öffnete und das Mädchen Liz hereinkam, ein Tablett in der Hand. Sie stellte es auf den Tisch und näherte sich mit leisen Schritten.

„Nur Narren kommen in dieses Haus“, sagte sie, „und Sie sind einer von ihnen.“

„Lass mich bitte mein Abendessen einnehmen, ohne zu reden“, antwortete ich. „Ich bin müde und hungrig und möchte zu Bett gehen.“

Liz stand für einen Moment völlig still.

„Das ist es nicht wert“, erwiderte sie wie zu sich selbst. „Nein, das ist es nicht wert. Aber ich sage nichts mehr. Die Leute nehmen meine Warnungen nie an!“

Die Stimme ihrer Großmutter, die sie rief, veranlasste sie, aus dem Raum zu eilen.

Mein Abendessen war besser als erwartet. Nachdem ich es beendet hatte, wanderte ich in die Küche in der Hoffnung, ein weiteres Gespräch mit dem alten Mann führen zu können. Er saß alleine am Feuer, ein riesiger Mastiff lag zu seinen Füßen.

„Können Sie mir sagen, warum man dem Haus nachsagt, es sei verflucht?“, fragte ich plötzlich, während ich mich zu ihm hinunterbeugte.

„Woher soll ich das wissen?“, fragte er heiser. „Das Weib und ich, wir sind seit zwanzig Jahren hier und haben nie etwas gehört oder gesehen, außer dass bestimmte Leute im Haus gestorben sind. Das ist ziemlich unangenehm für mich, denn sowohl Ärzte als auch der Gerichtsmediziner kommen hierher und es gibt unzählige Verhöre und viel Wirbel. Die Leute sterben, obwohl niemand Hand an sie gelegt hat. Die Ärzte können nicht herausfinden, warum sie tot sind, aber sie sind tot. Nun, es macht keinen Sinn noch mehr zu erzählen. Sie sind hier und vielleicht überstehen Sie die eine Nacht ja heile.“

„Ich sollte gleich zu Bett gehen“, sagte ich, „aber ich hätte gerne ein paar Kerzen. Könnten Sie mir welche geben?“

Der Mann drehte sich um und schaute zu seiner Frau, die gerade in die Küche gekommen war. Sie ging zur Kommode, öffnete eine Holzkiste und legte mir drei oder vier Talgkerzen in die Hand. Ich stand mit einem demonstrativen Gähnen auf.

„Gute Nacht, mein Herr“, sagte der alte Mann, „Gute Nacht. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

Geisterenthüller John Bell

Подняться наверх