Читать книгу Gesammelte Abhandlungen, Vorträge, Reden und Schriften - Ernst Abbe - Страница 16
ОглавлениеIst man aber zu dem Einsehen gelangt, daß das Alte unabänderlich verloren ist und ein Neues notwendigerweise an seine Stelle treten muß, so gilt kein Sträuben und kein Lamentieren mehr, sondern nur die besonnene Erwägung: wie die Verluste zu ersetzen, die Nachteile des Neuen unschädlich zu machen, seine Vorzüge aber voll zur Geltung zu bringen seien.
Wie meine vorherige Gegenüberstellung zeigte, ist der Verlust in der Tat sehr groß, zumal in Hinsicht auf die ethischen Faktoren menschlicher Tätigkeit, also auf ideale Güter des Lebens — wofern man diese nicht nur bei dem bevorzugten Teil, sondern auch bei dem zurückgesetzten sehen will. Aber noch viel größer ist der Gewinn, den das Neue — und zwar keineswegs nur nach der materiellen Seite hin — erbracht hat und noch weiter zu erbringen in Aussicht stellt, und der Überschuß ist groß genug, um alle Güter, die mit dem Alten verloren gegangen sind, durch entsprechende Güter vollwertig zu ersetzen — wenn man es nur darauf anlegen will.
Nach den Erfahrungen dieses ganzen Jahrhunderts in allen den Ländern, die von der Umwandlung der Arbeitsform schon ergriffen wurden, kommt aber diese günstige Bilanz, sofern sie nicht nur für einzelne oder für einzelne Klassen, sondern für die ganzen Völker einen wohltätigen Überschuß ergeben soll, nicht von selbst zustande — etwa als die natürliche Resultante aus dem Wettstreit zwischen allen Einzel-Egoismen, wie die alte Nationalökonomie vermeinte. Angesichts der offenkundigen Wirkungen des ungezügelten Industrialismus in allen Ländern ist darüber kein Wort mehr zu verlieren. Und es wäre doch auch allzu merkwürdig, wenn bloße Triebkräfte des Eigennutzes, weil sie zwischen Gleich-Mächtigen ein notdürftiges Gleichgewicht zu erhalten ausreichen mögen, dasselbe Resultat auch ergeben hätten oder ergeben könnten in einem Interessenstreit, bei welchem der eine Teil von vornherein alle Attribute wirtschaftlicher Übermacht auf seiner Seite hatte. Nur der Staat, als Vertreter und Organ der Interessen der Gemeinschaft gegenüber denen aller einzelnen und aller Klassen, kann in seiner Rechtsordnung die Garantien dafür schaffen, daß auch in dem wirtschaftlichen Streit zwischen Starken und Schwachen die Resultante noch dem Gemeinwohl diene. Gegenüber einer Veränderung der Volkswirtschaft, welche mehr und mehr darauf hindrängt, neun Zehntel des ganzen Volkes in persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von der übrigbleibenden kleinen Minderheit zu setzen, kann dem Staat auch keine wichtigere Aufgabe zugewiesen werden als die, seine Rechtseinrichtungen in bezug auf dieses neue Verhältnis so auszubauen, daß aus ihm keine das Volk zerstörende Wirkung entspringen könne. Das Ziel aber, welches hier aller Staatskunst gesetzt ist, steht klar vor Augen: es muß sich darum handeln, denjenigen Stand, der als Nachfolger des Handwerkerstandes und bald als dessen einziger Erbe die körperliche Arbeit in der Wirtschaftstätigkeit der Nation zu leisten hat, auf ein solches wirtschaftliches Niveau und auf solche Rechtslage zu erheben, daß er, trotz der Unselbständigkeit der einzelnen bei ihrer Arbeit, die feste, gesunde Grundlage des Volkslebens an Stelle des alten Handwerks zu bilden vermöge.
Bis heute ist in dieser Richtung überall noch sehr wenig geschehen, — kaum mehr als die ersten Schritte, deren Hauptwert auch einstweilen noch darin besteht, daß sie die grundsätzliche Anerkennung einer sozialen Aufgabe des Staates ausdrücken. Und wenn auch Deutschland auf diesem Gebiet anderen Ländern zurzeit in einigen Punkten sogar um ein geringes voraus ist, so liegt doch auch hier im großen und ganzen noch der Zustand vor, daß die Rechtsbildung und die Rechtseinrichtungen hinter der Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse gänzlich zurückgeblieben sind. In den wichtigsten Punkten steht das neue Verhältnis zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit noch unter Rechtsanschauungen, die zum ausschließlichen Vorteil des einen Teiles dem alten Verhältnis zwischen Meister und Gesellen, wenn nicht gar dem zwischen Hausherrn und Dienstboten, ganz äußerlich abgeguckt sind und auf die total veränderte Sachlage passen wie die Faust aufs Auge — im übrigen aber ist alles noch reines, ungestörtes Faustrecht.
Die bürgerlichen Parteien haben meist in einer geflissentlich antisozialen Auffassung des Staates und der Staatsaufgaben die richtige und einzige Waffe zur Bekämpfung der Sozialdemokratie zu finden vermeint. Diese Auffassung, welche allen tatsächlichen Erscheinungen zum Trotz, daran festhält, die Vergesellschaftung der Menschen im Staat durchaus unter dem Bild des Sandhaufens betrachten zu wollen, in welchem die Quarzkörner auf- und nebeneinander liegend nur durch die mechanischen Vorgänge von Druck und Reibung in Wechselbeziehung stehen, hat im besondern die Freisinnigen Parteien dazu geführt, alle Einmischung des Staates in die wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht sowohl unter dem Gesichtspunkt der Ausübung notwendiger organisatorischer Funktionen anzusehen, als vielmehr unter dem einer Erweiterung der Polizeibefugnisse des Staates, welcher gegenüber die Freiheit der Quarzkörner, sich nach Belieben drücken und reiben zu können, im Namen bürgerlicher Freiheit zu wahren sei. In jüngster Zeit hat aber, wie wir aus vielen Anzeichen wissen, auch in diesen Kreisen die Ansicht, daß es doch nicht ganz so sei, mehr und mehr Boden gewonnen, und von vielen Seiten her wird jetzt innerhalb der Freisinnigen Volkspartei die Aufstellung eines positiven Programms für die Mitarbeit zur besseren Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse angeregt. Auch die Thesen von Max Hirsch, die in unserem Kreise schon besprochen wurden, geben dieser Auffassung Ausdruck und stellen für diesen Zweck mehrere konkrete Programmpunkte hin. Wir unserseits sind mit allen diesen Punkten sachlich einverstanden und meinen nur, soweit es sich um einzelnes handeln soll, es müßten ihrer noch mehrere sein. Viel wichtiger aber als alle Einzelforderungen scheint mir zurzeit, daß die Freisinnige Volkspartei für ihre Stellungnahme zu den wirtschaftlichen Fragen ein allgemeines Programm annehme, in welchem ein deutlicher Gesichtspunkt für die Beurteilung alles einzelnen enthalten ist und welches den Rahmen gibt, innerhalb dessen konkrete Forderungen mehr und mehr auszugestalten sind.
In diesem Sinne schlage ich Ihnen vor, daß wir, einstweilen ohne Erörterung ganz spezieller Punkte, zur Aufnahme in das Parteiprogramm der Freisinnigen Volkspartei das Folgende, als allgemeine Forderung an die Gesetzgebung des Reichs, empfehlen:
Fortbildung der Reichsgewerbeordnung und der Arbeiterschutzgesetze zu einem wirklichen Arbeiter- und Unternehmerrecht, welches das Verhältnis zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit auf allen Gebieten der Wirtschaftstätigkeit unter Gesichtspunkten öffentlichen Rechts regelt — nach der persönlichen Seite hin den unselbständigen Arbeiter sichert gegen den Mißbrauch seiner Abhängigkeit zur Beschränkung seiner persönlichen und bürgerlichen Freiheit — nach der wirtschaftlichen Seite hin jede dem Gemeinwohl schädliche Ausnutzung der Volkskraft verhindert und im besondern den Unternehmergewinn haftbar macht für Erfüllung sozialer Pflichten, die aus dem wirtschaftlichen Verhältnis von Unternehmer und Arbeiter sich ergeben.
Indem ich zur weiteren Rechtfertigung dieses Verlangens übergehe, komme ich natürlich auf mancherlei einzelne Forderungen zu sprechen, die darin begriffen sein müssen. Es geschieht dieses aber wesentlich nur im Sinne von Erläuterung und Exemplifikation, keineswegs mit dem Anspruch, dabei solche Einzelforderungen für den Ausbau des allgemeinen Programms schon zu formulieren.
Ich betrachte zunächst die persönliche Seite des Verhältnisses zwischen Unternehmer und Arbeiter.
Selbstverständlich legen die Anforderungen aller organisierten Arbeit dem einen Teil in bezug auf alles, was seine Arbeitstätigkeit betrifft, eine weitgehende Unterordnung unter den andern, zur Organisation und Leitung berufenen Teil oder dessen Organe auf und mancherlei Einschränkungen individueller Freiheit, die das geordnete Zusammenarbeiten vieler, zumal in großen Betrieben, unerläßlich macht. Hiervon abgesehen, muß aber jede unbefangene Erwägung zu dem Schluß führen: daß dieses Verhältnis, soweit der einzelne dem einzelnen gegenübersteht, ein rein bürgerliches Vertragsverhältnis geworden ist, in welchem Leistung und Gegenleistung völlig sich decken und keinerlei Rest zwischen sich lassen, der durch etwas anderes als durch Arbeit oder Bezahlung ausgeglichen werden müßte — also seitens des Arbeiters etwa durch persönliche Dankbarkeit, Unterordnung oder Rücksichtnahme außerhalb seiner Arbeitstätigkeit.
In weiten Kreisen der oberen Stände — in Deutschland wenigstens — steht dieser Auffassung eine ganz andere Meinung noch entgegen, die jenes Verhältnis unter dem Schild: Arbeitgeber zu Arbeitnehmer, oder unter dem noch deutlicheren Namen »Brotherr« für den ersteren, interpretieren will als Quelle von weiteren Rechten und Ansprüchen zugunsten der Unternehmer und aus dieser ableitet eine persönliche Verpflichtung der Arbeiter zu Gehorsam und Botmäßigkeit in allen Angelegenheiten, namentlich auch hinsichtlich ihrer Betätigung bürgerlicher Rechte. — Es klingt ja so vernünftig zu sagen: »geben« ist doch mehr als »nehmen«, d. h. sich geben lassen. Die Arbeiter müssen also doch denen dankbar sein, die so wohlwollend sind, ihnen Arbeitsgelegenheit zu geben — sie müssen ja sonst hungern — und sie dürfen doch nicht so schnöde sein, ihre Arbeitgeber oder Brotherren immer zu ärgern, indem sie andere Gedanken und andere Bestrebungen verfolgen wollen als jenen erwünscht und angenehm sind! — Daß auch der Arbeiter sich als »Geber« hinstellen könnte, indem er dem andern sagte: für die Arbeitsgelegenheit gebe ich Dir Unternehmungsgelegenheit, ohne welche Du ja ebenfalls nichts zu leben hättest — das vergißt man dabei.
Es ist noch gar nicht lange her, daß wir — bei Beratung der Gewerbeordnungsnovelle und auch bei einer späteren Gelegenheit — aus dem Munde konservativer oder freikonservativer Herren auf der Reichstagstribüne und auch aus dem Munde hoher Reichsbeamten am Bundesratstisch Reden zu hören bekommen haben, Variationen auf das Thema: »wes Brot ich eß, des Lied ich pfeif«, welche ziemlich unverblümt die Idee des »Brotherrn« zur Richtschnur auch für alle gesetzliche Regelung des Verhältnisses von Unternehmer und Arbeiter gemacht wissen wollten. Die mechanische Übertragung der persönlichen Unterordnung der Unselbständigen, die beim alten Handwerk in sittlichen Beziehungen begründet war, auf das nackte Interessenverhältnis zwischen Unternehmer und Arbeiter ist aber durchaus nichts anderes als der Effekt plutokratischer Verdunkelung der Rechtsanschauung. Wer das nicht einsieht, wolle doch einmal ein dem Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ganz analoges Verhältnis, das von Hausherrn und Mieter, in ähnlicher Art zurechtlegen, indem er es unter den Gesichtspunkt stellt: Wohnunggeber zu Wohnungnehmer. Dann müßte er deduzieren: wie gut ist es doch, daß so edle Wohnunggeber sich finden, die Häuser bauen, um sie gegen billiges Geld uns andern, die wir keine haben, zu vermieten, damit wir mit unseren Familien nicht auf der Straße zu kampieren brauchen! Solchen müssen doch wir Wohnungnehmer Dank und Rücksicht zollen, und wenn einer von uns ein Konservativer wäre, sein Wohnunggeber aber ein Sozialdemokrat, so dürfte er doch diesen nicht damit kränken, daß er dessen Ideen entgegentritt oder gar gegen sie agitiert! — Woran liegt es, daß, während man jeden, der so reden wollte, für einen Narren erklären würde, in bezug auf das andere Verhältnis ganz Entsprechendes noch in unserem Parlament gesagt werden darf? Nun, in dem einen Fall stehen sich, der allgemeinen Regel nach, Leute gleicher wirtschaftlicher Kraft gegenüber, in dem andern Fall aber der Unabhängige, Starke und der Abhängige, Schwache — und das muß doch wohl für die Rechtsansicht einen Unterschied machen!
Was ist aber die Wirkung solcher Prätentionen des Unternehmertums dem Arbeiterstand gegenüber? Sie treten überall klar zutage als persönliche Verschärfung des in dem Verhältnis selbst liegenden Interessengegensatzes. — Es gehört der angeborene Hochmut des Junkers oder der erworbene Dünkel des Protzen dazu, nicht sehen zu können, dass die Tausende, die in rußigem Kittel ihre tägliche Arbeit im Dienst von Unternehmern verrichten, nicht etwa Menschen einer inferioren Rasse sind, sondern Glieder desselben Volkes, denen nichts weiter fehlt, als daß ihre Väter nicht reich genug waren, sie 6 oder 8 Jahre länger auf der Schulbank zu belassen; dann würden sie alles, was jetzt ihre Vorgesetzten zu leisten haben, im Durchschnitt ebensogut tun können — etliche von ihnen aber noch viel besser. Leuten gegenüber, die doch nicht so dumm sind, solches nicht selbst zu wissen, muß die Anforderung von Botmäßigkeit und Gehorsam notwendigerweise zum Erfolg haben: bei den starken, widerstandsfähigen Naturen Erbitterung und grimmigen Haß, bei den schwachen aber Heuchelei oder Knechtsinn. — Ich betrachte es als ein wahres Glück für das Deutsche Volk, daß es in seinen unteren Schichten noch eine genügende Zahl von solchen enthält, die auf jene Zumutungen reagieren müssen mit Erbitterung und Haß. Denn viel schlimmer als dieses akute Gift ist für die Volksseele das schleichende Gift der Gewöhnung an Heuchelei und Knechtsinn. Kein Volk hat eine ehrenvolle Stellung unter den Völkern behaupten können, wenn seine Einrichtungen dazu führten, die Bediententugenden bei sich zu züchten, Gehorsam und Unterwürfigkeit. Und diejenigen, welche der Sozialdemokratie gegenüber mit Vorliebe die »idealen Güter« ausspielen, sollen besonders bedenken, daß es für jeden, auch für den schlichten Arbeiter, eines von den idealsten Gütern ist: sich nicht als Knecht eines ändern fühlen zu müssen.
In den Ländern englischer Zunge ist die zuvor bezeichnete Verirrung der Rechtsanschauung jetzt vollständig überwunden. Auf den breiten, festen Wegen bürgerlicher Freiheit, auf denen dort die öffentliche Meinung ohne Mithilfe von Staatsanwälten sich bildet und mißliebige Regungen einzelner Stände nicht für Jahrzehnte mundtot gehalten werden können, hat diese öffentliche Meinung die Korrektur schon selbst gefunden. Dort ist es so weit, daß ein Unternehmer, wenn er seine Arbeiter zur Gefolgschaft in irgendwelchen bürgerlichen Angelegenheiten durch freundliches Zureden bewegen wollte, allerseits ausgelacht, wenn er es aber durch Drohung oder Druck versuchen wollte, allerseits verachtet würde. Bei uns in Deutschland gibt es unter den Unternehmern zwar auch viele, die anständig genug sind, sich nur zu ärgern, wenn ihre Leute andere Ideen haben und verfolgen wollen als sie, ohne sie das weiter entgelten zu lassen. Nur sehr wenige aber gibt es erst, die dabei nicht denken, die Großmütigen zu sein, vielmehr das Bewusstsein haben, dass es ihre soziale Pflicht sei, als Unternehmer über jenes nicht einmal sich zu ärgern. Bei uns also muß wohl dem schwachen Rechtsbewußtsein durch eine gesetzgeberische Deklaration des »Brotherrn« unter die Arme gegriffen werden, wenn die jetzt beliebte Auslegung nicht erst noch viel größeren Schaden anrichten soll. Es erscheint mithin als sehr dringlich, daß die Reichsgewerbeordnung — und wenn sie für den Landbau eine »Gesinde«-Ordnung bleiben müßte, dann auch diese — bald einen Paragraph bekomme, der kategorisch vorschreibt, neben den sonst durch Anschläge zu verlautbarenden viel minder wichtigen Vorschriften müsse in jedem Raum in Stadt und Land, in welchem unselbständige Arbeiter im Dienst irgend eines Unternehmers verkehren, ein gedruckter Anschlag hängen etwa des Inhalts: »Alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis beziehen sich ausschließlich auf die Leistung der vertragsmäßigen Arbeit. Keinem darf seitens des Arbeitgebers oder seiner Organe irgend welche sonstige Botmäßigkeit oder Rücksichtnahme direkt oder indirekt angesonnen werden.« In allen Staatsbetrieben aber müßte ein solcher Anschlag besonders groß gedruckt aushängen. Dann müßte es wohl endlich aufhören, daß einige Millionen von deutschen Bürgern fast allwöchentlich einmal die Beschimpfung und Herausforderung hinzunehmen haben, in der Zeitung lesen zu müssen: der und der sei aus dem und dem Staatsbetrieb entlassen worden, weil er an seinen Vorgesetzten mißliebigen Bestrebungen öffentlich sich beteiligt, d. h. die gesetzlich allen gewährleisteten bürgerlichen Rechte nach seinem eigenen Ermessen ausgeübt habe.
Ich wende mich nunmehr zu den materiellen Interessen, welche in dem Verhältnis der selbständigen zur unselbständigen Arbeit einander gegenüber treten — wobei ich hier auf das Markieren einiger Hauptpunkte mich beschränken muß.
Der Stand, welchen die Rechtsentwicklung angesichts der seit einem Jahrhundert erkennbaren, seit 50 Jahren ganz augenfällig hervortretenden Wirkungen der sich ausbreitenden organisierten Arbeitstätigkeit, mit Bezug auf diese Tätigkeit bis heute erreicht hat, wird am besten gekennzeichnet durch einfaches Gegenüberstellen zweier Tatsachen:
Wenn einer im Rahmen dieser Arbeitstätigkeit etwas unternimmt, was raucht, stinkt oder Lärm macht und dadurch einige Nachbarn belästigen oder schädigen kann, so wird gemäß den Gewerbeordnungen sein Tun schon lange der Obhut öffentlichen Rechts für würdig befunden. Und wenn ihrer viele zu Unternehmer-Assoziationen, wie Aktiengesellschaften u. dergl. sich verbinden und dadurch ihr Auftreten einige vermögensrechtliche Konsequenzen für sie selbst und andere Besitzende gewinnt, so hat dieses Tun die Gesetzgebung auch schon längst eingehender, sorgfältiger Regelung und Ordnung für wert erachtet. In beiden Fällen handelt es sich um Interessen solcher, die an Besitz oder Vermögen geschädigt werden können.
Wenn dagegen einzelne, oder ihrer mehrere zusammen, als Unternehmer in Aktionen eintreten, die keinen Rauch, Gestank oder Lärm verursachen und keine vermögensrechtlichen Kollisionen herbeiführen, so können diese Aktionen dadurch, daß viele in gleicher Art verfahren oder daß andere durch den Zwang der Konkurrenz das gleiche zu tun vielleicht genötigt werden, die allergrößte, einschneidendste Tragweite für das Gemeinwohl haben und weite Volkskreise unmittelbar oder mittelbar stark benachteiligen — das öffentliche Recht bekümmert sich darum nicht. Diejenigen, welche davon zunächst allein betroffen werden, können der Regel nach am Besitz nicht geschädigt werden, weil sie keinen haben.
Kraft »wirtschaftlicher Freiheit« kann also jeder, der aus Tatendrang oder auch nur aus Gewinnsucht die Funktionen des Unternehmers auszuüben wünscht, dazu mitwirken helfen, daß immer mehr Menschen einen gewohnten Beruf aufgeben und in den Industriezentren sich zusammendrängen ohne irgend eine Gewähr von Stetigkeit und Dauer ihrer neuen Tätigkeit. Er kann ein begonnenes oder seit langer Zeit schon bestehendes Unternehmen so lange fortsetzen, als es ihm noch genügend Vorteil zu bringen scheint, und wenn er meint, daß er auf andere Art sich besser stehen werde, etwa indem er seinen bis dahin gewonnenen Erwerb größer werdendem Risiko entziehe, so kann er es zuschließen und diejenigen, welche inzwischen von solchem Unternehmen abhängig geworden sind, mögen sehen, wo sie bleiben. Wenn Jahre günstigen Geschäftsganges ihm große Überschüsse gelassen haben und dann Krisen oder sonstige Störungen zu zeitweiliger oder dauernder Einschränkung des Umfangs seiner Unternehmungen nötigen, so kann er plötzlich so viel Arbeiter entlassen, als nötig ist, um für ihn ein neues Gleichgewicht zwischen Ertrag und Aufwendungen herbeizuführen; denn niemand kann ihm zumuten, den früheren Gewinn wieder teilweise herauszugeben um anderen über Krisen hinwegzuhelfen. Auch kann er alle, welche in seinem Dienst ihre Kräfte verbraucht haben oder sonst arbeitsunfähig geworden sind, der Fürsorge der Gemeinde überlassen, soweit nicht neuerdings die Versicherungsgesetzgebung in diesem Punkte einige Hilfe hat eintreten lassen; denn weiteres tun zu sollen, würde gleichfalls eine nachträgliche Herausgabe des Gewinnes besagen, den er früher von ihrer Tätigkeit gehabt und längst in sein persönliches Eigentum genommen hat.
Das sozialpolitisch bedeutsamste Moment in dem ungeregelten, sich selbst überlassenen Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeiter liegt aber in den Wirkungen, welche die Konkurrenz der Unternehmer untereinander für die Arbeiter gewinnt. Das wichtigste und meistgebrauchte Mittel in einem nur durch Rücksichten des eigenen Vorteils geleiteten Wettbewerb ist immer das Unterbieten anderer in den Preisen der Arbeitserzeugnisse, und hierzu stachelt namentlich der Handel immer mehr an, je mehr er als Vermittler zwischen Konsument und Produzent überall sich eindrängt. Denn der Zwischenhandel hat ein ganz besonderes Interesse daran, den Konsum dahin zu lenken, wo der geringere Preis ihm Spielraum für größeren eigenen Gewinn läßt. Der Unternehmer selbst will dabei von seinem Verdienst möglichst wenig abgeben und kann auch auf Arbeitsgebieten mit sehr starker Konkurrenz öfters nicht anders, wenn ihm ein mäßiges Äquivalent für eigene Arbeit noch übrig bleiben soll. Die Herabsetzung des Produktionspreises in der Konkurrenz der Unternehmer geht daher, soweit sie nicht durch die fortschreitende Verbesserung der Arbeitsmethoden getragen ist, durchaus auf Kosten der Arbeiter. Sie erzeugt die ausgesprochene Tendenz, für den gleichen Lohn größere Arbeitsleistung durch längere Arbeitszeit oder stärkere Anspannung der Arbeitskraft zu gewinnen. Wo aber, nachdem auf vielen Gebieten der Industrie das Äußerste von Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft auf diesem Wege zustande gekommen, hierin ein Stillstand, an einigen Stellen sogar schon ein erfreulicher Rückgang eingetreten ist, behält das Streben der Unternehmer nach Verbilligung der Arbeitserzeugnisse zur Erleichterung des Wettbewerbs mit anderen Unternehmern immer noch die Tendenz, den Arbeitern einen Anteil an der fortschreitenden Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit durch Verbesserung der Methoden und Einrichtungen, erweiterte Anwendung der Maschinen usw., möglichst vorzuenthalten. Die Verbilligung der Industrieerzeugnisse kommt aber nur zu einem relativ kleinen Teil den Arbeitern selbst, zum weitaus größeren Teil den wohlhabenden Klassen zu gut. Denn sie betrifft vorzugsweise Gegenstände, die, soweit sie nicht wieder den Unternehmern als Arbeitsmittel dienen, erst für eine gehobene Lebenshaltung Wert haben. Auch hat die Verbilligung in sehr großem Umfang — z. B. bei fast allen Massenartikeln für Kleingebrauch und Luxus, also gerade in den Industriezweigen, welche die gedrückteste Lage der Arbeiter aufweisen — keineswegs die wohltätige Wirkung, diese Dinge auch solchen zugänglich zu machen, denen sie sonst versagt blieben, sondern sie veranlaßt nur eine maßlose Vergeudung menschlicher Arbeit bei reich und arm, weil das einzelne seiner Billigkeit wegen der Schonung gar nicht mehr wertgehalten wird.
Die Wirkungen, welche die Ausbreitung der organisierten Arbeitstätigkeit unter dem Schutz wirtschaftlicher Freiheit bis jetzt hervorgebracht hat, liegen in allen Industrieländern klar zutage — als Massenarmut und Massenelend, und als fortschreitende physische Degeneration großer Volksschichten und sie begleitende Abstumpfung der sittlichen Kräfte. Schlimm aber wäre es für die menschliche Kultur, wenn der große Aufschwung wirtschaftlicher Aktion der Völker, den die neue Arbeitsform herbeigeführt hat, solche Folgen mit sich bringen müßte — und schlimm für den heutigen Staat, wenn dieser im Rahmen seiner Staatseinrichtungen ihrer nicht Herr zu werden vermöchte.
Wie nun im Zinswesen das Verhältnis des einzelnen zum einzelnen ein redliches bleibt, Ungerechtigkeit und Widersinn erst zum Vorschein kommen in dem Verhältnis der Gesamtheit der Zinsempfänger zur Gesamtheit der Zinszahler, so ist auch in dem eben betrachteten Interessenstreit von Unternehmer und Arbeiter die Beziehung des einzelnen zum einzelnen korrekt und unanfechtbar, wenn sie den privatrechtlichen Normen entspricht, die Recht und Sitte für die gegenseitige Abgrenzung von Einzelinteressen aufgestellt haben. In diesem Punkt könnte also höchstens einige Schärfung gewisser Rechtsbegriffe und Gewöhnung an etwas strengere Sitte in Frage kommen. Ebensowenig aber, wie die Wirkungen des Zinswesens vernünftigerweise abgewandt werden könnten durch Beseitigung des Zinsnehmens, ebensowenig ließen sich die Folgen der Klassenscheidung in der organisierten Arbeit aufheben durch Außerkurssetzen der Triebkräfte, die der Wettbewerb und die Ausgleichung von Angebot und Nachfrage in die Wirtschaftstätigkeit einführen. So sicher es nun ist, daß die im Staat gesammelte menschliche Gesellschaft durch vernünftige Einrichtungen nachteilige Wirkungen von Formen der Wirtschaftstätigkeit überwinden kann, so sicher ist es also auch, daß solche Einrichtungen nur zu finden sind unter dem Gesichtspunkt einer Staatsidee, welche sich nicht erschöpft in der Betrachtung des privatrechtlichen Verhältnisses zwischen den einzelnen, sondern daneben die gleichartige, übereinstimmende Tätigkeit ganzer Klassen als wesentliche Funktionen des Volksorganismus begreift.
Jede in diesem Sinne »organische« — d. i. notwendigerweise »soziale« — Staatsidee muß aber zu der Einsicht führen, daß, nachdem das Unternehmertum eine unentbehrliche Institution der Wirtschaftsordnung geworden, seine Klassenfunktion ist: die physische Arbeitskraft des ganzen Volkes, welche die arbeitenden Klassen in sich enthalten, zu organisieren und zu leiten. Mag nun der Unternehmer als einzelner seine Tätigkeit durchaus unter Rücksichten seines persönlichen Vorteils betreiben, und mit dem Arbeiter als einzelnem kontrahieren nur nach den Regeln von Angebot und Nachfrage in bezug auf die persönliche Arbeitskraft, die letzterer zu Markte bringt — die Gesamtheit der Unternehmer benutzt und verwaltet dabei die körperliche Arbeitskraft des gesamten Volkes, von welcher der einzelne Arbeiter je ein gewisses Stück inne hat. Unternehmer sein ist daher, unbeschadet des rein privaten Charakters des einzelnen, hinsichtlich der Tätigkeit der Klasse eine öffentliche Funktion: Verwaltung der nationalen Arbeitskraft in der Wirschaftstätigkeit des Volkes — und diese Funktion muß naturgemäß durch öffentliches Recht nach Anforderungen des Gemeinwohls geregelt sein.
An zwei wichtigen Punkten, auf welche dieser Gedankengang sofort hinführt: Vorsorge für Schonung und Erhaltung der physischen Volkskraft und: Haftung für den regelmäßigen Verbrauch dieser Volkskraft hat unsere Gesetzgebung glücklicherweise schon die ersten Schritte zu öffentlich-rechtlicher Regelung der organisierten Arbeitstätigkeit getan — zwar meist erst kleine und zaghafte Schritte, doch aber Schritte von hoher grundsätzlicher Bedeutung, insofern sie Konsequenzen einer organischen Staatsidee auf dem Gebiet der Volkswirtschaft zum Ausdruck bringen. Den ersten Punkt betreffen die Anfänge des »Arbeiterschutzes«, den zweiten die Arbeiter-Versicherungsgesetze. Die Aufgabe aller Parteien, welche an der Lösung der sozialen Frage ernsthaft mitarbeiten wollen, muß es sein, an diesen Stellen der Fortbildung des öffentlichen Rechts kräftige Impulse zu geben.
In bezug auf den ersten Punkt: Vorsorge für Schonung und Erhaltung der Volkskraft, bemerke ich, unter Absehen von allem mehr Nebensächlichen, folgendes:
Auf die mancherlei ungünstigen Wirkungen physischer und psychischer Art, welche die Tätigkeit unter weitgehender Arbeitsteilung überhaupt und namentlich die Arbeit an Maschinen begleiten, habe ich im Eingang meines heutigen Vertrags schon hingewiesen. Alle diese Nachteile fallen ganz und gar auf die unselbständigen Arbeiter. Schon die staatserhaltende Gerechtigkeit fordert, daß, wenn diese die Nachteile tragen müssen, auch Mitgenuß der Vorteile ihnen nicht vorenthalten werde, welche die organisierte Arbeit darin bringt, daß in ihr die Leistung des einzelnen sich verzehnfacht — sie fordert also, daß diese Steigerung der Produktionsfähigkeit nicht ausschließlich dem Unternehmergewinn und der Verbilligung der Erzeugnisse, sondern auch den Arbeitenden selbst durch Verminderung ihrer zeitlichen Inanspruchnahme zugute komme. Es ist kein würdiger Inhalt eines Menschendaseins, nur Rad in einer Maschine zu sein, was doch die Arbeitsteilung für die meisten während der Arbeitsschichten bedeutet — und es ist keine Grundlage für die Erhaltung eines höheren sittlichen und geistigen Niveaus und für die Pflege gesunden Familienlebens in der Majorität des Volkes, daß der Arbeiter keine andere Abwechselung habe als zwischen strenger Arbeit und Befriedigung des dringendsten Ruhebedürfnisses.
Das noch immer fortschreitende Herabgehen der körperlichen Tüchtigkeit in allen Industriebezirken zeigt aber auch die Notwendigkeit, behufs Erhaltung der physischen Kraft und Gesundheit des Volkes den ungünstigen Einflüssen der modernen Arbeitstätigkeit durch deren zeitliche Beschränkung ein Gegengewicht zu bieten und die Erfahrungen, welche England mit der gesetzlichen Beschränkung der industriellen Arbeit schon vor langer Zeit gemacht hat, bezeugt zugleich die Wirksamkeit dieses Gegengewichts. In diesem Land hat nun eben jetzt eine weitblickende Regierung durch Einführung des 8-Stunden-Tages in den Staatswerkstätten das Signal gegeben, nach welchem ohne Zweifel in kurzer Zeit die Drittelung des Tages dort die allgemeine Norm für die industrielle Arbeitsregelung werden wird. Nunmehr ist die Reihe an uns in Deutschland, über die Bedeutung der Worte nachzudenken, die bei Gelegenheit der früheren Parlamentsdebatten über die 10-Stunden-Bill Macaulay seinen Landsleuten gesagt hat: »Wenn jemals dieses Land (also England) seinen alten Ruhm, das erste zu sein unter den Industrieländern, einem andern Volk abzutreten haben sollte, so wird dieses gewiß nicht ein Geschlecht von kümmerlichen Zwergen sein, sondern nur ein Volk, welches an körperlicher Rüstigkeit und geistiger Spannkraft dem unsrigen überlegen ist!«
Ein ebenso kurzsichtiger wie engherziger Klassenegoismus der oberen Stände hat es in Deutschland dahin gebracht, daß die gerechteste und vernünftigste Bestrebung eines gesunden Klasseninteresses des Arbeiterstandes, die Forderung verkürzten Arbeitstages, fast ihre ausschließliche Vertretung in der Sozialdemokratie findet, und pünktlich zu jedem 1. Mai bescheinigt in der »gutgesinnten« Presse der Hohn eines übermütigen Unternehmertums unter dem Beifall des gesamten Bildungsdünkels im Land der Sozialdemokratie von neuem: daß sie immer noch der einzige Hort so vernünftiger Bestrebungen geblieben sei. Wolle nunmehr auch eine Partei, welche das Interesse des ganzen Volkes zu vertreten sich vorgesetzt hat, zu dieser Frage bestimmte Stellung nehmen und offen aussprechen: daß sie nicht nur für die gesetzliche Einführung eines Maximalarbeitstages nach dem Vorbild Englands eintreten, sondern mit allen Kräften alle Bestrebungen des Arbeiterstandes unterstützen werde, die darauf ausgehen, in absehbarer Zeit auch in Deutschland die Drittelung des Tages bei der industriellen Arbeit zum festen Wirtschaftsfaktor für die Preisbildung der Arbeitserzeugnisse zu machen.
Betreffs des zweiten Punktes, Verbrauch der Arbeitskraft der Unselbständigen in der organisierten Arbeit — der exzeptionell in der Unfallgefahr, regelmäßig in der natürlichen Invalidität gegeben ist — kann nicht zweifelhaft sein, daß für ihn diejenigen als Gesamtheit aufzukommen haben, welche die Volkskraft in Benutzung und Verwaltung nehmen. Wie in jedem geordneten Betrieb ein Amortisationskonto sein muß, welches der Abnutzung aller toten Betriebsmittel Rechnung trägt, so verlangt die Wirtschaftstätigkeit des ganzen Volkes ein Amortisationskonto für den unvermeidlichen Verbrauch der menschlichen Arbeitskraft bei der Gütererzeugung — ein Konto, auf Grund dessen in der Preisbildung für die Arbeitserzeugnisse dieser Verbrauch, ebenso wie der regelmäßige Arbeitsaufwand selbst, zur Geltung kommen kann.
Es ist eine ganz willkürliche, durch den tatsächlichen Stand der Dinge auch überall widerlegte Annahme, daß im Arbeitslohn selbst die durchschnittliche Abnutzungsquote für die persönliche Arbeitskraft der einzelnen schon mit enthalten sei und daß also Sparen oder Privatversicherung aus diesem Arbeitslohn für die regelmäßigen Wirkungen des fortschreitenden Kräfteverbrauchs aufzukommen habe. Der Staat selbst erkennt hinsichtlich seiner Beamten das Unzutreffende jener Annahme an, indem er in seinem Pensionsetat für den Kräfteverbrauch in seinem Dienst besonders aufkommt. In demselben Verhältnis aber, in welchem die Beamten zum Staat stehen, stehen in diesem Punkte kraft der organisierten Arbeitstätigkeit die unselbständigen Arbeiter zur Gesamtheit der Unternehmer. Die vorher betonte öffentliche Funktion des Unternehmertums im Organismus der Volkswirtschaft, die Organisation und Verwaltung der physischen Arbeitskraft des Volkes, weist jenem die Aufgabe zu, auch aufzukommen für den Verbrauch dieser Arbeitskraft in seinem Dienst.
Als haftbar für die Erfüllung dieser Aufgabe — und noch einiger andern, über die ich hier nicht rede — muß aber der Unternehmergewinn angesehen werden. Dieser ist zwar überall zu einem gewissen Teil Äquivalent für die persönliche Tätigkeit des Unternehmers und mag für viele auch nicht mehr als dieses bedeuten; im großen und ganzen aber sind in ihm Posten enthalten, die ganz außer jedem möglichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehen und mit persönlicher Tätigkeit und persönlichem Verdienst der Unternehmer gar nichts zu tun haben. Dieser überschüssige Unternehmergewinn vieler, der hinausgeht über ein vernünftiges Äquivalent persönlicher Leistungen, ist seinem Ursprung und seinem Wesen nach durchaus nichts anderes als Anteil an dem allgemeinen Überschuß, den regelmäßig oder zeitweilig die gesamte Arbeitstätigkeit des Volkes ergibt über die Summe aller anschlagsmäßigen Ausgabeposten hinaus — als da sind: Verzinsung des ganzen Betriebsfonds, Amortisation der dem Verbrauch unterliegenden Betriebsmittel und Lohn für alle Arbeitstätigkeit, Arbeiter und Unternehmer zusammengenommen. Die Anteile an diesem Gesamtüberschuß verteilen sich auf Konto »Unternehmergewinn« unter die einzelnen sehr ungleichmäßig und nach sehr verwickelten Bedingungen. Eine gesunde Volkswirtschaft aber hat die Summe dieses Überschusses anzusehen und zu behandeln als einen allgemeinen Rücklagefonds in der Verwahrung der Unternehmer. Auf ihn ist einerseits die regelmäßige Vermehrung des gesamten Betriebskapitals angewiesen, die eine wachsende Bevölkerung und die Steigerung der wirtschaftlichen Tätigkeit erfordern, anderseits aber ist darauf auch anzuweisen die Deckung der nicht-anschlagsmäßigen Aufwendungen, zu denen gegenwärtig u. a. auch der Verbrauch der menschlichen Arbeitskraft in der Wirtschaftstätigkeit noch gehört. Im übrigen aber hat er als Reserve zu dienen zur Deckung des Defizits, welches zeitweiliger Rückgang der Wirtschaftstätigkeit für einzelne Perioden an Stelle jenes Überschusses ergeben kann, also als Ausgleichungsfonds für die unvermeidlichen Schwankungen im Haushalt des Volks.
Die Sozialdemokratie mag den in der Summe der überschüssigen Unternehmergewinne gegebenen durchschnittlichen Gesamtüberschuß der Volkstätigkeit seiner absoluten Größe nach wohl hoch überschätzen, weil sie ziemlich alles dazu rechnet, was außer dem eigentlichen Arbeitslohn noch tatsächliche Ausgabeposten sind. Er ist aber sicher vorhanden — man muß ihn nur nicht da suchen, wo er nicht ist, sondern da, wo er ist — nicht bei den kleinen Unternehmern, die in der Konkurrenz mit andern günstiger gestellten wohl häufig kaum mehr, öfters weniger, als einen angemessenen Arbeitslohn für sich übrig behalten, sondern bei den großen Unternehmungen, die, wie z. B. zahlreiche große Aktiengesellschaften, unbeschadet der kleinen Lasten aus den Versicherungsgesetzen, nach sehr reichlicher, zum Teil exorbitanter Entlohnung ihrer arbeitstätigen Organe, noch Dividenden auszahlen, die über die marktgängige Kapitalverzinsung, zuzüglich einer vernünftigen Risikoprämie, sehr weit hinausgehen. Und die Aufgabe aller sozialen Gesetzgebung muß es sein, allmählich die Wege zu ebenen, auf welchen jener überschüssige Unternehmergewinn seinen natürlichen Funktionen im Wirtschaftsorganismus des Volks dienstbar, für die Erfüllung der sozialen Aufgaben gegenüber der Gesamtheit der unselbständigen Arbeiter haftbar gemacht werden kann.
In den Kreisen derer, die unter den Einwirkungen des Klasseninteresses der Unternehmer stehen, hat sich allerdings die Vorstellung schon festgesetzt, als ob auch alles, was einem nicht durch seine persönliche Tätigkeit, sondern nur infolge derselben zufällt, bedingungsloses Privateigentum sei, welches für Zwecke des Gemeinwohls anders als etwa durch eine kleine Einkommensteuer heranziehen zu wollen, Konfiskation des Eigentums bedeute. Der Vorzug des Unternehmers, aus der Beteiligung an der organisierten Arbeitstätigkeit unter Umständen viel mehr erzielen zu können, als eine reichliche Gegenleistung für eine spezifische Tätigkeit, wird dabei gedacht als Ausfluß allgemeiner Menschenrechte — nicht etwa als Ausfluß der Gesellschaftsorganisation, welche doch allein solche spezifische Tätigkeit ermöglicht. Das Unternehmerwesen erscheint dabei als der große Glückstopf, an den heranzukommen, um recht tiefe Griffe hinein zu tun, für ein besonders dankbares Geschäft gilt. — Ich wäre der letzte, der die qualifizierte Arbeit, die der Ordnung nach der Unternehmer zu leisten hat, nicht eines reichlichen Lohnes wert hielte. Wer aber nicht alles Augenmaß für die natürliche Proportionalität der Dinge verloren hat, muß einsehen, daß die illimitierten Gewinne, die Unternehmern mittelst der Arbeitstätigkeit anderer zufließen können, unter dem Eigentumsbegriff etwas durchaus anderes bedeuten, als etwa die unbeschränkten Einnahmen, welche ein berühmter Künstler oder ein gesuchter Arzt aus seiner rein persönlichen Tätigkeit gewinnen mag. Das Nicht-Erkennen solchen Unterschieds, die Verwischung aller Grenzen zwischen wirklich persönlichem Erwerb und bloßem Anteil an einem Gemeingut ist wiederum ein handgreifliches Zeichen von plutokratischer Verdunkelung der Rechtsbegriffe.
Unter den Versicherungsgesetzen, welche darauf ausgehen, die Deckung für Verbrauch und Abnutzung der Arbeitskraft in der Volkswirtschaft in geordnete Bahnen zu leiten, hat das erste, die Unfallversicherung, den richtigen Gedanken konsequent durchgeführt: daß die Gesamtheit der Unternehmer für solchen Verbrauch ausschließlich aufzukommen habe, und hat dabei auch hinsichtlich des Maßes der Leistungen einigermaßen befriedigende Regelung geschafft. Die bekannte Rückwärtskonzentration der sozialen Ideen hat aber nachher aus der andern, ihrer Intention nach viel bedeutsameren Einrichtung, der Alters- und Invalidenversicherung, einen ärmlichen Zwitter werden lassen, ohne innere Folgerichtigkeit im Aufbau, und im Effekt nur eine etwas verbesserte Armenverpflegung — und zum Unglück hat sie auch noch den wertvollen Gedanken der berufsgenossenschaftlichen Organisation der Unternehmer gerade da preisgegeben, wo er angefangen hätte, eine wirkliche Bedeutung zu gewinnen.
Nach dieser positiven Begründung meines vorher ausgesprochenen Vorschlags bedarf es nur noch einiger Bemerkungen nach der negativen Seite hin — in Hinblick auf die Ansichten, welche die Lösung der sozialen Frage von der »Selbsthilfe«, sei es von unten oder von oben her, erhoffen.
Soweit die Selbsthilfe von unten her erwartet wird, sucht man sie in der Vereinigung und Genossenschaftsbildung. Diese Bestrebungen haben sicher einen sehr hohen — auch sozialpolitischen — Wert, insofern sie die Wege eröffnen und die Formen schaffen für eine kräftige und geordnete Klassenvertretung der unselbständigen Arbeiter. Sie leiten dadurch zugleich — wie wir jetzt in England sich vollziehen sehen — den Streit der einander gegenüberstehenden Interessen aus einem ewigen zerstörenden Kriegszustand in die Bahnen mehr friedlicher Aktionen hinein. Darüber hinaus aber, als Mittel wirklicher Konkurrenz mit dem Unternehmertum, als Grundlage für Erhaltung oder Wiedereroberung der wirtschaftlichen Selbständigkeit für größere Kreise des Volkes, hat die Vereinigung meines Erachtens nur auf wenigen bestimmten Gebieten eine Bedeutung. Denn Genossenschaftsbildung zu wirtschaftlicher Tätigkeit ist nur möglich unter Gleichartigen und Gleichberechtigten. Wesentliche Unterschiede der Funktionen im Zusammenwirken heben die Gemeinsamkeit der Interessen und die Gleichheit der Rechte auf. Wirklich genossenschaftliche Vereinigung von so heterogenen Elementen, wie z. B. in einem größeren Industriebetrieb zusammenzuwirken haben, erscheint ganz aussichtslos. Dafür fehlt einstweilen nicht nur jedes Vorbild und jede Tradition, sondern auch jede Rechtsbildung. Der Verzicht aber auf feinere Organisation durch Zusammenfassen mannigfaltiger Kräfte würde in der Industrie fast auf allen Gebieten gleichbedeutend sein mit wirtschaftlicher Inferiorität und Konkurrenzunfähigkeit gegenüber besser organisierten Unternehmungen. Der Landbau dürfte deshalb wohl das einzige Gebiet sein, auf welchem in größerem Umfang genossenschaftliche Vereinigung vieler die Vorteile des Großbetriebes mit der Erhaltung der Selbständigkeit vereinigen und dadurch eine wirkliche soziale Bedeutung gewinnen kann. Die allgemeinen sozialen Übel sind also auf diesem Wege nicht zu überwinden. — Der Hinweis auf die »Selbsthilfe«, soweit er auf anderes sich bezieht als vorher angegeben, ist ein guter Rat für solche, die keinen brauchen.
Noch weniger aber ist die Heilung zu erwarten von der entgegengesetzten Seite her, von den Unternehmern. — Allerdings gibt es Leute, welche da glauben, Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit der guten Unternehmer werden die sozialen Klüfte zuletzt mit Rosen ausfüllen und durch Wohlfahrtseinrichtungen aller Art, — Gewinnbeteiligung u. dergl. — auch sonst unvermittelte soziale Interessengegensätze schließlich in eitel Harmonie auflösen. Ich will auch darüber meine Meinung kurz sagen — schon um mich gegen den Verdacht zu sichern, als ob ich in meinem Umkreis solche Wege hätte bahnen wollen: alles einzelne derart mag, für sich betrachtet, sehr gut, sehr erfreulich und sehr nützlich sein und mag den Arbeitern manche Annehmlichkeiten und kleine Vorteile verschaffen, die sie sonst nicht hätten. Für den sozialen Fortschritt haben aber alle solche Einrichtungen und Maßregeln des Wohlwollens genau dieselbe Bedeutung, die es für den Aufschwung der Kunst hat, wenn einer sein verwittertes Haus anstreichen läßt: es sieht besser aus. Und wer daran noch zweifelt, den muß man auf die Tatsache hinweisen, daß, wenn die Wohlfahrtsapostel unter sich sind, sie kein besseres Argument wissen, sich in ihren Bestrebungen gegenseitig zu bestärken als die Versicherung: alle solche Maßregeln seien ja ganz »rentabel« — die Kosten kämen indirekt wieder herein. Gegenwärtig aber ist das Kennzeichen für alles, was wirklich sozialen Wert hat, daß es nicht »rentabel« ist, vielmehr dem einen Teil Opfer auferlegt — wirkliche Opfer! — Gesunder Klasseninstinkt läßt die Arbeiter gegenüber all solchen Bemühungen des Wohlwollens, insoweit sie soziale Bedeutung zu haben prätendieren, ganz kühl sagen: Keine Wohltaten — besseres Recht!
Von der Tätigkeit des einzelnen aber mehr zu erwarten, als jene dekorative Verbesserung unserer Zustände, hieße die Bedingungen völlig verkennen, unter welche die Konkurrenz das Tun aller gestellt erhält. In Dingen, die wirklich Opfer auferlegen, kann keiner den anderen um mehr voraus sein wollen als um sehr kleine Schritte — sonst sorgt schon der Wettbewerb derer, die solche Opfer nicht zu bringen für gut finden, daß er ganz unschädlich werde. Wer in seinem eigenen Wirkungskreis redlich sich bemüht hat, über das Niveau der Wohlfahrtseinrichtungen hinauszukommen, weiß ein Lied zu singen von der Ohnmacht des einzelnen. Nur Toren könnten versuchen wollen, Gärten in der Wüste anzulegen — damit in nächster Nacht der Wüstensand etwas zu begraben finde. Die Oasen in der Wüste bleiben immer Oasen in einer Wüste und müssen den Wüstencharakter ihrer Umgebung, nur etwas gemildert, überall zur Schau tragen. Alle vernünftigen Bemühungen der einzelnen auf sozialem Gebiet können daher nur darauf hinzuwirken versuchen, daß das gesamte Wirtschaftsfeld allmählich weniger Wüste werde — und dieses kann nur die organisatorische Aktion des Staates zuwege bringen.
Der Erweiterung und Kräftigung organisatorischer Funktionen des Staates auf dem Wirtschaftsgebiet noch im Namen der Freiheit entgegenzutreten, wäre aber völlig verfehlt. Die »wirtschaftliche Freiheit« der alten Nationalökonomie ist nichts anderes als wirtschaftliches Faustrecht — das Recht der Starken, als Klasse, die Schwachen, als Klasse, ungestört ausbeuten zu dürfen. Und wie alle Kultur, und zumal alle Staatenbildung, in der Einschränkung und Überwindung des Faustrechts im Verkehr der Individuen ihren Anfang hat, so kann sie weiteren Fortschritt nur finden in der Überwindung des Klassenfaustrechts. Der bürgerlichen Freiheit aber tun die Einschränkungen, die dabei den einzelnen erwachsen mögen, keinen Abbruch. Absolute Freiheit fordert das Kulturinteresse nur für ein einziges Gebiet — die Propaganda der Ideen. In allem übrigen steht jede Beschränkung durchaus nur unter der Frage: cui bono? — für wen und wem zulieb? und auch der freiheitliebende Mann kann in einer Beschränkung seines Tuns keine Freiheitsbeschränkung finden, wenn sie alle gleichmäßig zum Vorteil des Gemeinwohls betrifft.
Das sind die Erwägungen, auf welche hin ich den vorher schon formulierten Anspruch an die Gesetzgebung für ein geeignetes soziales Programm der Freisinnigen Volkspartei halte. Es bedarf aber kaum noch eines Wortes, um erkennbar zu machen, daß eine solche Forderung in innerem Zusammenhang mit dem politischen Programm der Partei steht, also keineswegs Angelegenheiten zum Gegenstand hat, die ebensogut von andern Parteien, oder außerhalb aller politischen Parteien, verfolgt werden könnten. Denn Kern und Mittelpunkt jener Programmforderung ist der Gedanke: unseren ganzen Arbeiterstand, unbeschadet der unvermeidlichen Unselbständigkeit der einzelnen in ihrer persönlichen Arbeit, auf das bürgerliche Niveau des alten selbständigen Handwerks zu erheben, welches zurzeit nur seine obersten Schichten, in den bestsituierten Industrien, erreichen — und so auch unter den veränderten Wirtschaftsverhältnissen den Träger der physischen Arbeitskraft des Volkes als dessen gesunden, festen Stamm zu erhalten. Dieses Ziel kann aber ohne allerlei Wenn und Aber keine andere Partei sich aneignen als eine solche, deren politisches Ideal ist: ein freies, selbstbewußtes Bürgertum, das in allen seinen Schichten wirklichen Anteil hat an den Gütern der Kultur. Alles, was in der Scheidung der politischen Parteien auf der konservativen Seite steht, ist als Partei unfähig, solche Aufgabe sich zu stellen. Denn dort braucht man als Träger des Staatswesens hauptsächlich »Autorität«. Diese aber ist um so mehr und um so konzentrierter vorhanden, je kleinere Gruppen herrschen, je größere unselbständig und abhängig bleiben. Für große und einflußreiche Kreise des konservativen Lagers ist deshalb, nachdem die Hörigkeit nicht mehr zu haben, nunmehr eine »Gesindeordnung« das Ideal für die Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen den Selbständigen und den wirtschaftlich Unselbständigen.
Also würde die Freisinnige Volkspartei mit der Annahme des vorgeschlagenen Programmpunktes, vermöge seiner innern Beziehung zu den Grundlagen bürgerlicher Freiheit, auch noch ein kräftigeres Rückgrat für ihre politischen Bestrebungen gewinnen.