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Vorwort.
ОглавлениеErnst Abbe war nicht im engeren Sinne des Worts wissenschaftlicher Forscher auf dem Gebiet der Volkswirtschaft und der Sozialpolitik und noch weniger fühlte er sich berufen, darin als Schriftsteller oder Redner auf weitere Kreise zu wirken. Haben doch sogar auf seinem eigentlichen Arbeitsgebiet, der theoretischen und angewandten Physik (Optik), mancherlei widrige Umstände die schriftliche Darstellung seiner wichtigsten Forschungen verhindert — wie ich im Vorwort zum I. Band seiner Gesammelten Abhandlungen (Gustav Fischer, Jena 1904) kurz dargelegt habe.
Aber er gibt in der Einleitung zu dem ersten der hier abgedruckten Vorträge selbst an, inwiefern er sich »legitimiert halte, mitzureden« bei der Erörterung der einschlägigen Fragen (S. 4): daß er gegenüber dem Mangel gründlichen systematischen Studiums der volkswirtschaftlichen und sozialen Theorien und der mangelnden Beteiligung an der öffentlichen Diskussion dieser Angelegenheiten sich berufen könne auf etwas, was in der Art, wie er es habe, nicht viele haben könnten: eine eigene lebendige Erfahrung. Denn mit Ende der sechziger Jahre halb unfreiwillig mehr und mehr mit einem schnell aufblühenden industriellen Betriebe (der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena) verbunden, habe er sich gewöhnen müssen, alle Vorkommnisse in zweierlei Art anzusehen und zu prüfen: mit den Augen des Unternehmers und Kapitalisten — was beides zu werden er sich noch in seinen Studentenjahren nie hätte träumen lassen — und »zugleich mit den Augen des Arbeitersohnes, dem über Nacht nicht Kapitalistenaugen wachsen wollten«, mit den Augen des Mannes, der in der mühsam erworbenen gehobenen Lebensstellung seine Abstammung nicht wie so mancher andere zu verbergen und zu vertuschen suchte, sondern gerade umgekehrt aus ihr überall den starken Antrieb entnahm, die scheinbar und in Wahrheit oft so widerstreitenden Interessen der sich immer schärfer sondernden »Klassen« nach Kräften in Einklang miteinander zu bringen.
Dieser doppelte Standpunkt — des »Unternehmers und Kapitalisten« und des »Arbeitersohnes« — ist es, der den Gedankengängen und Ausführungen Ernst Abbes auf diesem Gebiete das charakteristische Gepräge gibt. Ihre Autorität, den Anspruch auf ernste Beachtung aber dürfen sie ableiten aus der auf anderen Gebieten stattsam bekundeten, erprobten und daher allseitig anerkannten, geistigen und nicht minder auch der sittlichen Bedeutung und Größe ihres Urhebers. Die erstere befähigte ihn, in geistvollen theoretischen und experimentellen Studien der angewandten Optik, der Theorie und Technik der optischen Instrumente eine neue Grundlage zu geben und in unablässiger Arbeit einen großen Teil des auf diesem Grunde beruhenden Gebäudes selbst zu errichten. Die Gedanken und Pläne, die Ernst Abbe in der an zweiter Stelle abgedruckten »Gedächtnisrede zur Feier des 50jährigen Bestehens der Optischen Werkstätte« seinem älteren Sozius und Freunde Carl Zeiss zuschreibt, sind für alle mit den Verhältnissen genauer Bekannten ganz unverkennbar zum großen Teile vielmehr seine eigenen Gedanken und Pläne gewesen. Und auch darin war der Name Carl Zeiss gewissermaßen das Pseudonym für Ernst Abbe, daß das unter jenem Namen gegründete und dauernd weitergeführte wirtschaftliche Unternehmen — eben die Jenaer Optische Werkstätte — ihre gesunde Grundlage wohl dem trefflichen Manne verdankt, der sie gegründet hatte, daß ihr außerordentlicher Aufschwung seit Anfang der siebziger Jahre und ihre eigentümliche Bedeutung in wissenschaftlich technischer wie sozialpolitischer Beziehung aber unzweifelhaft allein auf Ernst Abbe zurückzuführen ist.
Dieses sozialpolitische Gepräge, die »Verfassung«, die Ernst Abbe — bezeichnenderweise wieder »für alle Zeiten« auf den Namen seines Freundes Carl Zeiss getauft — den beiden hiesigen Betrieben gab, ist die markanteste Bekundung seiner sittlichen Eigenart. Ich habe unter dem frischen Eindruck seines Todes in meiner Gedenkrede bei der Trauerfeier für ihn einen schwachen Versuch gemacht[1];, sie zu kennzeichnen, ohne sie entfernt erschöpfen zu wollen und zu können.
Das »sozialpolitische System« Ernst Abbes hat einer seiner Kollegen von der thüringischen Hochschule, dem er im politischen Kampfe oft genug schroff gegenüberstand, für den er aber durch diese Gegnerschaft menschlich nicht das mindeste an Bedeutung und Größe eingebüßt hatte, der Sprachforscher B. Delbrück, in dem Nachruf zusammenzufassen gesucht, den er dem Dahingegangenen in der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena gewidmet hat: »Es kommt in der Gesellschaft nur an auf die Förderung der Gesamtinteressen; das Glück des einzelnen aber ist gleichgültig.« An dasjenige, was die Gesellschaft zu verteilen hat, hat nur der Anspruch, der arbeitet, und die Verteilung ist nicht anders zu regeln als nach den Gesichtspunkten strengster Gerechtigkeit ohne irgend eine historisch oder sonst begründete Bevorzugung. Diese völlige Ablehnung jedes Eudämonismus gehörte aber nicht etwa bloß dem System an, sondern zeigte sich ebenso in Abbes Leben. System und Leben war bei ihm aus einem Guß. Daß es auf das sogenannte Glück des einzelnen nicht ankommt, hat er aufs großartigste erwiesen in seiner eigenen Person. Es hat ja oft Männer gegeben, die ihre Reichtümer wegwarfen und sich nach einem Leben voll Taten und Sünden in Klöster oder Wälder zurückzogen; aber daß jemand in der vollen Kraft seines Daseins und Wirkens auf sein Erworbenes in der Weise verzichtet, wie Ernst Abbe, das ist gewiß etwas sehr Seltenes. Was er so an sich selbst zur Darstellung brachte, wünschte er natürlich auch von anderen, wie an einem Beispiel statt vieler gezeigt sein mag. Er hatte einen Lieblingsgedanken, der ihm aber schließlich von anderen ausgeredet wurde, nämlich eine Stiftung ins Leben zu rufen für Söhne der handarbeitenden Klasse, um denselben die Möglichkeit zu geben, in höhere Stellungen im Staate aufzusteigen. Damit wollte er aber, wie er ausdrücklich bemerkte, nicht etwa das Glück des einzelnen erhöhen — er nahm vielmehr an, daß unter Umständen das Gegenteil eintreten könne, indem mancher sich vielleicht in der neuen Stellung unglücklich fühlen würde: aber Abbe meinte, das Aufsteigen in höhere Schichten sei im allgemeinen Interesse notwendig, und so liege hier für den einzelnen ein Stück der allgemeinen Dienstpflicht vor, die wir alle der Gesellschaft schuldig sind.
»Wenn man sich so recht die Eigentümlichkeiten dieses Abbe-schen Systems klar machen will, muß man es vergleichen mit den großartigen Wohltätigkeitsanstalten der katholischen Kirche. Während dort die erbarmende Menschenliebe, die Caritas, die Grundlage bildet, ist diese Vorstellung bei Abbe vollständig ausgeschaltet. Ein jeder soll das bekommen, worauf er Anspruch hat, nicht mehr und nicht weniger. Abbe wünschte sogar, wo es nur irgend möglich war, einen klagbaren Anspruch für den einzelnen an die Gesellschaft. Will man Stellung zu diesem System nehmen, so kann es nicht geschehen, indem man Einzelheiten herausgreift, sondern man muß das Ganze ins Auge fassen und seinen Standpunkt auf der reinen Höhe philosophischer Betrachtung wählen.«
Es ist wohl bezeichnend genug für die sozialpolitischen Veröffentlichungen Ernst Abbes, wie vor allem für den Mann selber, daß die erste, die er der Mühe der Drucklegung für wert erachtete, von ihm im Alter von 54 Jahren verfaßt wurde, also zu einer Zeit, wo er in seinem beruflichen Wirken auf der Höhe des Erfolges stand und wo er den entscheidenden Schritt zu seiner sozialpolitischen Neuschöpfung auch schon getan hatte. So bedeutet denn die der Zeit nach zweite »Publikation« (in der vorliegenden Sammlung unter IX abgedruckt) kein Theoretisieren mehr, sondern sie ist der Ausdruck einer Tat: der Gründung der Carl Zeiss-Stiftung, deren »Verfassung« sie enthält. Alle übrigen hier gesammelten Schriften, Vorträge und Reden sind ebenso wie die genannten Gelegenheitserzeugnisse — mit allen Vorzügen und Mängeln solcher behaftet. Einige, wie außer den oben erwähnten Vorträgen »Welche sozialen Forderungen soll die Freisinnige Volkspartei in ihr Programm aufnehmen« (Nr. I), die schöne »Gedächtnisrede zur Feier des 50jährigen Bestehens der Optischen Werkstätte« (Nr. II), der Vortrag »Über Gewinnbeteiligung der Arbeiter in der Großindustrie« (Nr. III), dann aber auch Nr. V (Zur Frage der Sonderbesteuerung des Konsumvereins) und Nr. VI (Die rechtswidrige Beschränkung der Versammlungsfreiheit im Großherzogtum Sachsen) sind sorgfältig redigiert und zum Teil auch direkt für die Drucklegung vorbereitet bezw. schon einmal unter Aufsicht des Verfassers gedruckt. Bei mehreren anderen fand sich ihm zu sorgfältigerer Ausarbeitung nicht die nötige Muße und ich bin gewiß, daß Ernst Abbe selbst nichts weniger als einverstanden gewesen wäre mit ihrer Veröffentlichung in der vorliegenden Gestalt. Ich glaubte aber, gerade diese Vorträge, die sich einerseits näher mit den Verhältnissen im eigenen Betrieb befassen, andererseits bei der Diskussion der dort bestehenden Verhältnisse interessante Schlaglichter auf das werfen, was überall unter ähnlichen Umständen d. h. in industriellen Großbetrieben gilt oder Gegenstand der Kontroverse ist, nicht unterdrücken zu dürfen. Es sind dies: Nr. IV »Über die Grundlagen der Lohnregelung in der Optischen Werkstätte« (1897), Nr. VIII »Über die Aufgaben des Arbeiterausschusses« (1902) — beide schon einmal von mir herausgegeben für die Angehörigen der Stiftungsbetriebe — und dann besonders Nr. VII, der wichtige Vortrag »Über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Verkürzung des industriellen Arbeitstages«.
Mit dem letztgenannten Gegenstand beschäftigte sich Ernst Abbe bis in die letzte Zeit. Er hatte den entscheidenden Anstoß dazu durch Diskussionen über Verkürzung des Arbeitstages im Arbeiterausschuß der Firma Carl Zeiss (Winter 1899/1900) erhalten, die zu der erst versuchsweisen (1900), dann endgültigen (1901) Einführung des achtstündigen Arbeitstages in deren Betrieb Veranlassung gaben. Bei beiden Gelegenheiten hatte sich Abbe in »Werkstatt-Versammlungen« ausführlich zur Sache geäußert. Auf den hier abgedruckten, in der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena Ende 1901 gehaltenen, Vortrag folgte ein solcher über den gleichen Gegenstand bei der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik zu Dresden, September 1902, der inhaltlich wie formell vortrefflich gewesen sein soll, von dem aber leider keine genaue Nach- oder Niederschrift vorhanden ist. Einen Nachtrag zu dem Thema gab Ernst Abbe dann später bei einem der »Referierabende« einer privaten zwanglosen Vereinigung einiger naturwissenschaftlicher Dozenten der Universität Jena; doch war auch hierüber nichts Authentisches zu finden. Von der beabsichtigten gründlichen Bearbeitung bezw. Darstellung des Gegenstandes, von der Ernst Abbe wiederholt behauptete, daß ihre Räsonnements für jeden logisch Denkenden durchaus zwingend sein würden, hielt ihn das schnell sich steigernde mit dem Tode endigende Siechtum ab.
Ich habe die mir zur Verfügung stehenden einschlägigen Schriften, Vorträge und Reden Abbes der Hauptsache nach in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben. Das Statut der Carl Zeiss-Stiftung selbst aber habe ich mit seinen von Abbe teils für dessen Beratung, teils hinterher niedergeschriebenen »Motiven und Erläuterungen« geglaubt an den Schluß stellen zu sollen — schon aus dem äußerlichen aber wichtigen Grunde, um es gleich in der Neuredaktion vom 1. Januar 1906 (aber mit den Varianten der ursprünglichen Ausgabe) abdrucken zu können. Man kann alle übrigen hier gebrachten Schriften und Vorträge wohl mit gutem Recht auch als »Motive und Erläuterungen zum Statut der Carl Zeiss-Stiftung« bezeichnen. Denn in dem Statut hatte das sozialpolitische Glaubensbekenntnis Ernst Abbes seinen praktisch realisierbaren Ausdruck gefunden. Nur die beiden unter V und VI abgedruckten Vorträge haben keinen Bezug auf das Stiftungsstatut, sind überhaupt nicht sozialpolitischen, sondern der eine wirtschafts- der andere rein staatspolitischen Inhalts. Es ist aber namentlich die Rede »Über die rechtswidrige Beschränkung der Versammlungsfreiheit« so charakteristisch in Inhalt wie Form für den Redner als Persönlichkeit, daß ich gewiß bin, allen Freunden Ernst Abbes durch deren Wiederabdruck eine Freude zu bereiten, selbst wenn Juristen zu einem anderen Ergebnis der Beweisführung kommen sollten.
Bei der Herausgabe der folgenden Blätter leistete mir Herr G. Paga, hier, hilfreichsten Beistand, ohne dessen Zusicherung ich die Arbeit angesichts meiner sonstigen Beanspruchung von vornherein nicht übernommen hätte. Nicht nur die gesamte Überwachung der Drucklegung ist sein Verdienst, sondern namentlich auch in der Feststellung eines halbwegs lesbaren d. h. vernünftigen Sinn ergebenden Textes bei den nur in unvollkommenen Nachschriften vorhandenen Reden und Vorträgen hat mich Herr Paga dank seinem liebevollen Eingehen auf und Verständnis für den Gegenstand aufs wirksamste unterstützt. Ich erfülle nur eine Pflicht, indem ich ihm auch an dieser Stelle für seine teilnehmende Mitarbeit herzlichsten Dank sage.
Für manche Leser ist es vielleicht erwünscht, die an äußeren Begebenheiten verhältnismäßig arme, an innerem Geschehen dafür desto reichere Lebensgeschichte Ernst Abbes in ihren Hauptzügen kennen zu lernen. Ich lasse sie deshalb hier folgen:
Ernst Carl Abbe wurde am 23. Januar 1840 als Sohn des Spinnmeisters einer Fabrik in Eisenach geboren und besuchte bis zu seinem 10. Lebensjahre die dortige erste Bürgerschule. Deren Lehrer, denen die ungewöhnliche Begabung des Knaben auffiel, bewogen den Vater, ihn auf das Realgymnasium (damals Realschule I. Ordnung) zu geben, wo er im Jahre 1857 das Abiturientenexamen mit besonderer Auszeichnung bestand. Von Ostern 1857 bis ebendahin 1859 studierte Ernst Abbe Mathematik, Physik, Astronomie und Philosophie an der Universität Jena, wo er sich besonders an K. Snell anschloß, von 1859-1861 in Göttingen, wo neben dem berühmten Physiker W. Weber der große Mathematiker B. Riemann den stärksten Einfluß auf sein Denken gewann. Dort promovierte Ernst Abbe 1861 mit einem kritischen Beitrag zur mechanischen Wärmetheorie und nahm dann die Stelle eines Dozenten am physikalischen Verein in Frankfurt a. M. an, die er aber bald aufgab, um nach Durchführung einiger privaten Studien auf Veranlassung Snells sich 1863 in Jena als Privatdozent zu habilitieren. Während der Universitätszeit hatten neben der natürlich sehr geringen vom Vater gewährten Beihilfe Preisaufgaben, Stipendien und Privatstunden die freilich oft kaum ausreichenden Mittel zum Lebensunterhalt gewährt. Als Privatdozent erteilte Ernst Abbe Unterricht an der K. V. Stoyschen Seminarschule, erhielt aber von Anbeginn an auf Veranlassung von K. M. Seebeck, dem damaligen Kurator der Universität, der von Ernst Abbes hervorragender Bedeutung überzeugt war und ihn auf jede Weise zu fördern suchte, einen kleinen Gehalt. Seine Ernennung zum außerordentlichen Professor erfolgte 1870.
Mehrere Jahre vorher schon hatte Ernst Abbe begonnen, dem Jenaer Universitätsmechaniker Carl Zeiss bei dessen auf Konstruktion und Verbesserung der Mikroskope gerichteten Bemühungen behilflich zu sein. Dieses Zusammenarbeiten wurde ein immer engeres, auch der äußere Erfolg stellte sich bald ein und 1875 trat Ernst Abbe auf dringenden Wunsch von Carl Zeiss als stiller Gesellschafter in dessen Unternehmen ein. Auf Grund dieser inneren und äußeren Bindung schlug er im gleichen Jahre die Berufung als Ordinarius nach Marburg und eine ihm von Helmholtz angetragene Stelle als Mitleiter des neu zu errichtenden physikalischen Instituts in Berlin aus, und glaubte auch die in Jena für Physik errichtete ordentliche, mit der Leitung des Instituts verbundene, Professur nicht annehmen zu dürfen. Die ihm durch den Lehrauftrag für theoretische Physik und Astronomie und die Leitung der Sternwarte obliegenden Pflichten erfüllte Ernst Abbe bis 1889, wo auf seinen Wunsch für beide Stellen Nachfolger ernannt wurden. Von dieser Zeit an hielt Abbe nur noch gelegentlich Vorlesungen. Vorwiegend widmete er seine Kräfte seit Anfang der 70er Jahre den auf das Emporblühen der Optischen Werkstätte gerichteten und durch deren Wachstum bedingten wissenschaftlichen, technischen und organisatorischen Aufgaben. 1879 trat Ernst Abbe mit dem Glashüttentechniker Dr. Otto Schott aus Witten in Beziehung wegen Beschaffung neuen Materials für die praktische Optik; dieses Verhältnis wurde ebenfalls bald ein engeres und 1882 siedelte Schott nach Jena über, um zunächst auf private Kosten Abbes die begonnenen Versuche energischer zu fördern. Nach deren Gelingen wurde 1884 von Abbe, Schott und Zeiss (sen. und jun.) das sogen. »Glastechnische Laboratorium Schott & Genossen« gegründet, das in den ersten beiden Jahren seines Bestehens von der preußischen Regierung im allgemeinen Staatsinteresse subventioniert wurde, von da an aber auf eigenen Füßen stand.
Die bedeutendsten wissenschaftlichen und technischen Leistungen Ernst Abbes waren:
In erster Linie die Ausarbeitung einer Theorie der mikroskopischen Abbildung (Abbildung nicht selbstleuchtender Objekte), für die zur Zeit seines Beginnens auch nicht der geringste Ansatz gegeben war und die sich ganz in Gegensatz zu der herrschenden Lehre stellte. Die Grundzüge dieser Theorie veröffentlichte Ernst Abbe 1873, ihre Ausbildung beschäftigte ihn mit Unterbrechungen immer wieder, und es war einer von seinen eigenen und seiner Freunde Hauptwünschen bei seinem Rücktritt von der Leitung der Optischen Werkstätte, daß er nun zur ausführlichen Darstellung der von ihm gewonnenen Resultate die lange vergeblich ersehnte Muße finden möge.
In zweiter Linie ist zu nennen die Begründung einer auf Wissenschaft, auf strenger theoretischer Vorausberechnung aller Elemente (Radien, Dicken, Durchmesser, Abstände, Glaseigenschaften usw.) beruhenden mikroskopischen Technik, die bei ihrer außerordentlichen Schwierigkeit seinerzeit kaum für möglich gehalten wurde (für das Fernrohr war Entsprechendes in der Hauptsache früher von Fraunhofer, für das photographische Objektiv von Seidel und Steinheil erreicht).
An dritter Stelle sind eine Anzahl hervorragender optischer und mechanischer Erfindungen bezw. Konstruktionen und zahlreiche bedeutende Fortschritte in der Erkenntnis vom Wesen der optischen Instrumente anzuführen. So unter der einen Rubrik die nach ihm benannten Refraktometer (ca. 1870), der Beleuchtungsapparat zum Mikroskop (1872), die Systeme der homogenen Immersion (1878/79), die Apochromate (1886), die Relieffernrohre, unter der anderen Rubrik die Grundlegung der geometrischen Optik ohne Beziehung auf die Mittel zu deren Verwirklichung, die Theorie des Strahlengangs (Bedeutung der Begrenzungen, »Eintritts-« und »Austrittspupille«), die Theorie der Lichtstärke in optischen Instrumenten und zahlreiche Beiträge zur Theorie der Abbildungsfehler.
Ende 1888 starb Dr. Carl Zeiss, Ende 1889 trat der 1881 als Mitteilhaber in die Firma eingetretene Sohn Dr. Roderich Zeiss von der Leitung des Unternehmens zurück und Abbe blieb bis 1891 alleiniger Leiter. In der Zwischenzeit, von 1889 bis 1891, wurden die Unterhandlungen betrieben, die dazu führten, daß am 1. Juli 1891 die von Ernst Abbe schon 1886 geplante, im Mai 1889 zustande gekommene »Carl Zeiss-Stiftung« alleinige Inhaberin der Optischen Werkstätte und Mitinhaberin des Glaswerks von Schott & Gen. wurde. Das Statut der Stiftung wurde am 26. Juli 1896 von Ernst Abbe vollzogen, am 16. August 1896 landesherrlich bestätigt. Der Stiftung übermittelte Ernst Abbe 1891 sein ganzes Vermögen bis zur gesetzlich zulässigen Grenze und behielt sich fürderhin nur die Stellung eines »Mitglieds der Geschäftsleitung« vor.
Diese legte Abbe im April 1903 nieder, um sich, nach damals noch gehoffter Wiederherstellung seiner stark angegriffenen Gesundheit, ungebundener einzelnen wissenschaftlichen und technischen Aufgaben hingeben, eine genauere Begründung des Statuts u. a. m. ausarbeiten zu können. Dem Siechtum ließ sich aber nicht mehr Einhalt tun und der schnelle Verfall der Kräfte endete am 14. Januar 1905 mit dem Tode.
Jena, 15. Juni 1906.
Dr. S. Czapski.