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Gedächtnisrede zur Feier des 50jährigen Bestehens der Optischen Werkstätte.
ОглавлениеGehalten am 12. Dezember 1896[3].
Hochgeehrte Gäste — liebe Freunde und Mitarbeiter!
In diesen Wochen sind es 50 Jahre geworden, daß aus allerkleinstem Anfang das Werk entstanden ist, das unter dem Namen von Carl Zeiss heute die Tätigkeit einer großen Zahl von Menschen in dauerndem Verein hält, ein wichtiges Element in der Wirtschaftstätigkeit unserer Stadt geworden ist und auch für manche Angelegenheiten allgemeineren Interesses einige Bedeutung gewonnen hat.
Da der Begründer dieses Werkes nicht mehr lebt, sonach niemand mehr da ist, der noch in seiner Person das Ende des 50jährigen Zeitabschnittes mit seinem Anfang verknüpfte und dessen Person so den Mittelpunkt einer festlichen Erinnerung bilden könnte, haben wir von jeder Art besonderer Feier abgesehen. Wir wollen den äußeren Markstein auf dem Weg unserer täglichen Arbeit, den man in dem Ablauf eines halben Jahrhunderts zu sehen gewohnt ist, lediglich zum Anlaß nehmen, auf diesem Weg einen Augenblick Halt zu machen und unsere Gedanken zu sammeln in einem Rückblick auf das hinter uns Liegende, und in dessen Betrachtung neue Ermunterung zu rüstiger Fortsetzung unserer Arbeit, neues Vertrauen auf ihre Zukunft suchen.
Die Geschichte dieser 50 Jahre enthält auch in dem sichtbar gewordenen Geschehen, in dem Fortgang der äußeren Entwicklung unseres Instituts wohl manches, was dem Gedächtnis aufbewahrt zu werden verdient — manches, was für die Nächststehenden, manches, was auch für weitere Kreise ein bleibendes Interesse hat, weil es entweder Merkzeichen gewisser Fortschritte bietet, oder typische Vorgänge der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung oder die Eigenart unseres besonderen Arbeitsfeldes exemplifiziert.
Meine Absicht hier geht indes nicht auf alles dieses. Was davon späterer Erinnerung festzuhalten angemessen erscheint, wird mein Kollege Czapski demnächst in einer Darstellung der Geschichte unserer Werkstätte denen, die solches interessiert, zugänglich machen[4]. Meine Aufgabe hier sehe ich nur darin, zu erzählen von der inneren Geschichte unserer Anstalt, von den Gedanken und Bestrebungen, die in ihr lebendig und wirksam gewesen sind — also von dem, was aus dem sichtbaren Verlauf des Geschehens noch nicht ohne weiteres zu erkennen — was vielmehr, um dessen volles Verständnis zu vermitteln, nur der beibringen kann, der auch das innere Geschehen durch alle bedeutsamen Phasen seines Verlaufs persönlich miterlebt hat.
Man wird nun zum voraus gewärtig sein, daß in einem Gebilde menschlichen Schaffens, welches durch ein halbes Jahrhundert hin über mehrfachen Wechsel der Personen hinweg stetig in gleicher Richtung sich fortentwickelt hat, nicht nur das Resultat von äußeren Einwirkungen und von Antrieben der Umgebung vorliegen werde — deren fortwährender Wechsel in unserer rasch lebenden Zeit doch nur aus blindem Zufall eine konstante Bahn hätte ergeben können. Man wird also zum voraus vermuten, daß in solchem Gebilde etwas wirksam gewesen ist, was von innen heraus den Gang der Entwicklung bestimmt hat — eine durchgehende lebenskräftige Idee, vergleichbar dem entwicklungsfähigen Keim, aus welchem kraft innerer Anlage der Baum allmählich herauswächst, in seinem Wachstum nicht bestimmt, höchstens nur beeinflußt durch die Einwirkungen der äußeren Umgebung, fördernde und hemmende Umstände.
Was nun ist in unserem Fall der lebenskräftige Keim, aus dessen inhaltsreicher Anlage dieser große Baum entstanden ist |in dessen Schatten jetzt zahlreiche fleißige Menschen Obdach gefunden haben|? Was ist der treibende Gedanke, der die Entwicklung dieses Unternehmens geleitet hat?
Es entspricht ganz der Stimmung, in der wir heute uns hier vereinigt haben — der Stimmung pietätvoller Erinnerung an den Mann, der vor 50 Jahren zu allem, was jetzt uns vor Augen steht, den Grund gelegt hat — daß die Antwort auf diese Frage sofort die Bedeutung des persönlichen Wirkens von Carl Zeiss, der von ihm getragenen Ideen aufdeckt — und so ihn gleich in den Mittelpunkt unserer Betrachtung rückt.
Schon vor acht Jahren, als wir den Begründer unserer Werkstätte zu Grabe geleiteten, habe ich an seinem Sarg in kurzen Worten ausgesprochen[5], daß in ihm ein Mann geschieden sei, in dessen Wirken ein neuer eigenartiger Gedanke Anfang und Vollendung gefunden hat; und bei einem späteren Anlaß[6] wurde im Sinne dessen als sein bleibendes Verdienst hingestellt: das geordnete Zusammenwirken von Wissenschaft und technischer Kunst auf seinem besonderen Arbeitsfeld zielbewußt angebahnt zu haben.
Der heutige Tag gibt nunmehr die Gelegenheit, dieses zu erläutern, näher zu bestimmen und auch öffentlich zu rechtfertigen.
Zusammenwirken von Wissenschaft und technischer Kunst ist in der Optik allerdings eine sehr alte Sache. Denn auf ihrem Gebiet hat die praktische Arbeit schon viel früher wie auf fast allen anderen Gebieten der Technik in direkter Wechselwirkung mit wissenschaftlichen Ideen und unter deutlicher Leitung solcher gestanden. Die nahe Beziehung aller Leistungen der praktischen Optik auf große wissenschaftliche Interessen — zu allererst der Astronomie — brachte dieses von selbst mit sich. Das Interesse an der Vervollkommnung der Beobachtungswerkzeuge hat fast alle hervorragenden Förderer der Naturerkenntnis auch zu Förderern der Künste gemacht, die auf Herstellung der Beobachtungswerkzeuge und deren Vervollkommnung ausgehen. Man braucht nur Kepler und Newton zu nennen, um markiert zu sehen, wie jeder Fortschritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis der Eigenschaften und Wirkungen des Lichts immer unmittelbar die Betätigung praktischer Kunst zur Verwertung solchen Fortschrittes neu angeregt hat. So sind seit fast drei Jahrhunderten alle neuen Zielpunkte dieser Betätigung bewußterweise aus der wissenschaftlichen Lehre der Optik abgeleitet worden, die Mittel und Wege zur Betätigung an der Hand der Doktrin gefunden worden.
Hierbei war aber der praktischen Arbeit des ausübenden Optikers immer noch ein sehr weites Feld verblieben. Die Doktrin wies nur die typischen Formen der Elemente der Konstruktionen nach, die bekannte Linsengestalt der durch kugelförmige Flächen begrenzten Glasstücke, und gab die allgemeinen Direktiven für ihre richtige Kombination für die verschiedenen Zwecke, wie z. B. die Regel für das Zusammenfügen von zwei solchen Glasstücken aus verschiedenem Material behufs achromatischer Lichtsammlung u. dgl. Sache der persönlichen Erfahrung des geschickten Praktikers, seiner Übung in der Beurteilung des erzielten Effekts, seiner Findigkeit in der vorteilhaften Kombination und Abänderung der Elemente, blieb es dabei, die jeweils beabsichtigte Wirkung befriedigend herauszubringen, also ein gutes Fernrohr oder ein gutes Mikroskop nach dem jeweiligen Maßstab der Anforderungen herzustellen; und auch der allmähliche Fortschritt in der Höhe der Leistungen war nur zum geringeren Teil bedingt durch die Verbesserung der technischen Ausführung, in viel höherem Grad durch das Auffinden von vorteilhafteren, besseren Effekt herbeiführenden Kombinationen von Linsen. Je höher die Anforderungen an die Leistung der optischen Instrumente wurden, zu je komplizierteren Zusammensetzungstypen man sich dadurch gedrängt sah, desto größere Bedeutung gewann die persönliche Geschicklichkeit und praktische Begabung des ausübenden Optikers.
Beim Mikroskop hat schon in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts die sich ausbreitende Anwendung des Instruments in der Erforschung der organischen Welt und der hierbei rasch steigende Anspruch an hohe Vergrößerung und vollkommene Bildschärfe, zu allmählich immer verwickelteren Linsenkombinationen geführt, für deren Aufbau den Optikern zwar auch neue Direktiven von theoretischen Gesichtspunkten aus gegeben worden waren, deren erfolgreiche Ausführung an Hand dieser Direktiven aber immer höher werdende Anforderungen an die Kunst stellte. |Namentlich der neue Zusammensetzungstypus, den Amici auffand — man weiß nicht genau, in welcher Art des Ineinandergreifens von theoretischer Betrachtung und praktischer Erfahrung — der auf die Immersionslinsen hinleitete, hat um die Mitte des Jahrhunderts den Aufbau des Mikroskopobjektivs zu einer Kunst entwickelt, die in ihren besten Vertretern, wie z. B. Hartnack und einigen anderen, die Betätigung einer ganz eigenartigen Form intuitiven Schaffens zeigt, weil sie Leistungen zustande brachte, von denen damals niemand sich Rechenschaft geben konnte — am wenigsten die ausübenden Personen selbst.|
Carl Zeiss ist, als er, von Schleiden angespornt, bald nach seiner Niederlassung in Jena der Mikroskop-Optik sich zuwandte, gleichfalls den eben charakterisierten Weg gegangen, und hat zunächst auf diesem, schlecht und recht wie andere vor ihm und andere neben ihm, vorwärts zu kommen gesucht unter Anlehnung an die Vorbilder, die sich ihm in den Leistungen der älteren Meister boten. Kein Geringerer als Schleiden hat ihm auch bezeugt, daß er nach kurzer Zeit zu sehr bemerkenswerten Erfolgen gelangt ist. Zeiss selbst aber ist, wie er später erzählte, hinsichtlich dieser Erfolge schon sehr früh recht skeptisch gewesen. Er merkte, daß er, als Autodidakt an dieses Arbeitsfeld herangekommen, also ohne Anteil an der Summe von traditioneller Erfahrung, die auf ihm gewonnen war, den anderen gegenüber, die schon [durch] Jahrzehnte hin jene eigenartige Kunst geübt hatten, sehr im Nachteil sei, und als Autodidakt auch frei von allzu großer Verehrung für das traditionell Gegebene fand er bald, daß diese ganze Art des Arbeitens im letzten Grund für die Optik eigentlich höchst irrationell sei. Er sagte sich: da alle Wirkungen, die eine Linsenkombination begleiten, auf Gesetzen beruhen, die durch die wissenschaftliche Optik genau festgestellt, in allen Einzelheiten mathematisch bestimmbar sind, und da auch alle maßgebenden Eigenschaften des wirksamen Stoffes, des Glases, auf das strengste meßbar sind — so muß es für den Aufbau der Linsensysteme jeder Art noch einen ganz anderen Weg geben, um eine verlangte Wirkung mit Sicherheit des Erfolgs herbeizuführen. Es muß auf diesem Gebiet noch eine ganz andere Art des Zusammenwirkens von wissenschaftlicher Lehre und technischer Kunst möglich sein, als bisher bestanden hat; es muß möglich sein, nicht nur die allgemeine Direktive für die zweckmäßige Zusammensetzung der Elemente aus der Theorie zu entnehmen, sondern die richtige Zusammensetzung selbst bis in ihre letzten Einzelheiten für jede verlangte Wirkung. Wie der Architekt ein Bauwerk, bevor eine Hand zur Ausführung sich rührt, schon im Geiste vollendet hat, nur unter Beihilfe von Zeichenstift und Feder zur Fixierung seiner Idee, so muß auch, dachte sich Zeiss, das komplizierte Gebilde von Glas und Metall, wie das Mikroskop es erfordert, sich aufbauen lassen rein verstandesmäßig, in allen Elementen bis ins letzte vorausbestimmt in rein geistiger Arbeit, durch theoretische Ermittlung der Wirkung aller Teile, bevor diese Teile noch körperlich ausgeführt sind. Der arbeitenden Hand dürfe dabei keine andere Funktion mehr verbleiben, als die genaue Verwirklichung der durch die Rechnung bestimmten Formen und Abmessungen aller Konstruktionselemente und der praktischen Erfahrung keine andere Aufgabe, als die Beherrschung der Methoden und Hilfsmittel, die für letzteres, die körperliche Verwirklichung, geeignet sind. — Also: eine andere Grenzregulierung zwischen der Arbeit des Verstandes und der Arbeit der Hand, zwischen wissenschaftlicher Theorie und praktischer Kunst, grundsätzlich verschieden von der früheren Abgrenzung der Funktionen beider. Das nun ist die Idee, die Carl Zeiss in die Mikroskop-Optik eingeführt und über alle Hindernisse hinweg zur Verwirklichung gebracht hat: die Idee eines streng rationalen Aufbaues der optischen Konstruktionen für das Mikroskop; das ist der Keim, aus dem alle inneren Fortschritte und alle äußeren Erfolge, die sein Wirken gebracht hat, hervorgegangen sind. Das soll es besagen, wenn als das Verdienst von Carl Zeiss hingestellt wurde: das geordnete (nämlich das neugeordnete) Zusammenwirken von Wissenschaft und technischer Kunst auf seinem besonderen Arbeitsfeld zielbewußt angebahnt zu haben.
Die hier bezeichnete und auf unserem Arbeitsfeld für neu erklärte Art der Verbindung von Wissenschaft und Technik ist uns durch ihre längst offenkundige Herrschaft auf vielen anderen Gebieten der Technik — wie im Maschinenbau, dem Ingenieurwesen und anderen — jetzt schon so geläufig, daß sie fast als etwas Selbstverständliches erscheint und man sich leicht wundern könnte, die Einführung dieser Idee in unserem Gebiet überhaupt als etwas Bemerkenswertes und Bedeutsames hingestellt zu sehen. Könnte doch jetzt nur noch ein Stümper eine Dampfmaschine wirklich zu bauen beginnen, ohne daß er vorher ganz genau wüßte, wieviel Pferdekräfte sie entwickelt, wenn man sie, genau nach seinen Vorschriften ausgeführt, zum erstenmal in Gang setzen wird; und wird doch längst keine eiserne Brücke mehr gebaut, ohne daß der Erbauer, noch ehe das Erz zu ihren Rippen aus der Erde geholt, schon genau angeben kann, wieviel Zentimeter sie sich durchbiegen wird, wenn sie nach drei oder vier Jahren fertig dasteht und der erste Eisenbahnzug sie befährt. So ist es aber auch auf diesen Gebieten nicht immer gewesen, und so auch nicht in der Optik. |Eine alte Sache ist die vorher geschilderte Art des Eingreifens der wissenschaftlichen Theorie in die Technik nur auf den Gebieten der Technik, deren Erzeugnisse auf Bewegungseffekte, also phoronomische, geometrisch bestimmbare Wirkungen ausgehen — wie bei der Mechanik im engeren Sinne. Die Idee, auch Gebilde, durch die nicht körperliche Formen an sich, oder Bewegungsformen als Effekt bezweckt werden, bei welchen vielmehr bestimmte körperliche Formen an bestimmten Stoffen eine zum voraus bestimmte physische Wirkung hervorbringen sollen — die Idee, auch solche Gebilde auf die gedachte streng rationale Art zu gewinnen, ist auf allen Gebieten der Technik sehr neu — weil die Möglichkeit solchen Verfahrens mehrere sehr schwer zu erfüllende Postulate einschließt.| Und wenn es nicht immer so gewesen ist, so bezeugt nun gerade die Ausbreitung und die Macht, die jener Gedanke des rationalen Aufbaues körperlicher Gebilde behufs Erzielens bestimmter physischer Effekte jetzt gewonnen hat das Verdienst derer, welche die Pfadfinder dieses Gedankens gewesen sind. Und zu diesen Pfadfindern gehört auch Carl Zeiss.
Zum erstenmal auf irgend einem Feld der Technik überhaupt rein durchgeführt ist jene Idee, glaube ich, erst im Anfang dieses Jahrhunderts durch Joseph Fraunhofer, und zwar ist es zum erstenmal geschehen gerade auf dem Feld der praktischen Optik — und an einem Objekt, das der nächste Verwandte des Mikroskops ist — dem astronomischen Fernrohr. Denn die ersten Gebilde der bezeichneten Kategorie, die streng auf diesem Weg zustande gekommen sind, also die frühesten Zeugen der Betätigung jener Idee auf dem Gebiet praktischen Schaffens, sind die Objektive zu Fernröhren, die im Beginn der 20er Jahre Fraunhofer von München aus den Astronomen in die Hand geben konnte. Man darf also wohl die rationale Methode der Konstruktion technischer Erzeugnisse zu physischen Effekten im allgemeinsten Sinne die Fraunhofersche Methode nennen.
Das Verdienst von Zeiss erleidet aber keine Einschränkung durch den Umstand, daß der gleiche Gedanke gerade auf dem Gebiet der Optik, und an einem dem Mikroskop so nahe verwandten Ding, wie das Fernrohr ist, schon 40 Jahre vorher mit Erfolg betätigt worden ist. Denn die genauere Würdigung aller sachlichen Momente führt zu der Einsicht, daß diese frühere Betätigung durch Fraunhofer zwar wohl einen Wink für die Anwendung der gleichen Grundidee auch dem Mikroskop gegenüber gegeben hat, aber kein irgendwie leitendes Vorbild für die Verwirklichung hat bieten können — trotz der Gleichheit des Arbeitsfeldes und trotz der scheinbaren inneren Verwandtschaft der Aufgaben. Dieser auf den ersten Blick befremdliche Schluß beruht auf einem erst viel später[7] erkannten Gegensatz der beiden Grundprobleme der praktischen Optik, des Fernrohr-Problems und des Mikroskop-Problems, im Theoretischen sowohl wie in wesentlichen praktischen Bedingungen — einem Gegensatz, der es mit sich bringt, daß die Aufgabe der rationalen Darstellung, auch nachdem sie für das Fernrohr gelöst war, für das Mikroskop doch einen neuen, selbständigen Ansatz nehmen mußte, keine Übertragung des Verfahrens zuließ[8].
Da ich auf die Rechtfertigung dessen in meinem Vortrag nicht näher eingehen darf, begnüge ich mich zur Erhärtung des Gesagten mit dem Hinweis auf eine äußere Tatsache, aus der hervorgeht, wie weit der Gedanke von Carl Zeiss dem Bewußtsein gerade seiner Fachgenossen fern gelegen hat — nicht nur zur Zeit als jener ihm nachzugehen begann, sondern noch viel später. Denn noch vor etwa 15 Jahren, also zu einer Zeit, als längst alle Dampfmaschinen und alle Eisenbahnbrücken nach Fraunhoferscher Art gebaut wurden, konnte behauptet werden: die Mikroskope könnten auf diese Art nicht gebaut werden, und ein angesehener und unterrichteter Schriftsteller der Mikroskopie, der einem der besten Optiker der alten empirischen Schule persönlich nahe stand und daher das Arbeitsfeld kannte, konnte daraufhin die Richtigkeit der Angabe: daß sie hier in Jena seit 10 Jahren so gebaut würden, auch öffentlich in Zweifel ziehen. Auch ist es noch gar nicht so lange her, daß in den Augen vieler beim Mikroskop der Anspruch auf eine höhere Wertschätzung seitens der Vertreter der alten empirischen Schule noch mit der Erklärung begründet werden konnte: von ihnen werde es nicht wie in Jena gebaut. Erst seit etwa 10 Jahren ist die umgekehrte Versicherung: es werde genau wie in Jena gebaut, allgemein die Stütze für den Anspruch auf die höhere Schätzung geworden — wiederum Beweis dafür, daß die Idee des neuen Arbeitsplanes und die Möglichkeit ihrer Würdigung außerhalb des Gesichtskreises der Zeitgenossen lag.
Die Geschichte unserer Werkstätte ist nun hinsichtlich des ersten 30jährigen Abschnittes grundlegender Tätigkeit und zum Teil noch über diese Zeit hinaus nichts anderes als die Geschichte der Bestrebungen, in welchen jener Gedanke einer neuen, anders geregelten Art des Ineinandergreifens von Wissenschaft und Technik an den Aufgaben der Mikroskop-Optik sich betätigt und allmählich verwirklicht hat. — Die vorher zur Sprache gebrachten Umstände aber: einerseits die historische Priorität Fraunhofers hinsichtlich der erstmaligen Einführung dieses Gedankens in die Optik überhaupt, anderseits die eben betonte innere und äußere Selbständigkeit seines nochmaligen Auftretens gegenüber einer anderen Aufgabe des gemeinsamen Arbeitsfeldes — diese Umstände bringen es mit sich, daß in meiner weiteren Betrachtung das hiesige Geschehen überall in Vergleich treten muß mit der Tätigkeit Fraunhofers. Ich muß so das Wirken meines verstorbenen Freundes heranrücken an die phänomenale Figur, die auf dem gleichen Arbeitsfeld aus einem armen Münchener Spiegelschleifer im Anfang dieses Jahrhunderts herausgewachsen ist. In der Nähe dieser Figur muß allerdings manches kleiner sich ausnehmen, was, in der gewöhnlichen Umgebung gesehen, mit weniger abnormem Maßstab gemessen, größer erscheinen würde. Es gibt aber gar keinen anderen Standpunkt für eine richtige Würdigung der Lebensarbeit von Carl Zeiss, als ohne Scheu vor diesem Maßstab ihre Erfolge in Parallele zu setzen zu dem Wirken des größeren Vorgängers — obwohl, nachdem die geschichtliche Nachforschung auch auf die Einzelheiten dieses Wirkens Licht geworfen, jetzt an manchen Punkten mit bezug auf ihn zu sagen ist: mutato nomine fabula de te narratur — unter anderem Namen die Geschichte von Dir erzählt!
Es handelt sich nämlich hier um einen Parallelismus in den Dingen selbst, durchaus vergleichbar einer Erscheinung, die in der lebenden Natur öfters uns entgegentritt. Wie etwa das Wirbeltierauge in ganz verschiednen Tierreichen, ohne genealogischen Zusammenhang der Entwicklung, sich wiederholt, und, irgendwo entstanden, immer wieder die gleichen typischen Formen durchläuft, nur in Nebensächlichem modifiziert durch die Verschiedenheit der äußeren Bedingungen — so hat in unserem Interessenkreis die vorhin dargelegte Idee des verstandesmäßigen Aufbaues künstlicher Gebilde an zwei getrennten Stellen unabhängig eingesetzt, nur übereinstimmend in der Zweckbeziehung auf die Wirkungen des Lichts, und hat einen ganz parallelen Gang der Entwicklung durchlaufen, in den Abweichungen nur die Verschiedenheit des Ausgangspunktes und der die Entwicklung begleitenden Nebenumstände bekundend.
Es hat nämlich die konsequente Verfolgung der zuvor charakterisierten Idee in ihren beiden getrennten Gängen nicht nur im allgemeinen zu gleichartigem Endergebnis geführt — zu einem bedeutenden und dauernden Fortschritt in der Leistungsfähigkeit und Vollkommenheit der Erzeugnisse — dort des Fernrohrs, hier des Mikroskops — sondern der Weg des Gelingens zeigt auch hier dieselben charakteristischen drei Etappen wieder, durch die er bei Fraunhofer hindurchgegangen ist: als ersten Schritt die Reform der Technik der praktischen Optik, die Vervollkommnung der Methoden technischer Arbeit, als zweiten die Vertiefung und Ergänzung der theoretischen Grundlagen, welche die Behandlung der Aufgabe brauchte, und als letzten die Reform der praktischen Grundlagen, der Bedingungen für die Beschaffung des Urmaterials, des optischen Glases. Die Wiederholung dieser drei Stufen des Fortgangs in gleicher Reihenfolge ist aber durchaus nicht auch im Sachlichen eine Wiederholung dessen, was Fraunhofer im Verfolg seiner besonderen Aufgabe schon getan hat — so daß etwa, nachdem inzwischen die Tätigkeit Fraunhofers im ersten Viertel des Jahrhunderts genauer bekannt geworden, jetzt zu sagen wäre: wie schade, daß dasselbe zweimal hat getan werden müssen! Ganz im Gegenteil, die Wiederholung desselben Entwicklungsganges von einem ganz anderen Ausgangspunkt aus — nämlich vom Mikroskop-Problem — führte in allen wesentlichen Punkten zu wichtigen und unentbehrlichen Ergänzungen der Fraunhoferschen Arbeit in denjenigen sachlichen Momenten, die von seinem Ausgangspunkt aus nicht in den Gesichtskreis der Aufgabe eintreten konnten — so daß man vielmehr sagen muß: das nochmalige Einsetzen desselben Grundgedankens an einer anderen Sonderaufgabe der Optik und das nochmalige selbständige Durchlaufen aller seiner Konsequenzen von dem neuen Ausgangspunkt aus ist direkt notwendig gewesen, um diesem Grundgedanken eine vollständige, das ganze Feld der praktischen Optik beherrschende Entwicklung zu ermöglichen. Und das verleiht nun dem Wirken von Carl Zeiss neben Fraunhofer eine selbständige Bedeutung.
Ich kann hier nicht auf die einzelnen Etappen des gemeinsamen Entwicklungsganges eingehen, kann also auch nicht dartun, warum die vorher bezeichneten drei Fortschritte notwendige Postulate der Verwirklichung der Idee sind, warum vermöge des gegensätzlichen Charakters des Grundproblems in Hinsicht auf das Mikroskop andere, neu zu lösende Aufgaben vorlagen. Alles das muß ich der Vervollständigung dieses Vortrages bei seiner Drucklegung vorbehalten[9].
Nur zwei Punkte, die das einzelne betreffen, darf ich auch hier nicht ganz übergehen, weil in ihnen einzelnes eine besondere Bedeutung gewinnt.
Die Vervollkommnung der Technik optischer Arbeit gegenüber dem, was dem alten empirischen Verfahren genügen konnte, ist die allererste Voraussetzung für die Verwirklichung der rationalen Methode. Deshalb ist es für den Erfolg ganz wesentlich, daß Zeiss gleich von Anfang an ein ganz klares Bewußtsein dessen hatte und gleich von Anfang an alles darauf anlegte, in seiner kleinen Werkstatt eine sehr exakte Technik einzubürgern, die unsichere Geschicklichkeit der Hand überall unter die Kontrolle strenger Prüfungsmethoden zu stellen.
Auf dem Weg dieser Bestrebungen ist nun auch genau das Verfahren, welches für Fraunhofer, wie man jetzt weiß, eine wichtige Grundlage des Erfolges wurde, selbständig hier wieder erfunden worden, unter Umständen, die jeden Zusammenhang seines hiesigen Auftretens mit seiner ersten Entdeckung in München sicher ausschließen. Es ist dies die sinnreiche Methode zur Prüfung der Formen sphärischer und ebener Flächen mit Hilfe der sogenannten Farben dünner Plättchen, der Erscheinung, die uns ungesucht im bunten Farbenspiel der Seifenblasen entgegentritt. Diese Methode, nach welcher die Lichtwellen selbst den Maßstab zur Messung der allerkleinsten Form- und Größenunterschiede darbieten müssen, ist seit Beginn der sechziger Jahre auch hier der wichtigste Hebel gesteigerter technischer Leistungen geworden und das ABC-Buch der damals in hiesiger Werkstätte entstandenen neuen Schule exakter optischer Technik.
Zeiss hat indes diese technischen Fortschritte, wenn sie auch überall direkt unter der Leitung seiner Idee standen, doch nicht persönlich vollziehen können. Schon über die Jahre hinaus, in denen Auge und Hand noch schwierig zu erlernende Fertigkeiten sich aneignen können, und auch durch viele andere Ansprüche in seiner Zeit viel zu sehr beschränkt für mühsame technische Studien war er darauf angewiesen, für diesen Teil seiner Aufgabe von Anfang an die Geschicklichkeit, praktische Umsicht und Findigkeit eines anderen zu benutzen, den er zum Gehilfen seiner Arbeit frühzeitig gewonnen hatte. Er auch ist der Nacherfinder der eben erwähnten wichtigen Methode. Wir freuen uns alle, ihn heute noch unter uns zu haben, unseren treuen alten August Löber, den Begründer unserer Schule subtiler Technik, den Senior unserer ganzen Genossenschaft und den Lehrmeister, unmittelbar oder mittelbar, aller unserer tüchtigen Optiker. Für das Vorwärtskommen von Zeiss ist es von nicht geringer Bedeutung gewesen, daß gleich der erste, den er in der Verfolgung seiner Pläne als Mitarbeiter heranziehen konnte, so entgegenkommendes Verständnis für die eigenartigen Aufgaben, so hoch entwickelten Sinn für Präzision und Exaktheit, und so volle Hingabe seiner ganzen Person ihm entgegenbrachte. Solange also des Werkes von Carl Zeiss gedacht wird, in unserem Kreis und außerhalb desselben, wird auch das Andenken an seinen treuen frühesten Mitarbeiter lebendig bleiben, der am Gelingen des Ganzen so wichtigen Anteil hat — in dessen anspruchslosem Wirken ein Fraunhoferscher Gedanke neu erwacht ist[10].
Als zweites erwähne ich noch die Einwirkung, die auch hier, wie 50 Jahre früher bei FRAUNHOFER, der Grundgedanke von Zeiss auf die Reform der Darstellung des optischen Glases geübt hat, weil die Art, wie dieses hier geschehen, ein lehrreiches Beispiel bietet für die Macht, mit der die innere Folgerichtigkeit alles Geschehens überall sich Geltung schafft, wenn nur die Menschen ihren Faden nicht gewaltsam zerreißen. Zeiss ist sehr frühzeitig zum Bewußtsein gekommen, daß die Konsequenz seines ursprünglichen Programms auch die Notwendigkeit des Eingreifens in die Darstellung des optischen Glases einschließen konnte, wenn jenes Programm nicht auf halbem Wege Halt machen solle. Er hat aber — und nicht nur er — an diesen Gedanken lange Zeit mit innerem Widerstreben, um nicht zu sagen mit Abscheu, gedacht — sehr begreiflich, angesichts der ganz unabsehbaren Schwierigkeiten, die dem Eintreten in ein völlig fremdes Gebiet der Technik entgegenzustehen schienen. Das alles aber hat nicht hindern können, daß jener Gedanke, wenn auch lange ganz unbewußt, immer stärker die Behandlung der vorliegenden Aufgaben beeinflußte und leitete. Jahrelang haben wir neben wirklicher Optik sozusagen noch Phantasieoptik betrieben, Konstruktionen in Erwägung gezogen mit hypothetischem Glas, das gar nicht existierte, indem wir die Fortschritte diskutierten, die möglich werden würden, wenn einmal die Erzeuger des Rohmaterials dahin zu bringen sein sollten, für fortgeschrittene Aufgaben der Optik sich zu interessieren — was sie aber nicht taten. Und diese fast widerwillige Beschäftigung mit der Frage, die Verfolgung von Konjekturen, die man damals kaum ernst nahm, hat unbewußt nachherigem Fortschritt auch in dieser Richtung ebenso wirksam vorgearbeitet, wie es eine bewußte planmäßige Behandlung kaum besser hätte tun können. Denn auch in diesem allerdings absonderlichen Verfahren bestimmten sich schon alle Ziele und markierten sich schon alle Richtungen für eine zukünftige Reform der Glastechnik auf wissenschaftlicher Grundlage. Dem späteren wirklichen Anfang war damit jedes Herumtasten nach Ziel und Richtung erspart. Für den ideenreichen und tatkräftigen Mann, den zu Anfang der 80er Jahre die dunkle Ahnung seines eigentlichen Berufs in unseren Kreis geführt hat, bedurfte es jetzt nur ganz kurzer Zeit, um nicht allein alles, was durch den frühen Tod Fraunhofers verloren gegangen war, zu erneuern, sondern an Hand der allgemeineren Aufgabenstellung, die der Ausgang vom Mikroskop-Problem einschloß, in wichtigen Punkten über die Ziele Fraunhofers hinauszugelangen — so daß schon im Frühjahr 1887, als wir auch in unserem Kreis das Andenken Fraunhofers feierten, gesagt werden durfte[11]: die Wiedererneuerung seiner verloren gegangenen Kunst und ihre Fortentwicklung in seinem Geist sei der unverwelkliche Lorbeer, den zu seinem 100jährigen Geburtstag unser Jena an seinem Grabe niederzulegen habe.
Unser Freund Otto Schott aber wird gewiß keine Verdunklung seines persönlichen Verdienstes darin erblicken, wenn ich ausspreche: daß sein erfolgreiches Eingreifen, welches anerkanntermaßen allen Aufgaben der praktischen Optik neue Bahnen eröffnet hat, diesen Erfolg nicht gehabt haben würde, wenn seine Arbeit nicht unmittelbar sich hätte anschließen können an die fast 20jährige Vorarbeit, die aus dem Ideenkreis der Optischen Werkstätte ihm entgegenkam. Hat er doch die praktische Konsequenz dieses Gedankens rückhaltlos schon selbst gezogen darin, daß er unter freiwilligem Verzicht auf die natürlichen Vorrechte, die ihm aus der vollen Selbständigkeit seiner Arbeit im Chemischen und Technischen zustanden, auch sein Unternehmen in dauernden Zusammenhang mit der Carl Zeiss-Stiftung setzte[12].
Nachdem ich so den leitenden Gedanken in dem Wirken von Carl Zeiss nach seinen inneren Momenten betrachtet habe, muß ich auch noch einige Worte sagen über die besondere Art, wie seine Entwicklung durch die äußeren Umstände beeinflußt worden ist.
Carl Zeiss hat nicht, wie seinerzeit Fraunhofers fast übermenschliche Kraft vermochte, alles selbst leisten können, was für die erfolgreiche Verwirklichung seiner ersten Idee, für die volle Entwicklung ihres inhaltreichen Keimes zu leisten war. Weil seinem persönlichen Können engere Grenzen gesteckt waren, ist er in viel höherem Grad als Fraunhofer auf die Mitarbeit anderer angewiesen und in seinem Erfolg von dieser abhängig geblieben. Der Schätzung seines persönlichen Verdienstes tut dieses keinen Eintrag. Die Schranken der eigenen Kraft kühl ermessen können, aus der Erkenntnis solcher Schranken aber nicht Entmutigung zu schöpfen, sondern den Antrieb zum fortgesetzten Suchen nach der richtigen Ergänzung ist auch ein Verdienst; nicht viele bringen es fertig. Hat nun auch die Notwendigkeit solcher Ergänzung seinen Erfolg in höherem Grad, als es sonst der Fall sein würde, von der Gunst äußerer Umstände abhängig gemacht — solcher Umstände nämlich, von denen das Gewinnen geeigneter Mitarbeiter abhängig war — so darf man doch nicht sagen, daß sein Erfolg Sache des Glücks gewesen sei: er hat diese ihm unentbehrlichen Mitarbeiter gefunden, weil er sie gesucht hat — und unentwegt weiter gesucht hat noch in denjenigen Angelegenheiten, hinsichtlich derer mehrfacher Mißerfolg andere vielleicht von neuen Versuchen abgeschreckt haben würde. Soweit man in seinem Fall von Glück reden darf, ist es also nur die Art von Glück, die der Spruch meint: der Mensch ist seines Glückes Schmied.
Ein Moment aber bleibt doch übrig, auf welches dieses Wort nicht Anwendung finden kann: der räumliche und persönliche Zusammenhang seiner Wirksamkeit mit unserer Universität — die geistige Atmosphäre, in die er durch seine Niederlassung gerade in Jena gekommen ist, und gerade in einer Zeit, da aus dieser Atmosphäre neue aufstrebende Gedanken sich erhoben. Wie ich vorher schon andeutete, hat Jacob Schleiden ihn zuerst auf die Optik überhaupt gelenkt und auf die besonderen Aufgaben, die das Mikroskop darbot. Schleiden hat seine Arbeit fortgesetzt mit wärmstem Interesse begleitet, ihr immer neue Anregung und wichtige Förderung zuteil werden lassen. Noch in späten Jahren hat Zeiss mit Stolz erzählt, wie der geistreiche Naturforscher stundenlang in seiner kleinen Werkstatt gestanden, seine oder seiner Gehilfen Arbeit aufmerksam verfolgend; und mit dem Gefühl warmen Dankes hat Zeiss jederzeit ausgesprochen, daß sein Emporkommen ganz wesentlich bedingt gewesen ist durch den Rückhalt, den die Anerkennung und die Empfehlung Schleidens ihm, dem unbekannten Anfänger, damals geboten hat. Man würde aber sicher fehlgehen, wenn man etwa in dem Interesse Schleidens nur, oder wesentlich nur, den Ausdruck menschlicher Teilnahme für den tüchtigen und strebsamen Mann erblicken wollte, als welchen Schleiden Zeiss wohl alsbald erkannt hat. Dem widerspräche schon die Tatsache, daß Zeiss damals noch Neuling war im Gebiet der praktischen Optik, technische Vorbereitung nur für Arbeiten anderer Art besaß — und aus bloßem Wohlwollen treibt man nicht leicht jemand an, etwas ganz Neues zu beginnen mit völlig problematischer Aussicht des Erfolges. So muß also das Verhältnis beider Männer zu einander wohl etwas anders gedacht werden, denn als rein menschliche Anteilnahme des berühmten Mannes an dem Fortkommen eines strebsamen Anfängers. Der Mitbegründer der Zellenlehre greift in den Lebensgang von Zeiss vielmehr deutlich ein als der Vertreter der neuen Richtung wissenschaftlicher Interessen, die um die Mitte des Jahrhunderts das Studium der lebenden Natur auf neue Ziele und in neue Wege lenkte, zu ihrer Betätigung aber Hilfsmittel verfeinerter Beobachtungskunst unentbehrlich fand und neue Kräfte für die Vervollkommnung solcher Hilfsmittel in ihren Dienst zu ziehen suchen mußte. In Schleiden und dessen Schülern hat die neue Richtung der Biologie, die in den folgenden Jahrzehnten dem Mikroskop eine immer wachsende Bedeutung für die wissenschaftliche Arbeit des Jahrhunderts zugewiesen hat, gerade hier in Jena einen besonders kräftigen Anfang genommen. Und das beleuchtet nun die tiefere Wechselbeziehung, die zwischen dem geistigen Leben unserer Hochschule und der praktischen Arbeit von Carl Zeiss frühzeitig bestanden hat und die innere Abhängigkeit seiner Erfolge von den Impulsen aus diesem Kreis.
Jene aus dem Verkehr der Personen sich ergebende Wechselwirkung hat über Schleiden und seine nächsten Schüler hinaus die Optische Werkstätte durch ihre ganze Geschichte begleitet und ihr namentlich aus dem biologischen Interessenkreis fortgesetzt neue Anregungen und Antriebe zu neuen Aufgaben zugeführt. Einige Zeitlang war sie vorwiegend durch meine Person vermittelt, später hatte sie sehr mannigfaltige Wege gefunden. Um wenigstens einen zu nennen, von den vielen aus dem Kreis der hiesigen Hochschule, deren wir in diesem Zusammenhang dankbar zu gedenken haben, nenne ich Anton Dohrn, der bevor er sein kühnes Unternehmen am Golf von Neapel begann, durch einige Jahre, hin unserer Universität angehörte. Auch aus seinem kraftvollen und antriebreichen Wesen sind Strahlen damals in unser Haus eingedrungen.