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Wer anderen eine Grube gräbt …

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Die erste Attacke der Konservativen rund um Viktor Orbán gegen die linksliberale Medgyessy-Koalition wird zum PR-Desaster, sie ist quasi ein Schuss ins eigene Knie. Nur drei Wochen nach dem Amtsantritt von Péter Medgyessy als Ministerpräsident enthüllt die Zeitung „Magyar Nemzet“, das Sprachrohr der nationalkonservativen Partei FIDESZ, dass der amtierende Regierungschef während des Kommunismus für das damalige Regime gespitzelt hat. Sein Deckname war damals D-209. Veröffentlicht wird ein Dokument, wonach Medgyessy als Offizier im Dienste der Spionageabwehr stand.

Der Ministerpräsident dementiert heftig, spricht von Lügen und Verleumdung, räumt aber dann doch ein, dass er Ende der 70er-Jahre als ranghoher Mitarbeiter des Finanzministeriums unter strenger Geheimhaltung den Beitritt des kommunistischen Ungarns zum IWF, dem Internationalen Währungsfonds, vorbereitet habe, er also geheimdienstlich tätig gewesen sei. Die Geheimhaltung sei notwendig gewesen, weil die Sowjetunion stets gegen Ungarns IWF-Beitrittsambitionen aufgetreten sei, wie er sagt. Im Parlament rechtfertigt sich Medgyessy mit dem Argument, dass er geholfen habe, Staatsgeheimnisse zu schützen. Ein Agentenjäger sei kein Agent oder Informant, betont er vor den Parlamentariern, und er beteuert, niemanden bespitzelt und über niemanden Berichte geschrieben zu haben.

Doch die öffentliche Aufregung ist so groß, dass dem neuen Ministerpräsidenten nichts anderes übrig bleibt, als im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen, nicht zuletzt deshalb, weil die Medienberichte über die Agententätigkeiten des Genossen D-209 auch im Ausland hohe Wellen schlagen. Immerhin steht Ungarn knapp vor dem EU-Beitritt. Die konservativen Oppositionsparteien, allen voran Viktor Orbáns FIDESZ, fordern den sofortigen Rücktritt Medgyessys, sie sprechen von der schwersten Verfassungskrise im Nachwende-Ungarn und wittern die Chance auf Neuwahlen.

Doch sie freuen sich zu früh. Die von der Opposition herbeigeführte Regierungskrise ist nach 48 Stunden auch schon wieder vorbei. Die sozialistische Fraktion lässt ihren Kandidaten nicht fallen und spricht ihm das volle Vertrauen aus. Lediglich der Koalitionspartner der Sozialisten, der linksliberale Bund SZDSZ, gibt sich anfangs zögerlich, stimmt aber letztlich für den Verbleib des Ministerpräsidenten in seinem Amt, weil die Sozialisten versprochen haben, die Archive des kommunistischen Geheimdienstes vorbehaltlos zu öffnen. Mit diesem Zugeständnis retten sie den Fortbestand der erst vier Wochen alten Regierungskoalition.

Als Medgyessy wieder fest im Sattel sitzt, erfüllt er seinem Koalitionspartner (SZDSZ) das Versprechen der Sozialisten. Er initiiert eine Gesetzesänderung, wonach alle Akten der Staatssicherheit (Stasi) offengelegt werden müssen.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wird eingerichtet, der die Stasi-Vergangenheit aller Politiker seit der Wende durchleuchtet. Untersucht werden fünf Ministerpräsidenten, 97 Minister und 106 Staatssekretäre. Diese Untersuchung gerät zum glatten Desaster für Orbáns FIDESZ. Sie ergibt, dass in der ersten Orbán-Regierung (1998 – 2002) nicht weniger als fünf Regierungsmitglieder für den kommunistischen Geheimdienst tätig waren. Konkret genannt werden Außenminister János Martonyi, Finanzminister Zsigmond Járai, Europaminister Imre Boros, Verkehrsminister László Nógrádi und Staatssekretär László Bogár.

So viele Minister mit Stasi-Vergangenheit wie unter Orbán hat es noch in keiner Regierung Ungarns nach der Wende gegeben.

Viktor Orbáns FIDESZ ist es mit den Spitzelenthüllungen nicht gelungen, die Medgyessy-Regierung in Misskredit zu bringen. Im Gegenteil. Die Partei und auch Orbán selbst verlieren unmittelbar nach der Affäre massiv an Popularität. Im Ranking der beliebtesten Politiker steht Medgyessy plötzlich auf Platz eins. Orbán muss sich mit Rang 23 begnügen, eine Demütigung für den machtbewussten Ungarn.

Schöne Grüße aus dem Orbán-Land

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