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Finale: August von Goethe (1789–1830)
ОглавлениеAls sich August 1830 als 40-Jähriger auf den Weg nach Italien macht, ist vor allem das Reisetempo erheblich schneller geworden. Mit der Schnellpost und den neuen Dampfschiffen lassen sich weitere Strecken in kürzerer Zeit zurücklegen.
Hinzu kommt ein innerer Drang, eine innere Unruhe, die August von Weimar wegzieht. Seine Ehe mit Ottilie von Goethe ist zerrüttet, ihr literarisch interessiertes Wesen überfordert und der übermächtige Vater erdrückt ihn, sein Hofamt, in dem er immer wieder seinen Vater zu vertreten hat, ist ihm eine Last. In einem Brief an Wilhelmine Chr. S. Gille schreibt er am 1. Juli 1830 von Mailand aus: „Es ist freilich ein wunderbares Gefühl eine Zeit lang ganz sein eigener Herr zu seyn“. (S. 218) Anders als sein Vater stiehlt er sich allerdings nicht heimlich davon, seine Reise ist geplant und zunächst wird er auch von Johann Peter Eckermann begleitet. Dennoch ist die Reise eine Flucht. Sein anderer Fluchtmechanismus ist der Alkohol. Er flieht in das Sehnsuchtsland Italien, um körperlich und seelisch zu genesen.
Ähnlich wie sein Großvater will er Land und Leute kennenlernen:
„Deßwegen verfolge ich meine Zweke, Italien zu sehen u. kennen zu lernen, ich hoffe es gelingt mir und ist für meine ganze künftige Existenz sehr wichtig. Menschenkentniß und höhere Kunst- und Naturbildung sind etwas Großes. ... Kunst, Natur und Volks-Leben kennen zu lernen war mein Zwek und den habe ich so weit meine Kräfte reichen, erreicht“,
schreibt er am 16. Oktober 1830 an seinen Vater. (S. 191)
Die Tragik dieser Reise besteht jedoch darin, dass August dem Schatten seines Vaters nicht entfliehen kann. Italien ist Goethe-Land. Überall trifft er auf seine Spuren. Und er hat ihn auch innerlich parat. Er zitiert ihn in seinen Briefen, die er an ihn richtet. Er kauft ständig Medaillen und Münzen, um sie seinem Vater nach Weimar zu senden. Sein Vater ist allgegenwärtig. Seine Italienreise war der untaugliche Versuch, die innere Bindung zu lösen. Kurz vor seinem Tod blitzt das andere Motiv auf, die Emanzipation von seinem Über-Vater. In dem schon zitierten Brief, geschrieben wenige Tage vor seinem Tod, heißt es: „Es ist das erste mal, im 40t Jahre, dass ich zum Gefühle der Selbstständigkeit gekommen“.
Aber selbst im Tod, der letztmöglichen Form der Abnabelung, holt ihn sein Vater wieder ein. August wird in Rom auf dem protestantischen Friedhof an der Cestius-Pyramide beerdigt. Schon sein Vater hatte mit dem Gedanken gespielt, sich dort beerdigen zu lassen. Am 16. Februar 1788 schreibt er an Fritz von Stein: „Du schriebst neulich von einem Grabe der Miß Gore in Rom. Vor einigen Abenden, da ich traurige Gedanken hatte, zeichnete ich meines bei der Pyramide des Cestius.“ (Digitale Bibliothek 10, S. 4301; www.goethezeitportal. de; abgerufen am 23.08.2020) Während seines zweiten römischen Aufenthalts – eben im Februar 1788 – stellt er bereits Überlegungen zu den eigenen Beerdigungsfeierlichkeiten an: „Wenn sie mich indessen bei der Pyramide zur Ruhe bringen, so können diese beiden Gedichte [Gedicht auf Hans Sachs und auf Miedings Tod – d.V.] statt Personalien und Parentation [Grabrede – d.V.] gelten.“ (S. 519) Das Makabre schließlich ist, dass auf dem von Thorvaldsen gestalteten Grabstein nicht der Name des Verstorbenen steht, sondern der Verweis auf seinen Vater:
„GOETHE FILIUS PATRI ANTEVERTENS OBIIT ANNOR XL – MDCCCXXX“
(Goethe der Sohn, seinem Vater vorausgehend, starb 40-jährig, 1830).
Vielleicht hatte August bereits vor seiner Italienreise eine Ahnung von seinem zukünftigen Schicksal. 1829 verfasste er folgendes Gedicht.
Ich will nicht mehr am Gängelbande
Wie sonst geleitet seyn,
Und lieber an des Abgrunds Rande
Von jeder Fessel mich befreien.
Und ist auch sichrer Sturz bereitet,
Ich weiche nicht vom schmalsten Pfad,
Um Rechtthun mancher wird beneidet,
Und wohl ist dieß die schönste That.
Zerrissnes Herz ist nimmer herzustellen,
Sein Untergang ist sichres Loos,
Es gleicht vom Sturm gepeitschten Wellen
Und sinkt zuletzt in Thetis Schooß. –
D’rum stürme fort in deinem Schlagen,
Bis auch der letzte Schlag verschwand,
Ich geh’ entgegen bess’ren Tagen,
Gelös’t ist hier nun jedes Band!
(S. 283 f)
Abb. 6: August von Goethe. Gemälde von Ehrengott Grünler (1828)