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Ein Dialog im Himmel

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Anstelle eines Vorworts

Zum Dämmerschoppen treffen sich Johann Caspar, sein Sohn Johann Wolfgang und dessen Sohn August regelmäßig in der himmlischen Kneipe „Zum Frankfurter Bub“. Diesmal geht es beim Thema „Italien“ doch recht hoch her.

Johann Wolfgang: Mein lieber Sohn, ich bin nach wie vor entsetzt, wie du dein italienisches Leben so verschleudert hast.

August: Ach nein, nicht schon wieder diese Leier ...

Johann Caspar: Also, Wolfgang, jetzt mäßige dich mal. Die Jugend hat feuriges Temperament, sie will leben und macht halt einiges anders als wir.

Johann Wolfgang: Ja, ja das sprichwörtliche Verständnis der Großväter für ihre Enkel. Mit Verlaub, es hängt mir zum Halse raus. Er war auf meinen Spuren ...

Johann Caspar: ... die auch meine waren ...

Johann Wolfgang: Ja schon gut, er war also auf unseren Spuren in Italien – und was hat er daraus gemacht? Er hat mir tausend Briefe geschrieben ...

Johann Caspar: Auch ich habe Briefe geschrieben ...

Johann Wolfgang: Ja, deine Briefe hast du wenigstens nur an dich selbst adressiert. Aber ich musste mich mit seinen herumschlagen, in denen er wie ein Buchhalter jeden Schritt beschreibt, jede Kutschenfahrt auf die Minute dokumentiert, jeden Schluck Rotwein – was heißt schon Schluck, jeden Rausch. Und er meint, dass er das der Nachwelt überliefern muss. Das ist dekadent.

August: Mir war es halt wichtig, dich teilnehmen zu lassen ... deshalb habe ich auch vieles für dich gesammelt und nach Weimar geschickt.

Johann Wolfgang: Ja, gut gemeint, aber miserabel ausgeführt. Und der ganze Plunder, ich wusste gar nicht, wohin damit ...

Johann Caspar: Wolfgang, jetzt hör mal zu. August hat es gut gemeint und bei den Briefen muss ich dir widersprechen – ich habe die Briefe mit Genuss und Freude gelesen. Lehrreich sind sie, sehr lehrreich.

Johann Wolfgang: Da kommen jetzt zwei verwandte Seelen zusammen. Du, lieber Vater, konntest dich nicht entblöden, jede gerade noch lesbare Inschrift abzuschreiben, zwanghaft, wirklich zwanghaft und für was, frage ich, für was?

Johann Caspar: Dokumente unserer Kultur, aufhebenswert, sehr aufhebenswert. Das wollte ich bewahrt sehen.

Johann Wolfgang: Ihr beiden habt doch nur an der Oberfläche herumgekratzt. Reine Faktenhuberei. Stimmt ja alles, ist alles korrekt. Aber was habt ihr gelernt? Was hat das, was ihr gesehen und erlebt habt, mit euch gemacht? Hat es euer Leben beeinflusst oder gar verändert? Wohl kaum.

August: Na ja, mir ist schon klar geworden, dass ich bis dato noch gar nicht richtig gelebt habe.

Johann Wolfgang: Was meinst du damit?

August: Das ist der Schatten über meinem Leben.

Johann Wolfgang: Was für ein Schatten?

August: Du warst der Schatten. In Weimar konnte ich aus diesem Schatten nie heraustreten.

Johann Wolfgang: Ach paperlapapp. Du hattest alle Chancen, ich habe dir viele Wege geebnet.

August: Ja, du – immer nur du!

Johann Caspar: Jetzt ist es aber gut. Italien war doch für uns alle, ja was war es? Irgendwie ein Fixpunkt. Wie heißt es so schön? Alle Wege führen nach Rom.

Johann Wolfgang: Ja und dann noch „Roma aeterna“, ewiges Rom. Natürlich war Rom ein Höhepunkt in meinem Leben. Und ich bin richtig eingetaucht, habe Italien mit allen Sinnen erlebt. Ganz tief in mir kam schon mal der Gedanke auf, mich in Italien niederzulassen.

Johann Caspar: Das ist mir ja neu.

Johann Wolfgang: Das habe ich bisher auch noch keinem gesagt.

August: Und warum bist du nicht in Italien geblieben?

Johann Wolfgang: Na ja, ich hatte auch Pflichten in Weimar, ihr wisst schon ...

August: Ach – da fällt mir noch ne kleine Sache ein. Großvater, weißt du eigentlich, dass dein Sohn mal darauf spekuliert hatte, sich in Rom beerdigen zu lassen?

Johann Caspar: Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. In Italien leben und in Rom beerdigt werden ...?

Johann Wolfgang: Ja, das war ein schwacher Moment in meinem Leben.

August: Ach Vater, da warst du mal so richtig schön sentimental.

Johann Caspar: Oh, mein Filius sentimental!

August: Vor Jahren fiel mir zufällig ein Brief vom Vater in die Hände, ein Brief an Fritz von Stein. Hatte er im Frühjahr 88 in Rom geschrieben. Da hing er leicht trübsinnig an der Cestius-Pyramide rum. Ich zitiere: Vor einigen Abenden, da ich traurige Gedanken hatte, zeichnete ich meines – und da meinte er sein Grab – bei der Pyramide des Cestius ... “.

Johann Caspar: Da bin ich ja sprachlos.

Johann Wolfgang: Na ja, war halt so eine depressive Verstimmung. Kann ja jedem mal passieren.

August: Was mir jetzt bewusst wird: Das hast du gewollt, also nur gewollt – aber ich hab’s gemacht, äh, na ja, nicht ganz freiwillig, aber immerhin ...

Johann Caspar: Ihr macht ja Dinger. Ich finde, wir sollten uns jetzt einen Schoppen Äppelwoi gönnen.

Johann Wolfgang und August: Das ist mal ne gute Idee.

Johann Caspar: ... und August – nur ein Schoppen!


Abb. 1: Pyramide des Cestius im Vollmondlicht Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe (1787)

Mit der Kutsche durch Italien

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