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Italien in drei Akten Auftakt: Johann Caspar Goethe (1710–1782)
ОглавлениеEtwa zwei Jahre war Johann Caspar Goethe insgesamt „auf Achse“. Nachdem er 1738 in Gießen zum Doktor beider Rechte mit einer Arbeit über den römischen und deutschen Erbvollzug promoviert worden war, hielt er sich in den ersten Monaten des nächsten Jahres am Reichstag in Regensburg auf, um anschließend am Reichshofrat in Wien teilzunehmen. Wien war damals bereits eine richtige Großstadt: 1754 wurden 175 000 Einwohner gezählt. Am 30. Dezember 1739 trat der 30-Jährige von dort aus seine Italienreise an. Aber bereits nach wenigen Tagen gab es eine unangenehme Überraschung: An der Grenze zu Venetien wurde er für vier Wochen unter Quarantäne gestellt. „Unglücklicherweise hatte ich meine Reise begonnen, ohne zu bedenken, daß in der Türkei die Pest wütete und sich auch schon an der ungarischen Grenze bemerkbar machte.“ (S. 13) Bei Palmanova „fand ich den Grenzübergang und die Hauptstraße mit Gattern versperrt; bei meiner Ankunft wurden diese geöffnet, und der wachhabende Offizier trat mir entgegen.“ Kurz und gut: Zusammen mit seinem Diener wurde er für einen Monat eingesperrt, das Essen war eintönig und wenig abwechslungsreich und zu guter Letzt – und das „fuchste“ ihn besonders – musste er dafür auch noch bezahlen. Es war nur ein schwacher Trost, dass ihn der „Direktor der Quarantäneanstalt“ durch die Festung Palmanova führte. Die Venetianer hatten 1593 mit dem Bau der imposanten, sternenförmigen Festungsanlage begonnen.
Am 12. Februar 1740 traf er dann endlich – pünktlich zum Karneval – in Venedig ein.
Das nun war der Beginn einer in dieser Zeit typischen Bildungsreise: Nach dem „Corso“ und seiner Heimreise über Paris und Straßburg kehrte er im Sommer 1741 nach Frankfurt am Main zurück.
Seine „Viaggio per l’Italia“, also seinen italienischen Reisebericht, hat er allerdings erst rund 25 Jahre später geschrieben in Form fiktiver Briefe in die Heimat. Das Besondere liegt allerdings darin, dass er ihn in der Landessprache verfasste. Seine Heimatstadt Frankfurt war damals eine wichtige Drehscheibe im deutsch-italienischen Handel, weshalb es nicht ungewöhnlich war, dass Frankfurter Kaufleute und die gehobenen Kreise Italienisch sprachen. Johann Wolfgang hält dies auch sehr dezidiert in „Dichtung und Wahrheit“ fest:
„Seine Vorliebe für die italienische Sprache und für alles was sich auf jenes Land bezieht, war sehr ausgesprochen. Eine kleine Marmor- und Naturaliensammlung, die er von dorther mitgebracht, zeigte er uns auch manchmal vor, und einen großen Teil seiner Zeit verwendete er auf seine italienisch verfaßte Reisebeschreibung, deren Abschrift und Redaktion er eigenhändig, heftweise, langsam und genau anfertigte“ (S. 15 f).
Also eine Bildungsreise. Johann Caspar war ein Kind der Aufklärung und das bedeutete, dass er der Welt in einer besonderen Weise gegenübertrat. Es ging darum, die Welt in einem enzyklopädischen Sinn kennenzulernen. Entscheidend ist dabei das unmittelbare Erleben, die persönliche Erfahrung, das persönliche „Erreisen“. Das ist die Grundlage für ein Wissen, das einen umfassenden Anspruch erhebt. Alle nur denkbaren Aspekte von Natur und Geschichte, von Brauchtum und Architektur, von Kunst und Handel sollten Gegenstand der Beobachtung sein. Kein Wunder, dass vieles deshalb nur oberflächlich bleibt. Johann Caspar war als Aufklärer dem Objekt, dem Objektiven verhaftet, dem etwas Beliebiges anhaftete: Italien als Panoptikum des Äußerlichen, dem bei aller Liebe zu dem so anderen Land doch die innere Beteiligung fehlt. Das enzyklopädische Interesse artete in eine Art „Faktenhuberei“ aus: Die unendliche Sammlung von Inschriften belegt das.
Ein anderer Duktus, persönlich und innerlich beteiligt, findet sich dort, wo Johann Caspar sich als bewusster Protestant mit den Erscheinungsformen des Katholizismus auseinandersetzt. Auch wenn er die oft widrigen Umstände seiner Reise beschreibt und sein Misstrauen gegenüber betrügerischen Italienern und den allgegenwärtigen Schmutz formuliert, ist sein Stil lebendig und plastisch.
Johann Caspars „Viaggio per l’Italia“ ist in dieser Mischung ein eindrucksvolles Dokument für die Lebenseinstellung und das Wertgefüge des aufgeklärten deutschen Bürgertums des 18. Jahrhunderts.
Abb. 3: Aquarell von Georg Friedrich Schmoll (1774)