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Der Büttel

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Einst diente am örtlichen Amtsgericht der Gerichtsdiener Albert Bangser, auch Büttel3 genannt. Ihm wurde vom Volk große Achtung entgegengebracht, vor allem flößte seine stattliche Figur den Leuten großen Respekt ein. Sein Dienst brachte es mit sich, dass bei den verschiedentlichen Gerichtsverhandlungen jede noch so kleine Verfehlung, also Brisantes aus dem Leben von Anklägern, Beschuldigten oder Zeugen, hinterfragt und somit im Gerichtsaal offengelegt wurde. Oftmals musste der eine oder andere dort so manches aussagen, was nicht für alle Ohren bestimmt war. Besondere Aufmerksamkeit schenkte Albert gerne den kleineren Fehltritten aus dem Alltag, die ihm als recht brisant erschienen und die ihm vielleicht auch mal dienlich sein könnten.

Eines Tages musste eine äußerst hübsche Lehrerin vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Zeugin bestätigen, dass sie zur Tatzeit mit dem Verdächtigten ein Techtelmechtel35 hatte. Interessant, interessant dachte sich Albert, eine verheiratete Frau, die bereit ist, sich auch mit fremden Männern zu amüsieren. Die muss man sich merken.

In einer anderen Gerichtsverhandlung bezeugte ein ansässiger Kaufmann, dass er zur Tatzeit mit dem Tatverdächtigten unterwegs war und sie gemeinsam ein bestimmtes Etablissement aufsuchten. Er bat um Diskretion, denn seine Frau würde ihm diesen Fehltritt sicher niemals verzeihen. Auch dieses Geständnis erschien dem Büttel äußerst epochal und wer weiß, vielleicht ließe sich daraus irgendwann einmal Kapital schlagen.

Ein andermal war es eine Ärztin, die als Zeugin geladen war und angab, zum Tatzeitpunkt sich mit der beschuldigten Angeklagten in ihrer Ordination aufgehalten zu haben. Bei genauerem Nachfragen stellte sich heraus, dass sie dort zusammen nicht nur tratschten, sondern auch einen Joint rauchten. Ja, wenn das an die Öffentlichkeit kommt, dann schlägt das sicher hohe Wellen, freute sich Herr Bangser.

So hochexplosives Hintergrundwissen wollte der Büttel nicht ganz ungenutzt lassen. Nach reiflicher Überlegung und intensiver Planungen konfrontierte er eiskalt seine auserwählten Protagonisten mit ihrer brisanten Vergangenheit. Das Erstaunliche daran war, dass alle drei Personen, unabhängig voneinander, sich sofort einverstanden erklärten, ihre dunkle Geschichte durch kleinere Anerkennungen an den Büttel vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Mittels dieser Zusagen konnte der Gerichtsdiener fortan ein feudales Dasein genießen. Beim Kaufmann konnte er billigst einkaufen, die Ärztin verschaffte ihm die nötigen Mittelchen, die er brauchte, um sich mit der untreuen Lehrerin zu amüsieren. Seine Rechnung ging somit voll auf, denn er hatte die heimlichen Delinquenten voll in der Hand, weil die drei eisern schwiegen, damit sie von ihrer schrägen Vergangenheit nur ja nicht eingeholt wurden. Alles ging gut, bis sich eines Tages die Pädagogin während einer ärztlichen Untersuchung verplapperte. Im daraus entstandenen Gespräch zwischen Medizinerin und Pädagogin kam zutage, dass der Büttel beide Frauen zu seinem Vorteil nötigte. Es war nicht einfach für die Ärztin, ihrem Gegenüber gestehen zu müssen, dass sie diejenige war, die diesem Unhold die gewissen Dinge verschaffte und noch immer muss, damit sich seine amourösen Rendezvous intensiver gestalteten. Im Verlauf dieses Gesprächs erinnerte sich die hübsche Lehrerin auch daran, dass dieser Unhold, um die Stimmung bei diesen Treffen etwas anzuheben, stets eine Flasche Champagner mitbrachte. Bei dem Einkommen eines Gerichtsdieners war das schon etwas verdächtig, fand Frau Doktor, doch woher stammten wohl diese teuren Wässerchen. „Ich glaube, ich habe einmal auf einer dieser Flaschen ein Preisschild vom ortsansässigen Kaufladen gesehen“, erinnerte sich die Lehrerin. Sofort brach man gemeinsam auf und stattete dem Ladeninhaber einen Besuch ab. In einer Unterredung unter sechs Augen kam dann die ganze Geschichte zutage. Fazit dieser Unterhaltung: Jeder dieser drei war mit seiner Situation unzufrieden und wollte schnellstmöglich aussteigen. Von da an waren sie zu dritt im Bund gegen diesen ehrlosen Erpresser. Gemeinsam wurde ein Plan geschmiedet, um diesem Unhold endlich sein fieses Handwerk zu legen.

Beim nächsten geheimen Rendezvous in ihrem angestammten Hotel, erwartete die hübsche Lehrerin bereits ihren Peiniger in reizvoller Pose. In voller Lustlaune entledigte sich der Unhold seiner Kleider und wollte sich gerade auf sein Opfer stürzen. Genau in dem Moment erschienen ihre Verbündeten aus ihrem Versteck. Splitterfasernackt stand ihnen der Büttel gegenüber und vor lauter Schreck vergaß er sogar, sich zu bedecken. Peinlich, peinlich …

Nachdem der Peiniger sich einigermaßen von seinem Schrecken erholt hatte, nahm das Trio ihn in die Mangel. Eiskalt konfrontierten sie ihn mit seinen Erpressungen. Anfänglich leugnete der Büttel noch, musste aber dann, ob er wollte oder nicht, sein ehrloses Handeln gestehen. Daraufhin griffen die drei hart durch und verklagten diesen Unhold bei Gericht. Doch wie so oft im Leben, genau dann wenn’s wegweisend wird, geht alles schief. Irgendwie muss der Teufel mitgespielt haben, denn die Klage wurde bei Gericht wegen Geringfügigkeit abgewiesen. Wer hatte hier wohl seine Hand im Spiel, war’s der Teufel persönlich oder war dem Büttel gar seine Anstellung bei Gericht dabei dienlich?

Super gelaufen für den Gerichtsdiener, darum wollte er auf keinen Fall weiterhin auf seine genussvollen Rendezvous verzichten und versuchte, die drei erneut zu erpressen, aber irgendwie ohne Erfolg. Die Lehrerin erschien nicht mehr zu den geheimen Treffen, der Kaufmann gewährte ihm zwar noch einen kleinen Rabatt, aber in der Ordination der Ärztin hatte er striktes Hausverbot. Doch wie lange können sich die drei noch gegen diesen Despoten wehren? Denn diese Pattstellung stimmte den Büttel nachdenklich und er suchte bereits nach einer Lösung. Unternahm er nichts, dann gehörten das vergnügliche Leben und die kostengünstigen Einkäufe sicherlich der Vergangenheit an. Hm, vielleicht sollte er mehr Druck ausüben, indem er einen dieser drei dem Volk vorführte. Doch halt, je länger er darüber nachdachte, musste er einsehen, dass dies vielleicht nicht so ganz gescheit wäre. Würde er die Lehrerin verpfeifen, dann würde sie zu keinem Rendezvous mehr bereit sein. Stellte er die Ärztin bloß, würde sie keinesfalls das Hausverbot in ihrer Ordination aufheben und verriete er den Kaufmann bei seiner Frau, dann würden die kostengünstigen Einkäufe in seinem Geschäft wohl der Vergangenheit angehören. Egal wie, sobald er nur einen dieser drei auffliegen ließe, wäre der Spaß für immer vorbei. Außerdem würde dann die Öffentlichkeit ganz sicher von dieser hinterlistigen Geschichte erfahren. Ob er wollte oder nicht musste er sich eingestehen, dass sich das Blatt zugunsten seiner Genötigten gewendet hatte. Nach reiflicher Überlegung entschloss er sich, auf weitere Gefälligkeiten zu verzichten und einfach Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Zwei Jahre zogen ins Land, ohne dass der Büttel versuchte diese Leidgeprüften nochmals zu bedrängen. Natürlich sprachen sich mit der Zeit einige Details dieser fiesen Erpressung im Dorf herum, selbstverständlich nur hinter vorgehaltener Hand. Zwar wusste keiner so genau, was sich wirklich so alles hinter diesen Gerüchten verbarg, aber allen war klar, dass der Büttel hier ein ganz fieses Spielchen getrieben haben musste. Diese Enthüllungen kostete den Gerichtsdiener all seinen Respekt und Ansehen bei der Bevölkerung, was ihn immer mehr zu einem verkorksten und eigenartigen Gesellen werden ließ. Zu allem Pech wurde er auch noch schwer krank. Täglich ging’s dem Gerichtsdiener schlechter, sodass man fürchten musste, dass er bald sterben würde. Es gab nicht viele Mitbürger, denen sein Elend naheging, schon gar nicht denjenigen, die er einst so hinterhältig erpresst hatte, denn jene sahen darin seine gerechte Strafe für sein schandloses Treiben. Als seine Kräfte immer mehr nachließen, gestand er seinen Leuten, dass er keine Angst vor dem Sterben habe, sich jedoch unheimlich vor dem Teufel fürchte. Warum wohl?

Eines Tages fuhr mitten in der Nacht eine schwarze Karosse durch den Ort und hielt direkt vor dem Haus des Gerichtsdieners. Ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, stieg aus und lief eiligen Schrittes durch das offene Tor ins Haus. Wie im Fluge verbreitete sich die Kunde und sogleich wurde überall gerätselt, ob da gerade der Leibhaftige seine versprochene Seele einforderte oder es doch nur der Bestatter war?

Fazit: Eines solltest du dir merken, fordere niemals unbedacht den Teufel zum Tanz auf, denn dieser hat noch keinen Tanz ausgelassen.

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