Читать книгу Tagträumereien - Ernst Luger - Страница 9

Was für ein Tag

Оглавление

Der Wecker holt Robert unsanft aus dem Schlaf. Als dieser seine Augen zaghaft öffnet, breitet sich über ihm ein Sternenhimmel aus. Robert hasst den Wecker. Nur aufstehen, um den ganzen lieben langen Tag an seinem Schreibtisch sitzend den Bürostuhl zu malträtieren, das kann’s doch nicht sein. Zudem fühlt er sich heute besonders schlecht, weil ihn zusätzlich zu seinen Gräuelgedanken noch eine Gewissensfrage quält: „Was war da gestern los, warum geht’s mir heute so schlecht? Oh Gott, mein Kopf, ich glaube, in meinem Kopf hat sich ein Wespennest angesiedelt.“

Jeder durchzechten Nacht von Robert folgt ein scheiss Morgen mit immer derselben Gewissensfrage und demselben Murks, bis er es geistig und körperlich schafft, das Bett zu verlassen. Langsam kriecht er aus seinem Nachtlager und trottet benommen ins Badezimmer. Als er in den Spiegel schaut, gafft ihm seine Tagesmaske entgegen, die ihm unmissverständlich verrät, dass heute nicht unbedingt er der Schönste im ganzen Land ist. Duschen hilft da hoffentlich weiter, denkt er sich, wird aber enttäuscht. Aus diesem Grund lässt er das Frühstück sicherheitshalber sausen und macht sich geradewegs auf den Weg ins Büro.

An der Bushaltestelle angekommen, wartet dort bereits Schneewittchen ganz in Weiß auf den gleichen Bus wie Robert. Ihre sieben Zwerge, die sie dabeihat, tragen alle gelben Westen und sind verdammt laut, zu laut für Robert. Der Bus kommt, endlich, doch Robert muss erst warten, bis Schneewittchen ihre sieben Wichtel im Inneren des Busses verstaut hat – und das dauert ein Weilchen. Wie’s so ist, der eine will unbedingt am Fenster sitzen, ein anderer aber auch. Ein dritter muss dringend aufs Klo, ein anderer möchte wieder nach Hause. Schneewittchen hat Stress pur, Robert hingegen glotzt sie die ganze Zeit an, grad so, als ob sie eine Fata Morgana wäre. Dem holden Mädel entgeht das nicht und verärgert ruft sie ihm zu: „Was glotzt du mich so an, habe ich einen roten Pickel auf der Nase, oder was?“

„Entschuldige, ich war nur so in Gedanken. Nein, du hast keinen Pickel auf der Nase, ich bewundere nur deine Geduld mit diesen Rackern. Gehören diese Kinder alle dir?“

„Sag mal, spinnst du, so eine blöde Anmache habe ich schon lange nicht mehr gehört. Hör auf mich doof anzulabern, habe genug mit den Kleinen hier zu tun. Schau dass du weiterkommst und geh mir aus dem Weg.“

Robert versteht die Welt nicht mehr, darum lässt er Schneewittchen einfach Schneewittchen sein und steigt an der nächsten Haltestelle wieder aus. Er hat beschlossen zu Fuß weiterzugehen, um noch etwas auszulüften, damit später im Büro niemand was von seinem nächtlichen Ausrutscher merkt. Auf dem Weg dorthin sitzt plötzlich Rotkäppchen auf einer Parkbank. Das junge Mädchen trägt eine rote Mütze und hat einen Korb voller Sachen bei sich. Robert kann es nicht lassen, er muss sie einfach ansprechen: „Wohl auf dem Weg zur Großmutter, was?“

„Pass nur auf, dass dich kein Wolf frisst“, kontert couragiert das junge Mädchen. Doch Robert wollte sie nicht anmachen, er wollte lediglich lustig sein. Ist wohl nicht sein Tag heute, darum weicht er einem weiteren Wortwechsel aus und schreitet auf seinem Weg voran.

Später, als er an seinen Schreibtisch sitzt, schleicht sich ein Arbeitskollege in sein Büro. Jener hat schon lange auf Robert gewartet, denn er will unbedingt der Erste sein, der Robert die Hiobsbotschaft überbringt. „He Röbi (Kurzform von Robert), hast du das von Jasmine gehört?“

„Nein, aber sag’s mir nur, wenn’s wichtig ist.“

„Du kennst ja den neuen Mitarbeiter in der Buchhaltung, er soll Jasmin geschwängert haben.“

Robert glaubt nicht recht zu hören und kippt fast aus den Schuhen. Blind vor Wut und mit hochrotem Kopf läuft er ins Büro seiner Freundin. „Was erzählt man mir da, warum lässt du dich mit so einem Scheißkerl ein?“

„Robert, war Norbert bei dir? Klar, da hat wieder dieser Münchhausen seine Finger im Spiel. Schon den ganzen Vormittag erzählt dieser Depp überall herum, ich sei schwanger – und du komischer Vogel glaubst ihm das auch noch. Hat’s bei dir eigentlich noch nicht geklingelt, heute ist der 1. April, es ist also nur ein Aprilscherz, du Scherzkeks.“

Heute scheint wirklich nicht Roberts Tag zu sein. „Entschuldige, aber diese Nachricht hat mich tief getroffen.“

Die Entschuldigung ist wohl nicht so angekommen, denn Jasmine lässt Robert eiskalt abblitzen. Der Vormittag zieht sich ohne weitere Komplikationen hin. Zum Mittagessen, da Jasmin nicht mitkommen will, geht Robert allein zum Chinesen ums Eck. Da er heute nicht gerade gut gelaunt scheint und allein sein möchte, setzt er sich an einen leeren Tisch. Nicht lange, da erscheint ein Fremder und fragt höflich, ob er sich dazusetzen darf. Da Robert einfach der Kopf brummt und er keine Konservation mit irgendwelchen fremden Leuten führen will, bleibt er dem Fremden die Antwort schuldig und offenbart seine Frustration, indem er ihn keines Blickes würdigt. Doch der Fremde hält nichts von Roberts Abweisung und sogleich entflammt ein verbaler Schlagabtausch, den Robert haushoch verliert. Eigentlich wollte er nur seine Ruhe, warum versteht dieses Rumpelstilzchen das nicht. „Was bin ich, ein Rumpelstilzchen?“ schreit der Fremde und holt schon aus, zieht Robert eins über und verlässt wutentbrannt das Lokal. Mit blutender Nase steht Robert nun da und weiß nicht mehr, wo links und wo rechts ist. Die anderen Gäste schauen ihn nur fragend an und schütteln den Kopf. Was wohl denken sich diese Leute, wahrscheinlich dass er ein ungehobelter Rüpel ist.

Robert bricht abrupt seinen ereignisreichen Mittagstisch ab und, um sich nicht noch mehr Stress einzuheimsen, nimmt er sich den Nachmittag frei. Zur geistigen Ablenkung versucht er im nahen Wald zu joggen. Die Idee scheint nicht so grandios zu sein, denn nach dieser durchzechten Nacht fehlt ihm nicht nur die Kondition, auch seine Motivation lässt zu wünschen übrig. Als Robert so dahinspaziert, begegnen ihm zwei Knaben, beide so sieben, acht Jahre alt. Sie weinen bitterlich und als er sie nach dem „Warum“ fragt, sagt der eine: „Wir haben unsere Mutter verloren und finden nicht mehr nach Hause.“

„Ja, da kann euch ganz sicher die Polizei helfen, die findet sicher schnell heraus, wo eure Mutter wohnt.“

Gesagt getan, nimmt er die beiden bei der Hand und begleitet sie zum nächsten Polizeirevier. Doch oh Schreck, genau vor der Eingangstür zum Polizeirevier reißen sich die zwei Bengel los, rennen weg und von Weitem hört Robert sie schelmisch lachen und „April, April“ rufen. Erneut steht er da wie ein begossener Pudel und ärgert sich über seinen beschissenen Tag. Warum müssen ihm Hänsel und Gretel genau am ersten April über den Weg laufen? Robert hat genug, geht geradewegs nach Hause, schließt sich dort ein, legt sich ins Bett und zieht die Bettdecke über den Kopf.

Im Handumdrehen rasselt wieder dieser widerliche Wecker. Als er seine Augen öffnet, breitet sich über ihm kein Sternenhimmel aus. Trotzdem braucht es etwas, bis er so weit wach ist, dass er sich in die Realität einklinken kann. Erst jetzt bemerkt Robert, dass Jasmin neben ihm liegt. Ach ja, jetzt erinnert er sich wieder, gestern haben sie zusammen ihre Verlobung gefeiert. Wecker hin oder her, heute liebt ihn Robert und mit Elan schwingt er sich aus den Federn. Während er Jasmine das Frühstück ans Bett serviert, jubelte er laut vor sich hin: „Ach Gott, was für ein Tag, auch wenn’s der erste April ist, heute ist ganz sicher mein Glückstag.“

Tagträumereien

Подняться наверх