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5. Kapitel

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Seine Reise nach Karachi war über Umwege erfolgt, schließlich sollte niemand den Bestimmungsort seiner Reise kennen. Nachdem er in Delhi eintraf, musste er vier Tage warten, da sein Flug nach Gujarat erst am zwölften Dezember erfolgen sollte. Natürlich hatte er sich, als er aus der Kälte von Berlin über München abreiste viel zu warme Kleidung angezogen. Beim Verlassen des Flugzeugs spürte er sofort, wie sich der Schweiß unter seinen Schultern selbstständig machte und langsam am Körper entlang lief, bis er von dem noch locker sitzenden T-Shirt aufgefangen wurde. Obwohl die Temperatur nur dreiundzwanzig Grad betrug, wollte er augenblicklich den dicken Pullover loswerden.

Auf der Suche nach der Gepäckausgabe musste er sich eingestehen, dass er den Begriff Chaos neu definieren sollte, da er sonst weder sein Gepäck noch den Ausgang des Flughafens finden würde. In dem Flugzeug der Air India hatte er in einer Broschüre gelesen, dass auf dem Indira Gandhi International Airport mehr als dreißig Millionen Fluggäste abgefertigt werden. Die Frage, die er sich stellte, war, warum musste ein Großteil dieser Fluggäste heute hier ankommen.

Sein Transport nach Karachi war erst ab Gujarat organisiert, deshalb blieb es ihm überlassen, sich selbst mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Endlich sah er in dem Gewühl der angekommenen Flugreisenden ein Schild, auf dem fortwährend München blinkte. Mit seinem Handgepäck, sowie dem inzwischen entledigten Pullover in der Hand stürzte er sich in die Massen, in der Hoffnung von diesen in die angestrebte Richtung geschoben zu werden. Vor dem Gepäckband angekommen blickte er in fremde Gesichter, beunruhigt blickte er sich um, bis er endlich ein bekanntes Gesicht zu sehen glaubte.

Nach fast einer Stunde stand er am Ausgang, als er von einer Horde Taxifahrern überfallen wurde, die nur eins wollten, ihn in eines der abenteuerlich anmutenden Fahrzeuge zu ziehen. Von der Heftigkeit der anstürmenden Meute überrascht suchte er die Flucht zurück in das Flughafengebäude. Er erinnerte sich in Vorbereitung auf die Reise gelesen zu haben, dass es in der Ankunftshalle einen Schalter der Delhi-Traffic Police geben sollte, an dem er eine Taxi-Fahrkarte zu einem Festpreis kaufen konnte.

Im Hotel angekommen fühlte er noch den klebrigen Schweiß seiner Ankunft, obwohl die jetzigen Temperaturen sehr angenehm waren. Nach einer Dusche, die ihre Temperatur nach Belieben wechselte, fühlte er sich erfrischt, endlich konnte er das Treiben auf der Straße mit der Distanz eines Touristen betrachten, obwohl sein Ziel mit Tourismus wenig gemein hatte.

Er überprüfte seine Unterlagen inzwischen zum dritten oder vierten Mal auf Vollständigkeit, ehe er sie wieder in den Koffer in das präparierte Versteck zurücklegte. Nichts wäre schlimmer als das diese Unterlagen entwendet und durch Zufall bei der deutschen Botschaft landen würden. Die Wissbegierde der Sicherheitsbehörden könnte die gesamte Planung über den Haufen werfen. Viele Jahre der Vorbereitung wären durch Zufall oder seine Nachlässigkeit vergebens gewesen.

Der Totensonntag stand ihm noch vor Augen, als er in dieser Villa im Grunewald die Initiatoren dieser Reise kennenlernte. Das heißt, eine Person kannte er bereits, den Eigentümer dieser Villa, der ihn im August angerufen hatte.

Von dem Anruf dieser zu jenem Zeitpunkt noch fremden Person überrascht, war mit seinen Äußerungen am Telefon vorsichtig und vage geblieben. Über den Namen Otto Held war er in den einschlägigen Tageszeitungen diverse Male gestolpert und wusste über ihn nur, dass er zu den fünfzig Reichsten Deutschlands zählte.

Das Telefonat war nicht sonderlich lang, er sagte nur, dass er ihn am kommenden Sonntag in seiner Villa erwarte. Noch ehe er sich überlegen konnte, ob er diesem augenscheinlichen Befehl nachkommen wolle, hatte dieser Otto Held einfach aufgelegt. Offensichtlich erwartete er, dass jeder nach seiner Pfeife tanzte, hatte er noch mit dem Hörer in der Hand gedacht, aus dem bereits das Freizeichen erklang.

Welche Nachteile konnte es für ihn nach sich ziehen, dieser Einladung nachzukommen, im schlimmsten Fall würde er den Besuch als überflüssig abhaken, im besten Fall, so hoffte er, konnte er mit einer Spende für seine Partei rechnen. Also war er tatsächlich zu diesem Otto Held zu der gewünschten Zeit gefahren, wo dieser ihn bereits erwartete. Dieser hatte tatsächlich mit seinem Besuch gerechnet, obwohl er selbst noch mehrere Tage unschlüssig darüber gegrübelt hatte.

»Kommen Sie rein junger Mann«, lautete seine Begrüßung. Eigentlich hasste er diese joviale Form der Begrüßung, die einen immer wie einen Schuljungen wirken ließ. Trotzdem ließ er es geschehen ohne etwas zu erwidern, er hatte nur etwas gequält gelächelt. Sollte er sich doch selbst ein Bild darüber machen, wie groß seine Erwartung war.

Zuerst plätscherte ihr Gespräch, ohne das eine Richtung erkennbar wurde, dann unmerklich fast, nahm das Gespräch eine Richtung, die er nur mit sehr guten Bekannten diskutierte. Als dieser Otto Held vermeinte seine Zurückhaltung zu spüren, griff er zu einer Mappe, die neben ihm lag, reichte sie über den Tisch und wartete ab.

Zuerst noch verlegen die Mappe öffnend, glitt sein Blick zwischen der Mappe und der Person hin und her, die offenbar ein Spiel mit ihm spielte. Was beabsichtigte dieser, es wurde immer rätselhafter, bis er die Mappe aufschlug. Es war ein Bericht über seine Person, etwas überspitzt gesagt, von seiner Geburt bis zum heutigen Tag. All seine politischen Handlungen außerdem legale, wie weniger legale Tätigkeiten, aber auch Dinge die er bisher als sein Geheimnis betrachtet hatte, standen in dem Bericht. Er suchte gezielt nach etwas, was keiner wissen konnte, da nur ein sehr enger Kreis Kenntnis davon hatte, auch dieses Vergehen stand in dem Bericht.

Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf, wollte er ihn erpressen, Geld konnte es ja nicht sein, davon hatte er selbst genug. Wollte er ihn politisch erpressen, sollte er für ihn diverse Organisationen auskundschaften, oder sollte er etwas für ihn erledigen.

»Was wollen Sie damit, glauben sie, dass mich damit in der Hand haben, dass ich jetzt mache, was Sie sagen«.

»Gemach, gemach junger Mann, keiner will Sie erpressen«. Nachdenklich, als ob er noch überlege, ob er weiter reden soll, blickte er ernsthaft auf ihn. Dann fuhr er fort, »wenn Sie der Mann sind, als den ich Sie einschätze, dann habe ich große Pläne mit Ihnen vor«.

In groben Zügen hatte er ihm dargelegt, was er sich, gemeinsam mit seinen Freunden überlegt hatte. Zuerst ungläubig, dann verwirrt hatte er den Worten gelauscht, die aus dem Mund von Otto Held quollen und die nicht wahr sein konnten. Als er nach mehr als einer Stunde entlassen wurde, glaubte er sich in einer Traumwelt oder einer Scheinwelt, egal wie man es bezeichnete, es konnte nicht real sein.

Noch Tage später ließ er jedes Wort von Otto Held Revue passieren, versuchte jeden Satz zu reproduzieren. Aber auch da fühlte es sich noch irreal an, diese angebliche Planung konnte nicht existieren, es wäre längst bekannt geworden. Er wusste das nur zu gut, hatte am eigenen Leib erfahren, dass man Planungen, vor allem in dieser Größenordnung, nicht geheim halten konnte. Auch wenn er sich einen Plan dieser Größenordnung selbst nie zugetraut, nie in Betracht gezogen hätte.

Langsam begann er sich damit auseinanderzusetzen, ließ, er wusste nicht mehr zum wievielten Mal, alles in seinem Kopf kreisen, versuchte Lücken oder Ungereimtheiten zu entdecken. Irgendwann musste er sich eingestehen, dass er noch zu wenig Details wusste, um tatsächlich über die Planung urteilen zu können.

Als Otto Held sich nach vierzehn Tagen erneut meldete, stellte sich die Frage nach einem Treffen nicht mehr. Inzwischen waren die Fragen, die sich neu ergaben so zahlreich, dass er auf den Anruf gewartet hatte.

Die meisten Fragen konnte dieser beantworten, ein Teil der Fragen würde bis zum Totensonntag offenbleiben, dann, davon war er überzeugt, würden seine Freunde diese Fragen beantworten.

In der Folgezeit trafen sie noch mehrfach zusammen auch um Fragen zu beantworten, die Otto Held hatte. Sein Gefühl, dass er bei diesen Treffen mehr und mehr einer Prüfung unterzogen wurde, bestätigte sich, als er ihm im Oktober mitteilte, dass er nun gänzlich überzeugt sei. Nun läge es an ihm, auch seine Freunde am Totensonntag von seinen Fähigkeiten zu überzeugen.

Sie hatten ihn neugierig betrachtet, als er pünktlich zum vereinbarten Termin erschien. Es sollte bestimmt locker wirken, wie sie an einem Stehtisch vor dem kalten Buffet standen, um auf den Überraschungsgast ihres Freundes Otto zu warten. Natürlich kannten sie ihn, hatten von ihm gehört, als er noch seine zum Teil kruden Thesen vertrat. Waren bestimmt neugierig geworden als er sich von bestimmten Ansichten und Personen distanzierte.

Als er sich die Namen der hier anwesenden Personen vergegenwärtigte, stellte er zwar den immensen Reichtum dieser versammelten Wirtschaftsgrößen fest, eine Unterstützung seiner Ziele hatte er allerdings nicht feststellen können.

Es war Dieter Kunz, der ihn zuerst angesprochen hatte, der ihn in ihrer Runde begrüßte, dann zu Otto Held sagte, »mein Lieber, diese Überraschung ist Dir gelungen«. Nach und nach begrüßten ihn alle, dann wurde über die gemeinsamen Ziele gesprochen. Im Anschluss daran erfolgte eine zum Teil lauter werdende Diskussion, wie man diese Ziele erreichen wollte. Zufriedenheit war überall zu spüren, als man über die Umsetzung sprach, wie und in welcher Geschwindigkeit, oder wie Otto Held meinte, mit welcher Vehemenz man seine Ziele umsetzte.

Es herrschte ziemlich schnell Einigkeit, dass er in die weiteren Verhandlungen bei Sheikh Kermani eingebunden werden sollte. Er sollte im Dezember nach Karachi reisen, um die gesamte Planung mit einem Vertreter des Sheikhs abzustimmen. Vorher würden noch Kopien der gesamten Baupläne aus dem Bauamt verschafft und auf Schwachstellen untersucht werden.

Nun befand er sich in Delhi auf dem Weg nach Karachi, hatte die gesamten Pläne mit einer professionellen Schwachstellenanalyse dabei um sie in Karachi zu übergeben. Fast genau so wichtig war die zeitliche Abfolge, in der die Umsetzung ihrer Vorgaben erfolgen sollte. Friedrich Kroeger hatte ihm noch, den für diesen Zeitraum infrage kommenden Zeitpunkt für das Besteigen des Schiffs in Mumbai genannt, da der Umschlag der Ladung unmittelbar vorher erfolgen sollte.

In der Nacht vor dem Auslaufen der MS Harvestehude würde der Lademeister, der in alles eingeweiht war, die Reisegruppe in den speziell vorbereiteten Raum bringen. Für Nahrung und Getränke für die Überfahrt, geplant waren achtundzwanzig Tage, würde ausreichend gesorgt werden.

Der Beginn des Abends machte sich, durch das rapide sinken der Temperatur sowie der grellen Beleuchtung an den Geschäften bemerkbar. Unbeeindruckt davon ließ die Lautstärke nur unmerklich nach, das Chaos auf den Straßen schien nur durch das Verursachen von Geräuschen zu funktionieren. Egal was sich auf den Straßen vorwärts bewegte, es gab Töne von sich. Das unterschiedliche Hupen von Autos sowie den motorisierten Rikschas wurde überlagert von dem Klingeln der Fahrradrikschas sowie dem Keifen und Zetern der Fußgänger.

Aus diesen sogenannten Tuk-Tuks entstieg häufig eine derartige Anzahl von Personen, die nur eine Vermutung zuließ, sie mussten auf der anderen Seite permanent zugestiegen sein. Die indischen Gottheiten hatten offensichtlich alle Hände voll zu tun oder sie bewirkten Wunder, denn sonst wären bei dem vorherrschenden Chaos die Unfallzahlen ins Unermessliche gestiegen.

Erschaudernd veränderte er die Temperatur der Klimaanlage, diese erheblichen Temperaturschwankungen innerhalb eines Tages machten sich bemerkbar. Vom schmuddeligen Berlin mit geringen Plusgraden ins weiße München mit Minusgraden folgte der erste Temperaturschock mit über zwanzig Grad. Dann das erneute Absinken auf gefühlte fünf Grad, die er bereits am Morgen in Berlin verspürt hatte. Wie sollte er dieses Chaos noch drei Tage ertragen, ohne Schaden zu nehmen.

Stadt ohne Licht

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