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2. Kapitel

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Das Treffen in Berlin fand, wie in den Jahren zuvor, am Totensonntag in einer hochherrschaftlichen Villa im Grunewald statt. Alles war wie immer, das heißt, eine Abweichung zum Vorjahr gab es doch, die sechste Person ihres jährlichen Treffens fehlte in diesem Jahr. Alfred Kant, der Benjamin ihrer, seit der Kindheit verschworenen Gruppe, war am fünfzehnten Mai dieses Jahres im Alter von einundsiebzig Jahren an einem Herzinfarkt verstorben.

Natürlich trafen sie sich alle bei der Beerdigung in Köln, allerdings war für einen unbedarften Beobachter die Verbindung untereinander nicht erkennbar. Sie hatten alle an unterschiedlicher Stelle an dem mit vielen hundert Trauergästen stattfindenden Trauerzug ihren Freund bei dem Gang zur letzten Ruhestätte begleitet.

Neben der Familie, den örtlichen Honoratioren, waren Vertreter aller politischen Parteien dabei, wollten damit zeigen, dass ein großer Sohn ihrer Stadt eine Lücke hinterlassen würde. Für die eintausendzweihundert Mitarbeiter der „Kant Eisen und Stahl AG“ hatte die Firmenleitung beschlossen diese freizustellen, damit diese dem Gründer und Hauptaktionär der „Kant Eisen und Stahl AG“, Alfred Kant ihre letzte Ehre erweisen konnten.

Da die Freundschaft zwischen ihnen immer im Verborgenen blühte, diese nie öffentlich gemacht wurde, hatte man sie nicht offiziell eingeladen. Sie waren nur inoffiziell zu der Beerdigung gefahren, wo sie jeden persönlichen Kontakt gemieden hatten. Sie wollten nicht, dass ihre Freundschaft öffentlich wurde, dass sie Anlass für Spekulationen zuließ. Nur wer tiefer in der Vergangenheit dieser Freunde gesucht hätte, wäre auf diese langjährige Freundschaft gestoßen.

Viele der angeblich besten Freunde von Alfred, die jetzt in der ersten Reihe standen, dabei ihre besondere Trauer vor der Allgemeinheit ausbreiteten, hatten ihn nie richtig gekannt. Dies schloss auch seine beiden Söhne Fritz und Werner ein, die seit ein paar Jahren in Personalunion das Kölner Stahlimperium leiteten. Bei dem letzten Treffen am Totensonntag des vergangenen Jahres hatte er sich noch abfällig über seine Söhne geäußert.

Meine Söhne sind Schwächlinge, alle beide, keiner von beiden ist in der Lage unserem Projekt weiterzuhelfen. Der einzigen Person in meiner Familie, der ich zutrauen würde, meinen Platz einzunehmen, ist meine Enkelin Nina. Noch ist sie zu jung, aber sie ist in dem Alter, in dem sie geformt werden kann, in dem sie vorbereitet werden kann, hier meine Nachfolge anzutreten. Es war, als hätte er seinen frühen Tod vorhergesehen, so prophetisch klang aus heutiger Sicht seine damalige Aussage.

Es war ihnen durchaus bewusst, dass die Zeit ihrer Jugend bereits vor Jahrzehnten ihr Ende gefunden hatte, trotzdem wollte noch keiner an den Tod denken. Mit dem Tod von Alfred wurde ihnen plötzlich die Endlichkeit ihres Daseins vor Augen geführt. Sie würden ihr Projekt vorantreiben müssen, wenn sie die Umsetzung noch erleben wollten.

Der Hausherr, Otto Held hatte seine Gäste persönlich begrüßt, als sie nach und nach in seiner Villa eintrafen. Einst der größte Berliner Lebensmitteldiscounter Berlins hatte er sich vor zehn Jahren ins Privatleben zurückgezogen, nachdem er seine Geschäfte an einen bundesweit agierenden Konzern verkauft hatte. Seit dem Tod seiner Frau lebte er nur noch mit seinen Hausangestellten in der viel zu großen Villa im Grunewald, da sie kinderlos geblieben waren. Seine Angestellten hatten sich daran gewöhnt, dass sie am Totensonntag von allen Tätigkeiten freigestellt wurden, darüber hinaus hatte er ihnen zu verstehen gegeben, dass er niemanden von ihnen an diesem Tag sehen wollte.

Einzig sein Hausfaktotum Wolfgang Wacker, befand sich noch im Haus, allerdings war von ihm nichts zu befürchten. Wolfgang, der früher als Chauffeur für ihn tätig war, übernahm heute nur noch einfache Gartenarbeiten, da er inzwischen fast so alt wie sein Arbeitgeber war. Er war einer der wenigen, der, neben seinen Freunden, seine Ansichten kannte und teilte.

Wie seit Jahren war Friedrich Kroeger der erste Gast, der am Totensonntag bei ihm eintraf. Friedrich war weniger massiv und korpulent wie Otto, dafür hatte sich sein Haupthaar schon vor mehr als vier Jahrzehnten von der Oberfläche seines Hauptes verabschiedet. Auch die Gesichtszüge wichen erheblich von den Zügen seines Gastgebers ab. Während er das feine Minenspiel des konservativen hanseatischen Kaufmanns beherrschte, war das von Otto einem Bullterrier nicht unähnlich.

»Friedrich wie immer übertriffst Du die anderen«, empfing Otto ihn an der Tür, dann schlug er ihm freundschaftlich auf die Schulter. Friedrich verzog leicht sein Gesicht, während er einen Schmerzenslaut unterdrückte. Vierzig Kilo Gewichtsunterschied hatten sich wieder einmal bemerkbar gemacht, auch wenn er wusste, dass Otto seine pure Kraft nicht bösartig einsetzte.

Otto führte den Reeder aus Hamburg in seinen Empfangsraum, in dem seine Angestellten ein reichhaltiges kaltes Büffet aufgebaut hatten, ehe sie das Haus verließen.

»Wie geht es Annika«, polterte Otto los, während er sich Bier in ein Glas füllte. Annika, die inzwischen zweiundvierzig Jahre alte Tochter führte das Familienunternehmen seit acht Jahren sehr erfolgreich, auch wenn ihr Vater dies nicht wahrhaben wollte.

»Man muss immer noch darauf achten, dass sie keinen Unsinn macht«, Friedrich Kroeger wackelte bedächtig mit seinem Kopf. »Es ist ganz gut, dass ich ab und an nach dem Rechten sehe«, lobte er sich, während Annika, wenn man sie gefragt hätte, zu Recht eine gegenteilige Ansicht vertreten hätte.

Die nächsten Gäste kamen erstmalig gemeinsam als Fahrgemeinschaft, im Jahr vorher waren sie gemeinsam mit Alfred Kant zu dem Treffen erschienen. Heinrich Schwarz, der als Bankier einer kleinen aber noblen Privatbank in Frankfurt vorstand, war der Längste in ihrem Kreis. Mit seinen einhundertfünfundneunzig Zentimetern sowie seiner akkurat sitzenden Frisur wirkte er so vertrauenswürdig, dass Kunden gerne ihr Geld zu seiner Bank trugen. Der Fahrer dieser Fahrgemeinschaft war jedoch Dieter Kunz, dessen Hauptsitz seiner Getriebe- und Bremsenfabrik sich in Düsseldorf befand. Er war genau das Gegenteil von Heinrich Schwarz, er war der kleinste unter den Teilnehmern. Zugleich war er noch der Aktivste unter ihnen, der die Zügel seiner Firma immer noch in den Händen hielt. Viele seiner Kontrahenten warfen ihm vor, dass sein Erfolg nur auf den persönlichen Beziehungen beruhte, die er in die Vorstände der Automobilindustrie hatte. Es war in der Tat ausschließlich sein Verdienst, der dafür gesorgt hatte, dass bei dem Großteil der auf Deutschlands Straßen fahrenden Autos, Getriebe und Bremsen aus seinem Unternehmen maßgeblich waren.

Der Letzte, der inzwischen zu einem Quintett zusammengeschrumpften Vereinigung kam aus München zu dem alljährlichen Treffen. Walter Mayer war der Einzige ihres ursprünglichen Sextetts, mit dem Otto Held, neben seiner Freundschaft in der Vergangenheit auch berufliche Verbindung verband. Vom Aussehen sehr ähnlich, kursierte während ihrer beruflichen Treffen die Vermutung, dass nur verwandtschaftliche Bande eine derartige Ähnlichkeit hervorrufen könne. Walter Mayer, der mit seinen vier Söhnen einen der führenden Fleischgroßhandel in München leitete, war zeitweilig Lieferant von Fleisch und Wurstwaren der Berliner Lebensmittelgeschäfte von Otto Held.

Es war besser, er ließ ihnen die Zeit sich darüber auszutauschen, was an Erzählenswertem im Laufe des Jahres bei jedem angefallen war. Nachdenklich blickte er zu seinen Freunden, dachte dabei an den fehlenden Freund Alfred Kant. Wer würde sich als Nächster aus ihrem Kreis verabschieden, Heinrich Schwarz war zwar der Älteste, allerdings wirkte er am gesündesten von allen. Würden Sie den Beginn ihres gemeinsamen Ziels noch miterleben, oder würde auch der erneute, der entscheidende Versuch scheitern.

Das Lächeln wirkte wehmütig, als er an ihr erstes Treffen zurückdachte, an die ersten Ferien, die sie zusammen an der Ostsee verbrachten. Es lag nun schon fünfundsechzig Jahre zurück, Heinrich feierte während der Ferien seinen zehnten Geburtstag, damals war er noch der Führer ihrer kleinen Gruppe. Seit jener Zeit hatten sie nie den Kontakt untereinander verloren, da erst zu einem späteren Zeitpunkt die räumliche Trennung diesen Kontakt erschwerte. Damals hatten ihre Familien alle in Berlin gelebt, sie hatten alle Führungspositionen inne, waren in leitender Funktion für das Deutsche Reich tätig.

Meine Freunde, Otto unterbrach die Gespräche der Anderen, um mit der Diskussion über das weitere Vorgehen beginnen zu können. Für den späten Nachmittag hatte er schließlich einen Überraschungsgast eingeladen, den zwar alle kannten, den sie bisher noch nicht persönlich getroffen hatten. Damit wollte er seine Freunde zwar überraschen, allerdings war dies nicht sein vordringlichstes Ansinnen. Sein Hauptanliegen bestand darin, ihr Vorhaben endlich so zu forcieren, dass das Ergebnis ihres Handelns die Früchte zum Tragen brachte, die sich alle erhofften.

»Lasst uns beginnen, unser heutiges Programm ist außergewöhnlich umfangreich«. Dann betrat er eine gemütlich eingerichtete Bibliothek, in dem englische Ledersessel scheinbar wahllos platziert waren. Nachdem jeder einen der Plätze eingenommen und sein Getränk auf einem der Bestelltische abgestellt hatte, begann Otto Held mit seiner üblichen Eröffnungsrede.

»Liebe Freunde gedenken wir als Erstes unserem Freund Alfred, der uns in diesem Jahr viel zu früh verlassen hat. Dieses Ereignis, das mir und bestimmt auch euch vor Augen geführt hat, wie vergänglich doch unsere noch verbleibende Zeit ist, hat mich bewogen zu handeln. Meine Gruppe war im letzten Jahr sehr aktiv, endlich konnten wir die Tochter ausfindig machen, die Anfang der sechziger Jahre spurlos verschwunden war. Unsere Vermutung, dass sie in der ehemaligen Sowjetzone lebt, hat sich gottseidank nicht bestätigt«.

»Man stelle sich das vor, neben unserem größten Schatz, den die Amerikaner im April neunzehnhundertfünfundvierzig in Merkers aufgefunden haben und gestohlen haben«. Die Verbitterung über dieses Unrecht war auch nach fast sechzig Jahren so groß, dass seine Stimme brüchig wurde.

Er redete sich erneut in Rage darüber, dass im April neunzehnhundertfünfundvierzig die dritte US-Armee unter General George S. Patton in dem kleinen Ort Merkers in Thüringen den größten Teil der von den Schergen Hitlers versteckten Goldschätze gefunden hatte. Wie sie säckeweise Gold, tausende Banknoten in Säcken, Goldbarren, Münzen und SS-Beute in Koffern aus dem Salzbergwerk Merkers weggekarrt hatten. Diesen Teil der Geschichte kannten sie alle aus den Erzählungen in ihren Familien, aber auch von den permanenten Wiederholungen von Otto.

»Wie gesagt, unsere Annahme, dass diese Tochter in der DDR und damit außerhalb unseres Zugriffs lebt, hat sich nicht bestätigt. Stellt euch vor, seit Mitte der achtziger Jahre lebt sie keine fünfzehn Kilometer von hier entfernt in Berlin. Wir hatten im Frühjahr den jetzigen Namen sowie die Adresse ermittelt. Wir haben sie über einen längeren Zeitraum beobachtet, die Berichte darüber habe ich in der Mappe neben euch abgeheftet«.

»Kurz gesagt, sie lebt äußerst unauffällig und bescheiden, nichts lässt darauf schließen, dass sie sich in dem zweiten Versteck bedient hat. Ich habe dann veranlasst, dass ein Vertrauter in die Wohnung einbricht, während sie unterwegs ist. Es wurde nicht der geringste Hinweis gefunden, dass sie Unterlagen oder Papiere die ihrem Vater oder ihrer Mutter gehörten besitzt«.

»Ich komme damit zum Ende meines Berichts, natürlich lassen wir sie weiterhin beobachten, ob etwas Ungewöhnliches geschieht«. Er rieb sich nachdenklich im Nacken, »etwas Irritierendes ist allerdings geschehen, es sieht so aus, als wären wir nicht die Einzigen, die sich mit dieser Frau beschäftigen. Aber davon unterrichte ich euch, wenn ich Näheres weiß«.

Die Glückwünsche kamen halbherzig, viel zu lange hatten sie nach dieser Frau gesucht, bei der sie ein großes Geheimnis vermuteten. Dazu kam, ihre Fähigkeit zu Gefühlsausbrüchen war im Laufe ihres Lebens verloren gegangen, wenn sie den je vorhanden waren. Trotzdem nahmen sie anerkennend zur Kenntnis, dass endlich eine, wenn auch geringe Chance bestand, das Versteck aufzufinden.

Otto Held folgte der einen Richtung, endlich das Vermögen aufzufinden, um ihren Pläne umzusetzen, die andere Richtung verfolgte Walter. Vielleicht war diese Suche sogar die erfolgreichere, da sie direkt vor Ort in der angenommenen Gegend stattfand. Auch er hatte lange warten müssen, ehe er seine Truppen loslassen konnte. Er hatte gewartet, bis die Anderen ihre Suche erfolglos abgebrochen hatten.

»Wie ihr wisst, konnten wir erst vor knapp zwei Jahren mit der Suche beginnen«, begann Walter Mayer in seinem bayerischen Dialekt etwas kurzatmig. »In der ersten Zeit nach der Wende war es sinnlos, da wurden überall die Gerüchte gestreut, dass in der von uns angenommenen Gegend noch Teile des Nazigoldschatzes vergraben sind. Über Jahre hinweg kamen diese vermaledeiten Goldsucher aus ganz Europa und haben die Gegend unsicher gemacht«.

»Wir haben sie natürlich beobachtet, hätten die etwas gefunden wären wir sofort da gewesen. Aus genau diesem Grund haben wir uns zurückgehalten. Wir wollten uns einen eventuellen Fund nicht von dritter Seite Streitig machen lassen. Aber wie gesagt, wir haben sie beobachtet, konnten damit die erfolglosen Orte aus unserem Tableau streichen. Bei unserer Suche waren wir bisher auch nicht erfolgreicher. Allerdings haben wir so nach und nach die meisten der angenommenen Verstecke ausgeschlossen, die verbleibenden Verstecke werden wir innerhalb der nächsten zwei Jahre durchsucht haben«.

»Das muss schneller erfolgen«, Otto beugte sich in seinem Sessel nach vorne und starrte Walter an. »Wir müssen das bis zum nächsten Herbst finden, denn dann soll endlich die Umsetzung unseres Vorhabens beginnen. Ich sage noch mehr dazu, aber zuerst wollen wir noch die anderen Berichte anhören«. »Dieter wie weit bist Du inzwischen bei Deiner Aufgabe gekommen«, Otto platzte schier vor Neugier, schließlich hatte dieser einen eventuellen Erfolg bereits bei ihrem letzten Treffen angedeutet.

»Also ich kann Vollzug melden«, Dieter Kunz lehnte sich zufrieden in seinem Sessel zurück. In dem Sessel versunken sah man nur noch den Kopf sowie die Schultern, den Rest schien der Sessel zu verschlucken. »Im Februar konnte ich die erste Vertrauensperson an einer Planstelle unterbringen, im Mai die Zweite. Damit fehlt nur noch eine dritte Person an entsprechender Stelle, um alle Eventualitäten abzudecken«.

»Da der politische Verband in Nordrhein-Westfahlen der größte Verband ist, bin ich sicher, dass ich in der ersten Hälfte des neuen Jahres diese Position besetzen werde«. Er grinste in die Runde, »manchmal ist es doch ganz gut in einer Partei zu sein, auch wenn man deren Ziele nicht immer für richtig hält«.

Otto winkte ab, Walter prustete kurz, Friedrich starrte ihn nur an, während Heinrich ihn gänzlich ignorierte. Die Diskussion fand alljährlich statt, da er der Einzige war, der in einer Partei versuchte einen Teil seiner Vorstellungen umzusetzen. Inzwischen kannten sich alle lange genug, um sich über eine derart lachhafte Aussage aufzuregen. Sie gestanden ihm jedoch zu, dass, wie Alfred Kant es einmal gesagt hatte, trotz seiner inhaltsleeren politischen Schwafelei, in der Partei auf ihn gehört wurde. Die abfälligste Aussage kam jedoch von Heinrich, dieser war der Ansicht bei den Spenden, die er ihnen jedes Jahr zukommen lasse, hätte er längst gekrönt werden müssen.

Heinrich Schwarz hatte bisher reglos zugehört, hatte die minimalen Erfolge seiner Freunde zur Kenntnis genommen, hielt sich jedoch mit einem Kommentar zurück. Aus seiner Sicht gab es nichts zu feiern, seit Jahren versuchten sie bereits Fortschritte bei ihren Vorhaben zu erzielen, allein die Erfolge blieben aus. Dass er seinen Part in diesem Vorhaben bereits erledigt hatte, befriedigte ihn nur zum Teil, da dieser Teil der Aufgabe nur verzahnt mit den anderen Aufgaben möglich war. Nun richtete er sich in dem Sessel auf, plötzlich wirkte er noch größer, der Unterschied zu Dieter, der neben ihm saß, hätte einem unbedarften Zuschauer ein Lächeln abgerungen.

»Alfred und ich sind Ende März nach Islamabad geflogen, wo wir einen Termin mit unserem angekündigten Gesprächspartner hatten. Alfred hatte über seine Kontakte in Teheran diesen Termin bereits im Januar vereinbart, sodass wir unsere Gespräche mit den richtigen Leuten führen konnten. Nachdem wir unsere Vorstellungen über die Ziele vorgebracht hatten, hat man uns zu unserem Hotel zurückgebracht«.

»Man wolle sich unsere Wünsche durch den Kopf gehen lassen, außerdem wollte man sich mit Sheikh Kermani beraten. Man war ziemlich offen zu uns, hat uns zu verstehen gegeben, dass die Zustimmung von Sheikh Kermani aber auch der ausgehandelte Betrag darüber entscheiden würde, ob es zu einer Einigung kommt«.

»Man ließ uns zwei Tage warten, dann holte man uns in einer Großraumlimousine vom Hotel ab um uns zu Kermani zu bringen. Nachdem wir Islamabad verlassen hatten, wurde uns eine schwarze Kapuze über den Kopf gestülpt, da wir nicht sehen sollten, wohin die Reise geht. Bei der Abfahrt hatte ich noch auf meine Uhr geblickt, als wir endlich angekommen sind waren wir fast zweieinhalb Stunden unterwegs«.

»Auf dem Rückflug habe ich mich mit Alfred über diese Fahrt unterhalten und ihn nach seinen Eindrücken gefragt. Er bestätigte im Wesentlichen das, was mir die ganze Zeit durch den Kopf gegangen war, wir waren wieder zurück nach Islamabad gefahren, wo man mit uns eine Stadtrundfahrt veranstaltet hat. Dafür spricht auch, dass ich mehrfach das Gefühl hatte, die Geräusche an dieser Stelle kommen dir bekannt vor«.

»Man führte uns, immer noch mit der Kapuze auf dem Kopf, in ein Gebäude, wo ich unterschiedliche Geräusche wahrnahm. In der Etage über uns waren zum Teil schrille Frauenlaute, so als ob sich mehrere Frauen gestritten hätten. Von weiter vorne hörte ich eine tiefe autoritäre Stimme, die bedrohlich zu irgendjemandem etwas sagte«.

»Als man uns die Kapuze abgenommen hat, blickten wir auf das bärtige Gesicht von Sheikh Kermani, der ein arabisches Tuch auf dem Kopf trug. Ich hatte vor geraumer Zeit ein Bild von ihm gesehen, obwohl er älter wirkte, war ich mir sicher, es ist Kermani. Hinter ihm standen vier martialisch wirkende Krieger mit Maschinengewehr vor der Brust. Als er uns begrüßte, erkannte ich die Stimme wieder, die ich beim Betreten des Gebäudes gehört hatte«.

»Die gastfreundschaftliche Zeremonie dauerte fast eine Stunde, bis er endlich zum Thema kam. Wenn der Preis stimmt, würde er den Auftrag annehmen, ich bräuchte mir keine Sorgen machen, der einmal angenommene Auftrag würde in jedem Fall ausgeführt«.

»Dann kam er zu dem Betrag, den er sich vorstelle, er wollte für den Auftrag fünfzig Millionen Dollar«.

»Den Zahn hast Du ihm doch hoffentlich gezogen«, der Einwurf von Dieter wurde mit einem Lächeln begleitet.

Heinrich nickte nur, dann fuhr er fort, »wir haben uns auf einen Betrag von fünfundzwanzig Millionen geeinigt, allerdings nur deshalb, weil der Ruf von Alfred so hervorragend war. Dieser exzellente Ruf von Alfred in Teheran war es letztendlich, der Kermani bewog, unsere Anfrage überhaupt in Erwägung zu ziehen«.

»Wir sind so verblieben, dass die Hälfte der vereinbarten Summe spätestens vier Wochen nach Erteilung des Auftrages auf einem bestimmten Konto eingezahlt werden muss. Danach können wir den genauen Termin abstimmen, wann unser Auftrag erledigt werden soll«.

Er lehnte sich in dem Sessel zurück, dann entrang sich ein leises Seufzen seinem leicht zusammengesunkenen Körper. »Als ich von dem Tod Alfreds hörte, habe ich mir Vorwürfe gemacht, ob es die Anstrengungen der Reise waren, die zu seinem Tod beigetragen haben. Aber ohne seine Mithilfe wäre die Vereinbarung nie zustande gekommen, er war es, dem sie vertrauten«.

»Du solltest Dir keine Vorwürfe machen«, die Stimme von Otto klang abwehrend, ja fast kalt, so als läge die Schuld an dem Tod von Alfred ausschließlich bei ihm selbst. »Er hat sich und seinen Körper zu sehr vernachlässigt«.

Es klang wie Hohn, wenn man sich seinen übergewichtigen Körper vor Augen führte. Dessen Abneigung gegen Treppen hatte in seiner Firma zu Schweißausbrüchen geführt, wenn der Aufzug in dem Verwaltungsgebäude auszufallen drohte.

Dann jedoch änderte sich die Tonlage, als er erleichtert das Ergebnis kommentierte. »Gut, sehr gut, endlich ist der erste Schritt getan. Nun müssen wir noch dafür sorgen, dass die weiteren Schritte möglich werden, dazu müssen wir innerhalb der nächsten sechs bis sieben Monate unbedingt das Versteck auffinden«.

Es war ein fließender Prozess, keiner hätte es an einem bestimmten Zeitpunkt oder einer bestimmten Aktion festmachen können, aber Otto drängte immer mehr in den Vordergrund. Obwohl alle die gleichen Interessen verfolgten, obwohl alle mit gleich viel Herzblut ihr Vorhaben verfolgten, war Otto immer mehr in die Position des heimlichen Führers gerutscht.

Vielleicht zum Beginn unbewusst, hatte er die sich bietende Gelegenheit genutzt und mit bisher nicht bei ihm gekannter Sensibilität diese Position nach und nach ausgebaut. Heute war er unbestritten zu ihrer Führungsfigur avanciert, der Geschwindigkeit und erforderliche Maßnahmen vorgab.

»Friedrich« wandte er sich nun an den Reeder aus Hamburg, »wir hatten in unserem Treffen im vergangenen Jahr über die Erfordernisse des Transports diskutiert, wobei Personen und Material gleichermaßen unbehelligt hierher gebracht werden sollen. Hast Du inzwischen eine Lösung gefunden«.

Bedächtig nickte dieser, »ja wir haben eine Lösung gefunden. Allerdings wird das nur an drei Terminen im Jahr möglich sein, im März, im Juli und im September. Wenn der Transport zu einem dieser Termine stattfindet, kann ich gewährleisten, dass Mensch und Material unentdeckt nach Hamburg gebracht werden können«.

Jetzt richteten sich alle Blicke auf ihn, die Diskussion vor einem Jahr war weniger zuversichtlich verlaufen, da für jede vorgeschlagene Reiseroute einer von ihnen eine Lücke oder Gefährdungspotenzial entdeckte. Jedoch bestand Einigkeit in ihrer Gruppe, dass der Schiffbauingenieur Friedrich Kroeger der Einzige von ihnen war, der dieses Problem lösen konnte. In Vorbereitung auf ihr Treffen in diesem Jahr sollte er deshalb Vorschläge unterbreiten, wie der sichere Transport gewährleistet werden kann.

»Nachdem sichergestellt war, aus welcher Gegend der Transport erfolgen soll, habe ich mir unsere Frachtschiffe vorgenommen, die auf dieser Route verkehren«. Als er nun fortfuhr, klang seine Stimme jovial, fast schon überheblich. »Ich habe mich an mein Studium erinnert, an den Aufbau, daran, dass das Schiff als Grobblechkonstruktion ein komplexes Gefüge aus Flächentragwerken darstellt«.

»Unter diesem Aspekt habe ich unsere MS Harvestehude überprüft und eine Möglichkeit gefunden einen nicht erkennbaren Raum abzutrennen, der fast dreißig Quadratmeter groß ist. Natürlich nur dann, wenn nicht jemand mit einem Maßband die Abmessungen kontrolliert. Wenn ich den Platz für das Material sowie den Zeitraum von dreißig Tagen berücksichtige, können fünf Personen befördert werden«.

»Wie weit bist Du mit Deiner Planung, ist diese Reisekammer bereits eingebaut«. Heinrich, der die Verhandlungen in Islamabad geführt hatte, beugte sich interessiert nach vorne. »Führt die übliche Route der MS Harvestehude über Karachi oder wo sollen die Passagiere zusteigen«.

Unsere Passagiere müssen mit ihrem Gepäck nach Mumbai. Da unsere übliche Route von Mumbai direkt durch den Golf von Aden in Richtung Suez-Kanal führt, und wir durch GPS-Sender von Lloyds überwacht werden, ist ein Umweg über Karachi unmöglich. Jeder würde sich fragen, weshalb wir diesen Umweg gemacht haben, damit erhöht sich das Risiko einer speziellen Überprüfung. Dies möchte ich aber unbedingt vermeiden, da bei solchen Untersuchungen tatsächlich jemand mit dem Maßstab auftauchen könnte«.

»Allerdings ist die MS Harvestehude jetzt im Dezember tatsächlich in Karachi. Offiziell zu Reparaturarbeiten, tatsächlich wird unsere Reisekammer eingebaut. Danach geht die Fahrt nach Mumbai zur Beladung, von da geht die Fahrt nach Hamburg«.

Zufrieden lächelnd griff er nach dem Glas neben sich, um sich einen Schluck zu gönnen. »Aus meiner Sicht können wir im nächsten Jahr endlich zum großen Schlag gegen unsere Gegner ausholen«.

»Das sind wirklich erfreuliche Neuigkeiten«, Otto blickte auf seine Uhr, die gerade sechzehn Uhr anzeigte. »Da wir schneller fertig wurden als geplant, lade ich jetzt zum kalten Buffet ein, in etwa einer Stunde erwarten wir noch einen speziellen Gast«. Dann erhob er sich geheimnisvoll lächelnd, wohl wissend, dass ihm vier neugierige Augenpaare folgten.

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