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Die gesellschaftliche Verhältnisse gestaltende Kraft des Salzes: Rente, Genossenschaft und Erbe
ОглавлениеSalzrenten als Schenkungen an Kirchen – Die Zisterzienser und das Salz – Kommerzialisierung und Mobilisierung der Herrschaftsrechte an den Salinen – Salinengenossenschaften – Die Riege als Produktionsform – Die Ausnahme: Salzhandel und Erbe
Gewinnträchtig war die Salzproduktion. Das hatte schon seit dem frühen Mittelalter zu einem herrschaftlichen Zugriff auf die Salinen geführt, was sich in Schenkungen an die Kirche ebenso auswirkte wie in der Weitergabe von Anteilen innerhalb der Erbfolge. Ersteres ist vergleichsweise gut, letzteres seltener in den Quellen überliefert, ist aber |60|schon im 12. Jahrhundert in Reichenhall in seinen Folgen offenbar: 52 kirchliche und adelige Herren besitzen Anteile an der Saline.177
Bereits im Frankenreich waren Kirchen mit Salinenrechten beschenkt worden.178 Wenn 776 dem Kloster Lorsch 17 Salzpfannen in der Küstenzone von Schouwen gestiftet werden,179 so ist das auch für die räumliche Ausweitung der frühmittelalterlichen Grundherrschaften typisch. Die karolingische Praxis setzte sich in ottonischer Zeit fort.180 Die große Saline in Halle zum Beispiel gehörte zur Gründungsausstattung des Erzbistums Magdeburg,181 und Otto III. schenkte 998 Salzungen an das dem ottonischen Hause nahestehende Kloster Memleben.182 Es ist müßig, die in fränkischer und ottonischer Zeit verfügten Schenkungen durch die Zeiten verfolgen zu wollen.183 Festzustellen ist, daß die Kirchen großen Nutzen von der Salzgewinnung gehabt haben, zu deren Entwicklung im frühen Mittelalter aber nicht viel beitrugen.184 Das änderte sich vorübergehend, als die Zisterzienser in ihrer produktiven Anfangsphase des 12. Jahrhunderts für einen europäischen Austausch des Fachwissens sorgten.185 Den Hintergrund bildete der lothringische Salzreichtum,186 der auch die heftige Auseinandersetzung der Grauen Mönche mit dem Bischof von Metz heraufbeschwor.187 Europaweit war bekannt, daß die Zisterzienser salzkundige Mönche in ihren Reihen hatten.188 Konventuale aus Salem waren beim Ausbau des vom Bodensee weit entfernten Hallein beteiligt.189 Das machte Schule. In den Stiften Berchtesgaden und Reichenhall sowie in der Benediktinerabtei zu St. Peter zu Salzburg gab es Salinenexperten.190 Mit dem Spätmittelalter aber dominiert, Fachwissen als unerheblich erscheinen lassend, in Klöstern und Stiften, die Salinenanteile besaßen, das bloße Renteninteresse.191
Die Kirche war der erste Rentenbesitzer an den Salinen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Klöster neben den Adelshöfen im frühen Mittelalter die verläßlichsten Abnehmer des Weißen Goldes waren.192 Das liegt in der Natur der Sache, in dem Zwang zur Versorgung einer größeren Gemeinschaft von Menschen. Nachgewiesenermaßen haben die Hersfelder Mönche innerhalb der Klosterimmunität Salz gesotten,193 und in der Steiermark sind spezifische Klostersalinen nachweisbar.194 Das aber sind Ausnahmen.
Die Besitzgeschichte der Salinen ist ebenso kompliziert wie deren Produktionsbedingungen. Und auch in dieser Hinsicht gleicht kein Salzwerk dem anderen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Mittelalter weniger die Frage nach dem Eigentum als die nach den jeweiligen Rechten der Nutzung einer Sache gestellt wird, daß also der Ausdruck „Besitz“ eine starke Vereinfachung ist. Was in der Agrargeschichte in der Aufspaltung von Nutzungs- und Obereigentum noch vergleichsweise leicht zu beschreiben war, ist bei den komplizierten Produktionsbedingungen des Weißen Goldes, dessen Vermarktung wesentlich leichter als seine Gewinnung war, ziemlich schwer darzustellen. Der Einfachheit halber sei zunächst von einem unreflektierten Begriff des Eigentums ausgegangen. Als Faustregel mag gelten: Je älter und ertragreicher eine Saline ist, um so komplizierter sind die Besitzverhältnisse. In Lüneburg begünstigte der Prozeß von Mobilisierung und Kommerzialisierung fürstlicher Herrschaftsrechte, in dem seit dem 13. |61|Jahrhundert die Welfen ihre Salinenrechte veräußerten, das Entstehen einer in Produktion und Handel führenden Schicht von Anteilseignern, die jeweils unterschiedliche Anteile, teils Lehns-, teils Besitzrechte, an der Saline innehatten. Die größte Gruppe mit 80 % der Anteile im Jahre 1474 war die der „Sülzprälaten“.195 Die etwa 40 Sülfmeister,196 welche den Betrieb leiteten, zahlten ihnen jährliche Renten.197 Diese Renten waren eine europaweit typische Erscheinung198 ebenso wie die adeligen Erben von solchen Anteilsrechten. Der berühmteste unter ihnen ist Gilles de Rais, Kampfgefährte der Jeanne d’Arc und Marschall von Frankreich, besser bekannt als Blaubart.199
Die Renten, von denen Gilles de Rais zehrte, sind zu unterscheiden von jenen Renten, die im Laufe der Zeit entstanden, nachdem sich Genossenschaften im Produktionsprozeß herausgebildet hatten. Ob Erbsälzer von Werl, ob Siedenserbleihen in Schwäbisch Hall, ob mitteldeutsche Pfännerschaften200: sie alle bildeten eine bürgerliche Genossenschaft, die in den Städten stets zur Oberschicht gehörte und deren Mitglieder zumeist ratsfähig waren.201 Bei allen Unterschieden haben diese Genossenschaften einen gemeinsamen Ursprung, die führende Stellung im Produktionsprozeß. Die Salzgewinnung lag in ihrer direkten Verantwortung, wobei die eigentliche Knochenarbeit Lohnknechten übertragen war.202 Das Recht an den Sudpfannen hatten in Lüneburg zwischen 1250 und 1320 Bürger an sich gebracht.203 Was später ebenfalls Rente werden sollte, war zunächst auf Tätigkeit gegründet,204 weswegen, im Gegensatz zu den Renten, die „Einkommen“ der Pfänner schwankten.205
Die führende Rolle im Produktionsprozeß ließ in Lüneburg eine Genossenschaft entstehen, die bereits 1228 so gefestigt war, daß sie das Recht der freien Sotmeisterwahl durchsetzen konnte.206 Diese Genossenschaft der (erstmals 1374 so genannten) Sülfmeister207 entsprach jener der Siedeherren in Reichenhall.208 Die Sülfmeister waren Bürger Lüneburgs und den Interessen der Stadt verpflichtet.209 Die Inhaber der alten Salinenrenten hingegen waren Auswärtige. Darin wurzelte der langwierige Lüneburger Prälatenkrieg, der in den Jahren 1454–1456 kulminierte,210 als die Stadt deren Renten für den kommunalen Schuldenabbau besteuern wollte. Dieser Prälatenkrieg spitzte sich in seinem Verlauf zu einem Grundsatzkonflikt zwischen kommunaler Verantwortung des Rates und kirchlichen Freiheiten zu – eine dramatische Auseinandersetzung, von einem Prozeß an der römischen Kurie und der Ermordung eines Bürgermeisters begleitet. Der Friede wurde letztlich auf der Grundlage eines Vertrags gewonnen, der längst zuvor vereinbart worden war. In dem sogenannten bis zur Salinenreform von 1799 gültigen Sülzvertrag,211 den 1388 die Stadt mit den Sülzbegüterten, den Rentnern, geschlossen hatte, war das Verhältnis zwischen diesen und den Sülfmeistern geregelt worden.212 Die Sülfmeister mußten sich mit den „Rentnern“ vergleichen, die wie heutige Aktionäre vor allem am Ertrag interessiert waren. (So neu sind die Probleme des heutigen Shareholder-value-Systems nun wahrlich nicht.) Kern des Friedensvertrags war, daß feste Abgaben an die Inhaber der älteren Renten von eben denjenigen gezahlt wurden, die als jüngere, als genossenschaftlich organisierte Anteilseigner Nutzungsrenten innehatten.
|62|Bei allen Unterschieden sollten doch die Salinengenossenschaften eine prinzipiell gleichartige Entwicklung nehmen. Das Prinzip des Erbes verlagerte im Laufe der Zeit den Inhalt der Genossenschaft auf den Anteil am Unternehmensgewinn.213 Die Werler waren ehrlich, nannten sich Erbsälzer.214 Daß eine merkantile Mobilisierung der Anteile wie bei den Kuxen im Bergbau, die schon eine Nähe zur Aktie aufwiesen, nicht eintrat,215 dürfte am sicheren Ertrag dieser Anteile ebenso gelegen haben wie an den jeweiligen Genossenschaften, deren untereinander verwandte Mitglieder die jeweiligen Besitzrechte möglichst in den eigenen Heiratskreisen halten wollten. Die Anrechte konnten im Erbgang bis zu einem Sechzehntel am Ertrag einer Pfanne zersplittert werden.216 Dennoch bleibt die Erinnerung an die ursprüngliche Tätigkeit und der erst daraus erwachsene genossenschaftliche Gedanke vielfach erhalten. Schon vom Namen her weist das „Haalgericht“ in Schwäbisch Hall, in dem die Siedenserben in eigener Gerichtsbarkeit die Produktionsabläufe regelten,217 auf das hohe Mittelalter zurück. Das gilt wohl auch für die erst relativ spät, 1320, erwähnte Genossenschaft der „Hallinger“ in Aussee.218 Aber – typisch für die Verschiedenheit der Salinen – das tirolische Hall kannte keine entsprechende Organisation.219 Einen Sonderfall stellten in Schwäbisch Hall die kommunalen Anteile an der Saline dar, für die jährlich zwei Haalpfleger bestellt wurden. Mehrfach übten Frauen dieses Amt über Jahre hinweg aus.220 Das Grundsätzliche hinter dem Sonderfall: In kommunalen Ämtern erscheinen Frauen etwa als Geldwechslerinnen nur dann, wenn ihr Wissen unverzichtbar ist.
Allein die Pfännerschaft in Halle bildet eine Ausnahme unter der ansonsten zu beobachtenden genealogischen Konstanz bei der Entwicklung dieser Genossenschaften.221 Dem Erzbischof von Magdeburg, dessen Einfluß seit dem Hochmittelalter immer mehr durch die Pfännerschaft eingeschränkt worden war, gelang es 1475, die Folgen des Streiks im Jahr zuvor ausnutzend und mit der Unterstützung des gemeinen Mannes, entscheidenden Einfluß zu gewinnen. Alte Familien schieden aus, neue, überwiegend Handwerker und Neubürger, gestalteten hinfort diese nunmehr vom Erzbischof patronisierte Genossenschaft.222
Bei den kleineren Salinen vom Typ Salzkotten – „Kotten“ heißen üblicherweise die Behausungen von Kleinbauern, sind aber in diesem Fall Siedehütten – ist der Produktionsprozeß in anderer Weise als bei den großen Salzwerken geregelt.223 Es begegnet hier die „Riege“, eines der wichtigsten wirtschaftlichen Ordnungsprinzipien des Mittelalters, das zum Beispiel beim Riegebrauen erneut auftauchen wird. In festgelegter Reihenfolge sieden die Anteilseigner eine festgelegte Produktionsmenge.224 Die Riege erscheint hier nach innen als ein Mittel, die Konkurrenz auszuschließen, nach außen als ein Anbieterkartell mit limitierter Warenmenge.225
Sogar beim Salzhandel konnte sich, allerdings nur in Ausnahmen, das Prinzip des Erbes auswirken. Die Vermarktung des Weißen Goldes war mit so geringen Risiken verbunden, daß eine Zwischeninstanz zwischen Produzent und Händler sichtbar wird, welche den zu erwartenden Gewinn vorab abzuschöpfen versuchte. Diese Zwischeninstanz kann in ihren genossenschaftlichen Strukturen älter sein, aber erst im 13. Jahrhundert |63|wird sie in ihrem Ziel erkennbar, Gewinnanteile zu normieren und als Erbe weiterzugeben. Zum besseren Verständnis sei die Realienkunde bemüht und am alpenländischen Beispiel die Schnittstelle zwischen Salzförderung und -handel illustriert. Das getrocknete Salz wurde zu faustgroßen Stücken zerkleinert und dann in Kufen, in eimerförmige Gefäße eingeschichtet und mit einem Holzstößel eingestampft. Die Knochenarbeit erfolgte in Beisein eines sachverständigen Gremiums.226 Das betraf – Bruchsalz – zwar weitgehend nur die Vorbereitung des Landtransports, weniger die normierten Schiffsladungen, kann aber zur Veranschaulichung der Ursprünge dessen dienen, was als Zwischeninstanz bezeichnet sei. Diese lag in Hallstatt einer Urkunde von 1311 zufolge in der Hand von zwölf erblichen „burgerrechten“227, und in Wien war sie auf die Inhaber von 20 bestimmten Häusern beschränkt.228 Das aber waren Ausnahmen.229 Die auf den ersten Blick den Hallstätter Privilegien entsprechenden Kolberger Sülzherren erweisen sich schnell als die typischen, nicht spezialisierten Fernhändler der Oberschicht, die neben dem Salz auch Heringe, Wein und Bier und holländische Tuche nach Polen exportierten und Pech und Teer als Rückfracht laden ließen.230 Daß der Handel nicht im gleichen Maße wie die Produktion von bestimmten Geschlechtern beherrscht werden konnte,231 daß hier das Prinzip des Erbes weniger deutlich in Erscheinung tritt, liegt in der Natur der Sache. Der Handel bedurfte stets der Arbeit und der Kompetenz, die im Laufe der Zeiten etwa bei den Erbsälzern zu Werl immer weniger gefragt waren.