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Die Salinen. Der Raubbau am Menschen und der Raubbau am Wald
ОглавлениеDas Elend der Salinenarbeiter: die neue Wahrnehmung hergebrachter Zustände in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts – Die Besonderheit ganzjährig gleichförmiger Tätigkeit in den Salzwerken – Knochenarbeit unter Tage oder inmitten von Ruß und Wasserdampf – Hierarchische Strukturen in der Produktion – Lohnkämpfe? – Erbärmlicher Tagelohn oder Stücklohn – Die Rahmenbedingungen: Produktionsvorgänge in den Salinen – Schöpfgalgen und Pumpe – Die stete Feuergefahr – Siedehütten als Mittelpunkte von Salzwerken – Technologie der Salzpfannen – Raubbau am Walde: die Salinen als Holzfresser – Suche nach Auswegen: frühe Pipelines
Salinen sind frühindustrielle Betriebe, bilden einen Sonderfall in einer Wirtschaftswelt, die von agrarischen Bedingungen geprägt ist. Dennoch spiegeln sich in ihrer Geschichte |54|die gesellschaftsgestaltenden Faktoren. Sie spiegeln in der Vermarktung ihrer Produktion den Reichtum, in ihren Produktionsprozessen aber die Armut, die grundsätzlich zum Schicksal mittelalterlicher Tagelöhner gehörte.
So hart das Los aller Tagelöhner und Arbeiter auch war, so hat es doch diejenigen in den Salinen am schlimmsten getroffen.93 Im Jahre 1789 charakterisiert ein Reisebericht die Salzarbeiter im tirolischen Hall als „Menschen, denen Krankheit und Tod auf den eingefallenen Wangen gemalt war“. 1807 schildert ein anderer Bericht die Zustände in dieser Saline: „Die Sudhäuser bieten zugleich das empörendste Schauspiel menschlichen Elends und menschlicher Verworfenheit dar. Gleich beim Eintritte sahen wir uns von einem Heere bleicher, hohlwangiger, leichenähnlicher Menschen umringt, die … stumm mit flehentlichen Gebärden um ein Almosen baten.“94 Hier werden keine neuen Zustände geschildert. Seit dem Spätmittelalter hatten bis zur Zeit um 1800 keine nennenswerten Veränderungen in der Salinenarbeit stattgefunden.95 Was die Reisenden berichteten, beruhte auf neuer, menschenfreundlicher Wahrnehmung alter Zustände – Spätaufklärung.
Seit dem Mittelalter war in den Salinen die Arbeit, anders als ansonsten in der mittelalterlichen Wirtschaft, tendenziell auf ganzjährige Leistung ausgerichtet. Saisonal bedingte Pausen, arbeitsarme Zeiten wie in der Landwirtschaft waren hier unbekannt, allein die Produktionsbedingungen diktierten die Arbeitszeiten; ausgenommen waren davon lediglich die höchsten christlichen Feiertage Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Mariä Himmelfahrt. Allgemein läßt sich den Siedevorgängen ablesen, daß die Arbeit über Tage keineswegs leichter war als die in den Salzstollen. Tag und Nacht stiegen Wasserdampf und Ruß aus den Hütten auf, von denen die städtischen Siedlungen Abstand hielten.96 Wo eine Trennung nicht möglich war, finden sich – Reichenhall stellt eine Ausnahme dar – die Salinen in den Armutsgebieten der Vorstädte. Und der größte Industriebetrieb des mittelalterlichen Nordeuropa97 lag als eigener ummauerter Bezirk an der Südwestecke Lüneburgs.98 Menschen mußten unter eben jenen Bedingungen arbeiten, von denen die Bürger Abstand hielten. Ein englischer Kanoniker erwähnt sie 1736 in seinem Reisebericht über die Lüneburger Saline. „Die Arbeiter dort haben die unangenehmste Tätigkeit. Sie sind immer in Rauch gehüllt und in einem Loch, das sehr heiß ist.“99
Hierarchische Strukturen prägen allgemein die Arbeitsverhältnisse im Mittelalter, und das gilt auch für die in den Siedehütten. Die Lüneburger Saline kannte 16 verschiedene Gruppen von Arbeitern und Bediensteten.100 In Halle zum Beispiel stehen an der Spitze die Halloren (wie sie seit dem 17. Jahrhundert bezeichnet werden), gewissermaßen die Meister,101 und unter ihnen arbeiten die Bornknechte, die Schachtarbeiter. In den Salzbergwerken bilden die Hauer eine Oberschicht, abgegrenzt von den einfachen Knappen.102 In Lüneburg werden die Sodknechte in der sogenannten „Küntje“, dem Haus über dem Brunnen,103 die aus dem Schacht die Sole ans Tageslicht fördern, von ihrem Vorgesetzten, dem „Segger“, und von einem Schreiber überwacht.104 Die unterste Schicht bilden die Frauen, welche die Holzscheite herantragen (selbst zu Zeiten |55|des Niedergangs der Lüneburger Saline arbeiten hier immer noch 108 solcher „Inscheterinnen“),105 und – ebenso wie in den Bergwerken – die Haspler, die vor Anstrengung keuchend die Eimer mit der Sole heraufwinden.106 Bei der schweren Arbeit in den feuchtheißen Siedehütten ließ der beißende Rauch die Augen tränen.107
Der Tagelöhner in Stadt und Land konnte zumindest zu Zeiten der Arbeitsspitzen mit guter Bezahlung rechnen; nicht so die Arbeiter in den ganzjährig produzierenden Salinen. Die Knochenarbeit, von der Produktion diktiert, wurde wie allgemein im Mittelalter im Tagelohn oder sogar im Stücklohn bezahlt. Das galt für die Solegewinnung ebenso wie für den „nassen“ oder „trockenen“ Abbau. Vielfach erhielten die Arbeiter nur ein Deputat von drei bis vier Eimern Sole pro Tag, die sie noch selbst aussieden und verkaufen mußten.108
Selbst schwere körperliche Arbeit zählte im Mittelalter nicht viel. Die anschaulichsten Näherungswerte hat Harald Witthöft erschlossen, indem er den Zusammenhang der Lüneburger Maßeinheiten „Süß“ und „Rump“ mit der Arbeitskraft der Träger nachwies.109 Es sind fast Zentnerlasten, die tagaus, tagein diesen Menschen zugemutet wurden. Dieser Nachweis läßt mich als alternden Historiker erschrecken. Als Bauhilfsarbeiter konnte ich durchaus, die linke Hand in die Hüfte stemmend, auf der rechten Schulter Zementsäcke Leitern hochtragen. Das war einmal. Was machten nur die Salinenarbeiter im Alter, wenn sie es denn erlebten? Nichts davon ist überliefert.110
Obwohl manche Salinen wie Halle mit etwa 600 Beschäftigten111 zu frühindustriellen Großbetrieben zu rechnen sind, ist wenig von den Arbeitsverhältnissen112 und noch weniger von Arbeitskonflikten überliefert.113 Das läßt sich nicht als Aussage für sozialen Frieden interpretieren, sondern hängt mit dem Desinteresse der Chronisten am Schicksal des gemeinen Mannes zusammen. Von Arbeitskämpfen wird allenfalls dann berichtet, wenn sie den Frieden in der Stadt bedrohen. Und wie steht es mit den Quellengattungen der Rechnungen und Akten? Bergwerke und Salinen waren allenthalben eigene Rechtsbereiche114 mit den Folgen von Abkapselung und Geheimhaltung der Interna.115 Und die Aufzeichnungen des jeweiligen Salinenrechts116 befassen sich mit Organisationsfragen, die Nöte der Arbeiter interessieren nicht. Die letzte Hoffnung: Soziale Konflikte werden oft in Gerichtsakten offenbar. Diese Quellen aber entfallen dort, wo Streitigkeiten intern geregelt oder vom Rat der Salinenstadt unterdrückt wurden.117
Trotz aller betriebsspezifischen Quellenproblematik ließen sich die inneren Spannungen nicht immer verbergen. In Reichenhall kam es im 14. Jahrhundert zu Arbeitskämpfen zwischen den „Vahern“, welche die Sole förderten, und den Siedeherren.118 Der große Streik der Salinenarbeiter zu Halle 1474 und die anschließenden, bis 1478 währenden Konflikte119 boten dem Magdeburger Erzbischof unverhofft Einflußmöglichkeiten, die er in der Neuordnung des Salinenvertrags von 1479 zu nutzen wußte.120 In Lüneburg sind Ende des 15. Jahrhunderts Aufstände der höheren Lohn fordernden Salinenarbeiter überliefert.121 Bei den Stadtunruhen 1510 in Schwäbisch Hall waren die kräftigen Salinenarbeiter gut genug, um gegen das alte Patriziat das neue Ratsregiment der Handwerker durchzusetzen – aber an ihren Arbeitsbedingungen änderte sich |56|deswegen nichts.122 Verzweiflung veranlaßte eine Bittschrift der Bergleute, Pfannhauser und Holzleute von Aussee an König Maximilian: Sie klagten ihm ihre Not. Seit 100 Jahren seien die Löhne nicht erhöht worden.123 Die gleichen sozialen Probleme im Süden wie im Norden. 1590 kam es zu einem großen Streik der Lüneburger Sülzknechte.124
Die erbärmliche Entlohnung schwerer körperlicher Arbeit ist Folge eines zu engen Arbeitsmarktes mit seinem Überangebot an Arbeitskräften und der nie in der zeitgenössischen Gesetzgebung thematisierten Arbeitslosigkeit. Daß etwa der in allen Landes-, Polizei- und Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts so scharf kritisierte „Müßiggang“ die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen abwälzte, wird allgemein den kleinen Leuten zum Schicksal. Die Probleme wurden bei den ausgemergelten Salinenarbeitern noch dadurch verschärft, daß die Suche nach Aufstiegschancen in der Fremde, daß der wichtigste Antrieb der großen mittelalterlichen Wanderungsbewegungen ihnen versperrt war. Deutsche Bäckergesellen konnten in Venedig ihr Glück versuchen.125 Brot backen beruhte überall auf den gleichen Fertigkeiten. Das Gesellenwandern war eine Aufstiegsmobilität, verbunden mit Hoffnungen, die Bornknechte und Haspler nicht hegen konnten. Die Salzsieder kennen weder im Spätmittelalter noch in der Neuzeit eine Wanderpflicht.126 Gegen den Erfahrungsaustausch des Gesellenwanderns sprach hier, daß die Verhältnisse von Saline zu Saline ganz verschieden waren.127 Dazu hatten die Anpassungen an die Möglichkeiten, die von der Natur vorgegeben waren, führen müssen.
Menschenkraft, durch die Haspler geleistet, konnte bei der Soleförderung vielfach durch die „Roßkunst“, durch Göpelwerke ersetzt werden,128 und am Ende der Entwicklung stand mancherorts die Pumpe.129 In Lüneburg wurde, ein einschneidendes Ereignis, 1569 ein Pumpwerk eingerichtet.130 Meistens behalf man sich mit Schöpfrädern oder Schwinghebeln, mit Eimern und Gegengewicht.131 Bis zum Beginn der frühen Neuzeit reichten die traditionellen Techniken der Soleförderung immer noch aus.132 Es war eine Sehenswürdigkeit, die 1442 Friedrich III. bei seiner Krönungsreise auffiel,133 wenn in Reichenhall, wo die schon seit dem 8. Jahrhundert bezeugten Schöpfgalgen lange in Tätigkeit waren,134 zwischen 1437 und 1440 an deren Stelle ein Paternosterwerk installiert wurde.135
Bei allen Unterschieden teilten die Salinen eine Erfahrung, die des Doppelgesichts des Feuers als Hilfe, aber auch als Gefahr. Der Salzsieder mußte zugleich Feuerungstechniker sein, mußte, die Hitzezufuhr regulierend, die Brandgefahr bannen können,136 war es doch etwas anderes, einen Herd zu kontrollieren als die Flammen unter mächtigen Sudpfannen. Trotz aller Vorsicht brannte Reichenhall in den Jahren 1171, 1196, 1203, 1353, 1415, 1424 und 1425 ab.137
Bereits im 12. Jahrhundert läßt sich in Reichenhall mit seinen 32 Siedehäusern die Struktur des Siedehauses mit seinen vier Bestandteilen von Soleanteil, Pfannstätte, Wohnplatz und Garten oder Wiese erkennen.138 Daraus ist der Betriebsablauf zu erschließen. Die Sole wurde durch Rinnen zu den Siedeplätzen geleitet oder durch Träger |57|hierhingebracht, die Versiedung fand dann in den Pfannhäusern und die Endverarbeitung in den Gärten oder Wiesen statt, wofür auch eigene Härthäuser zum Trocknen errichtet werden konnten.139
Siedehütten.140 In der Lüneburger Saline standen je vier Pfannen in einer der 54 Lehmkaten, deren Bauweise und Raumaufteilung vom 12. bis ins 18. Jahrhundert unverändert blieb.141 Diese räumliche, nicht unbedingt produktionstechnische Konstanz zeigt sich auch in Salzungen und Frankenhausen.142 Wenn es in der letztgenannten Saline 117 Siedehütten gab, so wird, wie ein Vergleich mit dem ungleich bedeutenderen Lüneburg lehrt, in jeder Hütte nur eine der etwa 10 m2 großen Pfannen gestanden haben.143
Mittelpunkt einer Siedehütte ist die Sudpfanne. Sie kann, schon in Quellen des 8. Jahrhunderts als „patella, panna, sartago, ineum“ erwähnt,144 als pars pro toto für das ganze Siedehaus stehen.145 In Lüneburg wurden die Pfannen auf einen genau auf ihre Größe abgemessenen Ofen zwei Stunden bei zunächst loderndem, dann glimmendem Feuer gestellt.146 Nach dem ersten Ausdunsten des Wassers mußte das Salz zur Mitte der Pfanne hin zusammengeschoben und das Feuer erneut angefacht werden. Das ausgetrocknete Produkt wurde dann auf den mit Laken ausgeschlagenen Sülzwagen geladen. Wenn dieses Salz mit etwa 10 % eine wesentlich höhere Feuchtigkeit als das heutige mit 1,5 % aufwies, lag das mitnichten an mangelnder Technik.147 Vielmehr erscheint hier das Grundproblem mittelalterlicher Nahrungsmittel: die Haltbarkeit. Ohne die den Siedemeistern bekannten Erfahrungswerte wäre bei der durch die Vorratshaltung erzwungenen längeren Lagerzeit das Salz allzuschnell hart geworden und verkrustet.
Ganz anders als in Lüneburg oder Schwäbisch Hall, wo die Sudpfannen eine Größe von 5 × 1,20 m hatten,148 waren sie in Hallstadt riesige Gebilde von etwa 150–200 m2; 1524 wird hier sogar eine Pfanne von 334 m2 erwähnt.149 Die Siedepfannen in Reichenhall maßen 16 × 13 m mit einer Tiefe von 45 cm.150 Solche mächtigen, nur an den Ecken etwas abgerundeten Schmiedeerzeugnisse beschrieb im 16. Jahrhundert Georg Agricola.151 Sie hängen in dem großen hölzernen Sudgebäude an 80 bis 90 Haken in einem Deckengewölbe, dessen Statik von mächtigen hölzernen Trägern gesichert ist. Doch selbst innerhalb des alpinen Salinars gilt, daß keine Saline der anderen gleicht. In Aussee besteht die Siedehütte aus drei Pfannen mit einem Durchmesser von je 20 m.152 Der Siedevorgang dauert Tag und Nacht,153 er währt in Hallstatt ununterbrochen sieben Tage und sieben Nächte. Nach dieser „siedenden Woche“ steht die Pfanne eine Woche kalt.154 Der Salzbrei wird, eine alpenländische Besonderheit, in gesonderten Trockenhäusern getrocknet.155 Zugleich wird die Pfanne gereinigt und ausgebessert. Und das ist schwer genug.156 Denn bei diesem riesigen Eisengerät sind immer wieder einzelne Stellen durchgebrannt, die durch das Aufnieten von Blech instand gesetzt werden. Die Nietstellen aber platzen leicht erneut wieder auf, so daß im Laufe der Zeit ein Pfannenboden entsteht, der einem dachschindelartig drei- bis vierfach übereinandergenieteten Teppich von Blechflicken gleicht. Metall ist teuer. Welche Bedeutung den Pfannen zukam, zeigt sich in Lüneburg, wo nicht das Blei aus dem nahegelegenen Harz, sondern das bessere und entsprechend teurere aus England verwendet wurde.157
|58|Bei allen Unterschieden der Produktionsbedingungen stellte sich als Gemeinsamkeit der Raubbau am Menschen heraus, die Bestätigung der einleitend zitierten Reiseberichte. Auf einen weiteren gemeinsamen Charakterzug der Salzproduktion haben wir eher beiläufig aufmerksam gemacht, auf die Gefahren des unverzichtbaren Feuers. Damit hängt die dritte Gemeinsamkeit zusammen. Die Salinen sind allesamt Waldfresser.158 Holz war im Mittelalter als Bau- und Werkholz Grundstoff und zugleich unverzichtbarer Energieträger.159 Eine Zahl mag genügen. In Schwäbisch Hall werden jährlich 130.000 Kubikmeter Holz verbraucht.160 Obwohl Hallein wegen seiner gesättigten Sole nur ein Drittel dessen an Holz bedurfte, was in Reichenhall benötigt wurde, brauchte diese Saline doch im 16. Jahrhundert bis zu 100.000 Festmeter Tannen- und Fichtenholz im Jahr, um etwa 30.000 Tonnen Salz zu gewinnen.161 Dabei ist zu berücksichtigen, daß hier nicht ganzjährig, sondern nur neun Wochen im Jahr gesotten wurde.162 Wo – wie zumeist in Norddeutschland – weniger Nadelholz verfügbar war, galten Buchen und Ellern, weniger jedoch Eichen oder Birken als geeignetes Heizmaterial. Holzreichtum in näherer Umgebung konnte selbst einer schwachen Sole zu großer Bedeutung verhelfen, wie das Beispiel Kolbergs lehrt. Hier lag der Salzgehalt nur bei fünf Prozent, etwa einem Fünftel dessen, was man in Lüneburg förderte.163 Niedriger Solegehalt verlangte größere Holzmengen, um das Wasser ausdünsten zu können. Das aber war angesichts der waldreichen preußischen, pommerschen und polnischen Gebiete kein Problem für die Kolberger Saline.
Die Kolberger hatten Glück bei der Lösung der Energieprobleme. Selbst der Waldreichtum der Alpen war nicht unerschöpflich angesichts des Bedarfs der Salinen. Eigens ausgewiesene „Sudwälder“ wie in Reichenhall164 konnten nicht ausreichen, wenn hier im 16. Jahrhundert die Produktion von 10.000 auf 17.000 Tonnen im Jahr 1551 stieg.165 Mit einem ausgeklügelten und viel Erfahrung voraussetzenden Triftsystem wurde versucht, eine geregelte Holzzufuhr zu erreichen.166 Die Verfügbarkeit des Energieträgers Holz begrenzte vielfach den Ausbau von Salinen. Nachdem in Ischl 1534 eine zweite Salzpfanne geschmiedet und in den Siedevorgang integriert worden war, wurde angesichts der Soleerträge der Ruf nach einer dritten laut; aber dieser Ruf mußte schnell verstummen, denn es war gar nicht genügend Holz vorhanden, um eine weitere Sudpfanne befeuern zu können.167
Als kleiner Vorgang weist das Scheitern in Ischl auf ein großes Problem: die Entwaldung der Alpen.168 Wie in den Alpenländern hat die Holzfrage auch in der größten nordeuropäischen Saline, in Lüneburg, die Naturlandschaft zutiefst verändert, hat das Entstehen der Lüneburger Heide herbeigeführt. Nachdem der Wald im Umland von Lüneburg abgeholzt worden war, wurde die obere Ilmenau für Holzimporte schiffbar gemacht,169 was aber bei weitem nicht ausreichte, um die Energiezufuhr zu sichern. Es mußte aus den mecklenburgischen Wäldern, bei der sogenannten Schaalfahrt mit dem schwierigen Treideln stromaufwärts das Holz für die Saline herbeigeschafft werden.170
Der Raubbau am Menschen begleitet als eine Konstante die Salinengeschichte. Angesichts der nur oberflächlich maskierten Arbeitslosigkeit erschien die Verfügbarkeit von |59|Menschenkraft unbegrenzt. Das aber galt nicht für den Raubbau am Wald. Die Grenzen der zunächst unerschöpflich erscheinenden Ressource waren schon im späten Mittelalter erkannt worden.171 Nicht mehr die deutschen Wälder waren, um Tacitus zu zitieren, schrecklich („Germania“: „silvis horrida“), schrecklich war die drohende Gefahr der Entwaldung. Nach neuen Lösungen mußte gesucht werden. Weil alle Welt wußte, wie abhängig die Salinen von der Holzversorgung waren, hielten nur fremde Reisende staunenswerte Lösungen, die vor Ort gefunden worden waren, für erwähnenswert. Vor Ort waren sie als Ergebnisse eines ständigen Kampfes gar nicht als einschneidende Ereignisse bewußt geworden. 1471 berichtet Agostino Patrizzi voller Bewunderung von der 9 km langen unterirdischen Leitung aus Holzröhren, mit der im tirolischen Hall die Sole in die Stadt geleitet wird, um dort „in großen Eisenpfannen, die einen Raum von 30 Ellen umfassen“, gesotten zu werden.172 In Hall hatte bereits im 14. Jahrhundert die Energieversorgung die Trennung von Bergwerk und Sudhaus erzwungen.173 Aber die deswegen zunächst oberirdisch angelegte Röhrenleitung war durch Lawinen und Überschwemmungen stets aufs neue gefährdet.174 Eine aufwendige unterirdische Verlegung wurde unumgänglich. Eine Pionierleistung, die den Bürgern zugleich Anschauungsunterricht gab, wie ein Alltagsproblem gelöst werden konnte. In Hall entstand zwischen 1411 und 1431 die erste Trinkwasserleitung Österreichs.175 All diese bedeutenden technischen Leistungen beruhten auf Erfahrungen, die wirtschaftlichen Zwängen abgewonnen waren. Das wurde in einer für die Neuzeit allmählich typisch werdenden Investition aufgegriffen. Denn die älteste Pipeline Europas war die seit 1595 erbaute 40 km lange Soleleitung von Hallstatt nach Ebensee. Die Sole mußte den Weg zu den Wärmestuben suchen, dorthin, wo der Holzbedarf gedeckt war.176
Der Raubbau am Walde wurde in der frühen Neuzeit in landesherrlichen Salinenordnungen einzudämmen versucht, der Raubbau am Menschen aber nicht. Das zwingt der Frage nachzugehen, wer denn eigentlich den Gewinn bei dieser Produktion eines unverzichtbaren Nahrungsmittels abschöpfen konnte.