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Die Geschichte der Salinen als Indikator für die Bevölkerungsentwicklung

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Ortsnamen als Geschichtsquelle – Von Iuvavum zu Salzburg: die Gründe für die außergewöhnliche Umformung eines antiken Ortsnamens – Der Salzreichtum deutscher Lande – Ausbau alter und Erschließung neuer Salzvorkommen als Voraussetzungen hochmittelalterlicher Binnenkolonisation – Neue Salzorte, Kleinstädte und ihre Stadtrechte – Salz aus Setubal: der gestiegene spätmittelalterliche Bedarf

Die Überschrift geht von der einfachen Überlegung aus, daß sich das Wachsen der Bevölkerung im Anwachsen der Salzproduktion abzeichnen müsse. Aber es scheint kaum möglich zu sein, diesen Gedanken zu verfolgen, weil nicht das geringste zu den früh- und hochmittelalterlichen Produktionsmengen überliefert ist. Einen Weg jedoch eröffnet die Geschichte der Ortsnamen. Nutzen wir das Verzeichnis der Postleitzahlen als Geschichtsquelle, so stoßen wir auf eine alte onomasiologische Schicht, der zwar nicht, wie die Forschung lange glaubte, ein westgermanischer Ausdruck für Wärmestube, |47|„hall“, zugrunde liegt, wohl aber eine jüngere Ableitung aus dem alten „hal-na“ im Sinne von Berghang, die insofern auf Salzbergwerk weisen kann, als die Stollen, weil Tiefenbohrungen technisch noch gar nicht möglich waren, vom Hang her in den Berg getrieben werden mußten.17 Reichenhall – Hallein – Halle – Hall. Es handelt sich meist um Salinenorte.18 Der Ortsname war derart häufig, daß nach 1803 der bayerische Staat gezwungen war, nachdem er sich die alte Reichsstadt Hall einverleibt hatte, diese zur Unterscheidung von anderen gleichnamigen Städten Schwäbisch Hall zu nennen.

Daß in der Verbreitung frühmittelalterlicher „Hall“-Orte zugleich ein Hinweis auf das Bevölkerungswachstum liegen könnte,19 ist wahrscheinlich. Zu einem Beweis führt ein Umweg, der die von den Ortsnamen vorgezeichneten Bahnen nicht verläßt. Das antike Iuvavum behält trotz nachgewiesener Siedlungskontinuität nicht wie ansonsten seinen antiken Namen wie zum Beispiel (Colonia) Köln oder (Moguntia) Mainz. Der neue Name weist auf die Bedeutung des neuerschlossenen Handelsgutes: Salzburg.20 Aus dieser vom Volk ausgehenden Umbenennung (in Kleriker- und später in Gelehrtenkreisen kennt man noch den antiken Namen) ist der Schluß auf eine im Vergleich zur römischen Kaiserzeit erheblich gewachsene Bevölkerung zu ziehen. Der neue Name Salzburg und die unter herzoglicher Lenkung seit etwa 700 erfolgende Ausweitung der nahegelegenen Saline Reichenhall21 weisen auf den stark gestiegenen Bedarf hin.

Der Vielzahl von „Hall“-Namen entspricht, daß die Produktionsstätten des Weißen Goldes auffallend häufig in den frühmittelalterlichen Urkunden erwähnt werden. Deshalb läßt sich erschließen: Die wichtigsten Salzregionen der deutschen Lande sind im 9./10. Jahrhundert die Ostalpen, sodann Lothringen (Salinen bei Marsal, Salins, Dieuze und Vic)22 und das Elbe-Saale-Gebiet; als bedeutende Salinen treten neben Reichenhall bereits die in Halle,23 Lüneburg, Kissingen, Soest und Salzungen24 in Erscheinung. Um das Jahr 1000 gab es in Europa etwa 20 Salinen, die für den überregionalen Bedarf, für den Fernhandel produzierten.25

Man mag die Anfänge der deutschen Geschichte in den Reichsteilungen der karolingischen Zeit oder in der ottonischen Herrschaftsbildung vermuten und wird doch die Ausgangsbedingungen so lange nicht finden, solange nicht die Geschichte des Salzes berücksichtigt wird. Die Salzarmut etwa in Böhmen26 und ganz allgemein in Ostmitteleuropa hat mit dem Zwang zum Import aus dem Westen zu politischen Abhängigkeiten geführt. Die deutschen Lande sind ebenso wie die Iberische Halbinsel reich an Salzlagern, während Skandinavien hieran großen Mangel hatte.27 Den Ottonen hatte einst der Silberreichtum des Harzes den Weg zur Königsherrschaft geebnet. Bei wachsender Bevölkerung aber konnte um 1300 das Weiße Gold neben dem Silber für die Herrschaft wichtig werden; denn inzwischen war der Salzbergbau stark ausgeweitet worden. Daß in der spätmittelalterlichen Reichsgeschichte mit einem Mal Österreich als der neue Zentralraum des Königtums hervortritt, hat auch mit der Salzgewinnung zu tun, waren die Habsburger doch die Herren des alpinen Salinars.

Reichenhall war im hohen Mittelalter ebenso wie die Saline von Hallein, wo schon 60 Bleipfannen um 700 nachweisbar sind,28 unter Einbeziehung des Laugverfahrens |48|stark ausgebaut worden,29 und der Berchtesgadener Salzberg wurde zwischen 1180 und 1190 aufgeschlossen – nur zwei Beispiele für die Ausweitung des Salzbergbaus.30 Im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts wurden die Salzstollen in Hallstatt wieder gangbar gemacht.31 Das Bevölkerungswachstum zog „die gewaltige Expansion der Salzproduktion im Laufe des 13. Jahrhunderts nach sich“.32 Im 13. Jahrhundert werden die Konturen der ostalpinen Salinenreviere, wie sie bis in die Gegenwart bestehen, sichtbar. Nachdem Aussee (1147), Hall im Inntal (1256 erstmals erwähnt)33 und schließlich Hallstatt gegründet worden waren, ist das sogenannte „alpine Salinar“ vorgezeichnet, mehrere voneinander getrennte Lagerstätten zwischen Wien im Osten und Innsbruck im Westen umfassend.34

Vorübergehend hatte die Ausweitung des alpinen Salinars zu heftigen Konkurrenzkämpfen geführt. Das bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts im süddeutschen und südostdeutschen Raum den Salzhandel beherrschende Reichenhall,35 das die größten damals bekannten Salzvorkommen besaß, sah 1190/91 in der gerade erst erschlossenen Lagerstätte Berchtesgaden einen Rivalen.36 Die Reichenhaller versuchten 1193/94 sogar, die neue Saline zu zerstören, und als Antwort überzog 1196 der Salzburger Erzbischof Reichenhall mit Fehde und Brand.37 Eine Episode. Langfristig erwies sich angesichts des großen Bedarfs an Salz, daß beide Salinen nebeneinander bestehen konnten.38

Das Entstehen des alpinen Salinars ist spektakulärer Ausdruck eines allgemein zu beobachtenden Zusammenhangs zwischen Bevölkerungswachstum und Erschließung neuer Salzvorkommen. Zur Bestätigung ist erneut auf den Ortsnamenschatz zurückzugreifen. Das mit Abstand häufigste Präfix ist „Neu-“ wie in Neustadt. Es handelt sich durchwegs um Siedlungen der hochmittelalterlichen Ausbauphase. An zweiter Stelle aber steht das Präfix „Salz-“. Es hat in den Zeiten des Landesausbau das alte „Hall-“ abgelöst. Beispiele aus dem deutschen Norden: Salzderhelden (1320) – Salzdahlum – Salzdetfurth – Salzgitter (ursprünglich: „solt by dem Gittere“) – Salzhemmendorf – Salzkotten – Salzschlirf – Salzuflen. Es handelt sich um Ortsnamen einer Ausbauphase. Sie sind mit der Ausnahme des schon im 8. Jahrhundert bezeugten Salzungen39 erst im hohen Mittelalter mit dem Landesausbau und als Antwort auf das Bevölkerungswachstum entstanden. Alle mit „Salz“ beginnenden Ortsnamen benennen Siedlungen, die nur eine regionale Bedeutung gehabt haben. Welten liegen zwischen dem für die regionale Bedarfsdeckung erschlossenen Salzhemmendorf und dem auf überregionalen Handel orientierten Reichenhall. Bezeichnenderweise handelt es sich bei den „Salz“-Namen um Klein-, teilweise gar um Zwergstädte. Aber diese Siedlungen blieben keine Dörfer. Salzgewinnung und Stadtrecht hingen zusammen, weil die Verleihung von Stadtrechten während des hochmittelalterlichen Landesausbaus von herrschaftlichen Interessen diktiert war. Ein Beispiel: Die Entdeckung der Solequelle bei Staßfurt 1227 gab den Anstoß zur Erhebung des kleinen Ortes zur Stadt.40

Salz und Stadt: An den hochmittelalterlichen Landesausbau mit seinen Stadtgründungen schließt sich die Landesentwicklung des späten 13. und 14. Jahrhunderts an, die sich aus der Perspektive des alpinen Salinars besonders gut in Bayern erkennen läßt. |49|Hier orientierten sich die spätmittelalterlichen Stadtrechtsverleihungen an den Wegen des Salzhandels.41

Die hochmittelalterliche Erschließung neuer Salinen und Salzbergwerke reagiert auf das Bevölkerungswachstum. In die gleiche Richtung weisen Ausbau und Produktionssteigerungen der älteren Salinen, wenn etwa zwischen 1267 und 1335 der Ertrag von Aussee sich verfünffachte,42 wenn die Produktion der Lüneburger Saline sich bis 1300 innerhalb von hundert Jahren auf 15.300 Tonnen verdreifacht hatte,43 wenn die Tragfähigkeit der Salzschiffe auf der Ilmenau im 13. und 14. Jahrhundert proportional zur Kapazitätsausweitung der Lüneburger Saline zunahm.44

Bis ins hohe Mittelalter hinein sind Ortsnamen ein verläßlicher Indikator für den mit wachsender Bevölkerung ansteigenden Salzbedarf gewesen. Diese Geschichtsquelle entfällt für das Spätmittelalter, als das Siedlungsnetz bereits geknüpft und damit der Bestand an Ortsnamen festgeschrieben war. Die Ausweitung des Salzhandels zur Internationalität wird nunmehr zum Indikator. Da wir die Geschichte des Baiensalzes in anderen Zusammenhängen behandeln, begnügen wir uns hier mit einem Beispiel. 1456 stellte König Alfons V. ein Privileg für die Hanse aus, das diese Genossenschaft („nacie“) bestätigte und ihr weitgehende Zollfreiheit verlieh.45 Dem König war an den hansischen Holzimporten ins waldarme Portugal schon allein wegen des Schiffsbaus gelegen; der Hanse hingegen vor allem an dem Salz aus Setubal (neben dem Zucker aus Madeira und von den Kanarischen Inseln) als geeigneter Rückfracht.46 Salz aus Setubal, Salzeinfuhren von der Iberischen Halbinsel,47 als neues Massengut im 15. Jahrhundert, das zehn Prozent der preußischen Salzeinfuhren in Danzig ausmachen sollte48: Was für die Handelsgeschichte des Baltikums wichtig ist, stellt zugleich einen Indikator für die im 15. Jahrhundert stark ansteigende Bevölkerung dar, nachdem bereits um 1400 die demographischen Folgen der Pestwelle von 1349 überwunden worden waren. Sicherlich wurde Salz auch in steigendem Maße für die handwerkliche Produktion der Bleicher und Färber sowie für die Glasherstellung gebraucht, in der Hauptsache aber zur Ernährung einer ständig wachsenden Zahl von Menschen.

Essen und Trinken im Mittelalter

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