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Was ist eigentlich Salz? Die drei Formen zur Gewinnung des lebenswichtigen Minerals
ОглавлениеDas Geschenk der Erde und die Salzgewinnung – Meersalz – Die Erfolgsgeschichte des Baiensalzes – Salznot als Hintergrund der schwierigen Meersalzgewinnung an der Nordseeküste – Salznot: die Erschließung von Salzwerken in Polen – Salznot: die Nutzung auch schwacher Solequellen
Nach wissenschaftlicher Konvention gehören Definitionen an den Anfang einer Untersuchung. Davon konnte in diesem Fall abgewichen werden, weil zunächst unstrittig |50|sein kann, was Salz überhaupt ist. Erst nach einem Überblick über die historische Entwicklung dieses Minerals ist die Definitionsfrage mit einer trivialen Feststellung einzuleiten: Das Salz ist ebenso wie das Wasser ein Geschenk der Erde an den Menschen. Vor 250 bis 230 Millionen Jahren „kam es im abgeschnürten Flachseebecken eines Ur-Mittelmeeres infolge mangelnder Wasserzufuhr und ständiger Verdunstung zur Ausfüllung und Ablagerung der im Meersalz gelösten Mineralien in der Reihenfolge: Kalk – Gips – Steinsalz“.49 Salz als Produkt der Erdgeschichte läßt erkennen, warum das sogenannte „Weiße Gold“ verschiedenes Aussehen und verschiedene Qualitäten haben konnte.
Die unterschiedlichen Salzqualitäten waren zumindest den Kaufleuten bekannt. Sie wußten schon vom Herkunftsort ihrer Ware. Die Unterschiedlichkeit der Salzgewinnung, die bereits in vorgeschichtlicher Zeit evident ist und die jeweils individuelle Geschichte der Salinen begleiten wird, antwortet auf die unterschiedlichen Formen, in denen die Erde ihr Geschenk dem Menschen darbietet. Vereinfacht handelt es sich um drei Grundformen, das Abschöpfen von Siedesalz aus salzführenden Gewässern, der Sole, zweitens um die Gewinnung von Meersalz und drittens die bergmännische Erschließung von Salzadern, wobei das Weiße Gold im Trockenabbau von ausgebrochenen Salzsteinen oder durch Auslaugung der unterirdischen Salzkammern durch eingeflößtes Wasser gewonnen wurde. Das letztgenannte Laugverfahren lieferte das reinste Produkt.50
Zunächst hatte der Mensch nur das salzhaltige Oberflächenwasser nutzen können.51 Er hatte bereits in vorgeschichtlicher Zeit gelernt, dieses in einfachen Tontöpfen auszukochen. Ein entscheidender Fortschritt war die Salzgewinnung „unter Tage“. Daß heute von einer Hallstatt-Zeit gesprochen wird, erinnert an eine Salzstätte, wo schon in der Eisenzeit die Kelten Untertagebau betrieben und in der sich über 2000 vorgeschichtliche Bestattungen nachweisen lassen. Im Verlauf der Geschichte sollte die bergmännische Erschließung verschiedene Formen entwickeln. Den Siedern, die in zwei Arbeitsgängen zunächst die Sole ans Tageslicht bringen und dann durch Erhitzen daraus das Endprodukt kondensieren,52 stehen die „Salzschneider“, die „incisores salium“, gegenüber, die das Steinsalz gewinnen.53 Die bergmännische Technik kennt neben dem „trockenen“ den „nassen Abbau“, bei dem das Salz aus dem Gestein durch Einleitung von Wasser ausgeschwemmt wurde.54 Eine genaue Trennung von Soleförderung und Steinsalzgewinnung ist aus bergmännischer Sicht nicht zu ziehen.55 Die Lüneburger Saline zum Beispiel lebte mit ihrem ausgedehnten Stollensystem von bergmännischer Technik, von „Fahrten untertage“.56 Die Mächtigkeit der von Menschen geschaffenen Salzstollen läßt heute noch staunen. Nicht leichter war oft die Erschließung von Solequellen. Bis in eine Tiefe von 35 m wurden die Schächte in die Erde getrieben.57 Schrägstollen mußten mit einer Neigung von 30–40° gegraben werden, um das Wasser einleiten zu können, das die Soleadern aufschwemmte und mühsam ans Tageslicht gefördert wurde.
Die archaischen Verfahren der Salzgewinnung58 waren im Mittelalter bereits überwunden, |51|technische Schwierigkeiten waren gemeistert. Und diese Schwierigkeiten waren nicht gering. Stets waren die Solequellen gegen das Eindringen des Grundwassers zu schützen,59 zum Beispiel mußten in Lüneburg die Stollen vor dem einbrechenden „süßen Wasser“ gesichert werden. Im 13. Jahrhundert war hier ein undurchdringlicher Damm aus festem Ton gezogen worden, der die wasserreichen Sandschichten von dem Tonbett der Soleadern trennte.60
Von den drei Grundformen der Salzgewinnung sei die scheinbar unspektakulärste näher vorgestellt: Meersalz. Wenn die Mönche des im Frühmittelalter so bedeutenden Klosters Bobbio ihren Salzbedarf aus Venedig bezogen, so deutet sich einer der wichtigsten Gründe für den Aufstieg dieser Stadt an, die Ausbeutung der Salzgärten.61 Venedig nutzte diesen von der Natur gebotenen Schatz und entwickelte im hohen Mittelalter ein frühes Vorbild für das staatliche Salzmonopol.62 Die Stadt an der Lagune ist ein spektakuläres Beispiel für den Zusammenhang von Salz, Wirtschaft und Kulturentwicklung. Die gleichen Bedingungen sind in allerdings wesentlich kleinerem Maße auch andernorts genutzt worden.
An den Küsten konnte Salz durch Eindämmung des Salzwassers gewonnen werden, das dann der Verdunstung durch die Sonne ausgesetzt wurde. Ein scheinbar einfacher, in Wirklichkeit aber viel an Erfahrung und körperlicher Arbeit voraussetzender Vorgang.63 Salzgärten64 – der moderne Ausdruck bezeichnet zutreffend den landwirtschaftlichen Charakter dieser Form der Salzgewinnung. Die großen Schwierigkeiten bei dem sowieso viele Kenntnisse verlangenden Reinigen dieses Produktes65 fielen angesichts der Nachfrage nicht ins Gewicht. Und zudem war sowieso vielfach das Säubern des Salzes sehr aufwendig. In Halle wurde Rinderblut zur Aufbereitung der Sole verwendet, was den Bürgern als so eklig erschien, daß nur bei Nacht das Blut zur Saline transportiert werden durfte.66
Das an der französischen Atlantikküste gewonnene Meersalz, schon in karolingischer Zeit ein Handelsartikel, hieß in nord- und ostdeutschen Landen, seit es hier mit dem 13. Jahrhundert bekannt wurde, Baiensalz. Der von Bai de Bourgneuf abgeleitete Begriff wird zur Sammelbezeichnung für das westfranzösische Meersalz.67 Dieses erstmals 1276 in hansischen Quellen erwähnte Produkt war grobkörniger als das Lüneburger, aber erheblich preiswerter. Den kleinen Hafen von Bourgneuf liefen zunächst flandrische und holländische Schiffe – besonders die aus Kampen – an. Die große Zeit des Baiensalzes als eines hansischen Handelsartikels beginnt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, nachdem der Frieden von Brétigny die Atlantikküste gesichert hatte. Über das Salz wurde die einzige nennenswerte Verbindung der Hanse zum französischen Königtum geknüpft. (Philipps des Schönen Privileg für Lübeck 1298 mochte den Waffenexport der Travestadt nach Paris kurzfristig intensiviert haben,68 aber längerfristige Folgen hatte es nicht.) Aus der politischen Situation heraus lag es für die französische Krone nahe, den Handel mit Baiensalz zu fördern. Dadurch verfielen die englischen Salzgärten und -pfannen, die an den Ufern der Wash in Betrieb waren. England wurde zum reinen Importland für Salz, woran aber die Hanse nur geringen Anteil hatte.69
|52|Baiensalz und Hanse: Regelmäßige Handelsfahrten setzen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein. Für die Baienflotten, die jetzt von der Hanse organisiert werden,70 war Salz auch ein ideales Ballastmittel. Damit sind die Schiffe aber auch weniger wendig und leicht Kaperangriffen ausgesetzt. Sie fahren deshalb im Konvoi,71 laufen im Herbst aus und überwintern bis März in Bourgneuf. Wegen der Winterstürme verbot der Hansetag 1401 die Baienfahrt zwischen Martini und Mariä Lichtmeß (11. Nov. und 2. Febr.). Im März bricht der Konvoi dann zu den Heimathäfen auf, wo die Schiffe im Mai und Juni eintreffen.
Baiensalz wurde im späten Mittelalter in riesigen Mengen nach Osteuropa und ins Baltikum exportiert.72 Der Siegeszug dieses inzwischen besser aufbereiteten Produktes zeichnet sich ab,73 wenn 1383 allein in Reval über 40.000 Zentner eingeführt wurden.74 Weder Lübeck noch Lüneburg konnten die neue Konkurrenz verhindern,75 zu groß war der Bedarf. Und letztlich hat das Baiensalz die Entwicklung der Lüneburger Saline nicht beeinträchtigt.76 Die Stadt an der Ilmenau vermochte einen Markenschutz für ihre Salztonnen aus Buche (die des Baiensalzes verwendeten Eichenholz)77 zu erreichen. Aber das besagte wenig. Denn im Gegensatz zum „Travesalz“ wurde das von der Atlantikküste üblicherweise nicht in Tonnen, sondern in loser Schüttung verschifft.78
Selbst das Meersalz hatte seine unterschiedlichen Qualitäten. Im Baltikum galt das in Seeland gewonnene „flämische“ Salz für besser als das Baiensalz, während das an Schottlands nebligen Küsten gewonnene, das „graue Salz“ als minderwertig eingeschätzt wurde.79 Von welcher Güte Meersalz auch immer war, seine Produktionsbedingungen – Salzgärten – beruhen auf bäuerlicher Arbeit. Die Salinen im Binnenland hingegen bildeten eine Frühform der Industrialisierung. Das heutzutage so einheitlich erscheinende Produkt vereinigt in seiner Geschichte eine agrarische und eine industrielle Komponente.
Allein mit nüchterner Prosa ist der Zusammenhang von Salzgewinnung und Bevölkerungsentwicklung zu behandeln gewesen. Die dahinter stehende Dramatik ist in den Quellen nicht überliefert, nämlich die Salznot. Diese kann trotz des Schweigens der Quellen erschlossen werden, wenn bedacht wird, wo dieses Mineral in schwerer Arbeit gewonnen werden mußte. An der Nordseeküste wurde es im mühsamen Verfahren durch Verbrennen des mit Meerwasser getränkten Torfes erzeugt.80 Kompliziertes Salzsieden an den Nordseeküsten81: Saxo Grammaticus berichtet über Nordfriesland, daß hier „aus getrockneter Erde Salz gekocht wird“.82 Noch bis in das 15. Jahrhundert hinein wurde am Kattegat und in Fünen dadurch Salz produziert, daß nach dem Verdunsten eingedämmten Meerwassers das Seegras getrocknet und dann verbrannt wurde. Die Asche mußte filtriert und auf Platten gesotten werden. Von dieser Arbeit erhob der dänische König Abgaben;83 denn ihr Ertrag war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sowohl für den Nahmarkt im Hinterland als auch für den Export in das salzarme Skandinavien84 – und das, obwohl dieses Produkt nicht von besonderer Güte sein konnte. Salznot.
In den von Salzvorkommen begünstigten deutschen Landen tritt die Salznot nicht so hart in Erscheinung wie etwa im salzarmen Polen. Hier ist sie an der frühindustriellen Produktion in den Salinen abzulesen. Die Geschichte der südpolnischen Salzbergwerke |53|bei Krakau, Wieliczka und Bochnia ist Teil des gesamteuropäischen hochmittelalterlichen Landesausbaus. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts waren in Bochnia (1253) und Wieliczka (vor 1290) riesige Steinsalzflöze entdeckt worden.85 Der ansonsten verborgene internationale Erfahrungsaustausch ist im Falle Bochnias wenigstens schemenhaft erkennbar. Hier wirkten die Zisterzienser aus Wachok, französische Experten aus einem Kloster, in dem bis ins 15. Jahrhundert hinein kein polnischer Konventuale nachweisbar ist.86 Diese Salinen um Krakau, das nicht zufällig die polnische Hauptstadt des Mittelalters war, bildeten jahrhundertelang den größten Industriebetrieb des Königreichs.87 Aber sind die 200 km langen Stollen in Wieliczka und die hier durch den Salzabbau entstandenen riesigen ausgehöhlten Räume von bis zu 90.000 Kubikmetern88 nicht stumme Zeugen für einen dramatischen Wettlauf zwischen Bevölkerungsentwicklung und Salzbedarf? Daß trotz der südpolnischen Salinen, trotz der überwältigenden Bergbautechnologie von Wieliczka keine ausreichende Versorgung des Königreichs gewährleistet war, lehrt der hohe Preis, der für das Salz gezahlt werden mußte,89 lehrt der Aufstieg von Kolberg, dessen qualitätsarmes Produkt trotz der Konkurrenz durch das ungarische Steinsalz in Polen abgesetzt werden konnte.90
Die Salznot bildete die Klammer, die so unterschiedliche Formen der Gewinnung dieses Minerals wie die am Kattegat und die in Wieliczka ebenso vereinte wie die dritte Form, die der Nutzung von solehaltigen Wassern. Salznot erzwang die dauernde Suche nach neuen Quellen. Vielfach wurden lediglich solche gefunden, deren Sole nur einen Kochsalzgehalt von weniger als 10 % aufwies.91 Aber selbst solche Salinen wurden erst im 19. Jahrhundert unrentabel. Wenn sie vielfach zu den damals aufkommenden Solebädern umgewandelt werden konnten,92 so repräsentieren sie einen Fortschritt in der Geschichte. Was einstmals die Not erzwungen hatte, wird nunmehr zum Luxus des Kuraufenthalts.