Читать книгу Essen und Trinken im Mittelalter - Ernst Schubert - Страница 24
Das Salz und die fürstliche Herrschaft
ОглавлениеDer Gegensatz zu Frankreich: Salz als Element des Föderalismus – Salzzölle – Staatlicher Zugriff: der Deutsche Orden – Europäische Vorbilder der Salzpolitik Maximilians I.? – Das wohl richtungweisende Beispiel: die frühneuzeitliche Entwicklung des wittelsbachischen Salzmonopols – Salz, Steuer und Schmuggel – Der frühneuzeitliche Zugriff des Fürstentums auf die Salinen und sein innovatorischer Charakter: die Holzersparnis – Gradierwerke
Ob das Salz ursprünglich ein königliches Sondereigentum, ein Regal, gewesen war,283 sei dahingestellt. Es könnte sich allenfalls bei der Steinsalzgewinnung um eine Ableitung vom Bergregal gehandelt haben. Zahlreiche Königsurkunden des frühen Mittelalters übertragen Rechte an den Wildbännen, beruhend auf königlichem Recht am unkultivierten „Unland“; über die Vergabe von Salzgerechtsamen aufgrund eines Regals hingegen schweigt die Überlieferung, und vollends seit dem hohen Mittelalter, seit der Expansionsphase der Salzproduktion tritt das Königtum in deutschen Landen nicht mehr in der Geschichte des Weißen Goldes in Erscheinung. An der Saline der königlichen Stadt Schwäbisch Hall hält es um 1300 nur noch einen Anteil von 6 %.284
Ob der unscharfe Begriff der Grundherrschaft auf die frühmittelalterliche Salinenverfassung anwendbar ist,285 erscheint überaus fraglich. Was schon bei der Beschreibung agrarischer Verhältnisse nicht geringe Probleme aufwirft, ist kaum geeignet, eine Produktionsweise, die gänzlich außerhalb der Agrarverfassung steht, zu erfassen. Dennoch lassen sich die Herrschaftsverhältnisse bei der Salz- und Agrarproduktion in einem Punkt vergleichen. Wie in der Agrargesellschaft gaben die Herren mit dem hohen Mittelalter auch bei der Salzproduktion die direkte Wahrnehmung ihrer Rechte, die zu den Salzkriegen geführt hatten, auf und wählten den raumgreifenden Zugriff auf die Zölle.286 Schon in der Raffelstettener Zollordnung erscheinen Salzschiffe und Salzwagen.287 Die auch auf den Landwegen erhobenen Salzzölle288 werden in Bayern seit dem 13. Jahrhundert eine der Haupteinnahmen des Herzogs;289 die von den Wittelsbachern so manchem Kloster verliehenen Zollbefreiungen hatten einen großen Wert.290 Allerdings: Eine der bekanntesten Gewalttaten Heinrichs des Löwen, die Verlegung der Zollstelle |68|von dem der Kirche von Freising gehörenden Föhring nach München 1156/58, hatte nicht, wie man lange gemeint hat, den ertragreichen Salzzoll im Blick.291
Im Gegensatz zu Frankreich ist die Geschichte des Salzes im Reich keine Geschichte des Königtums, sondern eine des Föderalismus. Deshalb brechen etwa im bayerischen Raum um 1200 Salzkriege zwischen den Herzögen von Bayern und den Erzbischöfen von Salzburg auf,292 die erst 1218/19 beigelegt werden können.293 Ebenfalls Anfang des 13. Jahrhunderts ist der Kampf um die Salzmärkte unter den wittelsbachischen Linien erkennbar.294 Zu gleicher Zeit erhebt sich der Krieg des Herzogs von Lothringen gegen die drei Bischöfe von Metz, Toul und Verdun um die Oberherrschaft über die ertragreichen Salinen dieses Raumes.295 (Weil die drei Bischöfe bis 1552 unbestritten zu den Reichsbischöfen zählten, haben wir bei der Aufzählung der frühmittelalterlichen deutschen Salinen auch die lothringischen aufgeführt.)
Von allen Herrschaften in deutschen Landen griff die des Deutschen Ordens in Preußen am tiefsten in den Handel mit dem Weißen Gold ein. In großen Mengen wurde Salz importiert und in den beiden Großschäffereien zu Danzig und Königsberg eingelagert und verkauft. Der Salzverschleiß verschaffte dem Hochmeister den höchsten Gewinn aller importierten Waren.296 Diese Vereinnahmung eines Handelsgutes erscheint ungewöhnlich früh in deutschen Landen; sie weist auf einen Orden, der trotz seines Namens Teil der europäischen Geschichte ist. Venedig, wo noch im ausgehenden 13. Jahrhundert das Zentrum dieses Ordens lag, hatte mit seiner Monopolisierung des Salzhandels ebenso ein Vorbild geboten wie die den Ordensrittern bekannten Ordnungen Kasimirs des Großen 1368 in Polen297 und 1397 die Salzordnung König Siegmunds von Ungarn.298
Es waren wahrscheinlich nicht die venezianischen oder die davon inspirierten Maßnahmen Meinhards II. von Tirol, es waren eventuell die osteuropäischen Vorbilder oder die der kastilischen Krone,299 die Maximilian I. zum herrschaftlichen Zugriff auf das alpine Salinar veranlaßten.300 Als österreichischer Landesherr sollte er schließlich 15–20 % seiner Gesamteinnahmen aus den Salzerträgen beziehen.301 Erst durch seine Maßnahmen wuchs der Raumbegriff Salzkammergut, der zunächst ein kleineres Gebiet als heute bezeichnete. Vielleicht aber hatte Maximilian gar nicht in die Ferne gesehen, sondern sich von den wittelsbachischen Nachbarn anregen lassen. In Bayern begann der Weg zum herzoglichen Salzhandelsmonopol, das ein Rückgrat der Staatsfinanzen werden sollte, 1494 mit der Übernahme Reichenhalls.302 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kaufte Herzog Georg der Reiche die Salinenrechte an Reichenhall in einem Ausmaß auf, das dieses Salzwerk zu einem „reinen Fiskalbetrieb“ werden ließ.303 Dem Vorbild der Wittelsbacher und Habsburger folgten im 16. Jahrhundert manche Reichsfürsten. Jetzt erst war die territoriale Herrschaft so weit entwickelt, daß eine diesen Namen verdienende Wirtschaftspolitik zumindest ansatzweise betrieben werden konnte. Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen, der seine Finanzverwaltung reformierte, sah die fiskalischen Chancen. Für ihn wurde das Salz zum ersten monopolistischen Gut seiner Wirtschaftspolitik.304 Aber selbst der mächtige Landgraf hatte sich dabei |69|nicht allein auf seine Obrigkeit stützen können, sondern auch auf die ihm verbliebenen Herrschaftsrechte an den Salinen. Den Welfen, deren Gebiete salzreicher als die des Landgrafen waren, waren entsprechende Versuche verwehrt, nachdem sie im 13. Jahrhundert all ihre Rechte an der Lüneburger Saline verkauft hatten.305 Die Salzgeschichte als Ausdruck des deutschen Föderalismus erweist im Vergleich von hessischen und welfischen Landen, daß mit gleichförmigen Entwicklungen selbst auf fiskalischem Gebiet nicht zu rechnen ist.
Salz und Steuer. Anders als in Frankreich, dem Land der Salzsteuer, der „gabelle“,306 lassen sich im deutschen Spätmittelalter keine Ansätze zur Besteuerung des Salzes erkennen.307 Selbst wenn in der frühen Neuzeit einige Territorien dieses Finanzmittel entdeckten, so blieb den Deutschen diese Steuer weitgehend erspart. Ob Zoll, ob Monopol, ob Steuer: in welcher Form auch immer der Staat in den Handel eingreift, entsteht Schmuggel.308 Dieser hat in deutschen Landen nicht die Ausmaße wie in Frankreich angenommen, wo er eine Herausforderung der Steuerverwaltung darstellte.309 Schmuggel mit dem Weißen Gold war in jenen Alpenregionen verbreitet,310 in denen Maximilians Fiskalpolitik erfolgreich gewesen war. Der für die Schmuggler ertragreichste unter den verstohlenen Wegen lehnte sich an die berühmte Salzstraße, den Goldenen Steig, an,311 führte über Salzach und Inn nach Passau, durch den Bayerischen Wald und den Böhmerwald in das salzarme Böhmen.312
Von den Monopolisierungsbestrebungen sind jene verstärkt im 16. Jahrhundert begegnenden fürstlichen Bemühungen zu unterscheiden, aus fiskalischen Interessen die Produktion zu steigern, was bis zu Neugründungen reichen konnte.313 Ein Vorläufer ist bereits in jener Zeit des Spätmittelalters auszumachen, die ansonsten eine Zeit der Kommerzialisierung und Mobilisierung von Herrschaftsrechten war. Meinhard II. von Tirol hatte um 1280 die Saline (Thaur-)Hall gekauft, die wohl von Graf Albert von Tirol gegründet worden war.314 Durch Experten aus Aussee, die ihm von seiner Tochter, der Ehefrau des österreichischen Herzogs, vermittelt worden waren, ließ er den Haller Salzbergbau am Haselgebirge eröffnen.315 Schließlich sollten die Einnahmen, die Meinhard II. aus der Saline zog, ein Zehntel seiner Gesamteinnahmen ausmachen.316 Die Maßnahmen des Tiroler Grafen weisen darauf hin, daß die bergmännische Erschließung von Salzvorkommen erhebliche Investitionen verlangte. Auf den Landesherrn als Investor dürfte die starke landesherrliche Position etwa in Hallstatt, Hall in Tirol und in Aussee zurückgehen.317 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird das fiskalische Bemühen um Ertragssteigerung der Salinen durch ein neues Stilmittel fürstlicher Herrschaft unterstützt, das Gesetz. Die Fürsten bemühten sich, ihre neu definierte Obrigkeit318 in Gestalt von Salinenordnungen geltend zu machen.
Der theologisch aufgeladene Gedanke der Obrigkeit enthielt auch Verantwortlichkeit. Wenn im Spätmittelalter Könige und Fürsten bemüht waren, den Wert des Weißen Goldes fiskalisch abzuschöpfen, übernahmen sie dabei keine Verantwortung für die Produktion. Das geschah erst seit dem späteren 16. Jahrhundert.319 Allenthalben in Europa war man um Holzersparnis bei der Gewinnung des Weißen Goldes bemüht.320 |70|So wurde vielerorts seit etwa 1570 versucht, durch „Vorwärmpfannen“, durch ein gestuftes Pfannensystem eine bessere Ausnutzung der Befeuerung zu erreichen,321 so wurden Ende des 16. Jahrhunderts für die Saline Sodener Kohle vom Hohen Meißner herangekarrt.322 Solche Maßnahmen konnten nur Behelfe sein. Ein gesamteuropäischer Vorgang ist der Austausch von Expertenwissen von reisenden „Salzkünstlern“ (manche Scharlatane waren darunter) im Zeitalter des Späthumanismus.323 So steht die älteste Pipeline Europas in einem Kontext mit gleichzeitigen entsprechenden Experimenten in Berchtesgaden und in Sachsen.324 Im Falle Sodens, das heute als Kurort Bad Sooden-Allendorf von einem alten Gradierwerk profitiert, ist das wichtigste Ergebnis der Bemühungen um Energieersparnis noch erhalten: die Gradierwerke,325 deren Vorläufer, die Leck- oder Lepperwerke, zuerst in deutschen Landen 1562/63 in Kissingen eingeführt wurden326 und die im Laufe der Zeit immer mehr verbessert wurden, bis sich im 18. Jahrhundert die Dorngradierwerke durchsetzten.327 Sie bestanden aus einem überdachten Ständerwerk mit Wänden aus Dornreisig, um die schwache Sole durch Verdunsten an der Luft so hoch zu konzentrieren, daß sie siedewürdig werden konnte.
In dem Bemühen um Holzersparnis erscheint das Fürstentum des 16. Jahrhunderts in einer innovatorischen Perspektive,328 welche die verfassungsgeschichtliche Forschung selten ausgeleuchtet hat. Der von ihr herausgestellte Kameralismus und Merkantilismus hat im 16. Jahrhundert nicht nur seine Vorläufer – diese Vorläufer waren auch insgesamt erfolgreicher.
Die Salzgewinnung kennt agrarische und frühindustrielle Formen, die Vermarktung dieses unverzichtbaren Nahrungsmittels kann sowohl auf die Herrschaft als auch auf die Genossenschaft verweisen, die verfassungsgeschichtlichen Unterschiede zwischen Frankreich, Deutschland, Skandinavien, Polen und Kastilien gehen auch auf die jeweilige Geschichte des Salzes zurück. Schon allein die Geschichte des Salzes verdeutlicht, mit welch komplexen Vorgängen bei der Gesellschaftsentwicklung im Mittelalter zu rechnen ist – Erbe, Raubbau am Menschen und am Wald, fürstliche Politik und ihre bis zum Schmuggel reichenden Folgen. Die Annahme, daß eine Gesellschaft im Mittelalter bereits vorgegeben war, setzt voraus, daß das Überleben der Menschen, die Versorgung mit Nahrungsmitteln gesichert gewesen wäre. Eben daran läßt aber schon die Geschichte des Salzes zweifeln.