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|82|Getreide und Brei

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„Muos“: Grütze und Brei – Breigetreide – Brei, Haferbrei als Grundnahrungsmittel – Hirsebrei als Festspeise

Dem Gemüse im heutigen Wortverständnis werden wir noch ein eigenes Kapitel widmen. Zunächst muß es um die wortgeschichtliche Wurzel von „Gemüse“ gehen, die in dem mittelalterlichen Sammelbegriff „muos“ liegt,101 der gleichermaßen Grütze und Brei bezeichnet.102 Wenn „muos unde brot“ als Synonyme für Essen gebraucht werden,103 wird die mittelalterliche Nahrung vorstellbar. Eigentlich hätten die Menschen beten müssen: Unser täglich Brot und unseren täglichen Brei gib uns heute.

Nicht alle Getreidearten eignen sich gleichermaßen zum Backen. Weizen und Roggen enthalten den Kleber,104 der verhindert, daß die gequollene Teigmasse in sich zusammenfällt. Wegen ihres geringen Klebergehalts sind Hafer und Gerste zum Brotgetreide wenig geeignet. Gerstebrot ist für die armen Leute da.105 Das wichtigste Brotgetreide war der winterfeste Roggen,106 das wichtigste Breigetreide hingegen der schwer zu verbackende Hafer.107 Dieses gegen Kälte und Nässe resistente Korn ist ernährungsphysiologisch überaus wertvoll, hat einen größeren Eiweiß- und Fettanteil als alle anderen Getreidearten (weswegen es heute auch in Mehrkornbroten verbacken wird). Der Haferbrei hat bis ins 18. Jahrhundert hinein seine Stellung als Morgenspeise behauptet und wird erst seitdem in der Oberschicht durch das Kaffee- oder Schokoladenfrühstück verdrängt.108

Brot war nicht die Alternative zu den warmen Speisen. Schon die Redensart vom Einbrocken weist darauf hin, daß es nach Möglichkeit mit einem warmen Essen verzehrt wurde. Das Weckbrot war eine Brotschnitte, über die eine warme Fleischbrühe gegossen wurde, und die „arme ritlere“ eine in Teig gedrückte und mit Butter gebackene Semmelscheibe. Der heutige „Wecken“ und der heutige „arme Ritter“ haben mit ihren mittelalterlichen Ursprüngen nichts mehr gemein.

Zahlreiche Sprichwörter erinnern an den Brei,109 und vor allem in den Märchen begegnet er als Grundnahrungsmittel, oft zubereitet aus Bohnen, Linsen und Erbsen, am häufigsten aber aus Hafer.110 Einem im 16. Jahrhundert erzählten Schwank zufolge zögerten Tagelöhner, das ihnen freundlicherweise vorgesetzte weiße Brot zu essen. Sie seien das nicht gewohnt, „habermuß oder sonst etwas grober speiß“ sei es, was sie vertrügen.111 Das mag als arbeitgeberfreundliche Geschichte erscheinen, hat aber einen realen Hintergrund: Haferbrei ist die Grundnahrung armer Leute. Eine Trivialität zur Verständigung. Heutzutage gibt es eine klare Trennung von Suppe und Brei. Aber beide Gerichte unterscheiden sich nur in der Menge der zugegebenen Flüssigkeit;112 anders als bei der Oberschicht, die seit dem Hochmittelalter durch Würzung eigene Suppenrezepte kreierte, wird im Haushalt des gemeinen Mannes auf eine solche Unterscheidung wenig Wert gelegt worden sein. Unhistorisch wäre es schon deswegen, die Suppe vom |83|Brei zu trennen, weil Wasser schneller verdunstet, als es historische Quellen festhalten können.

Wenn der gemeine Mann ein Festessen unter eintöniger Brei- und Grützenahrung suchte, wählte er den Hirsebrei.113 Dieser ist eine Leckerei.114 Johann Fischarts episches Gedicht „Das glückhaft Schiff von Zürich“ (1576) ist ein Beispiel dafür, daß die Alltagsgeschichte mit der gebotenen Vorsicht auch literarische Zeugnisse nutzen kann. Bei diesem Gedicht handelt es sich um eine Auftragsarbeit zum Ruhm der Stadt an der Limmat. Deren Bürger fahren mit einem dampfenden Hirsebrei nach Straßburg, und als sie ankommen, ist das Gericht immer noch warm. Klar ist die Intention: Wie schnell sind doch die Zürcher! Den Historiker aber interessiert der realienkundliche Hintergrund. Die Zürcher besuchen zwischen 1446 und 1576 alljährlich das Straßburger Schützenfest und bringen als Gabe stets Hirsebrei mit.115 Das ist ein wertvolles Geschenk und keines, dessen man sich schämen muß.

Auch in der Geschichte der Hirse, in deutschen Landen der Rispenhirse,116 begegnen die für die Alltagsgeschichte unvermeidlichen Irritationen. Nicht überall gilt sie als Festspeise, in fruchtbaren Gebieten kann sie die gewöhnliche Kost sein.117 Dieses frostempfindliche Getreide ist heute in unseren Breiten (im Gegensatz zu Afrika)118 weitgehend nur noch als Vogelfutter bekannt. Welch ein Niedergang eines Getreides, dem Günter Grass in „Der Butt“ ein Denkmal gesetzt hat.

Konstanz und Wandel in ihren Überlagerungen zu ermitteln ist eine der Aufgaben des Historikers. Selten hat er das Glück, durch alle Zeitschichten hindurch eine Konstante erkennen zu können, wie sie bis in das 18. Jahrhundert hinein der Haferbrei bildet. Aber der Brei als Hauptgericht des gemeinen Mannes ist auch für neue Entwicklungen offen, für den schon im Spätmittelalter bekannten Reis, eine ausgesprochene Breipflanze,119 und für den Mais,120 der erst nach der Entdeckung Amerikas bekannt wurde und allein für Brei und Fladenbrot geeignet ist.

Essen und Trinken im Mittelalter

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