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Kapitel 3

Tanz im Myrtenhain

Antikes Griechenland und Rom

Der große griechische Philosoph Epikur (341-271 v.Chr.) handelte die Jenseitsfrage kurz und bündig ab: „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht, ist er, bin ich nicht.“ Parole: Koste das Diesseits aus, denn das Jenseits gibt es nicht! Die mit Vernunft begabten „Seelen-Atome“ lösen sich nämlich nach dem Tod in gleicher Weise auf wie die Atome des Leibes, lehrt der Nihilist Epikur.

Der Epikureismus ‒ die Lehre Epikurs – war aber nur eine von vielen philosophischen Schulen, die unterschiedliche Meinungen über die Seele vertraten.

„Seele“ = Psyche: ein Begriff, den die griechischen Denker eingeführt haben: als Ort menschlichen Fühlens und Denkens, als Kern der Person.

Nach Platon (428-348 v.Chr.) ‒ Schüler von Sokrates und Lehrer von Aristoteles ‒ ist die Seele als unstoffliches Lebensprinzip unabhängig vom Leib und dem Tod nicht unterworfen (also unsterblich).

Die unzerstörbare Seele wird beim Tod aus der „Gefangenschaft“ des vergänglichen Körpers befreit, vergisst das frühere Leben und kann sich erneut „einkörpern“. Die Wiedergeburt (Reinkarnation) der freien Geistseele kann nach Platon sogar in einem Tierkörper erfolgen.


Geistesgigant Platon: Begründer der abendländischen Philosophie

Sokrates (469-399 v.Chr.) glaubte an die Unsterblichkeit und erhoffte nach dem Tod vorteilhafte Daseinsbedingungen vorzufinden.

Aristoteles (384-322 v.Chr.) bestritt die Unsterblichkeit der Seele. Nach ihm ist die Seele kein eigenständiges bzw. vom Körper unabhängiges Wesen. Sie ist vom Körper untrennbar.

Von einer Bestie bewacht

Mythologie und Volksglaube überwucherten aber die Philosophie. Im Allgemeinen war für die antiken Griechen als Anbeter der Jugend, der Schönheit und der Kraft der Tod ein Schreckgespenst.

Denn die Normalsterblichen erwartet im Hades ein düsteres Dasein als scheue und kraftlose Schattenwesen, die in Trauer dahindämmern.

Um in das Reich des Todes, den Hades, zu gelangen, müssen die Verstorbenen den Fluss des Vergessens – Lethe – überqueren – mit Hilfe des schreckenerregenden und schmutzstarrenden Fährmanns Charon. Beim Bestattungsritual wurde dem Toten eine geringwertige Münze (Obolus) in den Mund gelegt, damit er den Fährmann bezahlen kann. Was Charon mit den vielen Moneten anfängt, wissen nur die Götter.

Das Tor zur Unterwelt bewacht zähnefletschend der dreiköpfige Höllenhund Cerberus, so dass kein Lebender die Unterwelt betreten und kein Toter ihr entfliehen kann. Beschrieben wird er als Bestie mit Kupferstimme und tödlichem Atem.

Herrscher über den Hades (ursprünglich „Haus des Hades“) sind der namensgebende gefürchtete und gehasste Gott Hades, der kaum kultisch verehrt wurde, und seine schöne Gemahlin, Göttin Persephone, die nicht freiwillig in die öde Unterwelt ging. Sie wurde vom hartherzigen Hades mit Gewalt aus der Oberwelt in die Unterwelt entführt und fügte sich in ihr Schicksal. Zumindest einen Teil des Jahres muss sie als Gefährtin der düsteren vollbärtigen Majestät in der sonnenlosen modrigen Totenwelt verbringen. Weil sie nach der Entführung in der Unterwelt heimlich Granatapfelkerne gegessen hat, ist sie an das Totenreich gebunden ‒ so will es die Legende.


Charon (nach Michelangelo): der Fährmann bringt die Toten über den Fluss in den Hades


Der dreiköpfige Höllenhund Cerberus wacht, damit kein Lebender die Unterwelt betritt und kein Toter sie verlässt

Der beinahe unverwundbare antike Superheld Achilles beneidete den Jenseitsgott nicht um seinen Job: „Ich wäre lieber der Knecht eines Taglöhners oder Bettler auf Erden als der Herrscher aller Toten im Hades“.

In der Frühzeit glaubten die Griechen noch nicht an eine Bestrafung oder Belohnung im Hades. Ob reich oder arm, hochrangig oder gering, schlecht oder gut ‒ im finsteren und feuchten Totenreich lebten sie schmerzlos als Schatten.

Erst später, als der Gerechtigkeitssinn wuchs, kam der Glaube hinzu, dass Totenrichter ‒ wie Rhadamanthys ‒ die schlimmsten Verbrecher (z.B. Tyrannen, Mörder, Tempelräuber) in den Tartaros unterhalb des Hades und die edlen Seelen ins Elysion schicken.


Mit angebissenem Granatapfel: Persephone = Proserpina, Fürstin der Unterwelt wider Willen

Tantalos, Sisyphos und Co.

Der Tartarus ist also der schreckliche Verbannungsort für die ärgsten Missetäter und Gottesfrevler, die immerwährende Marter erleiden für Vertragsbrüchigkeit, Hass und Neid gegen Brüder, Gewalt gegen den eigenen Vater, Treulosigkeit, Ehebruch usw.

Die berühmtesten Insassen des Strafortes Tartarus kennen wir noch aus dem Geschichtsunterricht unserer Schulzeit.

> Sisyphos: Der gerissene, verschlagene und skrupellose König von Korinth, der um das Jahr 1400 v.Chr. gelebt haben soll, pflegte die Götter zu verachten und zu verärgern. Zur Strafe muss er im Tartarus in alle Ewigkeit schweißtriefend einen riesigen Felsbrocken auf einen Berg wälzen. Die Tücke: knapp vor dem Gipfel entgleitet ihm der Stein, der mit donnerndem Gepolter in die Tiefe stürzt. So muss Sisyphos ständig von vorne anfangen.

Sisyphos (latinisiert: Sisyphus) ist selbst in unseren Breiten im 21. Jahrhundert noch im Gespräch: wir reden von einer „Sisyphusarbeit“, wenn wir ein stupides, sinnloses, vergebliches Tun beschreiben, das trotz dauernder Anstrengung nie ans Ziel führt.

> Danaiden: Ein anderer Begriff für nutzlose mühsame Arbeit ist „Danaidenarbeit“. Die Erklärung führt uns ebenso in die Tiefen des Tartarus.

Die 50 Töchter des griechischen Stammvaters König Danaos, die Danaiden, erdolchten alle (bis auf Hypermnestra) in der Hochzeitsnacht ihre Ehemänner. Zur Strafe müssen die Männermörderinnen im Tartaros in ewiger Qual Wasser aus ihren Krügen in ein durchlöchertes Fass schütten.


Die Danaiden

> Tantalos: der reiche und mächtige König in Phrygien (Gebiet in Kleinasien) beschwindelte und beraubte die Götter, brach Eide und maßte sich sogar an, deren Allwissenheit auf die Probe zu stellen. Für seine Frevel wurde er in den Tartaros verstoßen und mit dreifacher nie endender Qual bestraft: Durst, Hunger und Todesangst.

Er steht mit brennendem Durst in einem Teich mit kristallklarem Wasser, das kühle Nass umplätschert sein Kinn. Doch sobald er sich bückt und versucht, nach Wasser zu schnappen, versickert es.

Entsetzlicher Hunger quält ihn. Duftende Früchte hängen in Griffweite über ihm, saftige Birnen, rotwangige Äpfel, süße Feigen… Wenn Tantalos sich streckt, um eine Frucht zu pflücken, reißt ein Windstoß die Äste empor.

Zu Hunger und Durst gesellt sich die ständige Todesangst. Denn über seinem Haupt schwebt ein loser mächtiger Felsbrocken, der jeden Moment herabzustürzen und ihn zu zerschmettern droht.

Noch heute sprechen wir von „Tantalusqualen“ (Tantalos latinisiert: Tantalus), wenn wir dem Gewünschten zum Greifen nah sind, es aber wegen widriger Umstände nicht erreichen.

> Ixion: Der Fürst des sagenhaften Volks der Lapithen war in der griechischen Mythologie der erste Mensch, der jemals einen Verwandten ‒ seinen Schwiegervater ‒ getötet hat. Obendrein bedrängte und begehrte er im Weinrausch Hera, die Gattin des Göttervaters Zeus. Er brüstete sich, mit der Göttin geschlafen zu haben.

Zur Strafe dafür wird der Frevler im Tartaros auf ein feuriges Rad gespannt, das sich ewig dreht.


Nr.46: Sisyphos, Nr.47: Ixion, Nr.48: Tantalos, Nr.49: Danaiden

Die in den höllenartigen Tartaros verstoßenen unheilbaren Seelen sind also unermesslichen Qualen ausgeliefert. Und sie werden von Erinnyen/Furien ‒ geifernden Rachegeistern ‒ gequält, die kein Mitleid kennen.

Ewiger Frühling

Die Mysterienkulte ab dem 6. Jahrhundert vor Christus belebten den Glauben der antiken Griechen an das Elysion: ein paradiesisches Gefilde für Günstlinge der Götter. Die Totenrichter erlaubten den Frommen und Gerechten sowie den Helden in das Elysion, den Ort der Seligen, einzuziehen.

Die Glückseligen und Auserwählten wandeln in ewigem sanften Frühling über rosengeschmückte Wiesen, tanzen in Myrtenhainen, reiten im Schatten von Weihrauchbäumen, singen zum Flötenschall, erfreuen sich am Ringkampf oder am Brettspiel ‒ und lobpreisen die Götter.

„Jede Art von Glückseligkeit blüht bei ihnen in segensreicher Fülle“, weiß der griechische Dichter Pindar, und: „Wohlgeruch breitet sich über die liebliche Flur.“ Es lebt sich unbeschwert im Elysion.

Übrigens: Getreide und Obst ernten die Seligen gleich dreimal im Jahr.

+

Im alten Rom dominierte wie in Griechenland zunächst der Glaube an eine Existenz nach dem Tod als Schatten und Schemen, die durch Nacht und Nebel tappen.

Durch den wachsenden griechischen Einfluss glichen sich die Jenseitsvorstellungen der Römer allmählich den Vorstellungen der Griechen an. Nur die Namen wurden entweder latinisiert oder ausgetauscht. Der Unterweltgott Hades hieß in Rom Pluton, das Totenreich Hades wurde zum Orcus, die Unterweltgöttin Persephone zu Proserpina, die Gefilde der Seligen Elysion zum Elysium

Insgesamt waren aber die mythologischen Jenseitsbilder der Römer blasser als die der Griechen. Die Römer, urteilte Prof. Georg Wissowa, namhafter Erforscher der römischen Religion, verfügten nicht über „eine mit lebendiger Phantasie ausgestaltete Vorstellung von einem Fortleben und einer Vergeltung nach dem Tode und dem Treiben im Schattenreiche“.

Zerfällt wie alles

In der Philosophie der antiken Römer waren wegweisende Strömungen (wie der Epikureismus und die Stoa) diesseitig orientiert, also dem Leben zugewandt. Namhafte römische Weisheitslehrer glaubten nicht an ein Leben nach dem Tod. Sie nahmen an, dass der Mensch nach dem Tod zerfällt wie alles im Kosmos.

Marc Aurel, römischer Kaiser und Stoa-Philosoph, schrieb: „…Und dass wir in allen Lagen den Tod guten Mutes erwarten, in der Überzeugung, dass er nichts anderes ist als die Auflösung der Elemente, aus denen jedes Wesen aufgebaut ist. Wenn aber für die Elemente selber nichts Schlimmes darin liegt, dass jedes einzeln von ihnen ständig in ein anderes übergeht, warum sollte es einem da vor der Umwandlung und Auflösung grauen? Geschieht sie doch nach dem Lauf der Natur; nach dem Lauf der Natur aber geschieht nichts Schlimmes.“

Jenseits-Welten

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