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Von einem gesunden Schlaf, wie Giorgos Kallikratis ihn schlief, kann David Grollitsch nur träumen. Er wirft sich von einer Seite auf die andere, mit einem Auge schielt er auf den Wecker: Erst zehn nach sieben. Das liebliche Vogelgezwitscher vorm Fenster ist ihm heute nur nerviger Krach. Es hat sich nämlich Besuch angesagt, hoher Besuch aus Bad Nenndorf und Northeim. Die Kollegen haben versprochen, der Bewegung in Holzminden ein bisschen unter die Arme zu greifen. David Grollitsch weiß mit seinen 21 Jahren schon sehr genau was er will! Er weiß bloß noch nicht so recht, wie sich seine Visionen am Besten umsetzen lassen. Die meisten seines Alters wollen ein besseres Leben, Grollitsch will eine bessere Welt. Das heißt, erst einmal ein besseres Deutschland. Man kann den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun, soviel weiß er schon.

Die Bewegung Deutschland 45 tut sich schwer in der Stadt - das kleine Holzminden ist kaum zu begeistern für große Ideen. Das liegt vermutlich an den Fremden, an den viel zu vielen Fremden! Da sind die Türken, die ganze Häuserblöcke bevölkern und die Innenstadt unsicher machen. Da sind die Russlanddeutschen, von denen viele gar keine richtigen Deutschen sind. Und unverständlicherweise sind selbst die Volksdeutschen unter den Russendeutschen kaum zu gewinnen für die nationale Sache. Und dann gibt es die vielen Großkotze in Stadt und Kreis, welche die international aktiven Unternehmen hier einschleppen: Engländer, Franzosen, Amis, und vor allem Latinos. Die blasen sich auf, die zählen sich zur Elite. Das verführt die kleine Stadt, sich weltoffen und tolerant zu geben, was in Wahrheit nichts anderes ist, als eine Mischung aus Selbstverleugnung und Größenwahn. All diese Fremdeinflüsse schaffen ein ungesundes Klima, eine Atmosphäre, die den deutschen Geist beleidigt und die deutsche Seele verletzt. Das muss man nicht hinnehmen. Das darf man nicht hinnehmen! Dagegen muss die Bewegung vorgehen, davon ist David Grollitsch überzeugt.

Die Bewegung Deutschland 45 strebt ein Deutschland in den Grenzen von 1945 an. Vor Kriegsende, versteht sich: mit Ostpreußen und Pommern, mit dem Elsass und dem Sudetenland, vor allem aber mit Österreich und Südtirol. Langfristig könnte man auch die deutschsprachige Schweiz ins Auge fassen. Deutsche Zunge - Deutsches Reich! Das vierte - und das muss endlich gelingen.

Ja, so könnte die Zukunft aussehen.

David Grollitsch ist Gründer der Bewegung und sehr stolz auf sein Werk. Das muss man sich erst mal vorstellen: Da gründet einer im Alter von nur 20 Jahren eine Bewegung, die das Zeug hat, die Welt umzukrempeln, darauf darf einer doch stolz sein, oder nicht? Zugegeben, selbst nach einem Jahr ist man noch ganz am Anfang, ja, man tritt ein wenig auf der Stelle. Die meisten der Gleichaltrigen sind entweder apolitische Hedonisten, die nur ihren eigenen Vorteil suchen und die anderen, die Abgehängten, die Verlierer, die flüchten in den Alkohol und nehmen den Betrug an ihnen einfach als Schicksal hin. Warum ist es so schwer, diese Leute zum Kampf für ihre eigenen Interessen zu gewinnen? Kann ihm das mal einer sagen? Ja, und die Älteren lassen sich ungern von einem 21-Jährigen überzeugen, die tun immer so erfahren, dabei weiß er selbst in seinem Alter schon viel mehr vom Leben. Und dann ist es immer noch groß in Mode, alles Nationale mit spitzen Fingern anzufassen. Stolz, ein Deutscher zu sein? Igittigitt, das geht ja gar nicht! Wir müssen uns ja immer noch schämen! Ja, wofür denn? Und wie lange noch? Irving hat doch bewiesen, dass der Judenmord eine miese Verleumdung war. Und Kriege haben andere auch geführt. Wir Deutschen sind so gut wie alle anderen auch. Mindestens! Warum sind selbst so einfache Wahrheiten so schwer zu etablieren? Immerhin hat die Bewegung nach einem Jahr schon 15 aktive Mitglieder gewinnen können und vielleicht noch einmal so viele Sympathisanten. Aber das reicht nicht, um etwas zu bewirken.

Desto erfreulicher ist es, dass die viel besser organisierten Northeimer und auch die Bad Nenndorfer sofort auf seinen Hilferuf reagiert haben. Heute will man mit ihm, das heißt, mit der Bewegung 45 das Potential des Landkreises Holzminden eruieren und ihm beim Aufbau einer schlagkräftigen Organisation helfen. Die haben nicht nur reichlich Erfahrung, wie man mit gezielten Aktionen die öffentliche Aufmerksamkeit erreicht, die haben auch politische Erfahrung. Angekündigt haben sich nämlich keine Geringeren als: Holger Kirsch, der in Bad Nenndorf jährlich die Wincklerbad- Gedenkmärsche organisiert, sowie Tobias Fraise, der mit vier Mann seiner Leibstandarte aus Northeim anrücken wollte. Fraise ist ein politisches Schwergewicht: der war im Landesvorstand Niedersachsen der Nationaldeutschen Volkspartei, sitzt jetzt im Bundesvorstand und leitet dort das Referat Freie Kameradschaften. Fraise hat schon mehrmals im Gefängnis gesessen, wegen illegalen Waffenbesitzes, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Volksverhetzung und ähnlichem. Ihn umgibt also die Aura des Widerständlers und Märtyrers. Überregionale Zeitungen berichteten schon über ihn, darunter die ganz großen Blätter und Magazine. Eine solche Größe in Holzminden, so ein Mann sagte ihm, dem 21jährigen David Grollitsch, sein persönliches Erscheinen zu - das darf einem schon den Schlaf rauben.

Soll er sich zwingen, weiter zu schlafen, bloß weil Feiertag ist? Von wegen! Deutschland, erwache! Holzminden erwache! David, steh auf!

Wenn dieser 1. Mai mehr werden soll als bloß ein Tag zum Faulenzen und Vergnügen, wenn dieser 1. Mai 2014 ein Feiertag für ihn und die Bewegung werden soll, kann er sicherlich noch irgendwas dafür tun. Er setzt sich im Bett auf und überlegt, was er zum Gelingen noch beitragen könnte. In den vergangenen Tagen hat er das Treffen perfekt vorbereitet und alles mehrfach überprüft: Sein Zimmer als Büro der Bewegung Deutschland 45, ist sauber und aufgeräumt, alle Unterlagen der Organisation liegen griffbereit in den Regalen. Auch das logistische Zentrum, das heimliche Hauptquartier, wie sie es nannten, ein unbewohntes Haus in Fohlenplacken, haben Grollitsch und seine Kameraden gestern noch auf Vordermann gebracht. Das Haus haben die Eltern seines Kameraden und Vizevorsitzenden Steffen Dempewolf geerbt, aber keine Lust, von der Stadt in die Einöde des Sollings zu ziehen. Nun steht die Bude schon seit zwei Jahren zum Verkauf. Man wird Immobilien im Landkreis schlecht los. Viele junge Menschen gehen weg von hier, weil die idyllische Landschaft eben nicht alle ernährt. Die wenigen Zuzügler, meist Neuzugänge der Global Players, sie haben hohe Ansprüche und kaufen ungern die sanierungsbedürftigen Häuser der 50er Jahre. Und so hoffen David und Steffen, dass sich so lange kein Käufer findet, bis die Bewegung D 45 genügend Mittel zusammen hat, sich das Haus zu kaufen und zum offiziellen Hauptquartier auszubauen. Solange können sie dort ihre Sachen aufbewahren. Dempewolfs, die Besitzer, kommen nur nach Fohlenplacken, wenn ein Interessent das Haus sehen will. Also eher selten. Steffen räumt in solchen Fällen alles vorübergehend auf den Dachboden: ihre Military-Klamotten, in denen sie zu kleinen Manövern durch den Solling streifen, ihre Camping-Ausrüstungen, Bücher und Broschüren zur Weiterbildung. Auch ein Grundstock von Technik ist vorhanden: ausgemusterte Computer, Drucker, Software, CDs und DVDs die zur Verbreitung dienen sollten - ja, man ist noch am Anfang, aber voller guter Ideen und voll des guten Willens. Selbst Waffen hat man schon. Nicht viel, nichts Großes, aber Steffen meinte, das müsse sein. Und all das liegt heute gut präsentiert in den Räumen parat. Kirsch und Fraise werden Augen machen, wie weit die Bewegung schon ist.

David hätte die Zeit bis zum Eintreffen der Besucher gerne mit etwas Wichtigem ausgefüllt, er rückt hier noch was zurecht, stellt dort noch etwas um und überlegt, ob die Anordnung der Bücher nicht besser anders erfolgen sollte. Er tigert im Zimmer auf und ab. Dann bleibt er stehen und konzentriert sich auf den großen Moment des heutigen Tages:

Vor seinen Augen verschwimmt sein Zimmer, er sieht sich auf dem Marktplatz stehen, vor einem Rednerpult, und hört sich seine Rede halten, an der er in den letzten Tagen wie besessen schrieb. Eine flammende Rede, er hört Applaus, er hört Zurufe:

- Genau das wollen wir!

- Genau das brauchen wir!

- Genau darauf hat die Welt gewartet!

Ja, doch, so stellt er sich seinen Ersten Mai vor. Er stellt sich eine großartige Zukunft vor und diese Zukunft wird heute beginnen. Bis zum Beginn der Zukunft hat er noch vier endlose Stunden Zeit.

Maiglöckchen-Blues

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