Читать книгу Und Morgen bin ich Bodyguard - Erwin Kostna - Страница 5

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Mein langer und persönlicher Weg

Ich durfte eine, sagen wir einmal durchschnittliche Kindheit und Jugend erleben, aus der nahtlos und aus der Notwendigkeit geboren der Übergang in das Erwachsenenalter folgte. Das blieb auch den Einzugsbehörden des Militärs nicht lange verborgen.

Gestern noch unbeschwert tanzend in der Dorfdisko, folgte ich bereits am nächsten Morgen dieser durchaus freundlichen Einladung des Wehrbereichskommandos vier, Bezirk Süd, um meine damals echt coolen Klamotten gegen eine noch viel coolere Uniform einzutauschen. Als Spross einer alten Offiziersfamilie habe ich sie auch in den folgenden Jahren selten abgelegt. Ich zog von meiner kleinen Wohnung in die mir vorbestimmte Kaserne und tat fortan Dienst an der Waffe für Ehre und Vaterland.

Wenig behutsam wurde ich ab dem ersten Tag meiner Grundausbildung mit den mir neuen Umgangsformen innerhalb der Kasernengemeinschaft vertraut gemacht. Man brüllte mich an mit und ohne Grund, aber meistens ohne, während ich überhaupt nicht verstand, was das alles mit mir zu tun haben sollte und warum immer ich die Kohlen für andere aus dem Feuer holen musste. Erst nach und nach begann ich zu verstehen und wusste schließlich zu deuten, was sich hinter der Begeisterung und dem Lächeln meines Wehrbeauftragten verborgen hatte, als er mich im Beratungsgespräch davon überzeugen konnte, mich für einen längeren Einsatz in einer Kampfkompanie zu entscheiden. Nachdem das Schreien auch nach einigen Tagen noch immer nicht besser geworden war, führte man mich mehrmals und egal bei welchem Wetter in ein nahes Waldstück, setzte mich in ein bereits ausgehobenes Erdloch und ließ mich in der Ungewissheit zurück, ob mich denn je wieder einer abholen kommen würde. Nach einer gefühlten halben Ewigkeit unterhalb der Grasnarbe wurde ich von einem mir völlig unbekannten Menschen in Uniform besucht, der wohl noch nicht mitbekommen hatte, dass das mit dem Brüllen so gar nicht zielführend war. Ich musste ihm erzählen, nein, entschuldigen Sie, ich musste melden, was ich die letzten 24 Stunden Tolles aus dem Loch heraus gesehen hatte. Danach durfte ich in die Kaserne zurück, um mir ein paar trockene Sachen anzuziehen. Ging aber alles recht fix, denn an diesem Regentag war echt nichts los gewesen im Wald.

Etwa drei Monate ging dieses Spiel so weiter, wobei es nicht alleine bei meinen Aufenthalten im Wald blieb.

In dieser Zeit brachte man mir neben vielen anderen lebenswert-vollen Dingen auch bei, mein Gewehr als meine Braut zu betrachten, was faktisch nichts anderes für mich bedeutete, als dass ich meine damalige Frau auf obersten Befehl des Militärs mit einem Stück Stahl hintergehen musste, wofür ich mich schon ein wenig schäme und auch bei ihr entschuldigen möchte. Aber es geschah ja schließlich auf Befehl und zum Wohle meines Vaterlandes.

Wie und wo man richtig zu essen hat, wurde uns Rekruten natürlich auch eingehend gezeigt. Insbesondere der Weg zur Mannschaftskantine, den keiner von uns Neuen wohl ohne die Hilfe unserer Ausbilder alleine gefunden hätte, wurde trainiert. Dazu muss man sagen: Die Kantine lag direkt gegenüber. Aber wenn du Rekrut bist, darfst du das natürlich nicht so einfach feststellen und damit deine Ausbilder in Verlegenheit bringen.

Das steht einem erst nach der ersten Beförderung zu. Auf dieses kleine Detail wurde in der Ausbildung immer besonders viel Wert gelegt, und ich kann mich tatsächlich an keinen Tag meiner Grundausbildung erinnern, an dem ich diesen Weg hätte mal alleine laufen dürfen, obwohl ich ihn echt schon nach drei Tagen so einigermaßen kannte.

Es wurden mir und meinen Kameraden noch viele nützliche Dinge beigebracht, von denen wir alle bis dahin geglaubt hatten, sie schon längst zu wissen, und als die drei Monate vorbei waren, glaubten das unsere Ausbilder endlich auch. Um aber ganz sicher zu gehen, dass wir auch wirklich alles richtig verstanden hatten, wurden wir Teilnehmer einer Generalprobe, während der man uns noch einmal ausgiebig über alle Themen der letzten drei Monate befragte und unserer Antworten entsprechend bewertete. Wer fast alles wusste, bekam ein Abschlusszeugnis und wurde aus der Ausbildungseinheit entlassen, um zukünftig Dienst in einer ihm zugeteilten Einheit irgendwo in Deutschland zu tun.

Ich wusste fast alles. Und so machte auch ich mich als »erfolgreich geprüfter und bestandener Soldat« auf den Weg in meine neue Einheit, die mir für die nächsten Jahre Geborgenheit, Nähe und Wärme schenken sollte. Ja, ich freute mich tatsächlich auf die »Mutter der Kompanie«, von der ich bereits so viel gehört hatte und war gespannt, ob sie mich mit offenen Armen und einem warmen Lächeln als neues Mitglied der Familie empfangen würde.

Kaum war ich eingerückt in der Kaserne meines Vertrauens, dort, wo ich nun für die nächsten Jahre meines Lebens meinen Dienst für Frieden und Vaterland versehen würde, da ereilte mich die Nachricht meines neuen Kompaniechefs, dass er mich gerne sprechen würde und ich mich doch bitte melden sollte, sofern es meine Zeit denn zuließe. Glauben Sie nicht? Na ja, eigentlich stand der Kompaniefeldwebel wie Phönix aus der Asche plötzlich hinter mir, brüllte irgendetwas von Major, jetzt, sofort und zackzack und im Laufschritt und so weiter. Und ohne jetzt schon zu viel zu verraten, muss ich sagen: »Der hat sich auch die nächsten Jahre meines Dienstes nicht wirklich zu seinem Vorteil verändert.«

Glücklicherweise war ich, was das Brüllen betraf, in den letzten drei Monaten so was von resistent geworden, dass bei uns zu Hause bereits viermal die Polizei vorbeigeschaut hatte. Die Nachbarn hatten wohl gedacht, es könnte sich bei dieser Lautstärke, die aus unserem Haus drang, tatsächlich nur um eine Familienstreitigkeit handeln, die sich kurz vor der Eskalation befand. Dabei hatte ich meiner damaligen Frau einfach nur aus purer Gewohnheit im Kasernenton eine gute Nacht gewünscht und sie gebeten leise zu sein, damit die Kinder nicht aufwachen.

Aber zurück zum Thema: Der Kompaniechef und seine Bitte um ein Gespräch.

Eine Kommandierungsverfügung für die Teilnahme an einem Häuserkampflehrgang läge vor, teilte man mir mit. Und es wurde die Bitte an mich herangetragen, diesen Lehrgang gefälligst wahrzunehmen und meinen gerade eben eingeräumten Spind im Gegenzug wieder freizugeben. Habe ich natürlich sofort getan, denn wer die Gepflogenheiten der Bundeswehr kennengelernt hat, der weiß, dass man seinem Kommandanten einen solchen Wunsch nicht einfach so mal eben abschlägt.

Ich meldete mich also wieder an meinem Heimatstandort ab und zog los, neues Wissen zum Verhalten und über taktisches Vorgehen zu erlernen, das notwendig ist, um in einem möglichen Krieg ganze Straßenzüge, ja, ganze Städte zu erobern und viele, viele Gefangene zu machen… oder eben auch nicht. Kaum zurück vom Straßenkampf und in freudiger Erwartung, jetzt vielleicht einmal meinen Spind einräumen zu können, um dem geregelten Rhythmus eines deutschen Soldaten nachzugehen, fand ich mich erneut in der mir schon wohlbekannten Zeitspirale wieder, in der ein Kompaniefeldwebel in meinem Schatten auftaucht, mir zackzack und so weiter ins Ohr brüllt und ich wieder auf dem Weg nach Irgendwohin bin.

Bereits da beschlich mich das ungute Gefühl, dass ich vielleicht unerwünscht sein könnte. Warum, das war mir aber noch nicht ganz so klar. Einzelkämpfer sollte ich werden, was ich im ersten Moment nicht direkt überbewerten wollte, denn schließlich hatte ich ja bereits in der Grundausbildung die eine oder andere Stunde alleine im Wald verbracht, ohne dass gleich die Welt stehengeblieben wäre.

Also habe ich mal wieder artig ja gesagt, weil mein Kompaniechef doch eigentlich einen recht netten und patenten Eindruck machte und die angenehme Art hatte, mir die Dringlichkeit eines Befehls so zu vermitteln, dass ich einfach nicht anders konnte als anzunehmen. Drei volle Monate fand ich zwar schon echt lang, aber meine Grundausbildung hatte ja in etwa den gleichen Zeitrahmen in Anspruch genommen. Was sollte also so besonders und anders an diesem Lehrgang sein, dass ich nicht schon aus meiner Grundausbildung kannte?

Alles! Man brachte mir bei, wie ich in den kleinsten Erdlöchern, jedes einzelne kleiner als eine Studentenwohnung in München, überleben konnte. Um geduldig auf den Feind zu warten und ihn dann mit den Mitteln des lautlosen Kampfes seines Lebens zu berauben.

Man setzte mich mitten in den Wäldern Europas per LKW oder Hubschrauber aus und befahl mir, die vielen hundert Kilometer zu Fuß wieder in den Stützpunkt zurückzukehren. Beileibe kein Spaziergang. Verschiedene taktische Aufgaben waren zu bewältigen, ähnlich einer Schnitzeljagd. Man stellte mich bösen Feinden gegenüber, die bis gestern noch meine besten Freunde gewesen waren und ein Zelt mit mir geteilt hatten.

Ich seilte mich in dieser Zeit von unzähligen Häusern ab, immer in dem Unverständnis darüber, warum ich denn nicht den gleichen Weg wieder runtergehen durfte, den ich hochgekommen war. Nämlich die Treppe!

Man lockte mich unter mehr als fadenscheinigen Argumenten in riesige Flugzeuge ohne jeden Komfort, sagte mir nicht, wohin es denn gehen würde. Alles nur, um mich ohne ersichtlichen Grund und mitten auf dem Weg zum Zielflughafen durch eine sich öffnende Heckklappe aus einigen hundert Metern Höhe aus der Maschine zu werfen. Keinen hat es wirklich interessiert, wie ich in Teufels Namen da unten gelandet bin. Und der Weg bis zur Landung war kalt und zugig und ich wurde von Vögeln belästigt, die mich, wen wundert es, keiner ihnen bekannten Gattung zuordnen konnten.

Irgendwann war mein Wille dann so weit gebrochen, dass ich mich entschloss, nach Abschluss dieses Lehrgangs und bestandener Prüfung vollständig auf die dunkle Seite des Militärs zu wechseln. Ich kehrte dem alten Leben und meiner Kompanie endgültig den Rücken. Wurde ein Ausbilder mit Herz, dessen einzige Berufung es war, jungen Kerlen das Überleben gegen alle Gesetze der Natur zu lehren, was mir all die Jahre zugegebenermaßen auch jede Menge Spaß gebracht hat.

Ich besuchte im militärischem Austausch die Kameraden der französischen Legion, weilte bei den Kollegen in Kanada, schaute bei den Amerikanern vorbei und holte mir so nach und nach den letzten Schliff. Mittlerweile zum Offizier befördert und durch den einen oder anderen Einsatz geprägt, kam der Tag, an dem ich mich schweren Herzens entscheiden musste, ob ich für ein Leben bleibe. Weitermachen also oder in das zivile Leben mit all den schönen Dingen zurückkehren und das Militär hinter sich zu lassen?

Ich war verheiratet, hatte eine kleine Tochter und eine Frau. Zivilist also. Hätte ich schon damals von den kurzfristigen Plänen meiner (Ex)-Gattin gewusst, meine Entscheidung wäre sicherlich anders ausgefallen und ich hätte nicht meinen Abschied aus dem aktiven Dienst verkündet.

Sollten Sie nun aber die Meinung gefasst haben, ich hätte aus lauter Gram und Trauer darüber, dass meine Frau mich verlassen hat, den einzigen und letzten Sinn im Leben darin gesehen, mich in die lebensgefährliche Berufssparte des Personenschützers zu begeben, so muss ich Sie jetzt tief enttäuschen.

Erstens wurde ich nicht sofort Personenschützer, was man angesichts meiner speziellen, auf Kampf und Verteidigung ausgelegten, militärischen Ausbildung durchaus hätte annehmen können, und zweitens forderte das zurückgewonnene zivile Leben noch andere Qualitäten und Ausbildungen, die ich mir zuerst Stück für Stück zu erarbeiten hatte.

So trat ich erst einmal in den Dienst einer dieser privaten Sicherheitsfirma ein, die zu dieser Zeit den wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Hier musste ich relativ schnell feststellen, dass meine Erfahrungen im lautlosen Töten, dem Abseilen von großen Höhen, oder das gekonnte Fangen von Wildkaninchen mit einer einfachen Drahtschlinge im zivilen Leben nicht besonders gefragt waren. Einsetzbar wären sie sicherlich gewesen, aber eben nicht vereinbar mit den nach Zivilrecht gültigen Vorschriften und Gesetzen.

Also habe ich wieder bei null angefangen und mein Geld damit verdient, des Nachts und in schmucker Uniform, ausgerüstet mit Funkgerät, Schlagstock und Taschenlampe, die vereinsamten Stockwerke eines großen Bürogebäudekomplexes zu durchstreifen und nach bösen Menschen Ausschau zu halten, die sich unbefugt Zugang zu dem mir unterstellten Objekt hätten verschaffen wollen, um hochwertige Plastikkugelschreiber und seltene Radiergummis in nicht zu beziffernder Höhe zu rauben und ins Ausland zu verschieben. Ein Job also, der mir in den ersten Monaten so gut wie alles abverlangte, was man sich nach seiner Militärzeit in einer nicht ganz alltäglichen Einheit nur vorstellen konnte.

Der zweite Schritt meiner Karriere beförderte mich dann völlig unerwartet in den regulären Tagesdienst zurück, wo ich mir meine Sporen als diensthabender Werkschützer verdienen konnte. Man war auf mich aufmerksam geworden und wollte sich meinen unermüdlichen Einsatz für die Sicherheit und Freiheit der Bürogebäude auch am Tag nutzbar machen. Prima, nach Monaten der Finsternis hatte ich also einen neuen Pfad auf dem Weg nach oben eingeschlagen. Ich durfte bei Tageslicht meinen verantwortungsvollen Aufgaben nachgehen und kam in Kontakt mit Lebewesen, die eine Sprache sprachen, die ich verstand.

Noch eine Weile später erweiterte man mein Aufgabenspektrum um den Verantwortungsbereich der Vorstands -etage in dem Werk, in dem ich meinen Dienst versah.

Im Verlauf der Zeit folgten weitere berufsspezifische Lehrgänge und Ausbildungen. Auf die absolut ausführliche Schilderung verzichte ich hier an dieser Stelle zu Ihren Gunsten, werde aber das eine oder andere Mal zu einem späteren Zeitpunkt darauf eingehen. Dies nur, damit Sie jetzt nicht glauben vom Pförtner bis zum Personenschützer sei nichts weiter nötig als geduldig auf die nächste Beförderung zu warten.

Wieder ging eine geraume Zeit ins Land, in der sich nicht sonderlich viel in meinem Berufsleben veränderte. Bis der Tag kam, an dem der Vorstandsvorsitzende unserer Gesellschaft wechselte und eine neue Personenschutzgruppe ins Leben gerufen wurde. Meine Stunde war gekommen. Ich wurde Personenschützer: erst im erweiterten Umfeld und schließlich als Vertrauter und ständiger Begleiter meiner Schutzperson.

Dieses Kommando habe ich viele Jahre und mit wirklicher Leidenschaft für diesen Beruf geführt.

Und Morgen bin ich Bodyguard

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