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Die vier Wünsche an den Bischof Erwin

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Erfreulicherweise darf ich sagen, dass meine Ernennung zum Bischof ganz so gelaufen ist, wie es im Kirchenrecht vorgesehen ist. Der Nuntius hatte eine Befragung in der ganzen Prälatur durchgeführt. Ich wurde dann durch ein Telegramm in die Nuntiatur gerufen. Ich sollte am 31. Oktober 1980 um 11.30 Uhr dort erscheinen, habe aber nicht gewusst, warum. Ich wusste nur, dass in der Prälatur eine Umfrage durchgeführt worden war, wer Bischof werden solle. Der Nuntius war ein Neapolitaner und schon ein alter Mann. Er hat mir einen Scotch servieren lassen, einen Brief aus seiner Rocktasche gezogen und gesagt: Für Sie! Ich habe den Brief gelesen, und das war die Ernennung zum Bischof am Xingu. Ich war überrascht, ja einigermaßen erschrocken. Der Nuntius erwiderte, der Heilige Vater vertraut auf Sie, bitte nehmen Sie die Ernennung an. Mir verschlug es die Stimme und ich ließ den Scotch stehen. Wahrscheinlich hat ihn inzwischen jemand abserviert.

Auf meinen Einwand, ich möchte schon vorher mit meinen Mitbrüdern darüber reden, antwortete der Nuntius, das habe er bereits im Vorfeld getan. Er habe Priester, Ordensfrauen und Laien befragt, und die Antwort sei eindeutig gewesen: Alle stünden hinter mir. Der Nuntius meinte, ich solle in die Kapelle gehen, eine Stunde beten, und dann zurückkommen und unterschreiben. Da habe ich ihm gesagt: Wenn das ohnehin so fix ist, dann unterschreibe ich lieber gleich und kann mich dann in Ruhe dem Gebet widmen.

Als ich nach Altamira zurückkam, fragten mich die Leute: Was hast du in Brasilia getan? Ich hatte aber Schweigepflicht bis zum 12. November, also fast zwei Wochen lang. Am 7. November ist die Ernennung im Vatikan offiziell erfolgt, aber erst am 12. November, 8 Uhr früh in Rom, 12 Uhr in Brasilien wurde sie veröffentlicht.

Da saß ich nun in Altamira und wusste nicht, wie mir war und was ich tun sollte. Gott sei Dank kam mir plötzlich eine Idee: Am besten wird es sein, du fragst die Leute. Ich berief also eine Versammlung ein und lud dazu die Priester ein, die Vertreterinnen und Vertreter der Ordensgemeinschaften und weitere Frauen und Männer aus den Gemeinden. In Gruppenarbeit überlegten und formulierten diese meine Leute ihre Wünsche an den soeben ernannten Bischof. Im Wesentlichen waren das vier Punkte:

Die Priester wollten, dass ich auch als Bischof der Pater Erwin bliebe, den sie seit Jahren kennen. Sie wollten keinen Bischof als höheres Wesen, sondern wünschten, dass ich meinen umgänglichen Stil beibehalte.

Als Zweites wollten die Priester und Ordensleute, dass ich eine freundschaftliche Beziehung mit ihnen pflege. Sie wünschten sich, dass ich ihr Mitbruder bleibe, der ihnen keine Hirtenbriefe schreibt, sondern das Miteinander und die gemeinsame Verantwortung für die Kirche fördert und lebt.

Die Laien haben mich mit ihrem Wunsch ganz besonders überrascht. Sie wünschten sich, dass ich ein betender Bischof sei, ein Mann Gottes. Sie wollten, dass ich ihnen ein Beispiel dafür gebe, dass für mich als Bischof Gebet, Meditation und Kontemplation das Fundament unserer Arbeit sein muss.

Die Laien wünschten sich auch, dass ich kein Schreibtisch-Bischof sei, sondern hinausginge in ihre Gemeinden, damit ich am eigenen Leib erfahre, was sie in ihrem Alltag erleben. Ich möge mit ihnen zusammen sein und sie anhören, damit ich ihre Lebenssituation besser verstehen könne.

Das war für mich ein klarer Auftrag. Es wäre ohnehin nicht meine Art gewesen, mein Bischofsamt vom Schreibtisch aus auszuüben. Ich habe daher schon kurz nach der Weihe die ersten Termine in den Gemeinden wahrgenommen. Ich bin am 25. Jänner geweiht worden und nahm gleich Anfang Februar an meiner ersten Bischofskonferenz teil. Aber anschließend bin ich bald hinausgegangen in die Gemeinden.

Heute ist mein Verhältnis zu den jungen Priestern und Ordensleuten naturgemäß ein bisschen anders als damals zu meinen gleichaltrigen Mitbrüdern. Die heute Jungen könnten ja meine Kinder sein. Für sie bin ich der Bischof, 1983 war ich für meine Mitbrüder der Erwin. Aber ich habe als Bischof nur selten wirklich eingreifen müssen. In zwei Fällen ist es um den Vorwurf pädophiler Tendenzen gegangen. Ich machte den beiden klar, dass sie als Priester fehl am Platz sind, und habe sie sofort suspendiert. In einem Fall kam der Priester vor Gericht. Ein einziges Mal ist es um eine seelsorgliche Frage gegangen, weil ein Mitbruder unbedingt ein deklariertes Mitglied einer Sekte als Taufpate zulassen wollte. Ich habe gewusst, dass dieser Herr die katholische Kirche immer wieder auf die gemeinste Art angriff. Die ganze Pfarrgemeinde stand kopf und verurteilte die Entscheidung des Pfarrers. Ich habe versucht, dem Mitbruder klarzumachen, dass es unlogisch sei, einen Taufpaten zu wählen, der den katholischen Glauben mit allen Mitteln bekämpfe. Er hat meine Argumente leider nicht verstanden. Da musste ich wirklich Klartext reden.

Eine der schönsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben machte, war die Art und Weise, wie mich die indigenen Völker angenommen haben. Meine kirchliche Heimat sind die kleinen Gemeinden. Ich bin nur drei Monate im Jahr am Bischofssitz in Altamira. Sonst bin ich immer unterwegs. Ich fühle mich unendlich wohl in diesen kleinen Gemeinden. Ich spüre, dass die Leute ihren Bischof gern mögen. Diese herzliche Verbundenheit ist für mich sehr wichtig – bis dahin, dass sie naturgemäß als Lateinamerikaner auch gern den Bischof parodieren. Was ich je gesagt oder getan habe, wird mit einer derartigen Fantasie ausgeschmückt, dass ich mich nur wundern kann. Aber nicht negativ. Manche können mich in einer Weise perfekt parodieren, dass ich selbst eingestehen muss: Ja, so rede und gestikuliere ich. Man redet ja in Amazonien viel mit Gesten, die Hände gehen beim Sprechen wie von selbst mit, viel mehr als in Europa, und das lässt sich dann trefflich nachahmen.

Ich würde mich auch selbst nicht als einen zu ernsten Menschen einstufen. Ernst schon in dem Sinne, dass ich Aufgaben ernst nehme. Aber nicht in dem Sinne, dass ich mit einem finsteren Gesicht herumlaufe. Das liegt mir nicht. Ich habe in Amazonien viel gelernt. Die Leute sind zwar arm und voller Sorgen, aber sie können dennoch herzhaft feiern und lachen und Witze erzählen. Sie machen sogar Witze über ihre eigenen Sorgen. Wenn die Leute auf mich zukommen, mich anlachen und umarmen, wie könnte ich da finster dreinschauen?

In der zweiten Klasse Gymnasium hat der Lateinlehrer beim Elternsprechtag zu meiner Mutter gesagt: Der Erwin sitzt da und träumt vor sich hin und weiß nicht einmal, warum er in der Bank sitzt. Er ist irgendwo, nur nicht bei der Sache. Schon mein Heimatpfarrer meinte, ich sei ein Träumer. Ja, ich träume immer noch! Und zwar von einer gerechten, geschwisterlichen, solidarischen Welt. Ohne Träume, ohne Utopien gibt es weder Politik noch Pläne und Wege für eine bessere Zukunft. Träume können auch anstecken. Wer denkt nicht an ein Wort meines verehrten und berühmten Erzbischofs Dom Hélder Câmara (1909–1999): „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“

Jetzt bin ich in einem Alter, in dem ich schon wieder träume, oder vielleicht besser ausgedrückt, fantasiere. Wie wird es wohl sein, wenn ich als Bischof emeritiert bin? Am 12. Juli 2014 ist mein 75. Geburtstag, zu dem ich gemäß Kirchenrecht dem Papst meinen Rücktritt als Bischof einreichen muss. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird, bis ich einen Nachfolger bekomme. Die regionale Bischofskonferenz hat mich beauftragt, ein Projekt zur Aufteilung des gigantischen Bistums am Xingu in drei Diözesen auszuarbeiten. So kann es sein, dass ich gleich drei Nachfolger bekomme, und käme damit als Bischof mit drei Nachfolgern ins Guinness-Buch der Rekorde.

Wenn es so weit ist, werde ich vermutlich teils in Brasilien, teils in Österreich leben. Ich werde sicher nicht meine Nachfolger in Altamira beschatten. In Europa bin ich immer wieder zu Firmungen eingeladen in Vorarlberg, Salzburg, Wien, Burgenland. Wenn ich in Koblach bin, könnte ich mir gut vorstellen, dass ich dem Bischof von Feldkirch, Benno Elbs, da und dort zur Verfügung stehe.

Aber auch in Brasilien habe ich viele Einladungen zu verschiedenen Anlässen. Es sind so viele, dass ich sie gar nicht alle annehmen kann. Diözesen ersuchen mich, Einkehrtage für Laien zu halten. Bischöfe bitten mich, Priesterexerzitien zu orientieren. Ordensgemeinschaften ebenso. Derzeit kann ich höchstens vier oder fünf solche Verpflichtungen pro Jahr annehmen. Sicher werde ich nach der Emeritierung mehr Freiheit, mehr Zeit dafür haben.

Außerdem sollte ich unbedingt das Archiv in Altamira in Ordnung bringen. Viele Leute wollen auch, dass ich über die Geschichte der Region am Xingu schreibe. Ich habe so viel Material, das gesichtet und geordnet werden muss, und dazu kommen noch meine persönlichen Aufzeichnungen im Zusammenhang mit meinem bischöflichen Dienst, mit vier Mandaten als Präsident des Indigenen Rates der Bischofskonferenz und als Sekretär der Bischöflichen Kommission für Amazonien. Stoff fehlt jedenfalls nicht.

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