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Wie Bruder Johannes zur roten Rose kommt und ein Abend im Höllenfeuer endet.

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Judith hatte Geburtstag, und wir wollten ihn mit Freunden aus der Gemeinde feiern. Diesmal hatten wir an einen Spieleabend gedacht. „Wir müssen unsere vergeistigten Geschwister mal etwas auflockern, „ hatte Judith gemeint und konnte sich meiner vollen Unterstützung gewiss sein. Im Vorfeld stellten sich jedoch ein paar unwesentliche Widrigkeiten ein.

Eines Abends klingelte das Telefon. Johannes war am Apparat, ein junger Mann, sehr lieb und sehr engagiert.

„Hallo Achim, hier ist Johannes, ich wollte mich für eure Einladung bedanken.“

„Schön, ich hoffe, du hast Zeit und kannst kommen.“

„Aber natürlich. Ich wollte mal fragen, was ihr für den Abend so geplant habt.“

Ich musste schmunzeln. „Wir werden bestimmt viel Spaß haben. Wir haben uns ein paar Spiele ausgedacht, da bleibt kein Auge trocken.“

„Ah ja“, sagte Johannes kurz.

„Keine Angst, es wird kein Flaschendrehen mit Pfänderspiel geben. Trinkst du lieber Bier oder Wein?“

„Macht euch keine Umstände, Achim, für mich reicht Mineralwasser.“

„Kein Problem“, sagte ich, „Wasser gibt es mehr, als dir lieb sein wird. Ein Spiel haben wir, da bekommt der Verlierer …“

Johannes unterbrach mich. „Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob ich kommen kann.“

„Ach, das wäre aber schade.“

„Ich muss noch mal ins Gebet gehen“, fuhr er fort, „und sehen, was der Herr mir zu sagen hat. In der Stillen Zeit ist mir heute ein Wort im Epheserbrief wichtig geworden: ,Närrische oder lose Reden stehen euch nicht an.‘ Du wirst verstehen, dass ich mir noch unschlüssig bin, ob ich kommen kann.“

Ich wollte noch etwas entgegnen; aber nein, er sollte seine Entscheidung selber treffen. So beendeten wir das Telefonat, und in den folgenden Tagen betete ich intensiv für den lieben Johannes.

Als der Abend gekommen war, freuten wir uns über das zahlreiche Erscheinen unserer Gäste. Auch Johannes war gekommen. Unsere Freunde saßen in geselliger Runde und begannen, über eine Auslegung des ersten Korintherbriefes zu diskutieren, als sie von Judith mit sanfter Gewalt zum ersten Spieleblock geschoben wurden. Das Konzept unseres Abends erwies sich als erfolgreich. Nach ein, zwei Stunden hatte sich die Atmosphäre gelöst, und es wurde viel gelacht. Auch Johannes wurde munter. Ich schaute gerade in der Küche nach den Getränken, als Judith hereinkam. „Lass uns jetzt ‚Die rote Rose‘ spielen“, lachte sie außer Atem.

„Die rote Rose, das ist gut“, erwiderte ich. „Und wen nehmen wir als Freiwilligen?“

In Judiths Augen blitzte es schelmisch. „Wie wäre es mit Johannes?“

„Ausgerechnet Johannes? Ich weiß nicht, er ist gerade etwas aufgetaut, wir sollten es nicht zu weit treiben. Wer weiß, wie er das verkraftet? Er ist sehr sensibel und hatte schon schwere Glaubenskämpfe, ob er überhaupt …“

„Ach was“, wischte sie alle meine Bedenken vom Tisch, „gerade dann hat er es nötig.“

Noch ehe ich weitere Zweifel anbringen konnte, lief sie lachend zurück ins Wohnzimmer, um das Spiel anzukündigen. Ich hatte gerade noch Zeit, ein Stoßgebet nach oben zu schicken: „Herr, bin ich zu vorsichtig, oder ist sie zu dreist?“

Als ich ihr folgte, hatte sie schon Johannes von seinem Stuhl gezogen und zum Freiwilligen abkommandiert.

„Achim, führ ihn doch eben ins Arbeitszimmer, und mach die Tür gut zu.“

Ich geleitete ihn also in seine Zelle. Bevor ich die Tür schloss, sah ich ihn vertrauensvoll an und sagte: „Johannes, was auch immer passiert, wir sind bei dir.“

Zurück im Wohnzimmer war es meine Aufgabe, das Spiel zu erklären. Judith hatte sich inzwischen Tabea und Rahel als Mitspielerinnen ausgesucht, zwei junge Zwillingsschwestern, beide gleichermaßen ansehnlich. Früher hätte ich gesagt „zwei süße Mäuschen“, wenn sie denn ihre Haare etwas offener getragen hätten. Aber ich war in Gegenwart meiner Geschwister (an diesen Ausdruck konnte ich mich lange nicht gewöhnen) mit meiner Wortwahl zurückhaltender geworden. Also, da standen Judith, Tabea und Rahel, drei recht ansehnliche Frauen, und ich postierte mich daneben und begann einen kurzen Vortrag:

„Diese drei Hübschen hier sind von nun an Prinzessinnen, zu denen ein junger Prinz kommen wird in Gestalt von Johannes. Eine von ihnen ist die rote Rose, und Johannes wird sie nacheinander fragen: ‚Bist du die rote Rose?‘. Sie sind aber stumm und können nur nicken oder mit dem Kopf schütteln. Wenn er vor der Richtigen steht, und sie nickt mit dem Kopf, darf er ihr einen Kuss geben. Soweit das Spiel, wie wir es gleich auch Johannes erklären werden. Und jetzt kommt die Pointe.“

Judith zog unter dem Serviertisch eine Tüte Mehl hervor und nahm einen Esslöffel davon in den Mund. Schnell stellte sie sich mit Tabea und Rahel in eine Reihe und deutete mir mit Handzeichen an, ich solle mich beeilen, Johannes reinzuholen. Der stand nun, nachdem ich ihm die Spielanleitung erzählt hatte, unschlüssig da. Ich schubste ihn aufmunternd an und sagte: „Fang an, du bist der Prinz.“

Dann zog ich mich hinter die Reihen der Zuschauer zurück, schließlich wollte ich meine schwarze Hose schwarz behalten. Nochmals blickte er Hilfe suchend zu mir herüber, und ich machte eine auffordernde Handbewegung.

„Bist du die rote Rose?“, begann er endlich sein Sprüchlein aufzusagen. Kopfschütteln bei der hübschen Tabea.

„Bist du die rote Rose?“ Kopfschütteln bei der hübschen Rahel.

„Bist du die rote Rose?“ Kopfnicken bei der überaus hübschen Judith.

Johannes spitzte ein wenig die Lippen und näherte sich ihr im Zeitlupentempo. Bei 40 cm Abstand steuerte er auf die linke Wange zu, bei 30 cm auf die rechte, bei 20 cm platzte die Bombe. Judith pustete dem armen Johannes mit einem heftigen Stoß eine weiße Wolke ins Gesicht. Es gab ein lautes und befreiendes Gelächter bei allen Zuschauern. Johannes stand da, weiß wie ein Bäcker. Er rieb sich die Augen und musste selber am meisten lachen. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Selbst als ich ihn ins Bad führte, wo er sich das Gesicht waschen sollte, prustete er immer wieder los. Ich war erleichtert, dass er keinen seelischen Schaden genommen hatte, schließlich hatte ich mich zum Handlanger dieser gewagten Tat machen lassen.

Wir hatten im Verlauf des Abends noch viel Spaß. Der eine oder andere bekam noch eine kleine Ladung Wasser ab, musste Rätsel lösen, Denkaufgaben bestehen oder Prinzessinnen befreien.

Es war schon weit nach Mitternacht, als ich mit Johannes am Tisch saß. Alle anderen Gäste waren gegangen, Judith räumte die Gläser zusammen.

„Ich möchte euch noch danken für diesen Abend“, sagte Johannes, „ich glaube, es war richtig, dass ich gekommen bin. Ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Spaß haben würden.“

Ich schlug ihm mit Schwung auf die Schulter. „Du hättest dich sehen sollen“, lachte ich, „das Gesicht weiß eingepudert, hast du den Mund aufgerissen wie ein Goldfisch, der nach Luft schnappt.“

Judith trat mir im Vorübergehen kräftig auf den Fuß. Noch ehe ich „Au“ rufen konnte, sagte sie zu Johannes: „Du machst in der Gemeinde immer einen sehr ernsten Eindruck.“

„Vielleicht habt ihr Recht. Aber im Moment beschäftige ich mich mit wichtigen biblischen Themen. Ich glaube, Gott will mir einige Dinge zeigen, um mir die rechte Demut beizubringen. Ich habe in der letzten Woche ausgiebig alles über die Hölle in der Bibel nachgelesen. Die Bibel ist ja voll davon. Es ist wichtig, dass wir alles darüber wissen.“

Johannes kam in Fahrt. Er stand auf, ging an Judiths Bücherregal und zog die Bibel heraus. „Ich darf doch, oder?“, fragte er kurz. Und schon saß er wieder am Tisch und schlug das Buch auf.

„Hier im Matthäus gibt es ein paar Stellen … wartet, gleich hab ich’s … ‚Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle‘ … Das ist doch eine unheimlich starke Aussage, das kann man doch nicht so einfach übergehen!“ Er sah mich kurz an und blätterte dann weiter. „In der Offenbarung habe ich auch mehrere Stellen gefunden … hier, pass auf: ‚So jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl‘ … Aber ich hatte noch eine andere Stelle, wo war die denn nur?“

Mit gesenktem Kopf blätterte er hastig vor und zurück. Seine Ohren leuchteten so rot, als würde er das Höllenfeuer schon spüren.

„Das ist ja furchtbar“, sagte ich.

„Ja, findest du nicht auch?“

„Das ist ja furchtbar, wie sehr du dich nur noch mit diesem Thema beschäftigst.“

Wir redeten noch eine ganze Weile. Mir wurde klar, dass Johannes ein falsches Gottesbild hatte, das für seine Psyche wie auch für seine Glaubensentwicklung gefährlich war. Aber welches Gottesbild hatte ich eigentlich? Konnte ich ihm etwas entgegensetzen? Konnte ich ihm ein positives Gottesbild nahe bringen – von einem Gott, der uns uneingeschränkt liebt?

Als er uns spät in der Nacht verließ, war er mir auf jeden Fall näher gekommen. Und vielleicht - wer weiß? - vielleicht war er jemand, der uns brauchte.


Der Heiligenschein im Vollwaschgang

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