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Das Tal der Weisen

Die Kuppel schimmerte im Glanz der Sonne und schien so nah noch magischer, fantastischer und beeindruckender, als von Weitem. Schon wie bei unserer ersten Begegnung gurrte Mira dem Vogel sanft etwas zu und der Vogel gurrte zurück. Sachte streichelte Mira sein prächtiges Federgewand, dann zupfte sie eine Feder des Vogels heraus.

„Hier, nehmt diese Feder. Wenn ihr sie her zeigt, wird jeder wissen, dass ihr meine Gäste seid.“ Mit diesen Worten überreichte Mira, mir eine violette Feder, die von einem zarten grünen Schimmer durchzogen wurde und reichte mir die Feder.

Der Eingang unter uns öffnete sich und der Vogel flog hinein. Kaum hatten wir die Öffnung passiert, durchflutete mich eine Welle der Wärme. Ich hatte kaum mehr Gefühl in meinem Körper, doch schlagartig wich die Kälte der Hitze, die innerhalb der Kuppel herrschte. Ein zarter Windhauch löste ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit aus. Wir hatten es wirklich geschafft. Wir waren der Kälte entkommen! Ich konnte es kaum fassen.

Mein Blick wanderte zu Neys. Ihm schienen in diesem Moment wohl dieselben Gedanken durch den Kopf zu gehen, wie mir. Ein Pfiff von Mira ließ mich wieder im Hier und Jetzt ankommen. Wir landeten auf einem Felsen in mitten einer Wiese. Sofort kamen mehrere Leute herbeigelaufen.

„Vielen Dank“, sagte ich in Richtung unserer Retterin, aber Mira war bereits verschwunden. Ich blickte mich verwirrt um und schaute anschließend zu Neys. Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke. Nina! Ich hatte sie in der Aufregung beinahe vergessen. Was jetzt? Doch meine Frage wurde auf Anhieb beantwortet. Ein Mann rief, während er noch auf uns zu rannte: „Schnell! Bringt das Mädchen in mein Haus.“

„Wer sind Sie?“, fragte Neys, der große Mühe hatte Nina vorsichtig vom Vogel zu heben. „Ich bin der Arzt des Dorfes. Jetzt aber, rein mit euch“, erwiderte er ungeduldig. Der Mann nahm Neys Nina ab und ging zügig voran. Ohne den anderen Leuten weitere Beachtung zu schenken, folgten wir dem Arzt. Sobald wir das Krankenhaus betreten und gesehen hatten, wie Nina auf ein Bett gelegt wurde, scheuchte man uns auch wieder aus dem Raum.

Neys schaute mich fragend an: „Wollen wir hier warten?“ Ich überlegte kurz, doch dann schüttelte ich den Kopf: „Hier können wir nichts mehr für Nina tun. Wir müssen dem Arzt einfach vertrauen. Wir können uns das Dorf anschauen.“ Neys nickte und ging, ohne mir zu antworten, zu einer Frau, die hinter dem Tresen der Arztpraxis saß. „Entschuldigen Sie bitte, wissen Sie, wie lange Nina, unsere Freundin, nicht zu besuchen ist?“

Die Frau schaute uns mitleidig an, als sie uns erklärte: „Ich bin keine Ärztin. Aber was ich gesehen habe, sah nicht gut. Wir werden unser Bestes geben, doch versprechen kann ich euch nichts. Mit viel Glück überlebt sie die erste Nacht. Morgen wissen wir mehr, aber sollte sie es schaffen, wird sie einige Tage bei uns bleiben müssen.“

„Was? So lange?!“, entfuhr es mir und Tränen sammelten sich in meinem Auge.

„Nicht so laut Mädchen. Was dachtest du denn? Dass man so lange im Schnee liegen kann, dann nur einmal schlafen muss und alles ist wieder gut?“ Die Frau schaute mich ungläubig an, noch bevor ich reagieren konnte, warf Neys fragend ein: „Wo gibt es denn ein Gasthaus zum Übernachten für uns?“ Neys legte seinen Arm beruhigend um mich, was mich schweigen ließ. Das würden wir noch klären müssen.

„Drei Häuser weiter, kaum zu verfehlen. Ihr seht ebenfalls erschöpft aus, ruht euch aus und kommt morgen wieder“, klärte uns die Frau schon etwas milder auf. Wir bedankten uns und traten schließlich ins Freie.

„Nina muss es einfach schaffen. Ich bin mir sicher, sie wird wieder ganz gesund!“

„Ganz bestimmt, komm, lass uns das Gasthaus suchen“, meinte Neys sanft und drückte mich an sich.

„Ich dachte, wir wollten uns das Dorf anschauen“, sagte ich leicht schmollend.

Neys musste lächeln als er sagte: „Morgen. Komm schon, wir haben Zeit und außerdem brauchen wir beide schleunigst eine warme Suppe. Du kannst ja selber kaum noch stehen.“ Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, Neys hatte wie immer Recht. Ich war müde, erschöpft, hungrig und wirklich mit all meinen Kräften am Ende. Wir schleppten uns gerade noch so in das Gasthaus, das wirklich nicht zu verfehlen war, mit seiner großen Beschilderung.

Wir ließen uns eine heiße Kartoffelsuppe bringen und schlürften sie schweigend. Die Suppe erhitzte mein Blut und ich konnte endlich wieder richtig durchatmen. Ich spürte, wie meine tauben Gliedmaßen wieder langsam auftauten und wieder Leben in ihnen pochte.

„Jetzt hast du wieder Farbe im Gesicht. Vorher hatte ich Angst, dich mit dem Schnee zu verwechseln“, neckte mich Neys.

Ich lächelte schwach. Wie konnte Neys noch genug Kraft besitzen, Scherze zu machen? Kurze Zeit später war ich in meinem Zimmer und ließ mich angezogen, wie ich war, ins Bett fallen. Es war wohltuend, endlich wieder in einem Bett zu schlummern. Das Bett war so kuschelig und warm, wie auf einer Wolke an einem sonnigen Tag. Kaum lag ich im Bett, war ich auch schon eingeschlafen. Ich träumte von einem warmen Frühlingstag, wo ich gemeinsam mit meinem Bruder am Wasserfall saß und mir die Sonne ins Gesicht schienen ließ und das Leben noch einfach war. Das war mein Lieblingstraum.

Ein Klopfen ertönte an der Tür und mein schöner Traum verflüchtigte sich. Murmelnd drehte ich mich noch einmal um und zog mir das Kopfkissen über. Ich wollt jetzt nicht aufstehen. Wollte mich der Realität noch entziehen. Denn so gut geschlafen hatte ich schon lange nicht mehr. Das letzte Mal war war es der Tag, bevor das Feuer über mein Dorf hereinbrach?

Es klopfte abermals an der Tür, nur dieses Mal etwas kräftiger. „Hey Fiona, Schlafmütze. Bist du schon munter?“, hörte ich Neys Stimme an der Tür.

„Nicht einmal ausschlafen darf man“, grummelte ich frustriert, blieb noch ein paar Sekunden im Bett liegen, bevor ich verschlafen zu Tür stapfte. Meine Finger, meine Zehen, überall aus meinem Körper war die Taubheit gewichen und ich fühlte mich wieder lebendig und glücklich.

„Neys, bei allen vier Elementen, was willst du so früh schon hier?“, murmelte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen und konnte mir ein Gähnen nicht verkneifen.

„Es ist schon fast Mittag und ich wollte sehen ob mit dir alles in Ordnung ist. Du warst gestern so komisch“, murmelte er und Besorgnis spiegelte sich in seinem Tonfall.

„Es ist alles in Ordnung, ich war nur müde“, murmelte ich und verdrängte den Gedanken an Nina in seinen Armen. Ich musste mich gegen den Türrahmen lehnen, damit ich nicht schlafend in Neys starke Arme sackte.

„Es gab Zeiten, da warst du noch vor mir wach und hast mich aus den Federn gerissen.“ Neys kicherte und schob mich zurück in mein Zimmer und bugsierte mich auf mein Bett. Neys legte sich neben mich. Seine Wärme tat mir so unendlich gut. Endlich hatte ich Neys wieder ganz für mich alleine. Eine Welle der Zufriedenheit stieg in mir auf.

„Ja, nur diese Zeiten scheinen schon eine Ewigkeit her zu sein“, nuschelte ich und ein weiteres Gähnen entschlüpfte mir.

„Fi, all die Jahre habe ich gehofft dich wiederzusehen. Dieser Ausflug hier, dieses Abenteuer mit dir, etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Deine Sturheit hat mir gefehlt.“ Neys Offenheit überraschte mich und ließ mich erstickt flüstern: „Du hast mir auch gefehlt.“

„Fi?“

„Ja?“

„Versprichst du mir was?“

„Alles.“

„Versprich mir, dass wir uns nie wieder aus den Augen verlieren werden.“

„Das ist ein Versprechen, dass ich gerne halten werde.“ Mit diesen Worten schliefen Neys und ich nebeneinander ein.

Erst der Duft von Essen weckte uns beide gleichzeitig auf. Neys grinste mich verschmitzt an und strich mir eine Haarsträhne aus meinen Gesicht. Wir blieben noch ein paar Minuten so liegen, bis mein Bauch so laut knurrte und somit das Signal fürs Aufstehen sendete. Wir schaufelten unser Mittagessen nur so in uns hinein und dann starteten wir gemeinsam den Tag. Neys und ich traten hinaus in das Sonnenlicht.

Die Sonne blendete mich – doch das war mir egal, endlich spürte ich ihre Wärme wieder auf meinem Gesicht. Gestern hatte ich sie nicht richtig genießen können, aber jetzt, jetzt war alles anders. Jetzt konnte ich sie zum ersten Mal, wieder richtig genießen. Ein Blick zu Neys verriet mir, dass es ihm genauso ging wie mir. Wir hatten so lange geschlafen und wollten schleunigst zu Nina. Unsere Tiere durften wir auch am Vortag beim Arzt lassen. Er wolle sie ebenfalls untersuchen, über Nacht beobachten und sie aufpäppeln.

Als wir leise in die Arztpraxis schlüpften, saß dieselbe Frau von gestern da und begrüßten uns herzlich: „Einen guten Morgen wünsche ich euch beiden. Ihr wollt bestimmt wissen, wie es eurer Freundin geht, oder?“

„Ja und den Tieren auch“, sagte ich schnell.

Die Frau nickte und fuhr fort: „Also, eurer Freundin geht es den Umständen entsprechend gut. Sie hatte eine stabile Nacht und ihr Körper erholt sich langsam. Ich kann sagen, dass sie aus dem Gröbsten raus ist. Leider ist sie noch nicht erwacht, deswegen kann ich euch noch nicht zu ihr lassen.“

Die Frau legte eine kurze Pause ein, bevor sie weiter redete: „Dem Feuersalamander geht es ebenfalls noch nicht gut, die ganze Anstrengung hat ihm zu schaffen gemacht. Außerdem weigerte er sich von eurer Freundin weg zu gehen. Aber den anderen zwei Tieren geht es wunderbar …“ Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, ging eine Tür auf und der kleine Drache flog direkt über meinen Kopf zu Neys hinüber. Tandora flatterte fröhlich um Neys herum, sodass ich gar nicht bemerkte, wie Blinky auf mich zurannte. Er warf sich in meine Arme und ließ mich zurückstolpern.

„Blinky!“, rief ich lachend und war überglücklich meinen Waschbären wieder in die Arme schließen zu können. Nach einer langen Umarmung und einer intensiven Kuscheleinheit verließen wir mit unseren Tieren vorerst erleichtert das Krankenhaus. Auch wenn wir Nina noch nicht sehen durften, durchflutete mich Erleichterung, dass sie zumindest die erste Nacht durchgekommen ist. Ich schickte ein Dankgebet gen Himmel hinauf und ein weiteres Stoßgebet, dass sie die zweite Nacht auch überstand.

Gut gelaunt marschierten wir umher. Neys und ich mussten lachen, weil Blinky andauernd etwas Tollpatschiges passierte. Die Frau im Krankenhaus hatte uns erzählt, dass mein Waschbär auch bei ihnen ziemlich keck war. Er hatte andauernd das Wasser in jedem Glas zum Überschwappen gebracht ohne sie zu berühren. Sie konnten es sich nicht erklären. Ich streichelte Blinky über sein verstrubbeltes Fell. Da war er wohl schneller beim Glas gewesen, als die Frau schauen konnte. Ich lächelte in mich hinein. Mein Blinky.

Das Dorf war zauberhaft. Kleine Häuser mit Gärten und winzige Geschäfte reihten sich aneinander. Links von uns war ein Puppenladen. Auch wenn ich schon lang nicht mehr mit Puppen spielte, war es hinreißend zu sehen, wie sich die kleinen Kinder ihre Nasen an den Fenstern plattdrückten, um besser in den Laden hineinsehen zu können. Ein nostalgisches Kichern entkam mir. Es gab eine unzählige Auswahl an Geschäften, Läden mit Musikinstrumenten, Kleidungsstücken, Essen, Süßigkeiten und noch vieles mehr. Bauchredner und Feuerspucker säumten die Wege und ließen Groß und Klein verzaubert stehen bleiben. Hinter all den Häusern entdeckten wir einen Marktplatz.

Zügig ging ich darauf los, während Neys hinterher schlenderte und sich Zeit ließ. Der Marktplatz fing mit einem Obststand an der Früchte enthielt, die ich noch nie gesehen hatte. Daneben kam ein Limonadenstand, an dem Kinder ihre Säfte anpriesen. Tücher, Blumen, Schmuck. Überall entdeckte man etwas anderes Wertvolles. Es war einfach traumhaft.

„Neys, ich glaube, Mira hat mir heute Nacht einen Besuch abgestattet und mir Geld dagelassen“, sagte ich lächelnd. In der Früh hatte ich einige Münzen auf meinem Nachttisch entdeckt.

„Oh, das ist ja nett, wie sie sich um uns kümmert. Dann können wir es uns ja richtig gut gehen lassen“, meinte Neys erfreut und zog mich zum Limonadenstand.

„Ja genau. Danke Mira!“, schrie ich voller guter Laune einfach zum Himmel hinauf.

Ein kleines Mädchen von gerade einmal sechs Jahren, streckte mir eine große bezaubernde Blume, so gelb wie die Sonne, entgegen. Es war die schönste Sonnenblume die ich je gesehen hatte. Gerade als ich ihr etwas Geld geben wollte, winkte sie ab und hüpfte fröhlich weiter. Sie schenkte auch noch anderen ihre wunderschönen Sonnenblumen und von niemandem nahm sie auch nur eine Münze. Die Kleine schien einfach nur jedem eine Freude bereiten zu wollen. Also steckte ich meine Sonnenblume in die Tasche, sodass sie jeder sehen konnte.

Junge Leute in unserem Alter standen an der Straßenseite und machten Musik. Es war irgendwie genauso wie zu Hause, aber doch völlig anders. Ich genoss jeden Moment, jeden Augenblick in vollen Zügen. Auch Neys schien sich entspannt zu haben. Hier war es warm und gemütlich. Doch wusste ich - nur ein paar Schritte weiter und es wäre deutlich kälter, unangenehm und gefährlicher.

„Hier ist es einfach wundervoll“, flüsterte ich und er stimmte mir lächelnd zu. Ich drehte mich im Kreis und dann blieb mein Blick unerwartet an etwas haften, wovon ich dachte, es nie wiederzusehen, ein Kettenkarussell. Vielleicht war es für andere nichts Besonderes. Doch ich hatte so etwas Ähnliches bisher nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, als ein Wanderzirkus in meinem Dorf war.

„Ich muss hier rein!“, rief ich begeistert.

„Na gut, dann wünsche ich dir viel Spaß.“ Neys lächelte mir aufmunternd zu.

„Nichts da. Du kommst mit!“ Lachend zerrte ich ihn am Ärmel hinter mir her.

„Wer will denn alles mitfahren?“, fragte mich die Verkäuferin lächelnd, als wir vor ihr standen. Ich zeigte auf uns alle vier. Kaum hatte ich bezahlt sauste ich schon aufs Podest.

„Hey, darf ich auch einmal etwas sagen. Ich will da gar nicht mit.“ Neys weigerte sich weiter zu gehen.

„Ach Neys bitte! Du musst jetzt nicht auf Erwachsen machen. Hier, du nimmst den blauen Sessel, Tandora bekommt den violetten hinter dir, ich nehme den grünen und Blinky bekommt den roten vor mir, einverstanden?“ Noch bevor es abermals Widerworte geben konnte, schnallte ich alle an ihre Sessel fest. Der Verkäufer fragte, ob es losgehen konnte. Ich nickte begeistert.

„Wie ein kleines Kind“, sagte Neys kopfschüttelnd, grinste aber dabei.

Acht Männer stellten sich neben dem Karussell auf und drehten je eine Kurbel. Das Karussell setzte sich in Bewegung. Zuerst noch langsam, aber dann wurde es immer schneller und schneller. Die Kurbel drehte sich jetzt durch den Schwung alleine. Ich juchzte vor Glück auf und als ich mich zu Neys umdrehte, sah ich ein Grinsen in seinem Gesicht. Gegen Wind und Geschwindigkeit ist selbst er nicht immun. Nach viel zu kurzer Zeit wurde das Karussell langsamer und blieb schließlich stehen.

Das Gehen fiel uns nach diesem „Luft-Erlebnis“ etwas schwer und Blinky torkelte vor sich hin. Ich schnappte ihn und setze ihn mir auf die Schulter. Wir kauften uns Zuckerwatte und eine zweite Zitronenlimonade. Neys schoss mir beim Dosenwerfen einen kleinen Kuschelteddybär. Leicht errötet überreichte er ihn mir und ich umarmte ihn vor lauter Glück.

Wir bemerkten gar nicht, wie schnell die Zeit vergangen war. Doch als der Himmel über uns dunkel wurde, war ich plötzlich so müde, dass ich mich beim Gehen an Neys anlehnte. Ich konnte nur noch mühsam das Abendessen herunterschlingen, nur um dann wieder, wie am Vortag, ins Bett zu fallen. Es war ein großartiger Tag gewesen, voller Leichtigkeit und ohne Sorgen. Mit diesen Gedanken schlief ich ein, in den Armen den kleinen Teddybären.

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