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Prolog

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1615. Gustav, der erst zweite dieses Namens in der nicht sonderlich langen Reihe von schwedischen Königen aus dem Hause Wasa, Gustav, der den Beinamen Adolf trug, ein Erbe seines holsteinischen Großvaters, dieser Gustav Wasa also lebte trotz allem weiter. Trotz allem, das hieß ohne Ebba Brahe, die Liebe seines Lebens, aber neben seiner Mutter, die dem jungen Glück ihre Zustimmung verweigert hatte.

Er lebte weiter, obwohl der bohrende Schmerz, der ungemildert in seinem Inneren wühlte, die schwärmerische Maßlosigkeit der ersten wahren Verliebtheit rücksichtslos verdrängt hatte. Das Ende dieses Höhenfluges fühlte er so grausam, wie er sich in seiner Kindheit die Qualen der unerlösten Seelen stets vorgestellt hatte, die auf den großformatigen Altarbildern papistischer Kirchen in die Hölle gestürzt wurden. Sogar an lichteren Tagen und in heitereren Momenten brauchte es nur wenig, und sein überempfindsames Wesen erkannte den Verlust so frisch und unmittelbar wie in der ersten Stunde.

Das Verhalten des Königs seiner Mutter Christine gegenüber, eine befremdliche Mischung aus unversöhnlicher Sturheit und kindischem Trotz, sorgte für lebhaften, nicht versiegenden Gesprächsstoff in den Zimmernischen und Treppenabsätzen des Stockholmer Schlosses an den Ufern des Mälar, wo man, teils mitfühlend, teils schadenfroh, über Anlass und Ausgang der familiären Krise spekulierte.

Hatten die Ahnen des Königs nicht schon weniger standesgemäße Bräute gewählt, Königinnen aus dem Volk, rotwangige Mädchen aus uralten großbäuerlichen Geschlechtern, die erlegtes Wild häuten und Pferde zureiten konnten? Lag es daran, dass die Königinwitwe als junge Frau dem polnischen König versprochen gewesen war und dieser dann eine andere geheiratet hatte? Eine verschmähte Verlobte hatte womöglich kein Einsehen mit verzweifelt Liebenden.

Zur Unzeit schossen dem jungen Mann von zwanzig Jahren die Tränen in die Augen, worauf er, zornig auf seine vermeintliche Schwäche, Gespräche abbrach und zur Seite sah, als wäre er desinteressiert, unhöflich oder einfach nur hochmütig.

Aber der König, aufrecht erhalten durch die Kraft der Jugend, lebte, wie man sagte, sein Leben weiter, ließ sich seinen blonden Bart stutzen und fror aus Gründen der körperlichen Ertüchtigung bei winterlichen Militärübungen. Er ging so energisch, wie er dachte, dass man es von ihm erwartete, durch die Hallen des Stockholmer Schlosses und ließ sein Gefolge das männliche Staccato seiner metallbeschlagenen Reitstiefelsohlen auf den steinernen Fußböden hören. Er nahm regelmäßig Dampfbäder, drückte sich allerdings so manches Mal vor den eisigen Tauchgängen. Auf der Jagd erlegte er das Wild mit Lust, um wenig später den Blick in dessen gebrochene Augen schuldbewusst zu scheuen. Er schlief tagsüber beim Aktenstudium ein und verschlang nachts wenig erheiternde Gedichte, die von der Vergänglichkeit und der Sinnlosigkeit alles Irdischen handelten. Er war in einem Augenblick todtraurig und wenig später ausgelassen und vergnügt. Er gewährte Audienz in nobler, untadeliger Haltung und war kurz danach der launige Mittelpunkt einer grölenden Runde trinkfester Gesellen. Je nach Tagesform ließ er sich in einer Sache schlecht beraten und wies anschließend einen klugen Rat schroff zurück. Er machte sich bei den Schlauen beliebt, weil er zu Unrecht Gefordertes befürwortete und brachte die Anständigen gegen sich auf, weil er sinnvolle Gesuche ablehnte.

Doch die unverwüstliche menschliche Natur machte auch bei Königen keine Unterschiede und bereitete der Tristesse seines Daseins ein unerwartetes Ende: Zuerst entzog sich Gustav Adolf für Monate dem gesellschaftlichen Leben – um schließlich während eines Feldzugs ein uneheliches Kind zu zeugen.

Es dauerte nicht lange und die Spatzen pfiffen es von den Dächern: Der König von Schweden war ein Ehebrecher. Dass der junge Monarch nicht sein eigenes Ehegelübde, sondern dasjenige einer Frau namens Margarethe Sersanders verletzt hatte, machte die Sache nicht besser. Auch wenn Mätressen an vielen europäischen Höfen zum guten Ton gehörten, hielt man im sittenstrengen protestantischen Schweden wenig bis gar nichts von einer solchermaßen verfeinerten Lebensart. Ehebruch galt dort als schweres Delikt, das die Todesstrafe nach sich ziehen konnte.

Für den zwanzigjährigen Gustav Adolf hatte diese Liebschaft keine Konsequenzen. Dennoch blieb ihm öffentliche Kritik aus seinem engsten Umfeld nicht erspart. Gesetz und Ordnung, wetterte sein Hofgeistlicher Johannes Rudbeckius an die Adresse des königlichen Sünders, glichen einem Spinnennetz, in dem kleine Fliegen gefangen würden, während die großen einfach hindurchflögen.

Der einzige mildernde Umstand, der geltend gemacht werden konnte, war, dass diese große Fliege ihrer verlorenen Jugendliebe nachtrauerte und nach Ablenkungen ganz besonderer Art hungerte.

Die illegitime Frucht der Liaison mit Madame Sersanders, der kleine Gustav Gustavson, war also ganz offensichtlich ein Kind königlicher Frustration.

Gustav Adolfs missglückte Brautwerbung um Gräfin Ebba Brahe blieb am schwedischen Hof ein delikates Thema. Es musste mit äußerstem Fingerspitzengefühl behandelt werden. Die bezaubernde Ebba, Tochter eines hohen Hofbeamten, war mit dem nur knapp ein Jahr älteren Kronprinzen aufgewachsen. Aus kindlicher Vertrautheit war irgendwann schwärmerische Liebe geworden, eine Entwicklung, die Königin Christine mit großem Argwohn verfolgt hatte. Das reizvolle Fräulein war ihr nicht gut genug. Aber weil der junge König die treibende Kraft dieser verbotenen Liebe war, fest entschlossen, seine Gefühle über alle Kritik und auch über die Staatsräson zu stellen, musste diese Affäre ein durch die Kunst der Intrige herbeigeführtes Ende finden.

Christine, die lebenskluge Witwe und Mutter, hatte zu dieser Zeit scheinbar eingelenkt und der Heirat zugestimmt. Vorausgehen sollte ihrem Wunsch gemäß aber eine mehrjährige Wartezeit, in der sich die Verlässlichkeit dieser Verbindung zu bewähren hatte. Ebba, die trotz ihrer märchenhaften Schönheit nicht unter mädchenhafter Naivität litt, verstand und gab sich keinen Illusionen mehr hin. Während der Abwesenheit ihres Liebsten wehte ihr in den distanzierten Höflichkeiten aus dem Mund ihrer potentiellen Schwiegermutter der eisige Hauch der Unversöhnlichkeit entgegen. Und was die so genannte Wartezeit betraf: die Ablehnung dieser zu allem entschlossenen Frau kannte kein Verfallsdatum. Als unerwünschte Schwiegertochter würde Ebba einen Machtkampf zweifellos verlieren. Wozu also warten, bis die eigene Blüte vergangen und ein anderer Bewerber in weite Ferne gerückt war.

Mit ehrlichem Bedauern, aber gewiss nicht am Boden zerstört, begann sich die junge Frau von Gustav Adolf zu lösen, machte sich rar, beantwortete seine drängenden Briefe nur unregelmäßig und stimmte schließlich übereilt einer Verlobung mit Hauptmann Jacob de la Gardie zu.

Die Mutter des Königs hatte also den Sieg davongetragen, aber dieser Triumph war teuer erkauft. Gustav war tief enttäuscht und verbittert. Er fühlte sich verraten von den Personen, die ihm am nächsten standen und bereute das Herzblut, das er für diese Verbindung vergossen hatte. Theatralisch, soweit dies seine schwere, zur Fleischigkeit neigende Statur zuließ, gab er seiner Mutter zu verstehen, dass er in diesem Leben überhaupt nicht mehr zu heiraten gedachte. Sollte sich doch sein Bruder Karl Philipp nützlich machen und für einen Thronfolger sorgen. Was hatte es ihn zu interessieren, dass Karl erst zarte fünfzehn Jahre zählte!

Sprach‘s und machte sich, am Schauplatz seiner persönlichen Tragödie sprichwörtlich eine große Staubwolke hinterlassend, mit großem Gefolge und noch größerem Getöse auf in die Fortsetzung seines Feldzugs gegen Russland.

Ebba Brahe verschwand in der Provinz, ihr Name wurde nur noch hinter vorgehaltener Hand genannt. Der junge König hingegen durfte eine angemessene Zeit lang die Wunden lecken, die ihm geschlagen worden waren. Wunden, die von besagter Margarethe Sersanders – deren Ehemann im Übrigen ein niederländischer Offizier in schwedischen Diensten war, der gegen seinen prominenten Brotherrn keine nennenswerte Gegenwehr aufzubringen vermochte – mit Hingabe verarztet wurden.

Wie ein Berserker hatte Gustav Adolf also aufbegehrt gegen den Zwang, ein Leben als Sklave seines Amtes zu führen, hatte sich ohne nachzudenken hineingestürzt in diese Sache mit Margarethe. Als er aus seinem Rausch erwachte, war er tief beschämt darüber, dass ihm die junge Frau herzlich gleichgültig war. Aber da war es bereits zu spät.

Ängstlich, mit einem unschuldigen Augenaufschlag, hatte sie ihm eröffnet, dass sie ein Kind erwartete. Sein spontanes Entsetzen war wenig später in eine unbeholfene Reserviertheit umgeschlagen, die Margarethe zurückweichen ließ. Keine Klagen, keine Forderungen kamen über ihre Lippen. In der darauffolgenden Nacht hatte er von Ebba geträumt. Sie hatte ihn angefleht, über schwarzes, knisterndes Eis, das sich zwischen ihnen ausdehnte, zu ihr zu kommen. Aber das Eis war dünn, das Wasser rauschte und gluckerte in der Tiefe. Auf allen Vieren war er vorwärts gekrochen, und bevor er den scharfen Riss hörte, war er bereits mit einem dumpfen Krachen eingebrochen. Die eisigen Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen, erst durch wildes Armrudern war er wieder herausgeschossen wie ein Korken, die gefühllosen Finger blutig von den vergeblichen Versuchen, die Bruchkanten des Eises zu fassen. Da war über ihm Margarethes regungsloses Gesicht erschienen, sie hatte seinen Kopf mühelos unter Wasser gedrückt, nur mit der Spitze ihres Zeigefingers, und diesen dann hastig, mit einem Ausdruck des Ekels, zurückgezogen.

Als dann noch seine Mutter wie aus dem Nichts neben Margarethe getreten war und ihn mit einem tadelnden Kopfschütteln bedacht hatte, war er schweißgebadet und frierend aufgewacht.

Denn Gustav Adolf war sehr wohl bewusst, dass einem Mann in seiner Position dauerhaft kein Recht auf private Empfindlichkeiten zustand. Schließlich musste der Fortbestand der schwedischen Wasa gesichert werden.

Seine Mutter hatte damals natürlich schon längst ihr diplomatisches Netz ausgeworfen. Gut protestantisch und von Geblüt musste sie sein, die zukünftige Braut des schwedischen Königs. Die englische Prinzessin Elisabeth, Tochter König Jakobs, mittlerweile in der Kurpfalz verheiratet, war im Gespräch gewesen, mit einer jungen Dame aus dem Hause Württemberg hatte man auch geliebäugelt.

Überhaupt boten die deutschen Lande reiche Auswahl. So fiel der Blick auf Brandenburg. In diesem Kurfürstentum, das an die Hohenzollern belehnt war, waren Johann Sigismund und seiner Frau Anna gleich zwei Töchter im heiratsfähigen Alter herangewachsen. Die mannigfaltigen Vorteile einer solchen Verbindung lagen auf der Hand und waren von Reichskanzler Oxenstierna sachlich referiert worden. Selbst Jahre später konnte der König in seiner Erinnerung dessen dröhnende Stimme dozieren hören, dass es vier gute Gründe gäbe, und vermochte sich mit geschlossenen Augen vorzustellen, wie Oxenstierna dabei Daumen, Zeige- und Mittelfinger nacheinander in einer aufzählenden Geste ausgeklappt hatte:

Erstens bekannten sich die Prinzessinnen zur richtigen Religion. Zweitens gehörte Brandenburg zur Familie der Ostseeanrainer und hatte damit einen militärstrategischen Zugang zum Meer. Drittens war die Mitbelehnung der Hohenzollern in Preußen geographisch hochinteressant – mit einem Fuß in diesem Herzogtum würde Gustav Adolf seinem Vetter und Erzfeind, König Sigismund von Polen, die Stirn bieten können. Und viertens lockte im Herzen des deutschen Reiches das niederrheinische Herzogtum Kleve, das endlich den Hohenzollern zugeschlagen worden war.

Aber gegen Ende des Jahres 1615 war noch alles in der Schwebe. Der König suhlte sich in seinem Leid, bewies sich im fernen Russland als Soldat und Liebhaber und befasste sich halbherzig mit dem Gedanken an eine standesgemäße Heirat.

So geschah es, dass sich die Wege illegitimen Kindersegens und dynastischer Eheanbahnung für das Haus Wasa erst im Jahr 1616 auf höchst staunenswerte Weise überschneiden sollten.

Herr Gars soll heiraten

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