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Dresden, 9. Dezember 1610

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Es waren die beringten Finger ihres Schwagers Christian, des Kurfürsten von Sachsen, die ihren Oberarm wie eine Schraubzwinge quetschten. Die Siegelfläche seines massiven Rings hatte sich zum Handteller hin gedreht und drückte schmerzhaft durch Haut und Muskeln auf den Knochen. Jede andere Person hätte Anna allein durch ihren Blick zur Besinnung gebracht. Doch die Hand dieses angetrunkenen Mannes ließ sich nicht einfach so abschütteln. Nicht jetzt, nicht vor Zeugen. Hier, in diesem Zimmer, in diesem Schloss, war Kurfürstin Anna von Brandenburg nur Gast, Gast in Christians Haus, auf Christians Grund und Boden. Hier war sein Wille Gesetz.

Also ließ sie es widerstrebend zu, dass der Kurfürst sie in eine Ecke des Zimmers dirigierte, wo er sie so herumschwang, dass die anderen Anwesenden seine lächelnde Mimik zu sehen bekamen, ihr abweisender Gesichtsausdruck aber allen Blicken verborgen blieb.

Niemand in diesem Raum ahnte, dass der Kurfürst, bevor er aufgebrochen war, um seiner Schwägerin zur Geburt ihres Kindes zu gratulieren, bereits einige Becher Wein heruntergestürzt, sich mit schwerfälligen Schritten die Treppe heraufgequält, vor der Tür innegehalten, seine massigen, hängenden Schultern nach hinten gedrückt und mehrmals wie ein Erstickender tief Luft geholt hatte, um die Enge in Brust und Kehle zu bekämpfen. Er hatte das getan, um, wenn er durch diese Tür treten würde, überzeugend von dem Umstand abzulenken, dass er seit acht Jahren auf einen Erben wartete und dass seine von Aderlässen und Fruchtbarkeitskuren ausgelaugte und durchscheinend gewordene Frau vergeblich für die Anzeichen einer Schwangerschaft betete.

Christian von Sachsen hatte, etwas unsicher auf den Beinen, den vor dem Geburtszimmer wachenden Lakaien erst angerempelt, dann zusammengestaucht und schließlich mit dem Ellenbogen zur Seite geschoben, um die Tür schwungvoll aufzustoßen. Er war, umhüllt von einem Schwall kalter Treppenhausluft und seine kränkliche Frau Hedwig, eine Prinzessin aus dem dänischen Königshaus, im Schlepptau, in die schläfrige Atmosphäre des stickigen, überheizten Wöchnerinnenzimmers hereingeplatzt, hatte seinem Bruder anerkennend, aber recht flüchtig auf die Schulter geklopft, und war dann breit lächelnd von einem zum anderen Gast gegangen, hatte diesen umarmt, jenen mit der Faust geknufft und wieder einen anderen vertraulich am Wams gefasst.

Fast widerwillig war er dann an die Wiege getreten, in der die zwei Wochen alte Maria Elisabeth wie eine Puppe eingewickelt lag, ein gewöhnlicher, anspruchsloser Säugling, der von seiner Amme geschaukelt wurde. Nachdem er das Neugeborene begutachtet hatte, nicht ohne flüchtig nach sichtbaren Makeln zu suchen, forderte er seine Frau, die sich, wie befürchtet, mit wässrigen Augen an dem Bündel in der Wiege festgesaugt hatte, ruppig auf, der Wöchnerin das gemeinsame Geschenk, einen Geburtsteller, zu überreichen. Immerhin, so seine unausgesprochene Bilanz, war es nur ein Mädchen. Allerdings bereits die zweite, augenscheinlich gesunde Prinzessin innerhalb eines Jahres. Da war noch einiges zu erwarten.

Dasselbe dachte der Vater des Säuglings, Markgraf Johann Georg, der, sich seiner Zeugungsfähigkeit wohl bewusst, den aggressiven Neid des zwei Jahre älteren Bruders mit in sich gekehrter Zufriedenheit genoss. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr war ihm schon die kleine Sophie geboren worden. Auch damals kein männlicher Erbe, das nicht, aber ein kräftiger, überlebensfähiger Nachkomme.

Johann Georg, ein weichlicher Mann mit leichtem Bauchansatz und einem Hang zu übertrieben modischer Kleidung, der das auf die günstige Gelegenheit lauernde Leben eines Zweitgeborenen führte, lehnte mit der Schulter an einer der gedrechselten Stützen des Himmelbettes und drehte seiner in die Kissen drapierten Frau den Rücken zu. Die Arme gemütlich verschränkt und ein senfgelb bestrumpftes Bein lässig überkreuzt. Um ihn herum schlängelten sich zwei seiner Jagdhunde, drängten sich an ihn, suchten winselnd seine Hände, die sie abschleckten, bevor sie sich im Kreis drehten und auf dem Boden neben seinen Füßen zusammenrollten. Bereit, sofort hellwach aufzuspringen, wenn ihr Herr seinen Standort wechseln sollte. In dieser Haltung nahm er gleichmütig die Gratulationen entgegen und verglich blitzschnell den Wert der Gaben mit dem Status und dem geschätzten Vermögen der Schenkenden. Seiner Miene nach zu urteilen, war das Ergebnis zufriedenstellend.

„Wenn ich statt eines Mädchens ein paar Welpen geworfen hätte, würde dieser Mann mir größere Beachtung schenken. Wer weiß, vielleicht bekäme ich sogar ein paar abgenagte Knochen zugeworfen“, nörgelte seine Frau Magdalena im Flüsterton. Wenige Minuten zuvor hatte sie ihre Schwester Anna mit einem einladenden Klopfen neben sich auf die Bettkante gelockt und sich mit weinerlicher Stimme beklagt, dass sie Anna beneide, weil diese daheim in Brandenburg bereits ihre Pflicht erfüllt habe.

„Wenn man mich nur endlich aus diesem Bett herauslassen würde.“ Magdalena zupfte mit gesenktem Blick an ihrer pelzbesetzten Bettdecke und sah verschwitzt aus. „Ich leide. Aber dieser Zerberus“, sie deutete mit dem Kinn zu ihrer Hebamme hin, „wird mich in meinem dreckigen Bettzeug verfaulen lassen. Oder verdursten“, sagte sie angriffslustig, die trockenen Lippen mit der Zunge befeuchtend, „wenn meine Milch nicht endlich versiegt.“ Ihre Haut sei wie Pergament. Und sie habe die Farbe der schmutzigen Wäsche angenommen, in der sie liegen müsse. Wahrscheinlich werde sie eines Tages mitsamt den Laken abgezogen, zusammengeknüllt und in einem Waschbottich gekocht.

Kurfürstin Anna hörte sich diese weinerlichen Ausführungen geduldig an. Auch wenn sie sich an die Beschwernisse des Wochenbettes nur noch vage erinnern konnte, empfand sie doch die Mutterschaft als solche, speziell die Erziehung ihres Sohnes, des brandenburgischen Erbprinzen, als schwere Bürde. Als lebenslangen Auftrag, den sie im Ringen mit den wenig förderlichen Widerständen, den unbeherrschten Launen und zerstörerischen Einflüssen ihres Gemahls zu erfüllen hatte. Folgerichtig wollte ihr keine tröstliche Antwort einfallen, weshalb sie nach der feuchten Hand ihrer Schwester griff und diese stumm drückte.

„Ich weiß“, sagte sie leise und gab ihrer Schwester dann mit einer leicht deutbaren Drehung des Kopfes zu verstehen, dass es für sie Zeit wurde, den Kurfürsten zu begrüßen. „Ich muss, Magda.“

„Warte“, konnte ihre Schwester noch lautlos mit den Lippen formen, und holte sie mit einem eindringlichen Blick zurück, als die Kurfürstin schon stand. Anna setzte sich wieder und beugte sich zu ihr hin, deutete einen Wangenkuss an und ließ sich dabei ins Ohr flüstern, dass sie auf alles vorbereitet sein solle. Seine Gnaden sei derzeit noch mehr als sonst von Gereiztheit und Streitlust befallen. Alle würden versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen, aber er führe Begegnungen, die für Beteiligte und Unbeteiligte einen eher zweifelhaften Unterhaltungswert versprachen, offenbar absichtlich herbei. Die Dienstboten würden über Ehestreitigkeiten, über sein lautes Gebrüll und über das Weinen der Kurfürstin tuscheln. Was speziell ihre Schwester betreffe: Anna wisse ja, dass Seine Gnaden mit der Entwicklung im Rheinland nicht zufrieden sei.

Anna richtete sich auf, unentschlossen, ob es klüger sein würde, sich unter die Gäste zu mischen und dem Schwager ihrer Schwester aus dem Weg zu gehen. Aber nein, es musste sein.

Seit dem März des vergangenen Jahres, als ihr bedauernswerter Onkel Johann Wilhelm, der Herzog von Jülich, Kleve und Berg, aus seiner schweren geistigen Umnachtung erlöst und durch einen Akt göttlicher Barmherzigkeit heimgeholt worden war, schien kaum ein Tag vergangen, an dem Kurfürstin Anna nicht von dessen Erblast verfolgt worden wäre. Johann Wilhelm hatte das größte Versäumnis zu verantworten, das einem Fürsten mit nennenswertem Einfluss unterlaufen konnte: Er war ohne einen legitimen männlichen Erben gestorben.

Eigentlich war die Angelegenheit unzweideutig und klar. Aufgrund eines kaiserlichen Privilegs von 1546 war sie, Anna, als Tochter der ältesten Schwester des Herzogs vorrangig erbberechtigt. In seltener Eintracht hatten ihr Mann, Johann Sigismund von Brandenburg, und ihr Onkel Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg ihre Bevollmächtigten an den Rhein geschickt, deren Präsenz jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Erbabsichten zerstreuen sollte. Kaiser Rudolf war verständlicherweise mit diesem eigenmächtigen Vorgehen ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Und tatsächlich war wenig später schon sein Kommissar vor den Toren Jülichs gestanden, um vorerst das Regiment zu übernehmen.

Es war vorhersehbar gewesen, dass der übergangene Kaiser jetzt seine Autorität demonstrieren musste. Er wolle den Erbfall einer Prüfung unterziehen, hatte es geheißen, und auch die Ansprüche derjenigen berücksichtigen, die sich unter Einsatz ihrer Ellenbogen in die vorderste Reihe drängelten und allerlei obskure Dokumente vorlegten. Zu denen gehörte auch ihr Schwager, Christian von Sachsen, der in dieser zunehmend vergifteten Diskussion das große Wort führte und seine empörten Mitbewerber unter Einsatz aggressiver Drohgebärden in sein Gespinst aus dreisten Forderungen verstrickte.

Kaum also, dass Anna an den ebenso rotgesichtigen wie übergewichtigen Mann herangetreten war, fand sie sich nicht nur schmerzhaft am Arm gepackt, sondern darüber hinaus in einem befremdlichen Zwiegespräch wieder, das die Befürchtungen ihrer Schwester prophetisch erscheinen ließen.

Kurfürst Christian war ein früh gealterter Mann, dem man aufgrund seines verlebten Äußeren gut und gerne fünfzehn Jahre mehr zu seinen sechsundzwanzig hinzurechnen konnte. Wie viele seiner Standesgenossen trank auch er mehr als ihm guttat. Aber während sich robustere Naturen als die seine rülpsend und schenkelklopfend von diesen Exzessen erholten, schwanden seine Kräfte von Tag zu Tag. Er trank nicht, weil er es genoss, sondern weil er nicht mehr anders konnte. Weil er das Schicksal bekriegen musste, das ihn mit einer verhassten, widernatürlichen Empfindlichkeit ausgestattet hatte. Er hatte eine fast weiße, sommersprossige Haut, die die Sonne immer wieder schmerzhaft verbrannte. Einen leichten Knochenbau, der unter der Last des Fettes ächzte. Eine zarte Konstitution, die ein Leben im Übermaß nicht vorgesehen hatte. Noch als Zwölfjähriger hatte er sich am liebsten bei den Frauen herumgedrückt, wo er befremdete Blicke erntete und weggescheucht wurde. Nie wollte er wie seine gleichaltrigen Freunde mit glitschigen Schnecken zwischen den nackten Zehen durch die Wiesen streifen. Er sah weg, wenn sie Kaninchen das Fell abzogen und versteckte sich, wenn sie sich prügelten.

Als es an der Zeit gewesen war, hatte sein Vater ihm diese Marotten mit den gleichen mechanischen Methoden ausgetrieben, wie er seine Hunde abzurichten pflegte. Christian hatte gelernt, sich zu verstellen, hatte sich verleugnet und verbogen, bis ihm ein dicker Panzer aus dämmendem Fett gewachsen war, und er jegliche Zartheit aus seiner Welt verbannt hatte.

„Ein schönes, gesundes Kind“, gratulierte Anna vorsichtig, nachdem sie ihren Kopf zu einem kurzen Gruß gebeugt hatte, „ein guter Tag für das Haus Sachsen“, und rieb sich demonstrativ ihren Oberarm.

„Gut? Ja, ja, das scheint wohl so zu sein“, nuschelte der Kurfürst und warf seine Handschuhe auf den kleinen Tisch, der neben ihm stand, „gut für wen auch immer“. Ein zähes Schweigen breitete sich aus, in dem der Kurfürst mit starrem Blick vor sich hin brütete, leicht mit dem Kopf wackelte und sich unablässig mit der Zunge über die Lippen fuhr.

Anna vermied es, ihn in diesem Zustand der Blöße anzusehen und fing dabei den ängstlichen Blick ihrer Schwester ein. „Ihr führt ein gastfreundliches Haus“, versuchte sie es erneut, „ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele Besucher anlässlich einer Taufe gesehen zu haben. Und alle sind…“

„Gäste?“, plärrte Christian, wobei ihm ein lautes Rülpsen entfuhr, „Schmarotzer sind das! Was diese Leute tatsächlich machen, ist, mich einen Haufen Geld kosten. Und die Geschenke steckt sich Johann in die Tasche!“ Er streckte seinen Arm aus, raunzte nach mehr Wein und riss den Becher, den man ihm gereicht hat, so hastig an sich, dass ein wenig Rotwein auf seine Brust schwappte und dort zu dunklen Flecken versickerte.

„Mein lieber Bruder möchte sich im Glanz seiner Nachfolge sonnen. Er weiß, wie man es anstellt, die Kinder fallen ja nur so heraus aus Eurer Schwester. Eins nach dem anderen. Nun, ein Talent wenigstens scheint ihm ja mitgegeben worden zu sein.“

Die Füße nach außen gedreht, stellte er sich breitbeinig auf und tastete kurz mit der Hand nach der hölzernen Wandverkleidung, um einen sicheren Stand zu erlangen. Anna tauschte erneut einen kurzen Blick mit ihrer Schwester, die betroffen die Finger der rechten Hand auf ihren Mund gedrückt hatte, und bemühte sich, ein neutrales Gesicht aufzusetzen.

„Ich bin bekannt dafür, gleich ohne Umschweife zur Sache kommen“, sagte Kurfürst Christian mit leichtem Zungenschlag, was man daran merkte, dass er „zur“ weich und zischend wie „sssur“ artikulierte, „in mediae res also!“

Anna registrierte sein fehlerhaftes Latein mit Geringschätzung und schwieg. Dem Kurfürsten war das nicht entgangen. Er verzog einen Mundwinkel zu einem kleinen bösen Lächeln, das seine eingetrübten Augen nicht erreichte, wankte, kippte leicht nach vorne und blies ihr seinen abgestandenen Atem in die Nase.

„Anna, Anna, Anna…“, er schüttelte mit gespielt besorgter Miene seinen Kopf, als wäre er sehr enttäuscht von ihr, „was ist denn nur los mit euch Brandenburgern, hmmm?“

Anna wich zurück, ohne es zu wollen. „Ich verstehe Eure Frage nicht.“

„Keine gute Idee, den Kaiser gegen sich aufzubringen“, seufzte er. „Wie ich hören muss, hat die Partei eures Herrn Gemahls in der Jülich-Berg‘schen Sache eine empfindliche Niederlage erfahren. Da seht Ihr es, unrechtmäßige Umtriebe lohnen sich selten. Die Euren haben es verdient, bestraft zu werden.“

Der Kurfürst klang nun sicherer und beäugte sie lauernd. Das Kaminfeuer brannte in ihrem Rücken und Anna spürte, wie Schweiß den Stoff unter ihren Achseln nässte, hielt seinem Blick aber abwartend stand. Sie hatte nicht erwartet, dass er dieses Thema an einem solchen Tag anschneiden würde.

Ihr Gegenüber schnippte mit den Fingern nach einem Diener, und ließ, ohne den Blick von ihr zu wenden, seinen leeren Becher erneut mit Wein nachfüllen, welchen er, den Kopf im Nacken, geräuschvoll, mit großen, gierigen Schlucken austrank. Der Becher wurde ein drittes Mal gefüllt und Christian von Sachsen wedelte den Diener mit der anderen Hand weg.

„Jetzt, wo der französische König tot ist“, stellte der Kurfürst zufrieden fest, „lautet die entscheidende Frage nicht mehr, ob, sondern wann dessen Truppen am Rhein die Beine in die Hand nehmen und wie Hasen nach Westen flüchten werden. Dann, meine Liebe, seid Ihr Brandenburger allein, ganz allein.“

Er ließ den Wein im Becher kreisen und spürte, mit der Zunge schnalzend, dem Geschmack des sauren Getränks nach. Dies sei nun die wahrscheinlich letzte Gelegenheit zur Abkehr von einem verderblichen Irrweg, legte er eindringlich nach, und rückte noch ein wenig näher.

Er sage dies in aufrichtiger Anteilnahme und Sorge um ihrer Aller Wohl, machte er in einem unschuldigen Ton weiter. Brandenburg und Neuburg könnten noch zurück und den Konflikt mit dem Kaiser friedlich beilegen, sie müssten nur, trumpfte er mit süßlicher Stimme auf, ihre Knie und ihre Köpfe recht tief beugen und auf Gnade hoffen.

Gnade? Kurfürstin Anna, in der seine Rede nachhallte, die trotz vorgeblich abmildernder Worte mit Schärfe vorgetragen worden war, räusperte sich und gab einen ungläubigen Laut des Erstaunens von sich. Ihre Stimme klang brüchig.

„Ihr hört Euch wie ein katholischer Beichtvater an, Christian. Gnade!“, gab sie entrüstet zurück, „die wer wem erteilt? Das ist doch grotesk! Habt Ihr vielleicht auch schon eine angemessene Buße im Sinn? Welche Vergehen werft Ihr meinem Gemahl und meinem Cousin denn vor? Ihr wisst sehr wohl, dass die Ansprüche, die Brandenburg auf Jülich, Kleve und Berg erhebt, durch ein Privileg Seiner Majestät Kaiser Karls V. abgesichert sind, das dieser meiner Familie vor hundert Jahren ausgestellt hat.“ Gestärkt durch das Gefühl, geltendes Recht auf ihrer Seite zu haben, wurde Anna lauter und bestimmter im Ton. „Darin ist die Erbfolge ausdrücklich auf weibliche Nachkommen ausgeweitet, ein Fall der nun eben eingetreten ist! Und deshalb steht mir als der ältesten weiblichen…“

„Und das Privileg Kaiser Friedrichs III., das Sachsen begünstigt“, schnitt ihr Christian brutal das Wort ab, „sollte kein männlicher Erbe am Niederrhein die Regierung übernehmen können, ein Fall, der nun eingetreten ist, was nicht einmal Ihr bestreiten werdet, ist zweihundert Jahre alt. Ältere Ansprüche sind gültige Ansprüche. Das sieht auch Seine Erhabene Majestät, Kaiser Rudolf, so.“

Anna schüttelte entsetzt und abwehrend den Kopf und wollte mit einer raschen Drehung an ihm vorbei zu den anderen Gästen zurückkehren, die mittlerweile auf das seltsame Zwiegespräch aufmerksam geworden waren.

Doch der Kurfürst war noch nicht fertig. Blitzschnell schnappte er nach ihrem Handgelenk und hielt sie mit eiserner Kraft zurück. Ihr Neuburger Cousin Wolfgang Wilhelm, machte er unbeirrt weiter, der sich ja zu einem geschmeidigen Höfling entwickelt habe, sei in letzter Zeit übrigens verdächtig oft bei Hof gesehen worden. Man erzähle sich, er würde mit dem Kaiser plaudern und scherzen und ihm schöne Worte ins Ohr flüstern. Und mit dem Beichtvater Seiner Majestät soll er stundenlange Dispute über die Heiligen, ihre Reliquien und die Bedeutung des Abendmahls in leiblicher Gestalt führen. Wer könne schon in die Zukunft sehen, kicherte Christian, vielleicht treibe ihr Gemahl, Kurfürst Johann, vom dem man sage, dass er die Nähe zu den Calvinisten suche, den guten Neuburger noch in die weit geöffneten Arme der nach Weihrauch stinkenden katholischen Pfaffen? Der Kurfürst schien auf einmal nüchtern und aufmerksam.

„Euer Gnaden müssen es ja wissen“, schleuderte ihm Anna, der das Herz bis zum Hals klopfte, aufgebracht entgegen, „besser als jeder andere dürftet Ihr wissen, wie sich das Warten in kaiserlichen Vorzimmern anfühlt!“ Es sei ihr nicht klar, was er mit solchen Provokationen bezwecke, nein, sie schüttelte erneut fassungslos den Kopf, Seine Gnaden seien unzureichend informiert, er vergesse, dass die Zitadelle Jülich von tapferen Unionstruppen zurückerobert worden sei und dass sich die Lage am Rhein beruhigt und stabilisiert habe.

„Das glaubt Ihr“, versetzte er, das Lächeln zu einer Grimasse verzerrt, „Eure Unterstützer laufen Euch weg, auf die Franzosen wird die Union folgen, auf die Union Oranien. Ein beispielloser Aderlass wird eintreten, Eure Sache wird ausbluten bis zum letzten Tropfen. Die falsche Allianz, in die Ihr Euch verstrickt habt, und in der Ihr nun zappelt wie in einer Fußangel, die wird auseinanderbrechen, ja, die Risse sind schon mit bloßem Auge erkennbar und nicht mehr zu kitten“, stellte er hämisch fest. Sie würden schon bald völlig preisgegeben sein, nackt würden sie dastehen und keiner würde dann mehr seine schützende Hand über sie halten, denn keiner wolle einen Krieg.

„Ich wundere mich, was Ihr überhaupt wollt“, stieß sie hervor, ihre hohe, gepresst klingende Stimme verwünschend, „wenn man Eurer Argumentation folgte, dann wäre das Herzogtum Jülich ohne einen männlichen Erben für Euch sowieso wertlos.“

Kaum dass sie diese unüberlegten Worte ausgesprochen hatte, fürchtete sie für einen kurzen Moment, dass er sie mit bloßen Händen erwürgen würde, so hasserfüllt war der Blick, den er in ihren Hals bohrte. Trotzdem sprach sie, eigentlich mit der Absicht, einzulenken, aber fatalerweise wie berauscht von der Wirkung, die ihre Worte ausübten, hastig weiter, und versicherte ihm, dass eine gütliche Einigung alles sei, was Brandenburg anstrebe, dass alles, was sie wolle, ein Platz am Verhandlungstisch sei. Was ihr auch zustehen würde.

Der Kurfürst hatte sich wieder im Griff und betrachtete sein Gegenüber gefährlich milde. Ob sie sich seit neuestem für die Prinzipalin der westlichen Lande halte, fragte er samtweich? Denke sie, sie sei eine Art Amazonenkönigin, in deren Welt die Herrschaft von einem Weib auf das nächste übergehe, und wo die Männer kastrierte Narren seien? Ja? Falsch sei das, ganz falsch. Sie habe keine Bedeutung und keine Stimme, ließ er sie zynisch wissen, sie sei ein Nichts.

„Hast du wirklich angenommen“, er wechselte zum vertraulichen Du, das aus seinem Mund nicht familiär sondern beleidigend klang, „dass ich mit einem Weib, das sich nicht mit Dingen befassen sollte, die“, hier tippte er sich mit dem Zeigfinger an die Schläfe, „weit außerhalb seines Verstandes und seiner naturgegebenen Fähigkeiten liegen, auf Augenhöhe verhandeln würde? Wer, glaubst du eigentlich, dass du bist? Ist dir überhaupt klar, welche Last du für die Menschen in deiner Umgebung darstellst? Nein? Aber du weißt doch ganz bestimmt, dass du zuhause als Plage giltst, als Geißel, als eitriges Geschwür am Hintern des Kurfürsten? Dass manche Menschen der Meinung sind, man müsste deinetwegen den Kreis der Apokalyptischen Reiter auf fünf erweitern? Auch wenn“, lachte er meckernd, begeistert von seinem Witz, und sah sich Beifall heischend im Raum um, in dem es ganz still geworden war, „die Kanoniker im Vatikan da noch ein Wörtchen mitzureden hätten! Nein? Aber dass man dir den Tod wünscht, damit der Weg für den Kurfürsten frei ist, sich eine neue Frau zu nehmen, eine Frau, die ihren Platz kennt“, rief er entrüstet und mit übertrieben gerunzelter Stirn, als könne er ihre Ahnungslosigkeit kaum fassen, „das ist dir doch bekannt!?“ Oh jaja, er könne ihr einen Brief des Landgrafen Moritz von Kassel zeigen, in dem explizit dieser Gedanke weitergesponnen werde, machte er weiter, und genoss ihr Entsetzen.

Aber, schloss er wie beiläufig und schaute versonnen in seinen leeren Becher, das sei für ihn selbst ohnehin nebensächlich. Er habe keine weitere Verwendung für sie, er benötige sie ausschließlich als Übermittlerin seiner Botschaft. Denn das, was er ihr gesagt habe und noch sagen werde, das solle sie in Berlin berichten. Husch, husch, er macht eine scheuchende Handbewegung, sie solle schnell laufen und seine Worte wie ein braves Hündchen dorthin tragen.

Er hatte gesprochen und dabei ohne Unterlass gelächelt. Und die Kurfürstin, deren Wangen brannten und deren Beine sie kaum mehr tragen wollten, schwindelte, verwundet und elend.

Eines noch wolle er seiner teuren Cousine in aller verwandtschaftlichen Verbundenheit nämlich noch mit auf den Weg nach Hause geben. Etwas zum Nachdenken, sagte er kalt, und beugte sich nach vorne zu ihrem Ohr:

„Ohne das Haus Sachsen würdet Ihr Brandenburger noch immer in fensterlosen Fliehburgen hausen, um Euch herum stinkenden Morast, wie Vieh, und Ihr würdet märkischen Sand fressen. Was in Berlin von Wert ist, jegliche Kunst, ein jegliches Bauwerk von ansprechender Gestalt, das ist nur geborgt, abgekupfert, es stammt aus zweiter Hand. Allein durch Sachsens Vorbild und Führung lebt Ihr in Berlin wie Menschen.“

Anna sah nur noch die schwarze Höhle seines Mundes, die sich beim Sprechen verformte, sie sah seine flaumigen, fetten Backen, die über den engen Kragen flossen und bei jedem Wort vibrierten. Wie Nägel trieb er ihr die Worte ins Ohr. Und mit jedem Hammerschlag wurde das Brausen und Rauschen darin lauter.

Seine Stimme senkte sich zu einem gespenstischen Flüstern, sie hatte Mühe ihn zu verstehen.

„Wenn ich also nicht das bekomme, was mir von Rechts wegen zusteht, dann werde ich Dich von Deinem hohem Ross und den alten Säufer von seinem Thron stürzen, ich werde Euch beide aus Brandenburg vertreiben und dafür sorgen, dass die Kurfürstenwürde an ein anderes Haus vergeben wird. Hast. Du. Mich. Verstanden.“

Nach diesem Monolog drehte er sich ansatzlos weg, und rief, als hätte er seine Rolle gewechselt, als hätte er wie im Theater den Bühnenvorhang zur Seite gezogen und einen neuen Akt beginnen lassen, gut gelaunt in die Runde, ob es hier nichts zu essen gebe, und dass er vor Hunger sterbe. Wenn man nicht sofort etwas heranschaffe, was seinen knurrenden Magen besänftige, befahl er vergnügt, müsse er dem Säugling Konkurrenz machen und sich der Amme bedienen!

Während die Gäste gezwungen lachten und die Amme bestürzt zu Boden blickte, öffnete Kurfürstin Anna, die am ganzen Körper bebte, Finger für Finger ihrer geballten Fäuste, und löste mühsam ihre trocken verklebten Lippen voneinander. Ihr war, als blute sie aus zahlreichen unsichtbaren Wunden.

Steif ging sie zum Kamin und setzte sich, unbeachtet von der restlichen Gesellschaft, auf eine Bank. Dort saß sie unbeweglich, das Gesicht der schmerzhaft heißen Lohe zugewandt, und malte sich aus, wie der Kurfürst zu nah an das Feuer geriet, wie Funken eines berstenden Scheits auf seine Kleidung übersprangen, wie der Pelz, der seinen Überwurf säumte, knisternd und glühend schmolz, wie schließlich die Flammen an der Haut leckten, die seine massige Gestalt umspannte, wie er sich wand und krümmte und zuckte, bis am Ende nur noch ein schwarzer Klumpen aus verbranntem Fleisch und verkohlten Knochen zurückblieb.

Herr Gars soll heiraten

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