Читать книгу Herr Gars soll heiraten - Eva-Maria Landwehr - Страница 7
Stockholm, 12. September 1614
ОглавлениеReichskanzler Axel Oxenstierna an Königinwitwe Christine von Schweden.
Die von Ihrer Königlichen Hoheit gewünschten Berichte bezüglich einer möglichen Eheanbahnung Seiner Majestät, Gustav II. Adolf mit Ihrer Durchlaucht Prinzessin Maria Eleonora von Brandenburg zur gefälligen Kenntnisnahme.
Auf Anordnung Eurer Königlichen Hoheit sind in der brandenburgischen Angelegenheit Erkundigungen eingeholt und in nachfolgendem Dossier zusammengefasst worden.
Diese gelten selbstverständlich vorbehaltlich des ungewissen Ausgangs der Entwicklungen am Niederrhein, wo sich seit einigen Wochen Spanien und die Generalstaaten ein militärisches Kräftemessen liefern. Ich würde dringend anraten, alle weiteren Aktivitäten so lange einzustellen, bis zweifelsfrei festgestellt ist, dass die Familie der künftigen Braut einen angemessenen Anteil dieser für unsere Sache so eminent wichtigen Region vertraglich zugesichert bekommt. Im entgegengesetzten Fall würde ich für die sofortige Einstellung der Planungen hinsichtlich möglicher Heiratsverhandlungen plädieren, da Brandenburg dann erheblich an Nutzen für Schweden verloren hätte.
Zur Sache selbst: Wie Eurer Königlichen Hoheit mit Sicherheit bekannt ist, besteht der entscheidende Unterschied zwischen einem mitbelehnten Regenten und einem erblich regierenden Herzog darin, dass Ersterer die Aufgaben des Letzteren nur aus wirklich triftigen Gründen noch zu dessen Lebzeiten wahrnehmen kann. Die aktuelle Mitbelehnung der Hohenzollern in Preußen in der Person seiner Durchlaucht, des Kurfürsten Johann Sigismund, deutet auf eine gesundheitsbedingte Führungsschwäche des preußischen Hauses hin. Damit rücken die weniger erfreulichen familiären Hintergründe, die zu einiger Sorge Anlass geben, in das Zentrum aller Überlegungen.
Da wäre zum einen die außergewöhnliche Häufung psychischer Erkrankungen in der weitverzweigten Familie der in Augenschein genommenen Braut. Dieses Phänomen betrifft ausschließlich die mütterliche Linie.
Der Großvater Fräulein Maria Eleonoras, Herzog Albrecht Friedrich von Preußen, der in seinem zweiundsechzigsten Lebensjahr steht, ist seit jeher für alle Höflinge, selbst für die Dienerschaft, nur „der blöde Herr“. Von Kindesbeinen an geistig zurückgeblieben, haben sich die ihm eigenen wahnhaften Züge und schweren Anfälle von Melancholie mit jedem Lebensjahr verschlimmert. Permanent sieht er sich von Verrat umgeben und fürchtet Mordanschläge, so unter anderem mit Gift, das er sogar in den Hostien des Abendmahls vermutet. Wenn das Durcheinander in seinem Kopf und die widerstreitenden Gefühle in seiner Seele überhandnehmen, kapselt er sich hermetisch von seiner Umwelt ab.
Maria Eleonora von Jülich-Kleve-Berg, die Großmutter der möglichen Braut, die man mit dem Herzog verheiratet hat, ist bei ihrer Ankunft in Preußen ohne Zweifel völlig ahnungslos gewesen. Der Bräutigam hatte sich in seinen Zimmern verbarrikadiert und sich geweigert, seine Braut zu begrüßen, von einer Einwilligung zur Heirat gar nicht zu reden. Seine Räte hatten sich damals ahnungslos und schockiert gegeben, und steif und fest beteuert, dass der Herzog noch vor kurzem kerngesund gewesen sei. Erst der Einwand seiner Ratgeber, dass es dem Kaiser nicht gefallen würde, wenn die junge Braut wie beschädigte Ware zurück nach Hause geschickt würde, hatte einen Sinneswandel herbeigeführt.
Auf der Suche nach den Ursachen für die Auffälligkeit Albrecht Friedrichs haben sich die preußischen Ärzte intensiv mit den herzoglichen Ahnentafeln befasst und akribisch die Namen verhaltensauffälliger Familienmitglieder zusammengetragen. Es ist den Nachforschungen des Herrn von Birkholz zu verdanken, dass man in den Besitz einer Abschrift dieser Liste gekommen ist. Das Ergebnis ist ernüchternd. Je höher man in die Verzweigungen und Verästelungen des preußischen Stammbaums klettert, desto fündiger wird man:
Die Braunschweiger stellen das größte mental angeschlagene Kontingent. Das betrifft Anna Maria von Braunschweig-Calenberg, die Mutter des Herzogs, ihren Großvater Friedrich von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg sowie dessen Bruder Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel.
Aber auch die Mutter und die Großmutter Anna Marias, Elisabeth von Brandenburg und Elisabeth von Dänemark, sind in dieser Liste aufgeführt. Fatalerweise scheint auch die väterliche Linie mit dem Großvater Herzog Albrechts, Friedrich II. von Brandenburg-Ansbach, betroffen.
Selbst gesund an Leib und Seele, dürfte sich aber auch im Körper von Albrecht Friedrichs Gemahlin Maria Eleonora ein tückisches Erbe verbergen.
Da steht in vorderster Linie ihr Bruder, Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, der als melancholisch und schwermütig bekannt gewesen ist. Bei ihm, der vor fünf Jahren kinderlos verstarb, hatte sich eine ähnliche Symptomatik wie bei seinem preußischen Amtskollegen gezeigt: schwere Melancholie, Verfolgungswahn, die ständige Angst, vergiftet zu werden. Auch bei ihm sind diese ungesunden Dispositionen aus beiden Haupttrieben des Stammbaums gespeist worden.
Sein Großvater väterlicherseits, Johann III., hat als simples Gemüt mit einem kleinen Gehirn gegolten. Seinem Ururgroßvater, Gerhard II. von Berg und Jülich, hatte man wegen seiner psychischen Probleme die Regierungsfähigkeit abgesprochen.
Dass Maria Eleonora von Preußens schwermütige Mutter Maria von Österreich nicht nur die Tochter Kaiser Ferdinands I., sondern auch die Enkelin Johannas, genannt ‚die Wahnsinnige‘, von Kastilien gewesen ist, bedeutet wohl nur einen weiteren passgenauen Stein in diesem Mosaik mentaler Labilität.
Seine geistigen Gebrechen haben Seine Gnaden Albrecht Friedrich von Preußen bewiesenermaßen nicht daran gehindert, sich erfolgreich fortzupflanzen. Herzogin Anna, die Mutter von Fräulein Maria Eleonora, ist eine von fünf gesunden Töchtern. Bedenklich muss jedoch stimmen, dass die einzigen beiden männlichen Nachkommen in Preußen bereits im Säuglingsalter gestorben sind.
Unter Berücksichtigung aller bekannten Fakten muss man also bedauerlicherweise konstatieren, dass in den brandenburgischen Hohenzollern belastetes Blut von fürstlichen Familien aus allen Himmelsrichtungen Europas zirkuliert. Nur an kommenden Generationen wird sich zeigen, wann und an welcher Stelle diese Gebrechen wieder zutage treten werden.
Womit sich der Unterzeichnende gefälligst erlaubt, zum zweiten Punkt der gewünschten Nachforschungen zu kommen:
Mit den Berliner Finanzen ist, das Wortspiel sei erlaubt, kein Staat zu machen. Der Kurfürst hat immense Schulden, die er anteilig von seinem Vater geerbt, in einem gerüttelten Maß aber selbst zu verantworten hat. Bei seinem Regierungsantritt haben die Stände der Kurmark das tiefe Loch von 700 000 Talern, das in der brandenburgischen Kasse klaffte, murrend aufgefüllt. Sie taten dies völlig umsonst.
Seine Gnaden Kurfürst Johann Sigismund ist kein besonnener Wirtschafter und konfrontiert sich nur äußerst unwillig mit den Zwängen einer ökonomischen Hofhaltung. Sparsamkeit und vorausschauende Etatplanung sind seine Sache nicht, nie kommt er mit seiner jährlichen Apanage über die Runden, nie erreicht der Berliner Haushalt ein ausgeglichenes Niveau. Nichtsdestotrotz leistet sich der brandenburgische Hof einen übermäßig aufgeblähten Reisehofstaat, summa summarum 100 Personen, davon 16 Edelknaben und Kammerdiener sowie eine mehrköpfige Kanzlei.
Mit seiner Passion für die Jagd und das Trinken gibt sich der Kurfürst standesüblichen, aber de facto nicht wirklich kostspieligen Ausschweifungen hin. Es ist vielmehr ein konsequentes ‚Über-die-eigenen-Verhältnisse-leben‘ und sein vermutlich angeborenes Talent zur Verdrängung, das ihn in unangenehme und eines Tages vielleicht ausweglose Situationen bringen wird.
Es ist unmöglich einzuschätzen, ob es der fatalistische Sarkasmus des bekennenden Sünders oder bloß kindische Trotzhaltung ist, die ihn seine ungehemmte Prasserei in einem Brief, der unserem Verbindungmann vorlag, als schöne ordentliche und wohlbestallte Staathalterei bezeichnen ließ. Die Momente der Einsicht, in denen Seine Gnaden bereut, die Berliner Hofhaltung zu vernachlässigen und damit Betrug und Bereicherung in sein Haus geholt zu haben, sind jedenfalls rar gesät.
Und so nimmt es nicht Wunder, dass der Unbelehrbare die Mühe scheut, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Stattdessen erschließt er alternative, leichter zugängliche Geldquellen. Aus Preußen zieht er regelmäßig Mittel ab, die Brandenburg gar nicht zustehen. Und das, obwohl man in Königsberg seine liebe Not hat, den jährlichen finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Lehnsherrn Polen nachzukommen.
Ungeniert leiht er sich Geld, bei Verwandten, bei seiner Frau, Ihrer Gnaden Kurfürstin Anna, gelegentlich sogar bei seiner Dienerschaft. Die Angst vor peinlichen Situationen scheint ihm wesensfremd, er hat ein geradezu schlafwandlerisches Talent für das Falsche im falschen Moment: Es wird kolportiert, dass der Kurfürst während der Hochzeitsfeierlichkeiten für seine älteste Tochter Anna Sophia in Braunschweig seinem Schwiegersohn Herzog Friedrich Ulrich noch während der Feierlichkeiten eine größere Summe Geldes abschwatzte.
Trotzdem dreht sich die Schuldenspirale in Brandenburg immer weiter. Es existieren Verbindlichkeiten bei Hoflieferanten, Beamte bekommen zeitweise kein Gehalt mehr, von der drückenden Hypothek, die auf dem kurfürstlichen Grundbesitz lastet, ganz zu schweigen.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Johann Sigismund aus der protestantischen Union wird ausscheiden müssen, weil er seine Beitragszahlungen nicht mehr leisten kann. Was in hohem Maße beschämend und kaum geheim zu halten sein wird.
Äußerst Besorgnis erregend ist der schleichende Verlust der kurfürstlichen Autorität sowie die Tatsache, dass Seiner Gnaden kaum noch der nötige Respekt entgegengebracht wird: So macht man sich bei Hof offen darüber lustig, dass der drohende Notverkauf von Kleinodien aus der kurfürstlichen Schatzkammer den Kurfürsten weniger schmerzen könnte, als der bedenklich zur Neige gehende Vorrat an Rheinwein im Keller der Residenz.
In der Hoffnung, Eurer Königlichen Hoheit dienlich und der Sache förderlich gewesen zu sein, verbleibe ich als Euer getreuer
Oxenstierna m. p.