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Im Brandenburgischen bei Küstrin, Juli 1615
ОглавлениеDer investigative Aktionsradius des Agenten Hieronymus von Birkholz, eines mecklenburgischen Adeligen, erstreckte sich rund um die Ostsee. Bereits seit fünf Jahren versorgte er, unterstützt durch ein Netz von Korrespondenten, das kriegswillige Schweden mit Informationen zu Polen. Er war nicht der einzige Ausländer, der regelmäßig in Stockholm vorstellig wurde, um durch persönliche Berichterstattung den unsicheren Postweg zu vermeiden.
Das einer ungeübten Kehle nur mühsam zu entlockende Schwedisch beherrschte er auch nach Jahren nicht gut genug, um Briefe übersetzen zu können. Aber da am Hof Französisch und Deutsch gesprochen wurde, stellte ihn das vor keine größeren Probleme.
Dass ihn Axel Oxenstierna als ‚guten Freund‘ bezeichnete, war weniger der Gefühlslage des schwedischen Reichskanzlers geschuldet als vielmehr eine kalkulierte Anerkennung für exzellent geleistete Dienste. Birkholz wusste das und zeigte seine Verbundenheit mit seinem Patron, wie dies für seinen Berufsstand üblich war, durch die Übersendung luxuriöser Geschenke zum Jahreswechsel. Weder krankheitsbedingte Indisponiertheit noch finanzielle Engpässe konnten ihn, ehrgeizig wie er war, von diesen Loyalitätsbeweisen abhalten.
Die Diplomatie, dachte er so manches Mal, wenn ihm nach Philosophieren zumute war, war schon ein seltsames Geschäft. Man konnte sie am besten mit einem Gewand aus kostbarer Seide vergleichen, dessen angeschmutzter Saum erst auf den zweiten Blick ins Auge fiel. Dieser Schmutz aber war schmierig und hartnäckig und widerstand auch den gründlichsten Reinigungsversuchen.
Träger dieses Gewands war der Diplomat, dem eine Wesensverwandtschaft mit dem heidnischen Gott Janus nachgesagt wurde. Wobei er diesen doppelgesichtigen römischen Götzen noch übertraf, denn ein Diplomat jonglierte mit vielen Gesichtern, ein jedes passend für die jeweilige Situation.
Aufrichtig, darin war sich Birkholz mit anderen Eingeweihten einig, waren Vertreter seines Berufsstandes nur, wenn sie sich dadurch einen Vorteil erwarten durften. Doch Vorsicht, auch dann konnte Ehrlichkeit nur vorgetäuscht sein. Agenten, wie er einer war, verstanden sich nämlich meisterlich auf die Kunst der Verstellung und der Berechnung, kurz: Falschheit war die conditio sine qua non ihres Berufsstandes. So wenigstens sahen das neben den Moralisten die Opfer diplomatischer Aktivitäten, aber auch nur, weil sie empört darüber waren, dass man ihnen Geheimes entlockt oder entrissen hatte.
Birkholz hatte natürlich ein anderes Bild seiner selbst. Er betrachtete es als hohe Kunst, durch ein Minimum an eigener Preisgabe ein Maximum an Relevanz für seinen Auftraggeber zu erwirtschaften. Dann war er in seinem Element. Eine gewisse charakterliche Biegsamkeit hielt er dabei für unverzichtbar, alberne Kostümierungen aber waren stets unter seiner Würde. Der Heuchelei und des offenkundigen Betrugs verdächtig waren immer nur die Gegenspieler, wobei die französischen Kollegen den schlechtesten Ruf von allen genossen.
Grundsätzlich lebt ein Diplomat als ein Nomade der Informationsbeschaffung auf höchstem Niveau. Der Dienst am Vaterland empfahl für höhere Ämter bei Hof, weshalb der Diplomat einen vergleichsweise geringen Lohn akzeptierte und idealerweise der Versuchung widerstand, zwecks Aufbesserung seines Gehalts gleichzeitig zwei verfeindeten Lagern zu dienen. Andererseits war es aus Gründen der Arbeitsökonomie üblich, mehrere Klienten parallel zu bedienen.
Ereignislosigkeit war der wohl mächtigste Feind des Diplomaten. Schließlich wurde von ihm erwartet, dass er seine Berichte wöchentlich lieferte, unabhängig davon, wie munter seine Quellen sprudelten. Nichts musste, aber alles konnte von Interesse sein.
Birkholz‘ jüngstes Projekt war das Einfädeln einer königlichen Heirat, das der höchsten Geheimhaltungsstufe unterlag. Weil ein Unterfangen dieser Größenordnung in erster Linie internationale Politik war, musste man ein solches Thema zur rechten Zeit behutsam anschneiden, dann antichambrieren, warten, nachfragen, warten, verhandeln, warten. Immer so fort. Die Anbahnung einer fürstlichen Ehe hatte aber auch eine menschliche Dimension, die neben rationalem Verhandlungsgeschick ein gewisses Feingefühl erforderte. Und absolute Verschwiegenheit.
Jeder wusste es, aber keiner sprach offen darüber: Gustav II. Adolf von Schweden, gerade einmal zwanzig Jahre alt, brauchte über kurz oder lang eine Frau. Eine ebenbürtige Frau zum Heiraten wohlgemerkt, denn Liebeleien schien der jugendliche Monarch nicht unbedingt abgeneigt.
Wie so oft in diesem Gewerbe, spielte der Zufall Birkholz in die Hände. Schon länger im Geschäft und, aufgrund der Tatsache, dass er Schweden als sein zweites Vaterland betrachtete, wurde er mit den Vorarbeiten betraut. Es galt, in Brandenburg zu sondieren und, vor allem, herauszufinden, wie die Heiratspläne derjenigen Herrscher aussahen, deren Unterhändler sich mit Schweden auf diesem Markt tummelten. Brandenburg war nämlich eine gute Partie, nachdem ein Vertrag, der im vergangenen November in Xanten geschlossen worden war, den Hohenzollern das Herzogtum Kleve zusicherte.
Die Hierarchie war erfreulich flach: Was Korrespondenz und Berichterstattung betraf, war Birkholz ausschließlich höchsten Stellen verantwortlich, das heißt Reichskanzler Oxenstierna und dem schwedischen König selbst. Aber wenn er aufgrund seiner Erfahrung, auf die er sich einiges einbilden durfte, nicht ganz irre ging, dann würde er darauf achten müssen, dass die Mutter des Königs jede Zeile seiner Berichte in Abschrift las.
Im Hochsommer des Jahres 1615 begannen beide Parteien, sich vorsichtig heranzutasten. An einander und an das Verhandlungssujet. Im brandenburgischen Küstrin wurde Birkholz von Kurfürst Johann Sigismund empfangen, der dort auf die Jagd ging. Man plauderte angenehm über dies und das. Der Kurfürst gab sich leutselig, stellte viele interessierte Fragen. Auch Fragen von eher rhetorischer Natur. Denn wie es um die äußere Gestalt des Schwedenkönigs bestellt und ob dieser ein aufrechter Protestant war, musste ihm bereits bekannt sein.
Das eigentliche Thema wurde anfänglich großzügig umkreist, bis sich die Bahnen der Gesprächsführung immer schneller spiralförmig zum Zentrum hin verjüngten. Man machte gegenseitig Honneurs, doch man blieb unverbindlich, sprach ausschließlich von ‚Freundschaft‘ und ‚Kontakt‘ zwischen beiden Fürsten.
Und ja, die für Brandenburg ungemütliche Feindschaft zwischen Schweden und Polen wurde angeschnitten.
Einmal wenigstens kam der Kurfürst kurz aus der Deckung, als er sich nach dem Wahrheitsgehalt der Gerüchte um eine geplante Heirat des schwedischen Königs mit der Kurfürstinwitwe von Sachsen erkundigte. Dass diese umgehend dementiert wurden, schien ihm durchaus zu behagen.
Am weitesten aber wagte sich ein Mann namens Anton Freytag vor, Kammerdiener, und wie Leibarzt Johann Saffius ein Vertrauter des Kurfürsten. Beide waren in die Pläne ihres Herrn eingeweiht und agierten als Graue Eminenzen im Hintergrund. Freytag steckte Birkholz Geld zu und ließ ihn en passant wissen, dass es mehrere Bewerber für die Prinzessin gebe, wobei er ihn bedeutungsvoll anstarrte. Saffius wiederum brüstete sich damit, die Sterne kundig deuten zu können und gab damit an, dass er dem Fräulein einen König in Aussicht gestellt hatte. Da der englische Kronprinz ebenfalls ernsthaft im Gespräch wäre, dürfe man sich also mit einer ernsthaften Werbung nicht allzu viel Zeit lassen.
Die ersten Resultate, die der Agent dem König und seinem Reichskanzler einige Wochen später brieflich ins Feldlager nach Pskow in Russland referierte, gaben in diesem Stadium also durchaus Anlass zur Hoffnung. Der Kontakt war hergestellt, ein chiffriertes Interesse auf beiden Seiten vorhanden.
Da sei aber noch eine Kleinigkeit, gab Birkholz in seinem Bericht zu verstehen. Johann Sigismund wäre nicht er selbst gewesen, wenn er es versäumt hätte, die Gunst der Stunde zu nutzen. Der Kurfürst war berüchtigt dafür, dass es ihm keinerlei Unbehagen zu bereiten schien, Wünsche auszusprechen und Gefälligkeiten zu erbitten. In solchen Situationen streifte der schwerfällige Mann behände seinen staatsmännischen Habitus ab und opferte eifrig jegliche Subtilität auf dem Altar seiner Leidenschaften.
Seine wohl größte Passion war die Jagd. Für die Jagd brauchte man Pferde und Hunde. Neue Hunde hatte Johann Sigismund bereits, sein Schwager, König Christian IV. von Dänemark, und Landgraf Ludwig von Darmstadt waren vor einigen Jahren so freundlich gewesen, ihm edle Exemplare zur Verfügung zu stellen.
Blieben die Pferde. Johann Sigismunds Korpulenz war schon einigen Pferden zum Verhängnis geworden. Gute, starke Tiere, die für die strapaziöse Jagd und längere Reisen taugten, waren auf den Bauernmärkten in der kurmärkischen Provinz nicht zu finden. Wer über die nötigen finanziellen Mittel verfügte, ließ in Gestüten und an Fürstenhöfen im In- und Ausland nach exquisiten Pferden fahnden. Das Angebot war allerdings sehr viel kleiner als die Nachfrage. Der Markt war so angespannt, dass der Tauschwert von Kunst gegen Pferde eine Talfahrt erlebte. Wer eine begehrte Zucht sein eigen nennen konnte, wusste gar nicht mehr wohin mit den vielen Gemälden, die ihm im Gegenzug für eines der begehrten Rösser angeboten wurden – und lehnte dankend ab.
Schwedische Schlachtrösser, die bekannt dafür waren, dem Verschleiß durch schwere Reiter trotzen zu können, waren für Johann Sigismund nun in greifbare Nähe gerückt.
Zudem kannte der Kurfürst mittlerweile den Wert seiner Tochter und spielte darum das Spiel der Mächtigen. Schließlich hatte erst im vergangenen Jahr König Jakob von England einige seiner besten Schlachtrösser nach Spanien bringen lassen, um die Tochter König Philipps als Schwiegertochter zu gewinnen. Die Sache selbst befand sich immer noch in der Schwebe, aber die englischen Pferde würden in jedem Fall bei ihrem neuen Herren bleiben. Die schwedischen sicherlich auch in Berlin. Denn was für eine spanische Infantin recht war, konnte für eine brandenburgische Prinzessin nur billig sein.
Ohne Umschweife, so Birkholz, hatten Seine Gnaden nach schwedischen Pferden gefragt. Pferde, deren Übergabe sich ja vorzüglich mit einem nächsten Treffen würde verbinden lassen.
Der schwedische König hatte nach der betont beiläufigen Lektüre des Briefes angewidert das Gesicht verzogen und selbigen an Oxenstierna weitergereicht, mit der Bemerkung, dass dem ‚Herzenswunsch‘ des Kurfürsten selbstverständlich entsprochen werden solle. Er kenne sich mit solchen Händeln nicht aus, aber er verlasse sich darauf, hatte er ironisch angefügt, dass ein wertvolles Geschenk die Attraktivität des Brautwerbers in den Augen des Brautvaters maßgeblich steigern werde.
Dann hatte er nach Margarethe schicken lassen.