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Kapitel1: Eine, die unfreiwillig auszog, die Welt kennenzulernen

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Mein Sturz in die Tiefe wurde von den vielen dichtwachsenden Ästen abgefe­dert. Trotzdem prallte ich noch mit einem ziemlichen Rums auf den Boden auf. Voller Panik, zerschrammt und verbeult, - aber offenbar unverletzt, kroch ich über den Waldboden, auf der Suche nach einem halbwegs sicheren Unterschlupf. Ich war viel zu schlaff, um im Dunkeln wieder in den Schlafbaum zurück zu klettern. Zu rufen traute ich mich auch nicht, wollte ich doch hier unten auf keinem Fall Aufmerksamkeit erregen. Außerdem war der Schwarm bei Nacht fast völlig orientierungslos.

Vorsichtig tastete ich mich in der Finsternis voran und entdeckte nach einer gefühlten Ewigkeit ein Loch zwischen Baumwurzeln, das groß genug für mich zu sein schien. Prüfend untersuchte ich es, als hinter mir plötzlich das welke Laub auf dem Waldboden leise raschelte. Hastig versuchte ich in meinem gerade erst entdeckten Unterschlupf zu verschwinden, der sich jetzt leider als recht eng herausstellte. Ich wand mich hin und her und hatte mich doch schon fast hinein gezwängt, als sich plötz­lich etwas Großes und Schweres auf meinen Hintern legte und mich nieder drückte. Entsetzt zap­pelte ich wie ein aufgespießter Plattwurm am Stock, aber gegen die Kraft, die mich am Boden festna­gelte, konnte ich nicht das Geringste ausrichten. Dann wurde ich langsam, aber unerbittlich aus meinem Versteck gezogen.

Jetzt schrie ich aus vol­lem Hals. Schreiend und kreischend, versuchte ich mich mit festzu­klammern. Doch es half alles nichts. Baumwurzeln rutschten mir durch die Hände. Split­ter bohrten sich in meine Finger, die aufrissen, beim verzweifelten Versuch mich festzuhalten. Hoch oben im Baum konnte ich jetzt den Schwarm hören. Durch mein Geschrei wa­ren alle aufgewacht. Sie flatterten und kreischten alarmiert in den Wipfeln. Über allem konnte ich Gaia hören, die meinen Namen rief. Irgendje­mand schmiss ziellos mit einem alten Übungsei, das an einem Ast zerplatzte und mich und meinen Angreifer mit einer übel riechenden Flüssigkeit vollspritzte. Schließlich begannen sie ihren stark ätzenden Werhennenkot über uns abzulassen.

Gegen nächtliche Räuber, die auf Beutesuche einen Baum voller Hennen erklim­men, ist der Kot eine wirksame Abwehr. Das wusste offenbar auch mein Angreifer, denn jetzt schien seine Lust, mit mir herumzuspielen, ein Ende zu haben. Energisch wurde ich aus meinem Loch herausgezo­gen und in einem, mit reichlich Zähnen bestückten Maul davongetragen. Mit lan­gen, weichen Sätzen ging es durch den Wald.

Die Kotspritzer auf meinem Körper lösten sich durch den triefenden Speichel des Räubers und ätzten sich nicht weiter in meine Haut. Streng riechender Atem umhüllte und wärmte mich. Mittlerweile hatte ich aufge­hört zu schreien und hing erschöpft und ge­lähmt vor Angst zwischen den Zähnen des Zeffallos. Denn so viel hatte ich inzwischen trotz meiner Panik erkannt, das Wesen, das mich fortschleppte, war ein Zeffallo. Der Gestank war unverwechselbar.

Schon einige Male hatte ich mit dem Schwarm den mächtigen Hennentöter beobachtet und sei­nen scharfen Raubtiergeruch wahrgenommen, wenn er tief unter uns, lautlos über den Waldboden schlich. Das Gekreische, in das wir dann ausgebrochen waren, warnte jede mögliche Beute im weiten Umkreis. Aufgeregt flat­terten wir herum und bewarfen den Hühnchentöter mit Zweigen und Ästen oder unfruchtbaren Eiern. Unseren Kot setzen wir nur bei direkter Gefahr ein. Er steht ja auch nicht unbegrenzt zur sofortigen Verfügung.

Einmal hatte ich auch erlebt, wie gefährlich ein Zeffallo sein konnte. Damals waren einige Junghennen immer weiter hinunter geturnt und hatten den Jäger lauthals beschimpft und verhöhnt. Vol­ler Entzü­cken über das sichtlich genervte Zeffallo und ihren eigenen Mut, hatten sie sich gegenseitig zu im­mer riskanteren Manövern angestachelt. Dabei blieben sie aber noch immer ziemlich hoch über dem Wesen.

Doch plötzlich schnellte das Zeffallo seinen kräftigen Leib empor und riss Danto, die sich besonders weit nach vorne gewagt hatte, von ihrem vermeintlich sicheren Ast. Noch im Sprung schleu­derte es sie, mit einem Hieb der mächtigen Pranke, weit durch die Luft und setzte der toten Danto elegant nach, um sie im vollen Lauf aufzufangen und davonzutragen.

Das alles geschah sehr schnell. Ich hatte zum ersten Mal ein Hühn­chen sterben sehen. Werhennen erreichen ein ho­hes Alter und haben im Allgemeinen kaum Feinde zu fürchten. Eine Brut ist selten, da es 30 Perioden dauert bis ein Hühnchen ausgewachsen ist. Der Tod jeder Henne reißt ein tiefes Loch in den Schwarm, das nur langsam zuwächst.

Ich selbst bin stets wenig Risiken eingegangen und habe mich nie weit von meiner Glucken­mama entfernt, denn ich war verfroren und schwäch­lich. Überhaupt erhielt ich vom gesamten Schwarm wohl genau deswegen, besonders viel Zuwendung. Und nichts, wirklich nichts ist gemütlicher, als sich in die weichen Daunen der Hennen zu kuscheln und ihren warmen, staubi­gen, vertrauten Geruch einzuatmen.

Kleine Stupse in die Seite weckten mich. Leicht murrend drehte ich mich um und erhielt aber­mals einen Knuff. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich nicht im Schwarmnest war. Vorsich­tig öff­nete ich die Augen einen kleinen Spalt. Das machte kaum einen Unterschied. Ich lag weich gepolstert, in völliger Dun­kelheit, anscheinend mitten im Nest meines Jägers. Der Raubtiergestank war schier überwälti­gend. Warme Körper drängten sich an mich. Irgendwer schnaufte mir ins Gesicht. Dann quiekte es direkt neben meinem Ohr.

Lang­sam, ganz langsam, fast unmerklich, schob ich mich voran. Und Stück um Stück gelang es mir, mit angehaltenem Atem, fort zu kriechen. Die Dunkelheit blieb undurch­dringlich für meine aufgerissenen Augen. Als ich schließlich innehielt, um leise Luft zu holen, wurde ich resolut zurück ins Lager gezogen.

Innerlich schrie ich vor Enttäuschung. Das Zeffallo beschnüffelte mich und drehte mich grob um. Dann leckte es mir einmal warm über den Rücken, als wolle es mich schmecken. Schließlich griff es sich einen meiner Füße und trug mich durch die Dun­kelheit hinaus ans Licht.

Hilflos schlenkerte ich in der Luft, während sich um mich drei junge Zeffallos drängten, die begeistert ver­suchten näher heranzukom­men. Sie waren kaum den Nahrungszitzen entwach­sen.

Vor der Höhle lockerte meine Jägerin ihren Biss. Ich plumpste würdelos zu Boden. Voll Elan stürzten sich die drei Jungtiere auf mich, doch ich war schneller und sprintete direkt vor ihrer Nase über die kleine Lichtung, auf die Bäume zu. Verzwei­felt lief ich einen der Stämme, getragen durch meinen Schwung, ein Stück hoch und kletterte dann an den Ästen weiter und weiter hinauf. Der Baum wäre normaler­weise nicht meine erste Wahl gewesen. Dürr und teil­weise abgestorben, war er höchs­tens acht Hennen hoch. Kratzspuren am Stamm deuteten da­rauf hin, dass er zum Schärfen von Krallen oder zum Klettertraining benutzt wurde. Jauchzend sprangen meine drei tollpatschigen Häscher in das Bäumchen und folgten mir in das Astgewirr. Hastig kletterte ich höher. Schließ­lich umschlang ich die vertrock­nete Spitze.

Leider hatte ich es als einzige im Schwarm nie verstanden, ätzenden Kot zu mei­ner Verteidigung zu produzie­ren. Falls er mal ätzte, dann wurde höchstens mein Hinter­teil wund. Also umklam­merte ich meinen morschen Halt und konnte nichts weiter tun, als verzwei­felt nach dem Schwarm zu rufen. Bei dem weithin tönenden Schrei zuckte einer mei­ner Verfolger er­schreckt zusammen und verlor seinen Halt. Mit gewaltigem Krachen brach das Junge durch die trockenen Zweige und stürzte auf die Lichtung.

Ein ande­res umklammerte jetzt direkt unter mir den Stamm und angelte ent­zückt mit der Pfote nach mir. Ich trat nach ihm, so gut ich konnte. Schließlich gelang es ihm mein Bein festzuhal­ten. Spiele­risch begann es in den Fuß zu beißen. Die spitzen Kinderzähne drangen sofort durch die Haut.

Ich heulte auf, beugte mich soweit hinun­ter wie ich konnte und spuckte ihm in eines seiner leuchtend grünen Augen. Überrascht ließ es meinen Fuß los und fuhr sich mit einer Tatze über das Auge. Das nutzte ich aus, um ihm mit dem Sporn an meiner Hacke kräftig in den Hals zu piksen. Aufjaulend verlor es sei­nen Halt und riss beim Sturz das dritte, direkt unter ihm hängende Geschwister, mit hinunter. Ineinan­der verknäult landeten sie unsanft auf dem Boden. Ich krähte schadenfroh hinter ihnen her.

Noch stolz auf meinen Sieg bemerkte ich plötzlich, in einiger Entfernung eine Bewegung. Dort stolzierte ein wahrlich merkwürdi­ges Geschöpf. Es war hochgewachsen. Bestimmt so hoch wie ein Hollobusch, stakste es auf stelzenarti­gen Beinen mit großen, ruckartigen Schrit­ten durch das Gebüsch. Auf seinem langen Hals saß ein winziger Kopf, der sich suchend hin und her drehte.

Ich war nicht die Einzige, die das Herannahen des fremden Wesens bemerkte.

Aufmerksam blickte das erwachsene Zef­fallo, unten auf der kleinen Lichtung, mich an und zog knurrend die Lefzen hoch, bevor es sich abwandte. Mit einem tiefen, brummenden Laut rief es seine Jungen. Dann verschwand der Fresser mit seinem Nachwuchs lautlos im Wald. Während ich auf meinem Bäumchen hocken blieb und nicht wusste ob ich mich noch mehr fürchten sollte, als ich es vorher bereits getan hatte.

Das Wesen pflückte mich direkt von meinem Ast herunter. Das war nicht weiter schwer. Wie eine reife Schaapsfrucht hing ich dort. Es brauchte nur meine Arme vom Baum zu lösen und ich fiel ihm zu, wie ein Geschenk. Nie zuvor hatte ich ein derartiges Geschöpf gesehen und ich fürch­tete mich entsetzlich. Sogar das riesige und starke Zef­fallo war vor diesem Geschöpf geflohen.

Heftig zappelte ich in seinen dünnen, hakenartigen Klauen und rief um Hilfe, …und er­hielt plötzlich Antwort. Zugleich hörte ich das Knacken und Pras­seln, das entsteht, wenn der Schwarm durch die Baumwipfel tobt. Fest zog mich das Wesen an sich und presste mich in ganzer Länge an seinen harten Körper. Zwei Klauen drückten kraftvoll mein Gesicht zusammen. Ich konnte keinen Muskel rühren, geschweige denn laut rufen. Es fühlte sich an, als wäre ich mit einem Baumstamm verwachsen. So standen wir stock­steif aneinandergepresst und ich musste hilflos zuhören, wie der Schwarm durch die Wip­fel an uns vorüber brandete. Ich glaubte vor Kummer sterben zu müssen, als der Lärm in der Ferne verklang.

Abermals wurde ich mit großer Geschwindigkeit durch den Urwald getragen, doch nur selten schlug mir ein Zweig ins Gesicht. Erstaunlich geschickt bewegte sich das Geschöpf durch das Dickicht. Einmal blieb es wieder erstarrt stehen und ich wurde abermals in voller Länge an den harten Körper gedrückt. Ich hatte nicht das Geringste bemerkt, aber nach kurzer Zeit hörte ich das typische Geräusch eines Spurschnüfflers, der gemächlich durch das Ge­büsch walzte, immer auf der Suche nach einem Opfer, das er aussaugen konnte. Ich staunte, dass er unsere Fährte nicht wahrnahm. Doch wie mir dann bewusst wurde, stank ich zwar mächtig, aber nach Zeffalospeichel und Zeffallohöhle. Nicht sehr verlockend für den behäbi­gen Jäger. Mein Entführer roch für mich und möglicherweise auch für den Spurschnüff­ler nach welken Blättern und Heu. Jedenfalls trampelte der blinde Greifer schnurstracks an uns vorbei und verschwand in den Büschen.

Wir zogen weiter und gelangten schließlich an eine kleine, mit Moos bewachsene Lichtung. Dort trafen wir auf drei weitere Stelzengeschöpfe, die mit zwei anderen Wesen, die mir aus irgendeinem Grund vertraut erschienen, zusammen hockten. Sie alle scharrten sich um einen winzigen Waldbrand. Es war zwar nur ein sehr kleiner Brand, aber ich wusste wie gefährlich das war. Sie mussten sicherlich eine besondere Kunst beherrschen oder besonders dämlich sein. Der Schwarm fürchtete fast nichts mehr als das Feuer. Wann immer es durch den Wald raste, tötete es die Bewohner und vernichtete viele Bäume, die Lebensgrundlage von allen.

Als sie mich erblickten, standen sie auf und drängten sich um mich. Als ich sie erblickte stellte ich mich tot. Das war nicht weiter schwer, hatte ich doch das Gefühl, dass zu meinem baldigen Ableben sowieso nicht mehr viel fehlte. Jeden Muskel ließ ich erschlaffen, verlangsamte meinen Rhythmusklopfer, der den Saft durch den Körper treibt und rollte die Augäpfel nach hinten. Selbst das übel riechende Gas, das mir bei der Entspannung entwich schadete nicht, geschah das doch beim Sterben häufig.

Ich konnte spüren, wie ich vorsichtig auf die Erde gelegt wurde. Dann wurde ich gründlich untersucht. Aufgeregtes Gegickel und Gegacker erklang über mir, aber nichts, das sich auch nur annährend vertraut anhörte. Als sie mich dann jedoch näher zum Brand schleppten, konnte ich meine Scharade, aus Angst vor den zuckenden Flammen, nicht länger durchhalten. Alle Körperfunktionen blitzschnell hochgefahren, trat ich wild um mich, fiel zu meiner großen Überraschung frei zu Boden und rannte davon. Leider nicht weit, denn mittlerweile hatten die Strapazen der letzten Zeit alle meine Kräfte aufgebraucht. Bereits nach wenigen Schritten weigerte sich der Fuß, an dem ich bereits aus einer Höhle getragen worden war und der zudem die Spuren des Milchgebisses eines jungen Zeffallo trug, mich zu tragen. Ich fiel der Länge nach auf das Gesicht und alles wurde dunkel.

(Zeffallo: großer Fresser mit gestreiftem Fell, das seine Stimmungen wiedergeben kann. Ist er entspannt und verspielt, changiert der Pelz in bunten Farben. Auf der Jagd ist es beispielsweise grau, braun grün, je nach Lichtverhältnissen. Wie bei den Werhennen, gibt es auch nur weibliche Zeffallos. Es ist ein Einzelgänger und zieht seine Jungen über viele Jahre groß. Das Gebiss ist sehr scharf und kann sogar die Haut eines Spurschnüfflers durchtrennen. Zähne des Fressers werden gerne zu Schneidewerkzeug umgearbeitet. Erwachsene Wesen haben eigentlich keine Feinde.

Die Gier der Karnivoren

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