Читать книгу Die Gier der Karnivoren - F. Schröder-Jahn - Страница 8
Kapitel 6: Wie man tiefen Brunnen auf den Grund gehen kann und über scheinbar nie endendes Gelächter
ОглавлениеTäglich trafen jetzt Trupps von Jagdgästen in Ort ein. Das bunte Treiben, unter den mächtigen Ästen meines Marktbaums, das mich anfangs so begeistert hatte, fing tatsächlich an mich zu langweilen. Ähnelte doch schließlich wieder ein Tag dem anderen und genauso auch die Gespräche. Ich machte mir Sorgen um meine Gesundheit, denn abermals blutete ich aus meinem Körper. Für meine Suche nach dem Schwarm musste ich gesund und stark sein, sonst würde es nicht lange dauern und jemand im Wald würde mich verdauen. Gut war da mein abendliches Training, - das Happen haschen. Wenn an den Feuern gegessen und gefeiert wurde, war ich inzwischen oft schneller als die Raubfalter. Ich konnte sogar mit der rechten und der linken Hand unabhängig voneinander, nach zwei gleichzeitig geworfenen Brocken greifen und sie häufig auch erwischen. Nachdem ich mir einmal allerdings einen wirklich wütenden Raubfalter in den Mund stopfen wollte, weil ich in der Eile nicht genau hingeblickt hatte, wurde ich deutlich vorsichtiger. Einen ganzen Tag lang verklebten mir seine Seidenfäden den Mund und verdammten mich zur Null-Diät.
Meine Blutung hörte auf und ich sehnte mich nach Regen. Heiß strahlten die Tagesplaneten und ich war schmutzig und verklebt. Meine Wasservorräte im Baum waren aufgebraucht. Ich hatte zum ersten Mal nur das Wasser, das mir mit meiner Nahrung unter die Hirtenweide gestellt wurde. Zum Waschen konnte ich das nicht vergeuden. Nachts hinab zusteigen und mir Wasser zu besorgen, traute ich mich nicht. Doch das Jucken meines schmutzigen Körpers wurde immer stärker, Scheuerstellen hatten sich in den Fältchen und Winkeln meiner Haut gebildet und sie wuchsen und juckten.
Eines Nachts hielt ich es schließlich nicht mehr aus. Ich fühlte mich, als ob ich in Rotelsaft gebadet hätte. Am späten Umlauf hatte ich noch beobachtet, wie einige der Gäste sich lachend gegenseitig mit Wasser aus dem Brunnen bespritzt und abgekühlt hatten. Eimerweise hatten sie das Nass über sich geschüttet. Wassertropfen schimmerten regenbogenfarben, als sie durch die Luft flogen.
Leise, leise kletterte ich aus meinem Baum hinunter auf den Boden und schlich vorsichtig zum Brunnen. Gierig spähte ich über den Rand hinab in die Tiefe. Dann ließ ich den Eimer, der mit einem langen Spurschnüfflerseil an einer Winde befestigt war, in den Schacht hinunter. Gerade als ich den gefüllten Eimer zu mir hochziehen wollte, hörte ich Stimmen, die sich rasch näherten. Ohne zu zögern packte ich das Seil und kletterte hinab. Es war stockdunkel da unten. Nur die Rundung der Brunnenöffnung zeichnete sich undeutlich gegen den Nachthimmel ab, als ich hochblickte. Dann verdunkelte ein Kopf die Öffnung. Jemand versuchte den Eimer hochzuziehen. Da ich allerdings darauf hockte, war das gar nicht so leicht. Jemand fluchte „Der Eimer muss sich irgendwie verhakt haben. Ich bekomme ihn nicht hoch.“ „Lass mal sehen“ ertönte eine andere Stimme. Mehrere Köpfe schoben sich vor den Nachthimmel. Ich saß in der Falle. „ Es ist so dunkel da unten wie in einer Zeffallohöhle, man kann nichts erkennen.“ Ich nutzte die Gelegenheit und ließ mich ganz langsam vom Eimer ins Wasser gleiten. Dabei verursachte ich ein leises Plätschern. Unruhe entstand oben an der Brunnenöffnung. „Reich doch mal die Fackel rüber.“ Grelles Licht erstrahlte oben und erhellte den oberen Teil des Brunnenschachtes. Ich konnte mehrere Gesichter sehen, die konzentriert zu mir hinunter ins Dunkle spähten. „Das hat doch keinen Zweck. Ich lass sie fallen.“ Ich konnte gerade noch untertauchen, da kam die Fackel schon zu mir herab geflogen. Zischend erlosch sie im Wasser. Als ich ähnlich wie ein Rülpsfrosch versuchte, nur mit den Augen aufzutauchen, um zu sehen was weiter geschah, wurde gerade der gefüllte Eimer zügig nach oben geholt. Die Leute gingen schließlich fort und ich hockte in der dunklen Tiefe. Ruhe kehrte wieder ein. Kühl umschloss mich das saubere Brunnenwasser. Die Nacht war still, der Eimer hing ordentlich oben an der Winde auf dem Marktplatz von Ort. Nur aus dem Brunnen stieg gelegentlich ein leises Plätschern herauf, als ich genussvoll begann mich zu waschen.
Bis zum nächsten Lichtumlauf blieb mir nichts anderes übrig als auszuharren. Lange schon war das Bad bereits kein Genuss mehr. Meine Haut war aufgeweicht und faltig. Mein Körper völlig durchgefroren. Die Sporne mit denen ich mich zunächst so gut in der gemauerten Brunnenwand hatte verankern können hatten sich letztendlich gelöst und trieben gemeinsam mit meinem Dreck, meinem Blattgefieder und mir selbst im Brunnenwasser herum. Ängstlich piepste ich im Schacht, als endlich jemand den Eimer hinunterließ. Zweimal glitt ich wieder zurück ins Wasser, bis es mir dann doch gelang, das Seil empor zu klettern.
Ich tauchte aus dem Brunnen auf wie ein Würmling aus der Erde. Der Marktplatz war bereits voller Leben. Blau und verschrumpelt hockte ich auf dem Brunnenrand. Nach und nach kam die morgendliche Betriebsamkeit zum Erliegen, bis wirklich alle Blicke auf mich gerichtet waren. Würdevoll nickte ich dem neben mir stehenden Bläut zu. Es war ein junger Jäger. Vor gar nicht so langer Zeit, hatte ich meinen Sporn in seine Schulter gerammt.
Jetzt nahm ich das Seil und zog den gefüllten Eimer aus dem Schacht hoch, nickte ihm erneut zu und reichte ihm das Wasser, das er geistesabwesend entgegennahm. Schnell griff ich noch einmal zu ihm hinüber und fischte einen meiner Sporne aus dem Eimer heraus, der dort mit allerlei Blattwerk herumtrieb. Schließlich war es wahrlich mühevoll die nützlichen Dinger immer wieder herzustellen. Der Bläut blinzelte kurz. Anschließend straffte ich meinen Körper und ging gemessenen Schrittes zu meiner Hirtenweide hinüber. Kaum war ich im Blattwerk verschwunden, hatte ich den Eindruck, dass ganz Ort in schallendes Gelächter ausbrach.
Es brauchte Tage bis die Leute sich beruhigten.
Zwar zeigte ich mich möglichst nicht, doch ständig kicherte irgendwo jemand, sobald ich auch nur die Blätter der Weide zum Zittern brachte. Die Leute stellten mir fröhlich giggelnd und prustend meine Nahrung unter die Hirtenweide. Bis tief in die Nacht musste ich warten, um endlich ungestört hinunterklettern zu können. Ich vertrieb mir die Zeit damit, erneut ein Gefieder aus Blättern, Moosen und Flechten herzustellen und den verbliebenen Sporn an meinem linken Gelenk zu befestigen.
Alles was ich fand war ungeeignet, um daraus gute Sporne herzustellen. Für den zweiten musste ich notgedrungen ebenfalls Weidenholz verwenden, obwohl es eigentlich zu leicht bricht, wenn es trocken ist. Irgendwann würde ich schon mal wieder in den Besitz guter Sporne gelangen. Ich vermisste meine alten, die mir der Schwarm geschenkt hatte.
Zu meiner Erleichterung ebbte die Aufmerksamkeit nach und nach wieder ab. Angesichts der bevorstehenden Jagd, rückten die letzten Vorbereitungen in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
Auch ich erwartete die Hatz voller Ungeduld, wollte ich mich doch dann ebenfalls auf den Weg machen und endlich den Schwarm suchen. Ich setzte darauf, dass der Wald viel sicherer wäre, wenn die Jagd erst begonnen hatte. Dann sollten sich die wilden Fleischfresser zurückziehen und bedeckt halten, unter dem Druck der Hatz. Den tollpatschigen Jägern würde ich schon noch ausweichen können. Nur die Stelzenläufer bereiteten mir Sorgen. Da würde ich mich ein Stück weit auf mein Glück verlassen müssen.
Am Abend vor dem geplanten Aufbruch der Jagdgesellschaft wurde gewaltig gefeiert. An jedem Feuer prahlte man mit abenteuerlichen Geschichten über gigantische Jagderfolge. Die Raubfalter und ich schwelgten im Überfluss. Fast ununterbrochen flogen kleine Essensbröckchen in die Luft, die die Raubfalter mit akrobatischen Flugmanövern einfingen. Auch ich sammelte mir einen großen Vorrat für meine Reise zusammen. Zuletzt erinnere ich mich, hockte ich zusammengekuschelt und schläfrig auf einem dicken Ast. Neben mir voll gefressene Raubfalter. Ihre Flügel hatten sie müde um die filigranen Körper gewickelt. Immer undeutlicher drangen die Stimmen vom Feuer unter mir an mein Ohr, bis alles in einem großen Rauschen verklang.
(Grabhyäne: großer Fresser, ähnelt optisch unseren Hyänen, nur deutlich größer. Zieht allein oder in kleinen Gruppen durch den Wald. Frisst lebende Beute und auch Aas. Ihr Fleisch schmeckt hervorragend. Aber sie ist sehr schwer zu töten, da ihre Haut sehr dick ist und sich zudem die lebenswichtigen Organe bei jeder Grabhyäne an anderer Stelle befinden. Sie vergräbt die Reste ihrer Beute, auf die sie vorher ein Verdauungssekret speit, damit diese schnell mürbe wird, wie gut abgehangen. Männliche und Weibliche Tiere ziehen ihren Nachwuchs gemeinsam auf. Sie bleiben ihr Leben lang Geschlechtspartner.)