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Kapitel 7: Wie es ist, als Köder zu dienen und über die erste Begegnung mit Lust und Hennentod

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Als ich wach wurde, schmerzte mir der Schädel. Nur mühsam fand ich allmählich zu mir.

Unbequem war dieses Nest, einfach zum Wegscharren. Missmutig wälzte ich mich herum. Ein plötzlicher Schmerz in meiner linken großen Fußkralle klärte mir langsam den dröhnenden Kopf und ich öffnete die Augen. Ich lag auf einer kleinen Lichtung, die umwachsen war von verfilzten, dichten Gestrüpp mit einzelnen großen Bäumen dazwischen. Wieder war ich angebunden und zwar an einem Pflock in der Mitte der freien Fläche. Bei meinem Glück war das Seil, das an meinem rechten Handgelenk festgemacht war, bestimmt wieder aus Spurschnüfflerleder. Ich setzte mich auf und schüttelte die kleine Sammlerin ab, die mich mit ihrem herzhaften Biss in meinen Fuß wachgerüttelt hatte. Irritiert krabbelte sie ziellos am Boden herum, bis sie schließlich eine Duftspur fand und auf ihr eilig von dannen zog. Dann inspizierte ich das Seil, insbesondere die Verschlüsse an Gelenk und Pfosten. Kein Zweifel, schnell würde ich mich nicht losmachen können, wenn überhaupt. Mein Bewegungsradius betrug rund 10 große Hennenschritte um den Pfosten herum, wie ich schnell herausfand, als ich ihn mit dröhnendem Kopf abschritt und die Lichtung war vielleicht viermal so groß.

Am Rand sah ich das Zuhause meiner kleinen Sammlerin. Ungünstig für mich, - der Bau war so hoch wie ich und auch so breit. Dort lebten sicher jede Menge kleiner, eifriger Sammlerinnen. Ich hatte nichts gegen diese allgegenwärtigen Bewohner des Waldes, aber weitere Bisse würde ich gerne vermeiden. Auf keinem Fall wollte ich zum Objekt ihrer Sammelleidenschaft werden. In winzigen Stücken würden sie mich nach Hause tragen.

Ich holte tief Luft und rief lauthals nach meinem Schwarm. Hier im Wald konnten sie mich vielleicht hören und mir zu Hilfe kommen. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich war. Kaum war mein erster Ruf verklungen, raschelte es schon im Dickicht. Ich zuckte zusammen. Das war ein bisschen zu schnell, sogar für Werhennen. Aus dem Gebüsch schob sich der dicke Kopf einer Grabhyäne. Sie spähte gelassen, aber aufmerksam über die Lichtung. Ich zog mich langsam hinter den Pfahl zurück und versuchte verzweifelt meine Hand freizubekommen. Die Grabhyäne ließ sich Zeit. Sie musste schon länger um meine Lichtung herumgestrichen sein. Diese Fresser sind sehr vorsichtig. Wahrscheinlich hatte ich sie idiotischer Weise erst mit meinem Hilferuf aus der Deckung gelockt. Jetzt wartete sie offenbar auf eine Antwort. Nach einer Weile, als alles ruhig blieb, trat sie behäbig ganz auf die Lichtung heraus. Mich würdigte sie noch keines Blickes. Zunächst sicherte sie, prüfte die Luft. Dann schritt sie langsam den Außenrand der Lichtung ab. Ich bewegte mich parallel dazu mit, immer den Pfahl zwischen ihr und mir. Wahrscheinlich würde sie diesen später, nach der Mahlzeit, zur Reinigung ihrer Zähne benutzen. Erst nachdem sie die Lichtung gründlich überprüft hatte schenkte sie mir ihre Aufmerksamkeit. Gemächlich machte sie einige Schritte auf mich zu und witterte schnaufend, mit erhobenem Kopf. Ich wich nach hinten aus und hielt den Pfahl zwischen uns. Sie rückte ruhig weiter vor und stellte sich neben den Pfahl, während ich mich gleichzeitig so weit zurückzog, wie das Ende meiner Leine es zuließ. Der Räuber spannte die Muskeln zum Sprung an und ich konnte das Wasser nicht länger halten. Es lief mir die Beine hinunter, die zur selben Zeit unter mir nachgaben.

Die Grabhyäne sprang und noch im Absprung wurde sie plötzlich wuchtig zur Seite geschleudert. Zappelnd und zuckend lag sie auf dem Rücken und schnappte um sich. Zwei mit Werhennenfedern, - von Gluck? - befiederte Pfeile ragten aus ihrer Seite. Ich hockte zusammengekauert auf dem Boden, die Arme schützend über dem Kopf. Auf die Lichtung traten mein Rotelsaft-Opfer der Federling und ein Bläut. „ Das war soooo unglaublich gut“, rief der Bläut. Ich meinte in ihm den jungen Steineschmeißer zu erkennen, dem ich meinen Sporn in die Schulter gerammt hatte. „Ja, wir sind vermutlich nicht zu schlagen. Wer hätte das gedacht. So eine fette Beute - und nur undenkbare zwei Pfeile.“

Die beiden freuten sich noch eine ganze Weile über ihren Erfolg. Doch dann wandte der Federling sich mir zu. „Du kannst gern noch häufiger nach dem Schwarm rufen“, sagte er zu mir „Es ist mir nur Recht, wenn du so meinen Jagderfolg steigerst. Du Mistvieh, ich hab dir doch gesagt, ich kriege dich. Und das Schöne dabei, du hast dir selber den Brocken mit dem Schlafmittel in den Hals gestopft.“ „Was machen wir jetzt mit der Henne?“ fragte der Bläut. „Lassen wir sie laufen?“ „Kommt nicht in Frage.“ Der Federling war ganz offensichtlich nicht angetan von dem Vorschlag. „Sie lockt uns die beste Beute an. Sie bleibt! Ich wette, ein Zeffallo kann ihr auch nicht widerstehen. Jung und knackig. Zartes Fleisch fertig serviert, wen schert es schon, was mit ihr passiert. Hör nur, ich werde schon bei dem Gedanken ganz poetisch“

Der Bläut seufzte nur angeödet. Dann meinte er „Na ja, mir fallen doch einige Leute ein, die sich immer sehr für dieses Huhn eingesetzt haben. Aber es sind ja sowieso alle aufgebrochen. Niemand weiß wo sie steckt. Besser noch, wahrscheinlich hat überhaupt noch keiner bemerkt, dass sie nicht mehr in dem ollen Marktbaum hockt.“

Die beiden grinsten sich verschwörerisch an. Dann stupsten sie vorsichtig mit ihren Bögen gegen die Grabhyäne, die sich nicht mehr rührte. „Was für ein Riesenvieh, und nur zwei Pfeile. Man wird staunen über diese Leistung. Ich habe das noch nie vorher gesehen.“ Der Federling war sichtlich stolz. Zufrieden meinte er weiter „Wir müssen die Grabhyäne ins Sammellager schaffen. Sie schmecken so gut. Alle werden etwas abhaben wollen. Zum Glück ist sie mehr als groß genug. Was machen wir denn jetzt als nächstes?“ Der Bläut zuckte mit den Schultern „Keine Ahnung! Wenn wir die Helfer rufen, sehen sie unseren Köder und es gibt wahrscheinlich Ärger. Schließlich haben wir keinen der Ältesten um Erlaubnis gefragt. Aber allein bringen wir das Riesenvieh von Grabhyäne nicht durchs Unterholz zum Lager. Dazu ist sie viel zu schwer. Sieh dir nur den Kopf an. Ich glaube mein Kopf passt komplett in ihr Maul.“ „Ha, ich weiß wie wir es machen, die Henne muss weg“, sagte der Federling entschlossen. „Sie muss verschwinden, dann können wir Leute rufen, die uns helfen, unsere Beute ins Lager zu schaffen. Vielleicht sollten wir sie verspeisen. Ich habe bereits Hunger, die Tagesplaneten stehen schon tief, die letzte Mahlzeit ist lange her. Werhennen sollen zwar ungenießbar zäh sein, aber sie ist sehr jung und zudem auch keine echte Henne“ Der Federling blickte mich prüfend an. Beschwichtigend drehte ich meinen Kopf weg und duckte mich.

„Was für ein widerlicher Vorschlag. Fleisch liegt mehr als genug da hinten. Und ein Stück von ihr essen? Einfach widerlich Jacko! Vielleicht ist die da doch irgendwie bläutähnlich geboren worden. Ich fresse nicht meinesgleichen und auch nichts was möglicherweise nah verwandt ist.“ Ernsthaft angewidert spuckte der junge Jäger aus und fixierte den anderen wütend und angeekelt. „Ich habe das nicht wirklich so gemeint“, beschwichtigte der Federling hastig und grinste dann. „Ich wollte dich nur aufziehen, ein bisschen provozieren, einfach mal sehen, wie du reagierst“, fügte er schnell hinzu.

Ich glaubte ihm nicht, denn ich meinte bemerkt zu haben, wie ihm bei dem Gedanken daran mich zu verspeisen der Speichel im Mund zusammenfloss. „Spaß beiseite“, fuhr er fort „es ist für uns bestimmt sinnvoll sie weiterhin als Köder zu benutzen. Wir sollten sie nur beiseiteschaffen, bis die Grabhyäne weg ist. Später können wir sie wieder einsetzen.“

Ganz durchgeplant hatten die beiden die Angelegenheit offenbar nicht. Langsam fasste ich wieder etwas Mut. Vielleicht würde ihnen ein Fehler unterlaufen. Vorsichtig streckte ich die Beine, damit sie besser durchblutet wurden. „Wir können sie nicht unbeaufsichtigt allein lassen. Wer weiß was sie anstellen würde. Vielleicht sogar ihren Schwarm herbeirufen“, sagte der Bläut. „Wir müssen uns was ausdenken.“

Schließlich setzten sie mich auf einen der großen Bäume nahe der Lichtung. Im dichten Blattwerk war ich so gut verborgen, dass es unmöglich war, mich von unten zu entdecken. Gewissenhaft fesselten sie mich und banden mich im Baum fest. Den Mund stopften sie mir mit einem stinkendem Stück Fell der Grabhyäne. Dann holte der Bläut ein kleines Buffahorn aus seinem Tragbeutel und blies kräftig hinein. Ein tiefer, weithin hallender Ton erklang. Er blies noch zweimal. Das Signal wurde bald beantwortet. Der Federling und der junge Bläut stritten unterdessen miteinander. Einer von beiden sollte bei mir bleiben, - den Köder bewachen. Allerdings wollte keiner von ihnen mir Gesellschaft leisten, während der andere sich gemütlich am Feuer den Bauch mit den besten Stücken von der Grabhyäne vollschlug und über die Jagd prahlte.

Letztendlich willigte der Bläut dann doch ein, schließlich war der Federling ein gut zahlender Gast und hatte damit letztendlich die besseren Argumente. „Aber beeile dich gefälligst, ich sitz hier ungern über Nacht allein mit der Henne fest“ Mürrisch drehte er sich ab und begann, den Baum hinunter zu klettern.

Der Federling folgte ihm nicht gleich. Er holte einen kleinen Lederbeutel hervor und träufelte mir daraus etwas Rotelsaft über das Gesicht. Dann setzte er sich bequemer in der großen Astgabel zurecht. Gemeinsam hörten wir zu wie der Bläut unten weiter ins Horn blies, um die Jagdhelfer zur Lichtung zu leiten. Unter dem prüfenden Blick des Federlings spürte ich, wie der Rotelsaft langsam seine Wirkung entfaltete. Ich begann mich in meinen Fesseln hin und her zu winden. Alle Vorsätze waren dahin, mir vor ihm nichts anmerken zu lassen.

„So, jetzt bist Du genau so hilflos wie ich es war“, sagte der Federling voller Genugtuung. Er beugte sich vor und blickte mir aus nächster Nähe in die Augen. Seine waren hell und leuchteten triumphierend. Ich schloss die Augen und versuchte das grässliche Jucken meiner Haut zu verdrängen. Doch das verschlimmerte das Gefühl nur. Also riss ich sie wieder auf und sah noch, wie mein Peiniger sich kichernd auf den Weg machte, den Baum hinunter.

Während ich versuchte mein Gesicht am Stamm, meinen Fesseln oder an irgendwelchen erreichbaren Ästen zu reiben, konnte ich hören, wie der Bläut wieder mit dem Federling darüber zu streiten begann, ob denn jemand auf mich aufpassen müsse oder nicht. Dazwischen blies er antwortend in sein Buffahorn. Ich bekam auch mit, dass andere eintrafen und offenbar alle damit begannen, die Grabhyäne für den Transport ins Hauptlager vorzubereiten. Doch nahm ich kaum etwas davon richtig wahr, denn mein juckendes Gesicht ließ mich fast verrückt werden.

Verzweifelt rieb ich es an der rauen, harten Rinde des Stammes und trotzdem verschaffte mir das keinerlei Linderung. Auch der stinkende Knebel im Mund hielt der Belastung stand. Wasser lief mir aus den Augen und der Nase und Blut aus den Stellen, an denen ich mir die Haut aufgerieben hatte. Zutiefst bereute ich es, den Federling so gequält zu haben. Ich versprach allen Hennengeistern, mich nie wieder mit Rotelsaft abzugeben. Nie jemanden zu quälen, egal ob höheres Wesen oder niederes. Nie wieder nach Ort zu gehen. Nie wieder wütend oder ungeduldig zu sein. Nie auch nur unfreundliche Gedanken zu hegen und noch vieles mehr, woran ich mich gar nicht mehr erinnern kann.

Ich glaube, ich war kurz davor Gaga zu werden, das sagen wir, wenn jemand im Schwarm seinen Geist verliert. Dann verspürte ich endlich eine leichte Linderung des Juckreizes. Jemand war bei mir und drückte mein Gesicht immer wieder in eine Schale voller Wasser. Dazwischen wurde mir vorsichtig mit einem weichen Tuch das wunde Gesicht abgetupft. Es fühlte sich wundervoll an.

„Das ist nicht in Ordnung“, flüsterte dabei jemand ganz nah an meinem Ohr. „Das ist ganz und gar nicht in Ordnung.“ Der Bläut war bei mir. Offenbar hatte er auch die letzte Diskussion nicht zu seinen Gunsten entscheiden können.

Er hielt mich fest und reinigte mir mein geschundenes Gesicht. Ich neigte es zu ihm hin, so gut es ging. Erschreckt zuckte er zurück betrachtete mich skeptisch und beschloss dann doch vorsichtig weiterzumachen. Offensichtlich hatte er mit einem Biss gerechnet.

In seinen Augen, wie auch in den Augen des Federlings war ich nichts anderes als ein niederes Wesen. Vielleicht hatten sie ja auch recht damit. Ich hatte allerdings nie etwas anderes sein wollen als ein Werhuhn.

Er fuhr fort mir das Gesicht zu reinigen. Dabei pulte er nach und nach Teile meines Blätterkleides am Hals ab. Ich schloss die Augen und hielt ganz still, um ihm die Säuberung zu erleichtern. Herrlich kühl goss er etwas Wasser über mein Gesicht. Es rann mir den Hals hinunter in mein Blattgefieder hinein, über die Haut und zog dort eine kleine kitzelnde Spur. Fast angenehm im Vergleich zu dem vom Rotelsaft hervorgerufenen Juckreiz. Er fuhr fort mir das Blattgefieder am Hals abzuzupfen. Dabei spürte ich, wie seine Hand ganz allmählich weiter hinunter wanderte. Sein Atem, den ich an meinem Hals spürte wurde tiefer. Plötzlich vergrub er seine Hände in den trockenen Blättern und Halmen, die eine meiner Brustbeulen bedeckten. Ich bekam Angst und versuchte mich seiner Berührung zu entziehen. Aber ich war verpackt wie eine Flatterpuppe und konnte nicht weg. Mein trockener Behang zerbröselte unter seinen Fingern. Er umschloss meine Brustbeule mit einer Hand und rieb über die Schutzkruste. Laut schnaufte er dabei in mein Ohr. Ein angenehmes Kribbeln wanderte durch meinen Körper, das mich überraschte. Er roch nach Blut und Schweiß und nach ihm, - auch irgendwie angenehm. Er presste sich nun ganz eng an mich und begann sich schnaufend an mir zu reiben. Meine wachsende Panik verdrängte sofort jegliches Wohlbefinden. Immer nachdrücklicher wurden seine Bewegungen, während er mich nun fest umklammerte und laut zu stöhnen begann. Vehement drückte und rieb er, drückte mehr und rieb weiter. Schließlich grunzte er auf und seine Bewegungen verebbten.

Der Juckreiz auf meinem Gesicht setzte wieder ein, als meine Angst langsam nachließ. Das war bestimmt eine der er und sie Sachen gewesen, von denen ich so viel in meinem Baum erlauscht hatte. Schön war das überhaupt nicht, fand ich, zumindest nicht für mich. Ich wünschte, er würde endlich von mir abrücken. Noch einmal schnaufte er tief in mein Ohr, zog mich eng an sich und ließ mich dann los.

Wortlos hockte er neben mir im Baum und vermied es mich direkt anzusehen. Ich sah an mir hinunter. Der vordem gut gepflegte Blätterschutz war an meiner Vorderseite zerbröselt und zerkrümmelt. Kleine, kümmerliche Inseln aus zerrupften Blättchen erhoben sich noch hier und da. Die robustere Schutzkruste dagegen, hatte gut standgehalten und überzog mich noch immer wie eine Schuppenläuferhaut. Nur eine meiner Brustbeulen blinkte blau aus dem zerbröselten Schutz heraus. Die Spitze hob sich dunkelblau hervor. Ich dachte plötzlich besorgt an das, was ich erlauscht hatte. Hoffentlich würde ich nun keine Eier legen. Obwohl der Gedanke Küken aufzuziehen mich auch freute. Der Schwarm würde mir helfen. Ich schloss die Augen und dachte an den Schwarm. Ein warmes Gefühl zog durch mein Inneres. Sogar das Jucken ließ nach. Ich schlief ein.

Als ich erwachte war es noch hell. Dichte Wolken waren aufgezogen und bedeckten den ganzen Himmel. Mein Gesicht schmerzte und fühlte sich an wie eine einzige geschwollene Masse. Arme und Beine spürte ich dagegen überhaupt nicht mehr.

Der Bläut war gegen mich gesunken und schlief, fest an mich gelehnt. Eine seiner Hände lag auf meinen Schenkeln. Überrascht schaute ich plötzlich genauer hin. In seinem Schoß ruhte ein dicker, gedrungener Wurm. Er hatte sich aus seiner Kleidung geschoben. Ein Symbiont bestimmt. Vielleicht so etwas ein Kriechegel, mit dem man sein Gehör deutlich verschärfen konnte, wenn er sich neben dem Ohr festsaugen durfte. Viele Jäger wollten nur noch mit dem dicken Egel am Kopf zur Hatz aufzubrechen, um genauso gut hören zu können, wie ihre Beute.

Doch dann dachte ich, dass der Wurm des Bläut möglicherweise ein Teil von ihm war, der tatsächlich seinem Körper entspross. Damit wäre meine biologische Abstammung doch wohl wieder fraglich. So etwas hing nun wirklich nicht an mir dran. Das wusste ich sicher. Vielleicht hatte ich mit den Bläut also doch nichts gemein. Der Gedanke heiterte mich deutlich auf. Ich bewegte meine Finger und Zehen methodisch, um wieder Gefühl in meine Glieder zu bekommen und überlegte dabei fieberhaft, wie ich meiner Lage entrinnen könnte.

Mein wundes Gesicht brannte und juckte zugleich, aber das war jetzt auszuhalten. Ganz allmählich begannen meine Arme und Beine zu kribbeln. Das steigerte sich langsam, bis es heftig schmerzte. Ich jaulte gedämpft vor mich hin und machte einfach immer weiter. Zum Glück war es mir nicht möglich, mit dem Knebel richtig Lärm zu machen und den Bläut unabsichtlich zu wecken. Er schlief tief und entspannt. Ein Sabberfaden verlief aus seinem Mund bis zu seinem Kinn runter.

Nach gefühlter Ewigkeit, es war inzwischen stockdunkel, klang der Schmerz ab und ich hatte wieder Gefühl im ganzen Körper. Gerade überlegte ich, wie ich an einen der Schnitter des Bläut herankommen konnte, die er griffbereit hinten an der Schulter trug, als es plötzlich verdächtig ruhig im Wald wurde. Sämtliche Schreihälse unterbrachen ihr nächtliches Konzert. Selbst die unermüdlichen Krawaller waren verstummt. Nur weit in der Ferne hörte man noch einen Klauenschlenker rufen.

Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Kein gutes Zeichen, nein, gar kein gutes Zeichen. Ich versuchte leise den Bläut zu wecken, doch der schlief so fest, dass meine unbeholfenen Zuckungen nicht zu ihm durchdrangen. Dann wurde die Stille so tief, als ob jedes Leben im Umfeld gemeinsam mit mir den Atem anhielt und ich wagte nicht mehr mich zu bewegen.

Der Baum bebte leicht, als etwas Großes sich in ihm bewegte. Ich fühlte etwas Massiges vor uns auftauchen, wie verdichtete Finsternis. Ein leichter, ranziger Geruch wanderte gemächlich über mich hinweg, begleitet von leisen Berührungen. Als sie mein Gesicht erreichten brachen sie abrupt ab. Ich spürte, wie etwas vor mir zurückzuckte und dankte dem Federling inbrünstig für die verabreichte Rotelsafttortur. Der nämlich hinterlässt neben dem irremachenden Jucken auch einen ekelhaften Geschmack und Geruch auf der Haut. Deswegen nutzt ihn auch niemand für die Jagd. Das unbekannte Wesen vor uns traf offenbar eine Entscheidung. Das Gewicht des fest schlafenden Bläut verschwand von meiner Seite. Außer dem leisen Zittern des Baumes, als der Angreifer sich entfernte, nahm ich nichts weiter wahr. Kein einziger Laut kam von dem Bläut.

Wie verrückt zerrte ich an meinen Fesseln. Was wusste ich denn schon, möglicherweise kam der Angreifer gleich wieder, um mich, Rotelsaft hin oder her, ebenfalls wegzuschleppen oder in kleinen Häppchen aus meinen Fesseln zu zupfen. Doch niemand kam um mich zu holen. Meine Schreie erstarben hinter dem Knebel in meinem Mund.

(Schnappkröte: Schuppenhäuter mit zwei Vorderbeinen und vier Hinterbeine. Mit ihren harten zahnlosen Kiefer kann sie heftig beißen. Wenn sie flieht kann sie schnell und ausdauernd auf zwei Hinterbeinen laufen. Die Schnappkröte ist ungefähr so groß wie eine kleine Bläut. Sie lebt auf dem Waldboden und ernährt sich von Wurzeln alter Bäume. Dazu beißt sie dicke Stücke ab, die sie am Fuß des Baumes freilegt und höhlt sie dann von innen her aus. An den Vorderbeinen hat sie jeweils einen zum Schaber umgeformten Knochenfinger. Das Weibchen legt Eier, die im Boden vergraben und sich dann selbst überlassen werden.)

Die Gier der Karnivoren

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