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Prolog

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Träu­me nei­gen für ge­wöhn­lich dazu, sich nach und nach auf­zu­lö­sen. Je wa­cher man wird des­to stär­ker ent­zie­hen sie sich dem Fas­sungs­ver­mö­gen des Träu­men­den. Sie ver­f­lüch­ti­gen sich wie ein flüch­ti­ger Mor­gen­dunst, be­vor sie ir­gend­wann völ­lig in das Gro­ße Ver­ges­sen ab­drif­ten. Sie hin­ter­las­sen nicht den ge­rings­ten Hauch ei­ner Er­in­ne­rung. Sie sind ein­fach weg. Ver­schwun­den. Ver­lo­ren. Für im­mer.

Man­che von ih­nen je­doch sind der­art bren­nend, in­ten­siv, ja ge­ra­de­zu ver­stö­rend, dass sie förm­lich da­nach schrei­en auf­ge­schrie­ben zu wer­den. Und sie ge­hen nicht weg. Sie kom­men im­mer wie­der. Sie sind eine wahr­haf­ti­ge Heim­su­chung.

Ir­gend­wo da drau­ßen exis­tiert ein Ort. Ei­ner von der be­son­de­ren Art. Al­ler­dings kei­ner von der licht­durch­flu­te­ten Sor­te. Er ist viel­mehr von sehr düs­te­rer Na­tur. Ein Fle­cken von rät­sel­haf­ter Dun­kel­heit. Voll end­lo­ser Angst und mit­ter­nachts­fa­r­be­nem Ent­set­zen. Ob­wohl er zu­nächst freund­lich und ein­la­dend er­scheint. Ich weiß nicht, wo er zu fin­den ist. Viel­leicht gibt es ihn nur in mei­nem ge­hei­men ver­schlun­ge­nen Traum. In mei­ner blü­hen­den Fan­ta­sie …

Die­ser Ort ist ein See. Glas­klar, mit kris­tal­le­nem aqua­ma­rin­blau­em Was­ser, in das man un­will­kür­lich sei­ne blo­ßen Füße tau­chen möch­te. Er ist ein­ge­bet­tet in eine idyl­li­sche schnee­be­deck­te Hü­gel­land­schaft, zu de­ren Fü­ßen sich un­durch­dring­li­che dun­kel­grü­ne Na­del­wäl­der ent­fal­ten. So weit das Auge reicht. Bis zum fer­nen Ho­ri­zont.

Der See ist wun­der­schön. An­zie­hend und ab­grund­tief böse zu­gleich. Von na­he­zu fins­te­rer po­e­ti­scher An­mut.

Nacht für Nacht ste­he ich am Ufer die­ses un­ge­trüb­ten Ge­wäs­sers. Und schaue stau­nend auf sei­ne strah­len­de, trü­ge­ri­sche Rein­heit. Es übt einen un­wi­der­steh­li­chen Reiz auf mich aus, ob­wohl ich in­stink­tiv füh­le, dass ich ver­lo­ren bin, wenn ich ihm zu nahe kom­me.

Im ver­meint­lich so durch­schei­nen­den Was­ser lau­ert der Tod. Und zwar ei­ner von der bit­te­ren und grau­sa­men Sor­te. Denn ich ste­he am Geis­ter­bä­ren­see.

Ihr kennt ihn nicht? Bis vor ei­ni­gen Näch­ten wuss­te auch ich noch nichts von die­sem ver­fluch­ten Ort. Aber seit­her ste­he ich im Traum wie­der und wie­der an sei­nem ab­schüs­si­gen Ge­sta­de und bli­cke wie pa­ra­ly­siert hin­ein, be­ob­ach­te fas­zi­niert die un­zäh­li­gen, un­scha­r­fen, ne­bel­haf­ten Schat­ten, die sich dar­in flink un­ter der ru­hi­gen, je­doch tü­cki­schen Was­ser­o­ber­flä­che be­we­gen und ge­dul­dig auf ein un­vor­sich­ti­ges ah­nungs­lo­ses Op­fer war­ten …

Er­schreckt er­ken­ne ich, dass es sich bei den ge­schmei­di­gen Sche­men um Bä­ren han­delt. Ge­nau­er ge­sagt um Geis­ter­bä­ren. Ich fra­ge mich, wie lan­ge sie über­haupt un­ter Was­ser blei­ben kön­nen und tre­te nä­her her­an, ob­wohl ich sehr wohl um des­sen Ge­fah­ren weiß. Neu­gie­rig re­cke ich den Kopf – ich möch­te nur kurz schau­en, ob ich nicht ei­nem ver­lo­cken­den Trug­bild auf­ge­ses­sen bin … Und tat­säch­lich. Es sind Geis­ter­bä­ren, die dort so rege um­her schwim­men. Kei­ner von ih­nen taucht auch nur für eine ein­zi­ge Se­kun­de auf, um Atem zu schöp­fen. Ich fin­de das sehr merk­wür­dig. Ge­ra­de­zu wi­der­na­tür­lich. Ab­sto­ßend. Trotz­dem strei­fe ich mei­ne Schu­he ab, möch­te die­ses küh­le, be­tö­ren­de Nass un­be­dingt an mei­nen nack­ten Fü­ßen füh­len. Nur für einen klei­nen Au­gen­blick, ich gehe auch nicht all­zu weit vom Rand weg. Dann kann mir nichts Schlim­mes ge­sche­hen …

Schon tau­che ich mei­ne Ze­hen hin­ein. Ganz nah an sei­nem Saum. Und das Ge­fühl, das ich da­bei emp­fin­de, ist der­art ex­qui­sit, dass ich für den Bruch­teil ei­nes Au­gen­blicks wie ver­zau­bert mei­ne Au­gen schlie­ße. Und die­ser Lid­schlag ei­nes kur­z­en, aber be­deu­tungs­vol­len Mo­ments ge­nügt, um mir den Grund un­ter den Fü­ßen weg­zu­zie­hen, mich mei­ner Ba­lan­ce zu be­rau­ben und von ei­nem un­auf­halt­sa­men Sog er­fasst zu wer­den. Der mich mit un­ver­mu­te­ter Ener­gie fast bis ins dunk­le Herz des Sees zerrt. Lang­sam sin­ke ich dort zum tie­fen Grund hin­ab und kann da­bei die düs­te­ren Schat­ten se­hen, die über mir wei­ter ihre mun­te­ren Bah­nen ver­fol­gen.

Starr vor Angst bli­cke ich mit zu­neh­men­der Hoff­nungs­lo­sig­keit zur er­sehn­ten Ober­flä­che em­por, die sich mir von Se­kun­de zu Se­kun­de mehr und mehr ent­zieht und bald in un­er­reich­ba­re Fer­ne rückt. Ich habe furcht­ba­re Angst, dass die Geis­ter­bä­ren mich ent­de­cken. Ich kann nicht mehr at­men, und schließ­lich wird mir schwa­rz vor Au­gen. Nach­t­um­fan­gen schwe­be ich im Nichts.

Schweiß­ge­ba­det schre­cke ich schließ­lich aus dem Tief­schlaf in mei­nem völ­lig zer­wühl­ten Bett auf und fin­de mich in ei­ner senk­rech­ten Hab-Acht-Po­si­ti­on wie­der. Ähn­lich ei­nem Erd­männ­chen in der afri­ka­ni­schen Sa­van­ne, das auf sei­nem Hü­gel Wa­che vor Fress­fein­den hält. Was für ein ab­so­lut durch­ge­knall­ter Alb­traum! Ich trin­ke ein Glas Was­ser und lie­ge bis zum Mor­gen­grau­en wach. So sehr ich in die­ser Nacht auch nach dem Schlaf jage, er ent­zieht sich mir mit ve­he­men­ter Be­harr­lich­keit.

Und ich bin mir ge­wiss, dass ich noch in vie­len fol­gen­den Näch­ten am Ufer die­ses von al­len Göt­tern ver­las­se­nen Pfuhls ste­hen wer­de und sei­ner mor­bi­den An­zie­hungs­kraft nicht wi­der­ste­hen kann.

Wie­der und wie­der wer­de ich in sei­nen kla­ren Tie­fen ver­sin­ken. Mei­ne Lun­gen wer­den sich mit ei­si­gem Was­ser fül­len, und ich wer­de lang­sam und qua­l­voll er­trin­ken. Oder von den Geis­tern zer­ris­sen und ver­zehrt. Wenn ich nicht recht­zei­tig auf­wa­che.

Die­ser See ist ein ver­wünsch­ter Ort. Ein Hort des Bö­sen, eine Brut­stät­te des Übels und der Ver­damm­nis. Ur­alt und ver­derbt bis ins Mark ver­strömt er den gif­ti­gen Pest­hauch von stin­ken­der Fäul­nis und gren­zen­lo­ser Nie­der­tracht.

Ich wünsch­te mir, ich hät­te nie von die­sem ver­hex­ten Mo­rast ge­träumt. Und ich wünsch­te mir noch mehr, dass er nir­gend­wo in die­sem Uni­ver­sum exis­tiert.

Einen Geis­ter­bä­ren­see gibt es nicht. Oder viel­leicht etwa doch …?!

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