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12. August 2005

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Einen Tag später brachen wir auf. Drei Männer und hundert Elefanten. Hannibal hatte den Wildhütern die staatlichen Papiere vorgelegt - und viel Zustimmung geerntet. Schließlich war die Elefantenpopulation im Krügerpark in den letzten Jahren derart angewachsen, dass schon mehrfach größere Herden in andere Parks hatten umgesiedelt werden müssen. Ein andauerndes Problem.

Das Naturschutzgebiet des Krügerparks ist zwar so groß wie Belgien, trotzdem reicht sein Nahrungsangebot nicht aus, um derart viele Dickhäuter zu versorgen. Dadurch bekommen die staatlichen Behörden nicht nur tierpflegerische Probleme, sondern immer häufiger auch Krach mit erbosten Siedlern, deren Felder von Elefanten geplündert werden - und die sich nicht scheuen, ihre Pflanzungen notfalls mit der Waffe gegen Eindringlinge zu verteidigen. Trotz aller Jagdverbote.

Mehrfach war das Wild-Management schon gezwungen gewesen, das biologische Gleichgewicht im Park selbst durch Culling, das kontrollierte Abschießen von Elefanten, wiederherzustellen. Ein in der Presse wenig populärer Akt, der weltweit bei Tierschützern für Schreie der Entrüstung sorgt. Insofern wunderte es mich auch nicht, dass die Behörden dem Ansinnen Hannibals so schnell nachgegeben hatten.

Das alles ging mir durch den Kopf, während ich in fast vier Metern Höhe saß und kräftig hin und her geschaukelt wurde. Der weiche, wiegende Gang der Elefanten ist tatsächlich ungewöhnlich, aber schon nach kurzer Zeit gewöhnte ich mich daran und saß fortan wie auf einem lebendigen Thron. Oder wie auf einem borstigen Schiff.

Um mich herum wogte ein Meer aus Elefan tenrücken, zwischen dessen grauen Wogen und der Gischt aus aufgewirbeltem Staub bisweilen schemenhaft der grüne Boden aufblitzte. Ich schwebte dort oben, meine Blicke verloren sich in der endlosen Weite, und es war, als würden dadurch auch die Grenzen in meinem Denken eingerissen. Mein Geist wurde frei. Und schon damals registrierte ich erstaunt, dass der eigenartige Bewegungsablauf der Elefanten beim Gehen einen Rhythmus in sich birgt, der die Seele beruhigt. Ich flog beinahe. Ein Hochgefühl, das lange anhielt.

Am Vormittag hatte ich allerdings erst einmal geübt aufzustei gen. Wer zum ersten Mal leibhaftig vor einem Elefanten steht, kann sich nämlich überhaupt nicht vorstellen, dort jemals ohne eine Leiter hinaufzukommen. Didimale hatte mich schräg von oben herab aus den Augenwinkeln angesehen. Den Anfänger. Doch weil Bongani neben mir gestanden und leise gebrummt hatte, hatte ich zumindest gewagt, die Hand auszustrecken und die graue Dame zu berühren. Erstmals. Seltsames Gefühl. Fremd und anziehend zugleich.Was für ein beeindruckendes Lebewesen.

»Versuch, raufzukommen«, hatte Bongani mich ermutigt, doch ich war nicht einmal sicher gewesen, wo ich anfassen durfte. Die raue Haut? Das Ohr? Die Schulter? Vier Meter Höhe können unbezwingbar erscheinen. Anfangs hatte ich versucht, am Elefantenbein wie an einem Baum hochzuklettern.Vergeblich. Im Laufe der Zeit war dann der Rest der Herde immer näher gekommen, als wollte sie meine lächerlichen Versuche anschauen - und sich darüber amüsieren. Als ich zum vierten Mal hinuntergefallen und auf dem Rücken gelandet war, hatte auch Bongani nur noch laut gelacht.

»Entschuldige. Das war nicht fair, Fabian. Also: Du musst Didimale ein Zeichen geben.Am besten immer mit dem gleichen Ruf. Was weiß ich: Hojo! Und den Ruf setzt du ein, wenn du auf ihr Bein geklettert bist. Los.«

Bitte!

Ich hatte mich mit dem linken Bein auf das Knie der Elefantin gestellt und mich unsicher an ihrem Oberschenkelknochen festgehalten. Bongani hatte etwas gerufen und mit seinem Ankus in die Kniekehle des Tieres gestoßen. Daraufhin hatte Didimale ihr Bein angehoben und ich war wie mit einem Fahrstuhl nach oben gehoben worden. Und weil ich dadurch nun wie ein Freeclimber in der Steilwand in drei Metern Höhe hinter ihrem Ohr gehangen hatte, hatte sie mich mit dem Rüssel das letzte Stück hinaufgeschoben. Am Po. Meine Nase war dadurch in der ledernen Haut versunken und hatte sich intensiv mit dem unverwechselbaren erdig-moschusartigen Geruch der Elefanten gefüllt. Für einen Moment hatte mein Herz gestockt, als ich nach unten gesehen hatte, dann war der Applaus der anderen zu mir hochgedrungen und ich hatte angefangen, mich zu entspannen: Ich sitze auf einem Elefanten. Das darf doch nicht wahr sein. Irre. Ein Elefant. Und hier oben soll ich jetzt zehntausend Kilometer hinter mich bringen. Das wird entweder das Abenteuer meines Lebens oder eine Katastrophe. Na, dann mal los.

Und es ging los.

Schon nach wenigen Stunden war mir, als wären Didimale und ich eins geworden. Mein Becken nahm die Schwingungen des Elefantenkörpers auf, als liefe eine Welle vom Boden durch uns beide hindurch und schwänge sich auf ins Universum. So fühlte ich mich tatsächlich wie ein Bindeglied zwischen Himmel und Erde.

Das Leben, das ich noch vor ein paar Tagen geführt hatte, lag sehr rasch unendlich weit hinter mir und ich sog den herben Geruch der Landschaft gierig in mich auf.Welch eine Reise lag vor uns. Hin und wieder ging mein Blick aber auch neugierig nach hinten, denn fern am Horizont zeigte eine kleinere Staubwolke die Gruppe der Bullen an, die hinter uns herzog.

Wenn männliche Elefanten mit etwa zwölf Jahren geschlechtsreif werden, dürfen sie nämlich nicht mehr länger bei der Herde bleiben, sondern ziehen als Einzelgänger oder in kleineren Gruppen mit anderen Bullen umher. Den Elefantenkühen nähern sie sich dann nur noch, wenn diese fruchtbar sind, was jedoch nur viermal im Jahr für drei bis sechs Tage der Fall ist. Ich weiß nicht, wie Hannibal es geschafft hat, aber irgendwie folgten die Bullen der großen Herde die ganze Zeit und verloren uns in all den Monaten und trotz vieler heikler Situationen nicht aus den Augen.

Wir waren unterwegs.

Die ersten Wochen hielt es an, das unbeschreibliche Gefühl. Die Mischung aus Euphorie und Rausch. Diesen Giganten so nah zu sein und mit ihnen in eine neue Zukunft zu ziehen sorgte für einen fortwährenden Adrenalinausstoß. Ich beobachtete Bongani, der mit seinen Brummlauten tatsächlich mit den Elefanten kommunizierte, spürte die Kraft Didimales an meinen Oberschenkeln und genoss es, meine Elefantin immer wieder mit Zucker, Nüssen oder anderem zu verwöhnen.

Erstaunlicherweise zogen wir anfangs nach Süden.Tagelang.Als ich Hannibal bei einer Mittagspause danach fragte, hob er demonstrativ die Arme. »Das ist Afrika. Wir könnten zwar auch im Norden über die Grenze nach Mozambique, doch die Visa für die Weiterreise nach Tansania gibt es nur in der Hauptstadt Maputo. Und die liegt nun einmal ganz im Süden dieses üppigen Landes. Deshalb marschieren wir erst einmal hundertachtzig Kilometer in die falsche Richtung. Aber das macht nichts. Wir haben ja Zeit. In Mozambique ist das Entscheidende die Paciência, die Gelassenheit. Hektik hat man da gar nicht gerne.«

In diesen ersten Tagen bekamen wir - abgesehen von Touristen - kaum einen Menschen zu Gesicht, weil wir uns die ganze Zeit an der Ostgrenze des Krügerparks entlangbewegten. Ein paar Mal deutete Bongani über die Hügelketten im Westen und rief mir die Namen von Orten und Camps zu, die mir alle nichts sagten: Satara, Tshokwane, Lower Sabie. Ich nickte dann - oder winkte wieder mal einem Jeep mit Safari-Gästen zu, die voller Erstaunen ihre Kameras auf uns richteten und verzweifelt versuchten, einander zu erklären, was das da vor ihnen wohl sei: hundert Elefanten mit drei fröhlich grüßenden Reitern obendrauf.

Nur in Skukuza entfernte sich Bongani für einige Stunden von uns.Als er wieder zu uns stieß, war Epila über und über mit Paketen beladen.

»Was ist da drin?«, fragte ich neugierig.

»Biltong.«

»Was? Beton?«

»Nein, Biltong. Getrocknetes Wildfleisch. Rind, Strauß, Springbock und Gnu. Das hält sich gut bei dem Wetter und stillt den Hunger.«

Ich zeigte auf das Hinterteil der Elefantendame: »Und das große Ding da hinten? Unter der Plane?«

Bongani grinste breit. »Das ist ein Moped.Wir müssen schließlich hin und wieder zu Botschaften oder, um einzukaufen, in eine Stadt fahren. Das können wir schlechterdings nicht mit einer riesigen Elefantenherde machen. Das wirst gerade du als Großstädter einsehen, oder?«

Wir strahlten beide und verteilten dann das Essen und das Moped auf verschiedene Tiere. Noch wirkte das alles wie ein wildes Abenteuerspiel großer Jungs. Nur Hannibal schien bisweilen ein wenig unruhig, winkte aber ab, wenn ich ihn darauf ansprach. Und wenn abends am Lagerfeuer der Kalahari-Wüstenschnaps die Runde machte, dann schlief ich anschließend ruhig und gelassen ein, als wollte ich nirgends lieber sein.

Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten

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