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Das Profil

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A

m nächsten Morgen erwacht er viel zu früh, dafür gut gelaunt. Norman liegt schlafend neben ihm in dem überbreiten Hotelbett. Nur noch das heutige Interview, dann haben sie erst einmal eine große wohlverdiente Pause.

Ruhelos steigt er aus dem Bett und setzt sich an den Schreibtisch vor dem Fenster mit der fantastischen Aussicht auf den Hyde-Park, um sein Notebook aufzuklappen. Rasch überfliegt er die privaten Nachrichten. In keinem der möglichen Netzwerke hat sie sich gemeldet, aber es war gestern auch sehr spät und wer weiß, welch weiten Rückweg sie hatten. Er blickt auf die Uhr. Okay, es ist wahrlich viel zu früh, als dass jemand etwas schreiben würde, der auf dem gestrigen Konzert war. Außer es wäre eines dieser aufdringlichen Groupies, aber so ist sie sicherlich nicht. Vielleicht will sie ihn auch gar nicht kontaktieren, was wirklich bedauerlich wäre. Leise klappt er das Notebook wieder zu und geht ins Badezimmer.

In dieser Nacht konnte er lange nicht einschlafen. Immer wieder musste er an diese blasse Schöne mit ihren grünen Augen denken, einer Katze gleich fällt es ihm schlagartig ein. Ihre Stimme war wirklich so samtig, wie er es sich vorstellte, auch wenn sie kaum etwas zu ihm sagte. Sie war sehr schüchtern, aber das machte ihm nichts. Er genoss schlicht und einfach ihre Nähe dort vor der Halle. Und ihren Anblick.

Als er um Feuer bat, hatte er sie zunächst gar nicht erkannt, da sie im Gegenlicht stand. Erst als er ihr das Feuerzeug zurückgab, fiel ihm ihr vertrautes Gesicht auf. Sofort verspürte er den Drang, sie zu berühren. Kaum, dass sie zaghaft seine Hand ergriff und er ihre Stimme leise vernahm, war es um ihn geschehen. Noch niemals ist ihm etwas Vergleichbares passiert, zumindest nicht so einschlagend.

Mit einem Schmunzeln registrierte er, wie sie errötete und sich völlig überraschend auf den harten Boden setzte. Das hatte er auch lange nicht mehr erlebt, dass sich jemand auf den Asphalt niederließ, einfach so. So etwas sieht man bei Teenagern häufig, aber nicht bei einer erwachsenen Frau, aber was weiß er schon. Unterdessen er ihr gegenübersaß und sie fixierte, dachte er angestrengt nach, wo er sie getroffen haben könnte. Er hätte sie einfach fragen können, aber er wollte nicht diese einmalige Atmosphäre zerstören und im Endeffekt war es egal.

Grinsend erinnert er sich plötzlich daran, wie die beiden mit dröhnender Musik an ihrem Bus vorbeifuhren und sie ihre Hand aus dem Fenster hielt, als ob sie ihnen zum Abschied zuwinken würde. Die anderen Bandmitglieder drehten sich daraufhin feixend zu ihm herum und er gestikulierte achselzuckend, innerlich konnte er aber kaum an sich halten, um nicht laut loszulachen.

»Na, da wird sich unser Chris doch nicht etwa eine kleine Romanze angelacht haben?«, prustet Joe.

Spielerisch schmollend verneinte er und setzte sich demonstrativ seine Kopfhörer auf. Damit war jede weitere Diskussion beendet. Selbst als sie im Hotel ankamen, sprach er mit keinem darüber. Nur Norman schien etwas zu erahnen, seine Blicke verrieten es. Allerdings kannte er ihn auch eine halbe Ewigkeit. Nachdem er noch einige Autogramme vor dem Hoteleingang gegeben hatte, trottete er müde in die Suite. Doch an Schlaf war lange nicht zu denken.

»Lässt du mich heute auch noch einmal rein?«, fragt der besagte Freund ihn unvermittelt durch die Tür.

Verblüfft schaut er auf die Uhr. Er steht tatsächlich seit einer knappen Stunde hier. Schnell schlüpft er in sein Shirt und verlässt das Bad mit den Worten: »Entschuldige! Ich habe völlig die Zeit vergessen.«

Norman grinst ihn vielsagend an. »Ich verstehe.« Dann schließt er die Tür hinter sich.

Erneut setzt er sich an den Schreibtisch. Knapp zwanzig neue Nachrichten innerhalb einer Stunde! Die Leute haben nichts zu tun, scheint ihm. Kopfschüttelnd öffnet er eine Mitteilung nach der anderen. Wie immer dasselbe: Liebesbekundungen oder Hassnachrichten, sogar ein sehr anzügliches Angebot ist dieses Mal darunter. Perplex über die Naivität mancher Frauen oder gar Mädchen öffnet er die letzte Nachricht. Bevor er den ersten Satz liest, schaut er auf den Namen - Lilith Fairchild. Das muss sie sein! Sein Herz beginnt laut zu klopfen. Oh Mann, er fühlt sich wie ein pubertierender Teenager! Was ist nur mit ihm los.

Wieder und wieder liest er ihre Zeilen:

›Hallo Chris,

wie gestern oder besser gesagt heute früh angedeutet, schreibe ich dir nun. Ich hoffe mal, dass du dich noch an mich und Sonja erinnerst. Falls nicht: Wir waren die beiden, die du vor der Halle um Feuer gebeten hattest. Da ich nicht weiß, wer dies alles lesen wird, werde ich es erst einmal dabei belassen und harre der Dinge, die da kommen mögen.

Liebe Grüße Lilith

PS: Das Konzert war wirklich fantastisch!‹

Hastig löscht er ihre Nachricht, nicht ohne sich ihren Namen eingeprägt zu haben, und wechselt auf sein privates Profil, das nur sehr wenige kennen. Doch bevor er sie suchen kann, kommt Norman herein und sie müssen alsbald aufbrechen. Das verflixte Interview, das hat er doch tatsächlich vergessen.

Wie erwartet verläuft die Befragung gleichartig. Fortwährend dasselbe nervige Ausquetschen über seine Ehe. Doch diesmal erkundigt sich die Moderatorin tatsächlich, ob er schon eine neue Flamme an seiner Seite hätte. Dies wäre die meistgestellte Frage der Fans im Vorfeld gewesen. Schmunzelnd verneint er die Annahme, obwohl er es etwas dreist findet, schließlich ist das sein Privatleben, und das versucht er vehement aus den Medien herauszuhalten. Haben die Groupies eigentlich auch noch andere Hobbys? Irgendetwas sagt ihm allerdings, dass die Frage mit Bestimmtheit vom Sender kam, man muss immerhin Neuigkeiten schnell verbreiten. Unterdessen grinsen die anderen Bandmitglieder in sich hinein.

Doch auch Andy kommt diesmal nicht ungeschoren davon und wird über seine Freundin ausgequetscht. Keiner von außen weiß etwas, nicht einmal von der Verlobung. Dementsprechend kalt und uninteressant antwortet er auch. Lässt keinerlei Emotion nach außen dringen, damit bloß keiner spekulieren kann. Man möchte meinen, dass man es am Ring sehen könnte, doch alle Bandmitglieder tragen Ringe an den verschiedensten Fingern und Andys Verlobungsring steckt auf seinem Daumen. Was ziemlich geschickt ist, wenn man darüber nachdenkt.

Nach über einer Stunde ist es endlich vorbei. Er ist froh, dass der Rummel um die Band ab sofort etwas nachlassen wird. Nun kann er sich voll und ganz auf sein Leben konzentrieren. Ein schwerer Schritt steht ihm in einer Woche bevor, aber auch das wird er meistern, da er es eh nicht ändern kann und zugegebenermaßen nicht mehr will. Viel zu lange hatte er gekämpft.

Vor dem Studio schieben sie sich durch eine kleinere Fanmenge. Dieses Mal gibt er beinahe widerwillig Autogramme, was ihn selbst etwas verwundert. Er ist seinen Fans zutiefst dankbar, dass sie ihn und die Band so schnell hochkatapultiert haben. Doch heute ist ihm alles zuwider, er will endlich seine wohlverdiente Ruhe genießen. Weg von dem Trubel und den Massen.

Gemeinsam fahren sie ein letztes Mal ins Hotel, um zu packen. Im Hotelzimmer verabschieden sie sich voneinander. Aber nur für kurze Zeit, denn sie werden sich spätestens auf Andys Junggesellenabschied, der bei Chris’ Eltern stattfinden wird, und natürlich auf seiner Hochzeit wiedersehen. Kurz darauf fährt er mit Norman zu dessen Hauptwohnsitz im Norden Londons. Morgen werden sie sich auf den Weg zu dessen Cottage in einem kleinen, beschaulichen Ort an der Ostküste machen.

In den nächsten Wochen hat er viel zu tun, da kommt ihm die Abgeschiedenheit sehr gelegen, auch wenn die Fahrerei an die verschiedenen Orte aufwendiger wird. Nichts geht ihm über die Ruhe, und da er bereits mehrfach in dem Häuschen war, weiß er, dass er genau das dort vorfinden wird. Ungestört kann er stundenlang am Strand spazieren oder sich ins Meer stürzen. Am liebsten wäre es ihm, wenn er dort in der Nähe irgendetwas für sich finden würde. Zumal sein bester Freund größtenteils da wohnt und auch Andy gar nicht weit entfernt sein Domizil aufgeschlagen hat.

Man sollte meinen, dass sich die Kollegen in ihrer Freizeit aus dem Weg gehen würden, wie bei so vielen anderen Bands. Aber das ist bei ihnen gar nicht der Fall. Sie sind alle sehr gut befreundet und spätestens nach einer Woche müssen sie miteinander sprechen, sonst fehlt jedem Einzelnen etwas.

In Normans Wohnung legt er sich zunächst einmal im Gästezimmer auf das Bett, um kurz Kraft zu schöpfen und schläft prompt ein. Erst am frühen Abend erwacht er aus einem völlig konfusen Traum. Die Tour hat ihn wohl mehr geschlaucht als gedacht.

Noch einen Moment bleibt er liegen und genießt die Stille, das Alleinsein. Bei dem Gedanken daran, dass er selbst dieses kleine Zimmer als Luxus empfindet, weil er darin für sich sein kann, muss er schmunzeln. Zudem kann er es noch nicht so recht realisieren, dass ihn für die nächsten Wochen und Monate kein Termindruck aus dem Bett treibt. Das alles liegt erst einmal hinter ihm und die Freiheit vor ihm.

Leise schlurft er ins Wohnzimmer und entdeckt Norman vor dem Fernseher sitzend. Chris geht in die Küche, um sich etwas zu Essen zu machen. Danach gesellt er sich zu seinem Freund auf die Couch. Bis tief in die Nacht schauen sie einen Film nach dem anderen und trinken endlich wieder einmal Bier.

Dabei vergisst er die Zeit und auch Lilith. Erst als er in den frühen Morgenstunden ins Bett kriecht, fällt ihm schlagartig ein, dass er sie gar nicht kontaktiert hatte. Sie wartet sicher bereits sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von ihm. Doch er ist noch viel zu müde, um auch nur ein einziges, vernünftiges Wort verfassen zu können. Er nimmt sich fest vor, ihr gleich morgen nach dem Aufstehen zu antworten.

Mittags wacht er auf und schnellt sofort hoch. Hatte er nicht etwas vergessen? Nein, es ist Samstag, fällt ihm schlagartig ein und er hat erst nächste Woche einen wichtigen Termin. Erleichtert lässt er sich aufs Bett zurückfallen. Der Blick auf den Wecker verrät ihm, dass es bereits 13 Uhr ist. Lächelnd dreht er sich um, so lange hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Und er fühlt sich pudelwohl dabei.

Wie ein Blitzschlag fällt ihm diese fremde Schöne wieder ein. Zuerst will er aufspringen, um ihr sofort zu schreiben, doch dann überlegt er es sich anders. Gemächlich steht er auf und macht sich fertig, um sich danach Kaffee zu kochen. Doch Norman war schneller. Eine Kanne steht schon auf dem Küchentisch, nur der Freund ist nirgends zu finden. Sicherlich ist er Einkaufen. In wenigen Stunden fahren in sein Cottage und er meinte gestern, dass er einige Dinge vorab besorgen müsse.

Also schnappt er sich sein Notebook und geht mit einer Tasse auf den Balkon, um zu rauchen. Dabei schaut er sich genauer von hier oben in dieser noblen Wohngegend um. Etliche Promis wohnen in der direkten Nachbarschaft. Große, prunkvolle Villen zieren die gegenüberliegende Straßenseite. Hier zu leben ist purer Luxus, das weiß er nur zu gut.

Schlussendlich setzt er sich hin und startet sein Notebook, um endlich ihr Profil zu suchen. Interessiert betrachtet er ihre Fotografien. Auch sie scheint die Ruhe zu mögen. Dafür tut sie einiges. Die Bilder ihres Gartens, der ihm seltsamerweise vertraut vorkommt, belegen es. Nach einer Weile beginnt er zu schreiben:

›Hallo Lilith,

natürlich erinnere ich mich an euch. Wie könnte ich euch auch vergessen? Zudem ist dein Name ziemlich außergewöhnlich und dadurch sehr einprägsam. Es freut mich, dass es dir gefallen hat. Seid ihr gut nach Hause gekommen?

Liebe Grüße Chris

PS: Du hättest die Gesichter der Jungs sehen sollen, als ihr an uns vorbeigedüst seid.‹

Im Grunde genommen könnte er viel mehr schreiben, doch er drückt auf Senden. Er will es nicht übertreiben, erst einmal langsam vortasten. Immer wieder betrachtet er ihr Foto, das er vollkommen faszinierend findet. Allmählich liest er in ihrem Profil. Dabei entdeckt er die vielen Musiker, die sie favorisiert hat, sie scheint musikvernarrt zu sein. Ihm kommen nur wenige Namen bekannt vor. Seine Band fällt dabei etwas aus dem Rahmen, wie ihm scheint. Wie kommt sie bloß auf Bitter Elation, da sie größtenteils eine andere Musikrichtung bevorzugt? Das macht sie gleich noch einmal interessanter. Ihr Filmgeschmack bringt ihn zum Schmunzeln, querbeet ist beinahe alles dabei.

Neugierig liest er die letzten Beiträge ihrer Freunde auf ihrer Pinnwand. Die meisten Themen drehen sich um Clubs, Events und Musik, das scheint ihnen wichtig zu sein. Wie er dadurch erfährt, tanzt sie gern und viel. Und tatsächlich hat sie das gestrige Konzert erwähnt, allerdings bereits vor einer Woche. Sie wäre sehr nervös und freue sich unheimlich darauf, liest er schmunzelnd. Nach und nach stellt er fest, dass er sich mit ihr stundenlang über so vieles unterhalten könnte. Hätte er gestern nur mehr zu ihr gesagt, einfach ein Gespräch begonnen. Aber dafür können sie sich nun über so vieles schreiben, falls sie ihm antwortet.

Kaum loggt er sich aus, kommt Norman zur Wohnungstür herein und begrüßt ihn lautstark. »Na? Hast du ausschlafen können?«

»Oh ja! Danke, dass du mich nicht geweckt hast! Das tat wirklich verdammt gut!«

»Dachte ich mir. Ich bin aber auch erst vor einer Stunde raus. Ich habe nur rasch das Nötigste gekauft. Wenn du soweit bist, sag Bescheid, dann können wir losfahren.«

»Lass mich noch schnell unter die Dusche springen.«

»Keine Eile, die Küste rennt uns nicht weg«, meint der Kumpel abwinkend und geht in die Küche, um wahrscheinlich alles Notwendige vorzubereiten.

Chris steht seinerseits auf, um zu duschen und seinen Kram zusammen zu packen. Nach nicht einmal einer Stunde sitzen die beiden im Auto und fahren Richtung Ostküste. Er freut sich auf die kommenden Wochen Ruhe und Erholung. Auf die ausgiebigen Spaziergänge und den Aktivitäten, zu denen er während der Tour nie kam. Und wie so oft hofft er auf die Muse, die ihn küssen sollte, um erneut erfolgreiche Songs zu schreiben und zu komponieren.


Bitter Elation

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