Читать книгу Jamil - Zerrissene Seele - Farina de Waard - Страница 10
Im Fiebertraum
ОглавлениеAls Ashanee in der Nacht mit dem Wasserschlauch zu ihm kam, öffnete der Dämonenmann kaum die Augen. Sein Körper war bedeckt von kaltem Schweiß, aber innerlich glühte er vor Fieber.
Sie wollte ihm zu trinken geben, doch er verschluckte sich daran und hustete kraftlos. Sie warf einen Blick auf seine Seite und rümpfte die Nase, als sie den Geruch der entzündeten Wunde wahrnahm.
»Wir müssen etwas unternehmen. Das Fieber zerfrisst deinen Körper!«
»Lezana? Lach nicht … ich sterbe und du lachst mich aus …«, murmelte er und Zorn zeigte sich schwach auf seinem glänzenden Gesicht. »Es ist kalt … und doch verbrenne ich …«
Sie schüttelte den Kopf. Er war nicht mehr bei Sinnen.
Warum hielt der Dämon noch an diesem Körper fest? Konnte er nicht erkennen, dass er verloren war? Oder vielleicht konnte er sich einfach nicht mehr von ihm lösen! Sie hatte doch gesehen, wie der Hara–Baum seine Kräfte wirkte. Hatte er versucht, den Mann zu retten und es nicht geschafft?
Ashas Gedanken rasten. Es war sicherlich der Wunsch des Hara–Baums, dass sie ihm half. Und wenn er heilte und zu Kräften kam, konnte er auch ihr helfen! Vielleicht war es von Vorteil, einen Dämon zu kennen, der einem etwas schuldete …
Einen Moment war sie überrascht über diese Gedanken und erschrak fast dabei. Das erschien ihr nicht richtig … und dennoch entschied sie sich in diesem Augenblick dazu, dem Mann zu helfen. Ihr wurde klar, dass sie ihm schon viel früher die Wunden hätte verbinden sollen, und warf einen Blick auf den kleinen Tonkrug mit Honig, der an ihrem Gürtel hing. Eigentlich hätte dies eine Opfergabe für die Geister sein sollen … doch jetzt konnte sie damit etwas wesentlich Besseres bewirken.
Vielleicht kann er sich ja auch von dem Fluch befreien, wenn er gesund wird! Dann hätten unsere Völker keinen Grund mehr, sich zu bekämpfen! Ich muss ihn retten, damit es überhaupt eine Chance für Frieden gibt!
Bei diesen Gedanken versuchte sie, seinen fiebrigen Blick einzufangen, der immer wieder wild über die Wiese huschte. »Ich werde deine Wunden säubern und versorgen, wenn du versprichst, mich trotz der Schmerzen nicht anzugreifen!«, sagte sie eindringlich.
»Nichts … nichts kann jetzt noch schlimmer kommen …«
Asha nahm das als seine Zustimmung auf. Sein Körper war ohnehin zu schwach und vom Fieber gelähmt, so dass er sich kaum rühren konnte.
Rasch eilte sie in den Wald und hackte mit ihrem Messer einige dicke Haselruten ab, schnitt sie in passende Stücke und kehrte zum Baum zurück.
Sie legte ihre Tasche auf den Boden neben ihm und zog einige Beutel und Tücher heraus, dann hob sie ihr Messer und zerschnitt das Hemd direkt über seiner blau und grün verfärbten Brust. Trotz der Prellungen konnte sie sehen, dass er zuvor ein gut gebauter Mann gewesen sein musste. Schlank und hochgewachsen, von harter Arbeit gestählt … und jetzt von dämonischen Kräften erfasst.
Sie erschauerte und schnitt auf seiner rechten Seite, dort wo die Pfeile ihn getroffen hatten, alle Stofffetzen von seinem Körper, die sie neben ihm auf einen kleinen Haufen warf. Sie ließ den Stoff an seinen Armen noch bestehen, er war zwar teilweise zerrissen, hielt aber doch die nächtliche Kälte etwas von dem Körper fern.
Sie schüttelte entsetzt den Kopf, als sie einen ersten, genaueren Blick auf seine Seite warf.
Wie hatte er bloß den rechten Arm heben können? Diese Seite seines Brustkorbs war völlig zerfetzt. Schuldgefühle brodelten in ihr. Sie hätte nicht zulassen dürfen, dass er sich die Pfeile selbst herausriss. Er hatte anscheinend ohne klare Sicht geschnitten und dann die Pfeile aus seinem Fleisch gezerrt.
Alle drei Eintrittsstellen, verbunden zu einer großen, offenen Wunde, waren tief, heiß und entzündet. Sie hatten nicht im Mindesten angefangen, zu verheilen. Wie denn auch? Mit all dem Dreck darin …
Mit gerümpfter Nase zog sie das blutverschmierte Gras aus der Wunde und spülte sie dann mit Wasser aus. Mit dem Zipfel eines Tuchs tupfte sie die Wunde sanft trocken.
Seiner Kehle entwich ein lautes Stöhnen, dennoch regte er sich kaum. Misstrauisch betrachtete sie sein schmerzverzerrtes Gesicht, aber er schien nicht die Kraft zu haben, sich zu bewegen. Schließlich öffnete sie den Pfropf des Tongefäßes und ließ dunklen Honig auf die große Wunde tropfen. Mit einem sauberen Teil des Tuchs verteilte sie den Honig und strich dann noch mehr darauf.
Als die ganzen offenen Stellen in seiner Brust mit dem duftenden Kleber bedeckt waren, zerkrümelte sie trockene Kräuter in ihrer Hand und streute sie in die Wunde, wo sie mit dem Honig verklebten und einen intensiven Geruch entwickelten.
Zuletzt legte sie ein zweites sauberes Tuch über die Verletzung und befühlte anschließend vorsichtig den Rest seines Körpers. Sie würde ihm erst einen festen Verband anlegen können, wenn seine Glieder richtig versorgt waren.
Sein linker Arm war zweimal gebrochen, ebenso das linke Bein. Das rechte schien nur an einer Stelle im Schienbein zertrümmert, dafür war der Knochen aber gesplittert und das Bein dick geschwollen und heiß.
Der Jägerin war völlig unklar, wie er es überhaupt über den Strand geschafft hatte. Mit drei Pfeilen in der Seite, drei gebrochenen Gliedern und dem Körper überzogen mit Prellungen und tiefen Schnittwunden, die ihm die Felsen in der Brandung zugefügt hatten.
Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand solche Qualen still hinnahm und nicht wahnsinnig wurde, denn er zuckte nur kurz unter ihren Berührungen zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Er musste doch ein Verfluchter sein, sonst hätte er derartiges niemals so lange überlebt. Sie wusste nicht, ob sie ihn bemitleiden oder bewundern sollte.
Erst bei dem grässlichen Knirschen der Knochen schrie er laut auf, als sie seinen Arm langzog und mit einem Ruck den ersten Bruch richtete.
Es war ein qualvoller Laut, ein Schrei, der noch tieferen Schmerz widerspiegelte als den der Splitter in seinem Fleisch. Die gebrochenen Stücke rutschten an ihre ursprüngliche Stelle, als sie den Arm dehnte.
»Bitte, du musst leise sein!«, zischte sie flüsternd, während sein Körper erneut unter ihrem Griff knackte, als sie die Knochen in seinem Unterarm in die richtige Position brachte. Er ächzte auf, unterdrückte aber einen weiteren Schrei mit lautem Zähneknirschen, und sie schnitt mit ihrem Messer jetzt doch den Stoff von seinem Arm.
»Keine Sorge«, presste er unter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie werden nicht kommen, nur weil ich schreie.« Sie nahm einen anderen kleinen Lederbeutel zur Hand und strich etwas dunkelgelbe Salbe heraus, die sie so sanft wie möglich auf seinem Arm verteilte. Ein weiteres Stöhnen entwich ihm und er verzerrte das Gesicht.
»Woher weißt du das?«, fragte Asha und starrte in seine jetzt weit aufgerissenen, glasigen Augen. Der plötzliche, heftige Schmerz schien ihn zurück in die reale Welt geholt zu haben.
»Ich gehöre nicht mehr zu ihnen … sie werden denken, dass ein Monstrum schreit, nicht ein … Mensch.«
Sie fühlte seine glühende Stirn und zog dann einige frische Kräuter aus ihrer Tasche.
»Kau diese Blätter, sie werden dir helfen, gegen die Entzündung anzukämpfen«, erklärte sie, zerriss die Kräuter in kleinere Stücke und wollte sie ihm in den Mund stecken. Doch er konnte die Kiefer nicht kräftig genug zusammenbeißen.
»Ich kann … nicht kauen. Ich kann kaum sprechen oder schlucken …«, murmelte er und Asha sah seinen Blick wegdriften. Das Fieber und der Geruch der Salbe hüllten ihn ein wie Nebel.
Nickend sah sie ein, dass er Recht hatte, und steckte sich die Kräuter selbst in den Mund, um sie zu einem weichen Brei zu zerkauen. Sie mischte den Brei mit dem restlichen Wasser und flößte ihm so die heilenden Kräuter ein. Er schluckte mühsam und blinzelte sie aus glasigen Augen an.
»Warum … hilfst du mir?«, fragte er, nachdem sie seinen Kopf zurück auf die Wurzel gebettet hatte.
»Irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass du nicht für immer zähneknirschend unter unserem heiligen Baum liegst, oder?«
»Aber warum du?«
»Ich finde dich interessant, Geister–Dämon«, erwiderte sie mit einem Zwinkern und richtete dann die Brüche in seinen Beinen.
Diesmal hallten seine Schreie noch weiter über die Bucht. Asha betrachtete den jungen, vor Schmerz und Kälte zitternden Mann vor sich.
Vollkommen benommen, bemerkte er scheinbar gar nicht, welche anderen Dinge sie mitgebracht hatte. Er schreckte erst auf, als sie die geraden Haselruten an seinen gebrochenen Arm hielt, die sie von einem kleinen Haufen auswählte.
»Was … tust du da?«, fragte er, die Augen halb geschlossen.
»Ich werde deine Glieder schienen, sonst heilen die Brüche nie oder du wirst verkrüppelt – da du ja offensichtlich ein zu schwacher Dämon bist, um dich selbst zu versorgen.«
Er nahm ihre Stichelei hin, doch sie konnte an seinem Blick sehen, wie dankbar er war. Ein seltsames Verhalten für einen verfluchten Untoten. Um ihn zu beschäftigen, brach sie ein kleines Brotstück von ihrem eigenen Proviant ab und schob es ihm nach einem Zögern zwischen die Zähne.
»Mädchen … warum ist das Brot so süß?«, murmelte er und sie musste kichern.
»Die Fladen werden mit süßen Kartoffeln gemacht. Kennst du keine Batate?«
Er deutete ein Kopfschütteln an.
»Du kommst wirklich von weit her, oder? Es ist eigentlich schade, dass unsere Leute sich nicht verstehen, wir könnten sicherlich viel voneinander lernen.«
»Aldo weiß alles … sagt er.«
Sie sah ihn zweifelnd an. Schweiß lief seine Schläfe hinunter und sie befeuchtete ein Tuch, das sie ihm auf die Stirn legte.
»Der Baum flüstert … er erzählt mir von den Fremden … Aldo, du hast ja keine Ahnung«, fing er an und weitete dann ein wenig die Augen. »Sie leben so anders als wir! So anders …«
Er stöhnte auf, als sie Salbe auf seiner Haut verteilte. Der Schmerz ließ ihn realisieren, dass er sie mit seinem Gerede nur verwirren musste. Er hatte im Traum immer wieder seinen Vater gesehen … aber als Lezana neben ihn trat, wusste er, dass er fantasierte. Seine Verlobte, die Königstochter, lag irgendwo zwischen den verkohlten Ruinen Kas’Tiels.
Schweigend beobachtete er die Handgriffe seiner Helferin. Mit müdem Blick sah er nun zum ersten Mal bewusst seinen Arm, seine Haut, die durch Blutergüsse und Schrammen rot und blau gefärbt war. Obwohl es Nacht war, konnte er die Farben erkennen.
Das Pochen in seinem Gesicht ließ ihn vermuten, dass es ebenso entstellt sein musste.
»Ich sehe bestimmt furchtbar aus«, stellte er fest und versuchte sie anzulächeln – bevor sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte, als sie zwei Stöcke an seinen Oberarm legte und mit einem langen Lederstreifen umwickelte. Ein kurzer Aufschrei entwich ihm, als sie das Leder festzog und verknotete.
Er musste sich irgendwie ablenken und sprach deswegen einfach weiter. »Aaah … sag, Mädchen … du hast mir noch immer nicht … deinen Namen verraten.«
Sie zögerte und legte schließlich zwei Hölzer an seinen Unterarm, die sie ebenfalls umwickelte und festzurrte. Sie schien nachdenklich ins Leere zu starren.
»Sollte ich ihn dir sagen? Das alles hier könnte ein Spiel für dich sein, ein Weg mein Vertrauen zu gewinnen – und dann, wenn du meinen Namen kennst, ergreifst du Besitz von mir, versklavst mich!«
Jamil lächelte müde über ihre Antwort, er hatte so etwas schon erwartet. Das Mädchen traute ihm noch immer nicht. Trauer überkam ihn, dass sogar seine einzige Helferin davon ausging, dass er ein grässlicher Dämon war. Seine Familie hatte ihn verstoßen und sie half ihm vielleicht nur, weil ihre Leute es ihr befohlen hatten. Damit er bald verschwinden würde. Warum brachte niemand den Mut auf, sein Leiden zu beenden?
Als sie schwieg, erkannte er, dass sie eine Erwiderung erwartete. Er versuchte, sie mit seinen Augen zu fokussieren, aber es fiel ihm schwerer, als er erwartet hatte.
»Aber bist du … nicht schon meine Gehilfin? Du rettest mir … vielleicht gerade das Leben.«
»Ich würde das hier nicht als retten bezeichnen.«
»Also wäre ich besser dran gewesen, von den Kojoten bei lebendem Leib gefressen zu werden?«, fragte er und ein Anflug von Wut klang in seiner Stimme mit, der ihm sofort wieder Energie verlieh.
»Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich will nur sagen, dass du auch ohne mich schon erstaunlich viel geleistet hast. Du bist stärker als jeder Mensch, den ich kenne. Ich hatte nicht gedacht, dass du es überhaupt bis zum Baum schaffst oder die Nacht überlebst … Ich weiß, der Baum hat dir geholfen, aber was du in dieser Nacht geleistet hast, war allein dein Werk.«
»Ich erinnere mich kaum … Da waren die Kojoten … und du … und dann die Wurzeln des Baums in meinem Rücken … und sein Leuchten …«
Das Mädchen erwiderte nichts darauf und sie musterten sich einen Moment lang schweigend.
»Ha–hast … hattest … wie war dein Name, Dämon?«
Erneut lachte er trocken. »Ich heiße Jamil.«
Sie nahm es mit einem Nicken hin. Der Name klang genau so, wie seine Leute ihn durcheinander gerufen hatten. Er erinnerte sich also tatsächlich an etwas aus seinem alten Leben.
»Wie alt bist du?«, erwiderte er.
»Achtzehn Sommer.«
»Ich … glaube, ich bin dreiundzwanzig.« Er runzelte die Stirn und schien verlegen. »Ich bin mir nicht mal sicher …«
»Das liegt am Fieber. Ruh dich aus, deine Knochen werden schneller heilen, wenn du keine Entzündung mehr im Körper hast.«
Er nickte schwach und schloss die Augen. Asha nahm wieder ihr Messer zur Hand und schlitzte seine Hosenbeine auf, um die Haut freizulegen. Sie schlug den Stoff zurück, rieb seine Haut mit der Salbe ein und band stabile Hölzer zu beiden Seiten seiner Beine. Erneut ächzte er schmerzerfüllt auf, dann entspannte sich sein Körper ein wenig.
»Zum Glück ist das Gras um dich so hoch gewachsen, so wird hoffentlich niemand die Verbände entdecken«, meinte sie und warf einen Blick über die Wiese. Die Wolken am Himmel rissen wieder einmal auf und ließen etwas dünnes Mondlicht auf die Umgebung sickern.
»Ich fühle meine Zehen nicht …«, murmelte er schlaftrunken. Die Schmerzen und Gerüche der Kräuter hüllten ihn ein und machten seine Zunge schwer.
Hatte sie etwas falsch gemacht, als sie seine Beine streckte? Stirnrunzelnd rutschte sie wieder neben seine Füße und versuchte ihm die ledernen Schuhe auszuziehen. Aber das Leder war durch das Meerwasser so verhärtet und steif geworden, dass sie seine Füße freischneiden musste.
Als sie seine Zehen sah, dachte Asha zuerst, sie wären abgestorben. Dann erkannte sie, dass sie nicht nur bläulich waren, sondern auch schwach leuchteten. Sie rieb seine Füße, bis sie nicht mehr kühl waren und etwas normale Farbe in sie zurückkehrte.
Dennoch lief ihr ein Schauer den Rücken hinab. Was war das für eine seltsame Verwandlung?
Als Ashas Blick über seinen Körper wanderte, blieb er an seinen Händen hängen. Sie erinnerte sich an den Moment, als er ihr das Messer abgenommen hatte. Da schienen seine Hände von innen wie erlöschende Glut zu flackern … jetzt schimmerten sie ebenfalls so blau wie seine Füße.
Er ächzte und ballte kurz die Hand zur Faust, murmelte dann aber nur unverständliches Zeug. Sie öffnete eines seiner Lider, aber seine Augen starrten ins Nichts.
Das Fieber wird ihn töten!, dachte sie und war überrascht, wie sehr dieser Gedanke sie mit Trauer erfüllte. Hatte er sie schon so in seinen Bann gezogen? Oder war es natürliches Mitleid, das sie für ihn empfand? Sie hatte als Kind oft Ärger bekommen, weil sie verletzte Tiere nicht töten wollte. Undenkbar für eine Tochter der Nacht.
Ohne es bewusst zu wollen, strich sie ihm über die schmutzige, eingefallene Wange. Wie unglaublich schnell er so mager geworden war, kaum noch zu vergleichen mit dem gutaussehenden jungen Mann, den sie auf der Klippe gesehen hatte, bevor die Pfeile ihn in die Tiefe schickten.
Warum hat man ihn so töten wollen? Waren die Pfeile vielleicht verflucht und deshalb wurde er zum Dämon?
Sie kannte die Antworten nicht, nahm sich aber vor, im Wald nach Spuren zu suchen. Schließlich öffnete sie das große Bündel, das neben ihr im Schatten lag, und breitete die frisch geflochtene Decke aus langen Grashalmen über seinem Körper aus.
»Wenn er diese Nacht überlebt, ist das ein Wunder, selbst unter unserem Baum«, meinte Asha murmelnd und ließ sich neben ihm ins Gras sinken. Sie formte Zeichen mit den Händen, wie sie es bei den Schamanen beobachtet hatte, um den Segen des Hara–Baumes auf Jamil zu lenken.
So hielt sie Wache, legte immer wieder ein kühles, feuchtes Tuch auf seine Stirn und lauschte dem undeutlichen Gemurmel seiner Fieberträume, bis sie in der Morgendämmerung davonschlich, um im Wald zu jagen.
Sie verharrte gegen den Wind in einem Dickicht, doch ihr Warten blieb erfolglos und kein Hirsch zeigte sich auf der Lichtung.
Wenig später brach sie auf und betrat ihr Dorf, als die Sonne gerade am Horizont ihre ersten Strahlen ausschickte. Asha bereitete sich darauf vor, ihren Eltern und den Schamanen wieder einmal nur die halbe Wahrheit über den verfluchten Mann zu berichten.
Auf einmal war sie froh, dass ihr Verhalten so vollkommen absurd und undenkbar war. Niemandem würde im Traum einfallen, einem dämonischen Untoten zu helfen. Warum also war es ihr plötzlich so wichtig, dass der Fremde überleben sollte?
Diese Frage ließ sie nicht los, bescherte ihr Bauchschmerzen und machte sie für den Rest des Vormittags schweigsam, bis ihre Mutter ihr vorschlug, sich auszuruhen. Also legte sie sich eine Weile schlafen und träumte von seinen Augen, die so türkis waren wie das Meer an einem strahlenden Sommertag.
In der darauffolgenden Nacht kehrte Ashanee ohne große Hoffnung zu dem armen Dämon zurück. Sie hatte sich den halben Tag den Kopf darüber zerbrochen, ob sie nicht gerade etwas schrecklich Falsches tat. Aber so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte nichts Böses in den Worten des Fremden erkennen. Und auch wenn sie sich einredete, er könnte sie täuschen, blieb die ständige Sorge um seinen Zustand.
Sie hatte versucht, nicht mehr an ihn zu denken, nicht zurückzukehren, nachdem in ihrem Dorf heftig über ihn diskutiert wurde, aber sie war so neugierig, was die Fremden anging – und wenn er lebte, konnte er ihr so vieles erzählen. Außerdem ging sie aus freien Stücken zu ihm. Er war zu schwach, um irgendetwas zu bewirken … wie gefährlich konnte er da schon sein?
Sie musste ihm einfach helfen, es war ihre Pflicht, wenn sie ihr Dorf vor einem Kampf mit den fremden Siedlern bewahren wollte!
Sie fand ihn in derselben Stellung, wie sie ihn in der vorigen Nacht zurückgelassen hatte, er schien gar nicht aufgewacht zu sein – aber er lebte!
Schmerzen weckten Jamil. Das Mädchen war über ihn gebeugt und er fühlte, dass sie etwas auf seine Seite strich. Es roch nach Kräutern und Honig.
»Aah … es brennt …«, krächzte er, doch er konnte den Kopf nicht heben, um zu sehen, was sie tat.
Sein Nacken schmerzte und war vom langen Liegen ganz versteift. Im Traum hatte er wieder Lezana gesehen. Ihre langen blonden Haare hatten in Flammen gestanden, ohne zu verbrennen.
»Entspann dich, es wird gleich besser. Ich musste etwas herausschneiden.«
»Wie sieht … es aus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Jeder normale Mensch wäre daran zu Grunde gegangen, die Pfeile haben deine Rippen zerschmettert und du hast viel Blut verloren … aber die Schnitte sind nicht mehr so heiß und es nässt weniger.«
Er nickte nur und hob unter größter Anstrengung seine Hand. »Sieh nur, meine Haut … sie leuchtet jetzt auch ohne Mondlicht ganz matt. Es ist zu spät, nicht wahr? Ich werde ein Dämon, ein Geist der Nacht … und kann es nicht aufhalten.«
»Du hast doch selbst gesagt, dass du nicht aufgeben wirst!«
»Ich habe viel gesagt … aber wie soll ich gegen diesen Fluch ankämpfen?«
»So wie ich das sehe, bist du noch nicht ganz verwandelt. Also ich schätze, wenn du nicht stirbst, dann kann es dich auch nicht ganz überwältigen. Also bleib am Leben, denn solange du lebst, kannst du nicht ganz zum Dämon werden!«
»Ich dachte, du hältst mich für tot? Meine Familie und Freunde sagen, ich bin eine Leiche und der Dämon hält meinen Leichnam nur am Leben, um sie anzulocken.«
»Dämonen bluten nicht.« Sie zögerte, bevor sie weitersprach. »Ich glaube, du lebst tatsächlich noch. Hier, diese Kräuter werden dir helfen, du musst wieder welche essen.«
Jamils Blick verschwamm kurz und er wollte erwidern, dass er zu schwach war, doch zu seiner Überraschung zerkaute sie die festen Blätter selbst und so nahm er an, dass sie sie ihm wieder mit Wasser verdünnt geben würde.
Stattdessen näherte sie sich seinem Gesicht.
Sie drückte ihre Lippen auf seinen offenen Mund und er erstarrte, doch dann schluckte er die Kräuter herunter. Sie entfernte sich von ihm und wischte sich über die Lippen.
»So wirken sie besser, als wenn ich sie verdünne.«
Er nickte nur rasch, dann schloss er die Augen. Neues Feuer war in ihm entbrannt, das auch nicht dadurch getrübt wurde, dass sie ihm einen strengen Blick zuwarf und ihren Mund ausspülte.
In dieser Nacht blieb das Mädchen nicht lange und in der nächsten rieb sie wieder Salbe auf seine Beine und den Arm. Er verzog das Gesicht, als sie die Schienen für kurze Zeit löste, um ihn zu behandeln, doch die meiste Zeit lag er nur benommen da und spürte, wie das Fieber ihn in die Tiefe zog.
Er verlor zusehends die Kontrolle.
In der darauffolgenden Nacht wachte er nicht mehr auf, als Asha ihn behandelte. Schmerz zuckte beinahe regelmäßig über sein ansonsten lebloses Gesicht und er murmelte nur noch unverständliches Zeug. Sie gab ihm in winzigen Schlucken etwas aus ihrem Schlauch zu trinken, hatte das Wasser mit Wein versetzt und hoffte, so seine Schmerzen zumindest etwas zu lindern.
Eine Weile schien dies sogar zu wirken, denn er wurde ruhiger und murmelte weniger. Erst als bereits das erste Licht über dem Meer auftauchte und den Himmel in ein dunkles Blau tauchte, warf er seinen Kopf hin und her und begann, laut zu rufen.
Sie erschauderte, als er das erste Mal wütend aufbrüllte, und sprang von ihm fort. Seine Hand ballte sich zur Faust und kaum hatte er die Finger wieder gestreckt, sprangen Funken daraus hervor und ließen das Gras schwelen. Rauch stieg auf, doch die Halme waren zu grün, um Feuer zu fangen. Seine Finger leuchteten orange wie die letzte Glut eines sterbenden Lagerfeuers.
Asha kniete bebend vor ihm, völlig starr vor Angst und dennoch unwiderstehlich fasziniert.
Da er heftig zu zittern und murmeln begann, erkannte sie, dass er nicht bei Bewusstsein war. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn und seiner Brust. Er atmete heftig und wimmerte immer wieder, ehe er plötzlich wieder laut schrie.
Dunkler Rauch stieg von seinen Fingerspitzen auf und einem seltsamen Instinkt folgend, goss Asha hastig Wasser in die Trinkschale und tauchte seine Hand hinein. Das Wasser zischte und sie wich schnell wieder zurück, doch er beruhigte sich tatsächlich ein wenig.
Was muss ein Mensch erlebt haben, dass ihn solche furchtbaren Albträume plagen?, dachte sie und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Angst und Mitleid.
Die Fieberträume hielten an und er zitterte, doch als es heller wurde, hörte er auf zu schreien und murmelte nur noch unverständliche Worte in seiner Sprache. Jedoch meinte sie, besonders häufig das Wort oder den Namen Aldo zu hören. Er spie es mit mehr Leid und Hass aus, als sie jemals zuvor in seiner Stimme gehört hatte.
Ashanee verließ ihn im ersten Morgengrauen und rieb sich die müden Augen, ehe ein weiterer Tag kommen würde, an dem sie ununterbrochen an den geheimnisvollen Dämon denken würde, der in seinem Fieberwahn solche Qualen litt.