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Türkei: Apfeltee und Minarette

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1Wir fahren in den Norden mit einem dieser supermodernen Reisecars, die die Türkei zu bieten hat. Eine Stewardess serviert uns heissen Apfeltee und Schokoladebiskuits. Via Iskenderun und Adana sind wir auf dem Weg ins Herz Anatoliens, nach Kappadokien. Eigentlich wollten wir zuerst der Südküste entlang reisen. Weil gerade kein Bus in den Westen fuhr, nehmen wir einen Richtung Istanbul. Die Fahrt bringt uns durch eine wunderbare Bergregion mit bewaldeten Hügeln, schneebedeckten Bergketten und zwei Gipfeln, die sicher über 3000 Meter hoch sind.

Erst kurz vor 21 Uhr kommen wir in Aksaray an und erkundigen uns an der Tankstelle, ob heute noch ein Bus nach Kappadokien fährt. Ein freundlicher Türke, der ein paar Jahre in Deutschland gearbeitet hat, antwortet auf Deutsch, dass der nächste Bus um halb zehn fahre. Wir gehen ins Café und trinken wieder Apfeltee aus den typischen tulpenförmigen kleinen Gläschen. Später stellt sich heraus, dass der Bus doch um 21 Uhr vorbeigefahren ist. Mist!

„Taxi!“ Ich will die Nacht nicht in diesem Ort verbringen. Lieber würde ich nach Göreme anstatt nach Ürgüp fahren, denn in Göreme quartieren sich die jungen Globetrotter ein. Ich suche geradezu Kontakt zu anderen Reisenden - mein Begleiter ist mir zu langweilig. Aber ich lasse mich überreden, nach Ürgüp zu fahren, um Kappadokien zu entdecken. Das Schicksal will es so…

Nach den heutigen ungefähr 620 km läuten wir kurz vor Mitternacht den Besitzer des Born Hotels in Ürgüp aus dem Schlaf. In seinem wunderschönen traditionell eingerichteten 100-jährigen Haus nehmen wir ein Zimmer. Am nächsten Morgen schlendern wir durch das bezaubernde Städtchen mit seinen vielen alten Holzhäusern mit roten Ziegeldächern. Wir sind von felsigen Hügeln umgeben. Ein süsses Plätzchen! Aprikosenbäume blühen und ihre Blüten riechen herrlich. Unser Hotel, jetzt im Sonnenlicht, ist eine Augenweide osmanischer Architektur. Recep und seine Frau, das Besitzerehepaar, sind sehr liebenswürdige Leute. Weil sie kein Frühstück auf der Terrasse vor dem Haus servieren, gehen wir in ein kleines Strassencafé. Das türkische Frühstück besteht aus Weissbrot, Butter, kappadokischem Honig, Fetakäse, Oliven, Tomaten, Gurken, einem Ei und Kaffee. Ich liebe ein reiches, langes Frühstück!

Später spazieren wir durch die malerischen Gassen. Die Leute in den Souvenir- und Teppichläden sind sehr freundlich, nicht aufdringlich und laden uns immer wieder zu Apfeltee ein. Wir setzen uns gerne zu ihnen für einen Schwatz. Es gibt praktisch keine Touristen - im Hochsommer sieht es hier sicher ganz anders aus.

Hinter unserem Hotel gibt es einen Hügel mit unzähligen Höhlen, die zum Teil bewohnt sind. Bauern haben sich in den jahrhundertealten Höhlen häuslich eingerichtet. Wäsche hängt zwischen bizarren Felsformationen an gespannten Leinen. Die Felslandschaft ist spektakulär. Von unserer Anhöhe geniessen wir eine grandiose Aussicht. Die atemberaubenden Tuffsteinformationen sind das Resultat von Eruptionen von drei Vulkanen, dem Erçiyes Dag, Hasan Dag und dem Melendiz Dag, die immer noch aktiv sind. Vor Millionen von Jahren haben sie ganz Kappadokien durch ihre Eruptionen mit Asche, Lava, Staub und Schlamm überzogen, was sich dann wiederum in Tausenden von Jahren mit Erosionen in ebendieses Tuffgestein verwandelt und diese Traumlandschaft geschaffen hat.

Am Abend kommt es dann zur schicksalhaften Begegnung in einer Pizzeria. Wir schreiben den 2. April 1996. Ich spreche den gut aussehenden Mann mit langen Haaren vom anderen Tisch an und frage ihn, ob er zufällig vom Iran gekommen sei. Er heisst Kurt, ist 32 und aus Belgien. Seit fünfeinhalb Monaten ist er mit seinem Freund Alain schon unterwegs. Sie haben ihre Traumreise in Indien begonnen. Beide haben sich ein Motorrad gekauft und ganze drei Monate Indien per Motorrad bereist! Dann hat Kurt seine Rajdoot verkauft und Alain seine Enfield nach Hause verschiffen lassen. Seither reisten sie durch Pakistan und Iran in die Türkei. Ihr sechsmonatiger unbezahlter Urlaub neigt sich dem Ende zu; sie müssen an ihren Arbeitsplatz zurück.

Sie erzählen uns vom hochinteressanten Iran und deren freundlichen Menschen. Der Iran sei unbedingt eine Reise wert, der Grenzübertritt absolut problemlos. Weiter sei es das billigste Reiseland überhaupt. Der einzige Nachteil bestehe lediglich darin, dass sie keine Privatsphäre hatten, weil immer irgendwelche Leute aus Neugier in ihr Hotelzimmer kamen und sich auf ihren Betten niederliessen!

Kurt erzählt mir auch, dass er - eigentlich wie ich - nach Göreme wollte. Weil aber kein Bus mehr dorthin gefahren sei, richteten sie sich halt in Ürgüp ein. Als ich ihn frage, in welches Hotel sie denn abgestiegen seien, antwortet er: «Im Born Hotel!» Wir haben wohl nach Ürgüp kommen und uns hier begegnen müssen...

Nach einem Frühstück auf der Terrasse, das uns Recep auf unseren Wunsch doch noch servierte, verlieren wir uns für einen Tag aus den Augen. Mit Thomas nehme ich einen Bus Richtung Nevsehir. Wir steigen vorher aus und gehen zu Fuss zum Freilichtmuseum vor Göreme. Auch diese historische Stätte ist von der UNESCO auf die Liste der World Heritage Areas gesetzt worden. Es handelt sich um verschiedene Felsenkirchen mit bemalten Fresken aus dem 9. bis 13. Jahrhundert. Die Felsenlandschaft ist traumhaft. Überall sind Höhlen, die nicht nur als Kirchen, sondern auch als Mönchsunterkünfte dienten. Kleine Treppen sind in das Gestein gehauen worden und führen in die Höhlen, die zum Teil mit Torbögen und Säulen verziert sind. Mehr als die Architektur geniesse ich die sagenhafte Landschaft. Es ist Frühling und die Kirschbäume blühen. Es ist wie in einem Märchen!

Dann wandern wir ins Dorf Göreme und nehmen einen Bus nach Pasabagi. Eigentlich nahm der Bus uns mit - wir sahen ihn nämlich nicht kommen. Der Fahrer hielt an, um uns zu fragen, ob er uns mitnehmen könne! Wir wandern weiter und erreichen bald Zelve. Unterwegs kommen wir an weiteren spektakulären Felsformationen vorbei. Die Landschaft ist unbeschreiblich schön. Die Felsen glänzen in allen Farbschattierungen, weiss, gelb, ocker, braun und rot. Manchmal sind Höhlen und Fenster in die Felsen gehauen worden.

Tagsüber ist es heiss, im Gegensatz zu den Nächten. Wir brauchen ein kaltes Getränk und ruhen uns etwas aus, bevor wir hinter Zelve auf den Berg klettern. Die Gegend von Kappadokien befindet sich 1200 Meter über dem Meeresspiegel. Als wir auf das flache Plateau dieses Berges kommen, thront vor uns der schneebedeckte majestätische Erçiyes Dag, 3916 m hoch, der höchste Berg der Türkei westlich des Ararat. Wir klettern über Stock und Stein, auf schlechter Unterlage und Kieswegen nach Kizilçukur, von dort in ein malerisches Tal hinunter, durch Schluchten mit bebauten Feldern und Aprikosenplantagen, Orangen- und Zitronenhainen und kehren durch Traubenfelder zurück nach Göreme. Wir müssen mehrere Male Bauern nach dem richtigen Weg fragen, sonst hätten wir uns in diesem Labyrinth aus verschiedenfarbigen Felsformationen verlaufen!

Nach dem Abendessen treffe ich Kurt und Alain wieder. Wir sitzen mit Recep um den wärmenden Ofen in der Hotelhalle bei Rotwein und Baklava, die in der Türkei noch süsser sind als in Jordanien. Thomas sagt vier Stunden lang kein Wort.

Als ich einmal mit Kurt allein bin, frage ich ihn spontan, ob er nicht Lust hätte, mich nach Zentralasien zu begleiten. Aber er hat kein Geld mehr und muss wieder an seinen Job in Belgien zurück. Kurt ist ein sehr aufgeschlossener und reisegewandter Mann, der sich wie ich sehr für den kulturellen Hintergrund und die Geschichte eines Landes interessiert, in das er reist. Er kann sich sehr gut mit der Bevölkerung verständigen, sucht den Kontakt zu den Einheimischen, wie ich. Er denkt ständig über meine Pläne nach, würde wahnsinnig gerne nach Zentralasien kommen. Weil ich russisch spreche und schon ein paarmal dort gewesen bin, macht es ihn noch mehr an, mich zu begleiten…

Am nächsten Tag fahren Thomas und ich nach Kaymakli und schauen uns eine in früheren Jahrhunderten bewohnte Höhle an, eine der sechs, die bisher gefunden und ausgegraben wurden. Niemand weiss, wer sie gebaut hat. Es handelt sich wahrhaftig um eine richtige Stadt, die in Tuffstein gehauen worden ist und bis zu 15 Stockwerke tief in den Boden reicht. Hunderte von Leuten konnten sich in diesem Netzwerk von Tunnels verstecken, wenn sie einen Angriff von türkischen oder arabischen Stämmen befürchteten. Vor die Einstiege und Eingänge wurden jeweils grosse runde Felsbrocken geschoben. Wir ziehen uns Pullover über, denn es ist kühl in diesem Höhlensystem. Sogar ich kleiner Zwirbel muss mich bücken, um durch diese tiefen engen Korridore zu kommen. Hunderte von kleinen Räumen mit Nischen wurden angelegt, die als Küche, Schlafräume, Badezimmer oder auch Kirchen und sogar Grabkammern dienten. Durch alle Stockwerke hindurch führt der Luftschacht, der die verschiedenen Ebenen mit frischer Luft versorgt. Ich bin tief beeindruckt, frage mich aber auch, wie gross die Angst vor Invasionen und kriegerischen Angriffen wohl gewesen sein muss, damit jemand jahrelang diesen Maulwurfbau anlegt, um darin auch noch zu wohnen!

Mit einer kanadischen Familie mit zwei Kindern fahren wir nach Üçhisar, um uns weitere Felsenwohnungen und –türme anzuschauen und in Restaurants zu gehen, die sich in diesen Grotten befinden. Später in Ortahisar besuchen wir ein weiteres Höhlenkloster, das vor 600-700 Jahren in den Tuffstein gehauen wurde und mit Säulen und zum Teil bemalten Fresken verziert ist. Ich kann gar nicht mehr alles verarbeiten, was sich mir hier an Eindrücken bietet!

Am nächsten Morgen fahren wir nach Kayseri in die Hauptstadt Kappadokiens. Eine herrliche Fahrt über grünes Land. Endlich sehen wir diesen schneebedeckten Erçiyes Dag in voller Grösse. Im Winter kann man an seinen Flanken Ski fahren - ich werde ein bisschen wehmütig, bin ich doch diese Saison nicht sehr oft auf meinen geliebten Brettern gestanden.

Kayseri wurde unter den Persern Mazaca genannt, von den Römern Caesarea und von den Arabern Kaisariyeh, unter welchem Namen es auch in das Buch mit den Märchen aus 1001 Nacht eingegangen ist.

Heute ist Kayseri eine recht moderne Grossstadt. In der Innenstadt verstreut finden wir jedoch unzählige Bauwerke aus der Zeit der Seldschuken, die vom 10. bis zum 13. Jahrhundert die ganze heutige Türkei und viele andere umliegende Länder beherrscht haben. Ich komme später nochmals auf sie zurück.

Die Zitadelle aus Basalt-Gestein ist die einzige der Türkei die ebenerdig gebaut worden ist weil es hier keinen Hügel gibt, abgesehen vom 3916 m hohen Hausberg. Im mit Kuppeln überdeckten Basar fühle ich mich wie in die Zeiten der Märchen aus 1001 Nacht zurückversetzt. Doch die Teppichhändler und deren Verkäufer gegen Provision gehen mir total auf die Nerven. Gerne hätte ich mich etwas mehr umgeschaut, denn ich liebe Teppiche, aber diese Typen sind so aufdringlich, dass wir schnell aus dem Basar verschwinden.

In einer Medresse befindet sich das Ethnografische Museum mit wunderhübschen Objekten aus Holz und Metall, die mit islamischer Kalligraphie geschmückt sind. Ich liebe solche Utensilien und möchte am liebsten wieder alles kaufen. Natürlich sind diese alten Stücke im Museum nicht käuflich, aber schon auf dem Suq von Damaskus hat es mich gereizt, mich mit islamischen Antiquitäten einzudecken um mich später in einer neuen Wohnung wie in einem orientalischen Palast einzurichten…

Innerstädtische Karawansereien werden je nach Region verschieden bezeichnet. Im Maghreb werden sie Funduq genannt, in Ägypten Wakalat, im Jemen Samsarah, im Iran Saray, in Syrien Khan und in der Türkei Han. Die meisten der hier mit wunderbarer Steinmetzkunst verzierten Monumente aus der Zeit der Seldschuken und Osmanen sind aber Medressen (Koranschulen). Ausserdem stehen hier mehrere achteckige Türbeler (Grabtürme oder Mausoleen) aus dem 12. und dem 13. Jahrhundert.

Am Abend, zurück in Ürgüp, treffe ich wieder auf Kurt. Langsam merke ich, dass ich beginne, mich in ihn zu verlieben, wehre mich aber dagegen, weil ich ja reisen will und er nicht mitkommen kann. Aber er würde gerne… Wir kaufen nach unserem gemeinsamen Abendessen im Kappadokia Restaurant ein paar Flaschen Wein und sitzen bis in die Morgenstunden am Ofen im schnuckeligen Born Hotel.

Ich gebe zu, dass ich kurz nach 7 Uhr schon aufgewacht bin, aber mich schlafend gestellt habe, weil ich den 8 Uhr-Bus absichtlich verpassen wollte. Ich möchte Kurt noch nicht verlassen! Ausserdem hatte ich gestern doch etwas zuviel von diesem kappadokischen Rotwein… Als ich mich auf den Weg zum nächsten Laden mache, um das Frühstück einzukaufen, treffe ich auf Kurt und so gehen wir gemeinsam, um einen richtigen Brunch zu organisieren. Ach ist das schön, einmal einen ganzen Tag nichts zu unternehmen! Auch unseren sechsten Abend in Kappadokien verbringen wir zusammen mit den Belgiern.

Erst am siebten Tag brechen wir auf. Recep bringt uns zum Busbahnhof und wir versprechen ihm, seine mit Liebe eingerichtete kleine familiäre Pension weiterzuempfehlen. In Nevsehir verabschieden wir Schweizer uns von den Belgiern und Kurt und ich tauschen Fotos und tiefe Blicke aus. Ich hoffe, dass ich Kurt wiedersehe... Sie fahren an die Küste und wir nach Konya. Als hätten wir noch nicht genug Moscheen, Medressen, Karawansereien, Mausoleen etc. gesehen!

2Konya ist eine der wohl typischsten alten türkischen Städte. Unter den Griechen und Römern hiess sie Iconium und war die Hauptstadt der Provinz Lycaonia. Nach den Byzantinern und den Abbasiden-Kalifen kamen im Jahre 1076 die Seldschuken. Sultan Süleyman ibn Kutulmus machte Konya zu seiner Hauptstadt.

Wahrscheinlich erinnerte die baumlose Ebene, auf der Konya steht, die Seldschuken an ihre Heimat in den asiatischen Steppen. Nördlich der Mandschurei in den leeren Steppen vermuten Historiker die Heimat der Tu-kueh’, der türkischen Stämme, die schon vor Christi Geburt die Chinesen terrorisiert haben. Eine Vereinigung unter verschiedenen Stämmen, die Oguz genannt wurde, bewegte sich auf Europa zu. Das alles war wohlverstanden ungefähr 400 Jahre bevor Dschingis Khans Truppen loslegten. Um das Jahr 900 bekannten sich die türkischen Stämme zum Islam, nahmen Anatolien und befreiten es 1071 von den Byzantinern in der Schlacht von Manzikert nördlich des Van Sees. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht im 13. Jahrhundert unter Sultan Alâeddin Keykubad waren die Seldschuken das stärkste und zivilisierteste Volk im ganzen Mittelmeerraum. Ihre Architektur, ihre Moscheen und Medressen markierten den Beginn und die besten Beispiele türkischer Kunst.

In den Kalifenhöfen von Samarra respektive Bagdad befand sich im 9. Jahrhundert das Zentrum der islamischen Töpferei. Dort machte die noch junge Kultur aus arabischen Ländern mit chinesischem Porzellan Bekanntschaft. Die Kalifen wollten unbedingt dieses faszinierende Material imitieren. Sie überzogen ihren graubraunen Ton mit weissen zinnhaltigen Glasuren und erfanden damit die ersten echten Fayencen in der Geschichte der Keramik. Die Seldschuken waren Pioniere in der islamischen Keramik und stellten sie schon früh auch in den Dienst der Architektur. Sie schmückten in ihrer Hauptstadt Konya ihre Medressen innen und aussen mit Fayence-Mosaiken. Später brachten die Timuriden die Fayence-Kunst zu einem Höhepunkt auf ihren Kolossalbauten in Samarkand und Herat. Leider ist in Afghanistan nicht viel davon vom Krieg verschont geblieben. Heute sind die besten Kunstwerke im Iran und in Usbekistan zu besichtigen. Durch beide Länder führt die Seidenstrasse und meine Reise. Ich freue mich sehr darauf!

Konya ist eine wahre Vorzeigestadt und wirkt auf mich wie ein Freilichtmuseum mit seinen vielen Gräbern von Seldschuken-Sultanen, Derwischen und Wesiren. Auf allen Gräbern stehen noch die Turbane der in den Steinsarkophagen ruhenden Persönlichkeiten. Die Sarkophage sind fast überall mit einer schweren Brokatdecke bedeckt und über ihnen thronen wertvolle Kronleuchter.

Es ist eine schöne Stadt, die in mir wieder Träume von orientalischen Märchen hervorruft. Das Mervlana-Museum, die Alâeddin Moschee, die Karatay Medresse und die Ince Minare Medresse gefallen mir am besten. Sie besitzen die herrlichsten Steinmetzarbeiten auf ihren Eingangsiwanen, den kolossalen Portalen. Wenn ich doch nur Arabisch könnte um die eingemeisselten Koransuren zu lesen.

Nach einem Tag zieht es mich aber in den Süden an die Küste nach Anamur. Die Landschaft ist sehr malerisch. Wir fahren durch ein felsiges Berggebiet voller Pinienwälder bis nach Silifke und von dort an der pittoresken Mittelmeerküste den vielen Plantagen entlang. Manchmal muss unser Bus abbremsen, wenn ein Hirte seine Schafherde über die Strasse treibt.

Das 800jährige Schloss von Anamur schaue ich mir nicht einmal mehr an. Ich suche die Hotelanlage, die uns Kurt und Alain empfohlen hatten, weil ich sie dort vermute. Aber unsere belgischen Freunde sind nicht dort. Darauf frage ich in den nächsten Stunden jeden Touristen, ob er zwei langhaarige Belgier gesehen habe. Schlussendlich quartieren wir uns irgendwo ein und am nächsten Tag verlassen wir diesen Ort bereits wieder, nachdem ich an der Bushaltestelle noch alle nach den Belgiern gefragt habe.

Wir geniessen die Fahrt der kurvenreichen Küstenstrasse entlang. Manchmal führt die Strasse ein bisschen ins Landesinnere, um einen felsigen Berg zu umfahren. Steil geht es bergauf und auf dem höchsten Punkt erhaschen wir für einen Augenblick eine wunderbare Sicht über das Meer, Zitronen- und Bananengärten, Baumwollfelder.

Marcus Aurelius Antonius, der Römische Kaiser, hat diese wunderhübsche Gegend Cleopatra als Liebesgeschenk gegeben. Doch diese hat nur die Baumbestände nach Ägypten exportieren lassen. Ein Teil der Küstenregion war als Piratennest verschrien, das Hinterland ziemlich undurchdringbar. Ausserdem herrschte Malaria. Für die Römer und Griechen war diese Region lange unbekannt.

Ich erschrecke, als wir in Alanya ankommen: Es ist eine Grossstadt mit unzähligen mehrstöckigen Hotelblocks. Da werde ich Kurt nie wiederfinden! Alanya ist eine Touristenhochburg. Gott sei Dank ist noch keine Hochsaison - es gibt jetzt schon genug Touristen! Die Kellner vor den Restaurants sind völlig aufdringlich. Man kann nicht einmal in Ruhe die Menükarten lesen, die auf der Strasse draussen angeschlagen sind. Sie versuchen uns sogar auf Deutsch in ihr Lokal hereinzulocken. Dieselbe Manier herrscht auch vor den zahlreichen Souvenirshops.

Fürs Frühstück haben wir das Marco Polo Café entdeckt mit einer Terrasse, von der aus ich die ganze Strasse überblicken kann. Unser netter Kellner heisst Ömer und ist Kurde. Er musste aus Kurdistan fliehen, weil das türkische Militär so brutal gegen die Kurden vorgeht. Mehrmals wurde er verhaftet und 24 Stunden auf einem Polizeiposten festgehalten wegen seines kurdischen Vornamens. Ich empfinde eine grosse Solidarität mit den Kurden, wie schon mit den Palästinensern. Beides sind Völker, die keinen eigenen Staat besitzen und auf grausame Weise unterdrückt werden. Wir kommen oft in sein Café und Ömer schenkt mir eine Musikkassette von “Kizilirmak”, einer kurdischen Musikgruppe, die mit traditionellen Instrumenten wundervolle Musik macht.

Jetzt nehmen wir uns die Burg vor, die auf dem Felsenhügel auf einer Halbinsel thront. Die Griechen haben diesen Hügel Kalonoros genannt, was «wunderschöner Berg» bedeutet.

Wir spazieren durch die engen Gassen mit den alten osmanischen Häusern und lieblichen Gärten. Alles ist sehr pittoresk. Bald schon passieren wir das erste Tor zur Festung. Auf dem Portal steht eine Inschrift von den Seldschuken, kurioserweise auf Persisch. Wir befinden uns nun bereits innerhalb der Festungsmauern, aber noch immer leben Menschen in diesem Stadtteil. Eine Karawanserei der Seldschuken ist in ein Luxushotel umgewandelt worden. Das Resultat lässt sich sehen!

Endlich erreichen wir das grosse Portal der eigentlichen Zitadelle, der Iç Kale genannten inneren Festung. Pinien stehen in ihrem Garten und Unkraut wächst auf den Ruinen zwischen den aufeinander geschichteten Steinblöcken. Als wir von einer Aussichtsplattform aus die Klippen hinunterschauen, wird uns klar, dass niemand diese Festung je stürmen konnte. Die Farbe des Meeres ist ein wunderbares Türkisblau.

Allâeddin Keykubad, dessen Namen wir seit Konya schon kennen, hat sich die Zitadelle 1220 unter den Nagel gerissen. Niemand weiss mehr, wie ihm das gelungen ist. Eine Theorie besagt, er habe die Tochter des Kommandanten geheiratet und ihre Familie nach Konya mitgenommen. Eine andere, er habe dem armenischen Prinz, der hier gewohnt habe, ein anderes Stück Land gegeben und so die Festung bekommen.

Dass der Kaffee nach dem Abendessen so schlecht war, hat sicher auch so sein müssen, denn so möchte ich vor dem Schlafengehen noch einen besseren im Marco Polo Café. Man weiss ja nie, wer dort auftauchen könnte...?!

Ich weiss es klingt kitschig und ich will auch keinen Liebesroman schreiben, aber um halb zwölf sehe ich tatsächlich Kurts afghanische Mütze! Ich springe auf die Strasse, hinter ihm her und wir fallen uns in die Arme. Im Marco Polo Café erzählt er mir später, dass er in Anamur vor seinem Hotel am Busbahnhof stundenlang alle Busse abgepasst und mich erwartet hätte. Er habe sich schon am zweiten Tag in Ürgüp in mich verliebt. Dass wir uns in Nevsehir getrennt haben, das habe er bitter bereut…

3Jetzt bin ich wieder allein mit Thomas, aber in Hochstimmung. Die letzten vier Tage habe ich mit Kurt und Alain in Alanya und Antalya verbracht, einem weiteren Touristenghetto an der Mittelmeerküste. Von dort sind unsere belgischen Freunde zurück nach Brüssel geflogen. Aber ich weiss, dass ich Kurt im Juni wiedersehe. Da ich im Iran eine organisierte Tour gebucht habe und Kurt ja vor zwei Wochen schon im Iran gewesen ist, werden wir uns nach meiner Iran-Rundreise in Turkmenistan oder Usbekistan treffen. Ich habe ihm die Adressen meiner Freunde in Buchara und Samarkand aufgeschrieben. Falls er vor mir dort eintrifft, kann er zu ihnen gehen. Wenn alles wie geplant klappt, wird er jedoch nach Aschkhabad fliegen, der Hauptstadt Turkmenistans.

Dort werden Visa am Flughafen ausgestellt. Das ist einfacher als in Europa ein Usbekistan-Visum zu bekommen. Die usbekische Botschaft in Bonn verlangt eine Einladung. In der Schweiz ist Usbekistan noch nicht vertreten und die russische Botschaft macht ungern etwas für die anderen GUS-Republiken. Macht überhaupt alles ungern, sogar das Abnehmen von Telefonhörern. Eine private Einladung für ein usbekisches Visum muss von der örtlichen Polizei beglaubigt worden sein und im Original beiliegen. Eine Geschäftseinladung muss vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten abgesegnet worden sein und direkt in die betreffende Botschaft weitergeleitet werden. Da ich einen Holländer kenne, der in Taschkent arbeitet, habe ich ihn vor vier Monaten gebeten, für mich und Thomas eine solche Geschäftseinladung zu organisieren und via das Aussenministerium in der usbekischen Botschaft in Bonn bereitzuhalten, damit wir dort ein vierwöchiges Visum beantragen können. Ich erinnere mich noch genau an dieses Riesenchaos, als Willem mir am Telefon gesagt hat, dass das Aussenministerium ihm mitgeteilt habe, es könnten im Dezember noch keine Einladungen für ein Visum für den Monat Juni verarbeitet werden. Er solle sich nochmals im Mai an sie wenden. Worauf ich ihm wiederum erklärt hatte, das ginge nicht, weil wir die Schweiz bereits im März verlassen. Ausserdem musste ich mit meinem Pass zur iranischen Botschaft in Bern, die drei Monate brauchte, um vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Teheran die Erlaubnis einzuholen, mir kleinem Fisch doch bitte ein Visum zu erteilen. Zum Glück brauchten die Iraner in Bern während dieser Wartezeit meinen Pass noch nicht, denn der machte eine Tournee von der jordanischen Botschaft in Bern über die syrische in Genf bis zur kirgisischen in Bonn, bis die Usbeken, die auch in Bonn residieren, auf meine Panik schliesslich äusserst unbürokratisch und grosszügig reagiert haben. Sie glaubten mir einfach, dass ich einen Bekannten in Taschkent habe, der mir eine Business-Invitation ausstellen wollte, der aber vom Ministry of External Affairs abgeblockt wurde, weil er zu früh angefragt hatte. Ich solle meinen Pass einfach schicken. Sie würden mir ausnahmsweise ohne Einladung ein Visum ausstellen! Ich rief die kirgisische Botschaft in Bonn wieder an, sie solle meinen Pass nicht in die Schweiz an mich zurück senden, sondern gleich in ihre Nachbarschaft zur usbekischen Vertretung weiterleiten. Huch!

Es war ein Spiessrutenlaufen gewesen, aber wenigstens habe ich die Visa für die ersten sechs Reisemonate. Das Organisieren der chinesischen und pakistanischen Visa liegt noch vor uns… Soweit zur Odyssee des Visa-Sammelns für meine grosse Reise! Jetzt braucht Kurt noch seine…

Die Busfahrt von Alanya nach Fethiye führt nicht der Küstenstrasse entlang, sondern fünf Stunden durchs hügelige und wunderbare Hinterland. An Bergdörfern vorbei, schneebedeckten Gebirgen entlang, durch eine vom Tourismus unberührte grüne Landschaft.

Ich bin guter Laune und denke immerzu an Kurt...

Fethiye ist ein sehr charmantes Städtchen, das vor langer Zeit einmal Telmessos hiess: «Land des Lichtes». Es hat einen schönen Hafen, der von zwölf Inseln geschützt ist. Von unserer Pension direkt am Wasser sehen wir wegen der vielen Inseln das offene Meer nicht. Es sieht hier mehr wie ein kleiner See aus. Wir wohnen in der Mer Pension, die ich namentlich erwähnen möchte weil sie so süss und der Inhaber, Gökçe (ausgesprochen «Göktsche»), sehr nett ist.

Heute nimmt uns Gökçe mit seinem Motorboot zur kleinen Insel gegenüber mit. Ein paar Pensionen befinden sich hier - eine davon gehört ihm – und Villen von reichen Türken. Wir spazieren durch die wilde und üppige Vegetation mit vielen Blumen, Margeriten, Mohnblumen und blühenden Orangenbäumen, die besonders gut riechen. Gökçe spendiert eine Runde Bier und wir liegen am Strand in der Sonne. Leider ist das Wasser noch zu kalt zum Baden. Unser neuer Freund spricht sehr gut Englisch und schwärmt vom Kurdengebiet. Es sei absolut kein Problem, dort herumzureisen, wir könnten sogar zum Van-See, der sich im Herzen des von Kurden bewohnten Gebietes befindet.

Das Problem zwischen dem türkischen Militär und den Kurden ist äusserst komplex. Gökçe hat während seines Aufenthaltes in der Armee einen guten Freund verloren, der angeblich von der PKK, der Kurdischen Arbeiterpartei, erschossen wurde. Darum hat er es nicht wirklich gern, wenn wir in seiner Pension die Kassette von Kyzylirmak, der kurdischen Musikgruppe, abspielen. Andererseits meint er, es sei für Touristen möglich, in die kurdischen Regionen zu reisen. Es sei viel Propaganda im Spiel. Wer welche Propaganda aussät, ist nicht klar. Terrorisiert die PKK Touristen, damit diese ausbleiben und die Türkei weniger Geld einnimmt? Oder wurden Bombenanschläge auf Touristenzentren gar von den türkischen Truppen verübt und der PKK in die Schuhe geschoben? Wir haben viele Theorien gehört und wissen überhaupt nicht mehr, wem wir was glauben sollen. Tatsache ist, dass sich seit 1984 die Armee und die PKK im Südosten der Türkei einen schmutzigen Krieg liefern, der bis heute (1996) auf beiden Seiten fast 30’000 Menschenleben gefordert hat. Doch nachdem die PKK am Anfang für die Unabhängigkeit des Kurdengebietes gekämpft hat, steht heute nur noch eine kulturelle Selbstbestimmung auf dem Forderungskatalog. Das offizielle Ankara hat seine Haltung dieser neuen Situation nie angepasst. Mit ihrer Vernichtung von über 3500 kurdischen Dörfern in den Jahren 1994 und 1995 waren Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. 25% der Bewohner der Türkei sind Kurden, ein stolzes Volk mit einer eigenen Sprache, Kultur und Geschichte. Saladdin, der den Kreuzrittern die Stirn geboten hat und über den ich in den Kapiteln über Damaskus und Aleppo geschrieben habe, war auch ein Kurde. Erst seit 1991 ist es den Kurden erstmals wieder erlaubt, öffentlich Kurdisch zu sprechen! Man kann darüber diskutieren, ob Touristen wegen ihrer Kurdenpolitik die Türkei boykottieren sollen. Auf einer Broschüre «für ein freies und unabhängiges Kurdistan», die mir noch in der Schweiz zwischen die Finger gekommen ist, habe ich gelesen: «Türkei-Tourismus: Kommen Sie! Wir brauchen Ihr Geld für unseren Krieg in Kurdistan! – Wollen Sie diese Einladung annehmen?» Ich könnte viele Länder aufzählen, die man boykottieren sollte. Was das türkische Militär macht, ist eine Schande. Wie der Genozid an den Armeniern, für den es sich noch nie auch nur inoffiziell entschuldigt hat - wenn überhaupt etwas davon zugegeben. Wir haben es auf unserer Reise allerdings mit der türkischen Bevölkerung zu tun. Und diese Menschen sind sehr freundlich!

Spaziergang durch Fethiye und den Hügel hinauf. Hier leben die Leute noch ländlich, mit grossen Gärten und vielen Haustieren. Wir kommen zu den Gräbern, die im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in die Felsen gehauen worden sind. Da hält ein Dolmus, Sammeltaxi, und nimmt uns mit bis nach Kaya, auf die andere Seite des Hausberges, zur Geisterstadt.

Die verlassenen Ruinen eines früher einmal bewohnten Dorfes sehen in dieser üppig grünen hügeligen Landschaft gespenstisch aus. In einer verfallenen Kirche können wir an der Decke noch bemalte Fresken erkennen.

Gökçe hat uns auf einem Blatt Papier eine Karte gemalt und die schönsten Orte eingetragen, die man von Fethiye aus besuchen kann. Er hat sogar Pamukkale als Tagesausflug vorgeschlagen, eine der Sehenswürdigkeiten der Türkei. Zuerst dachte ich, er wolle uns nur so lange wie möglich in seiner Pension behalten, aber wir sind gerne 7 Tage geblieben!

Wir besuchen Kas, ein malerisches Küstendorf mit Jachthafen und einem weiteren antiken Amphitheater. Ich habe langsam eine Überdosis an Amphitheatern. In Xanthos, das im 4. Jh. v. Chr. Hauptstadt der Lycier war, tummeln wir zwischen den Ruinen von Gräbern, Tempeln und Klöstern umher. Wir versuchen uns vorzustellen, wie es wohl im 8. Jahrhundert vor Christus hier ausgesehen hat, als die Lycier gegen die Truppen General Harpagus unter Cyrus, dem grossen persischen Kaiser, gekämpft hatten; später unter Brutus, und als wiederum Marcus Antonius, der römische Kaiser aufgetaucht ist… Das Traurigste heute an diesem historischen Ort ist, dass gewisse Reliefs, die hier gefunden wurden, sich jetzt im British Museum in London befinden! Ein paar Ziegen klettern zwischen den mit uralten Schriften behauenen Stelen hindurch und machen diesen Ort noch idyllischer.

An einem anderen Tag nehmen wir den Bus nach Ölü Deniz, zum vielleicht schönsten Sandstrand des ganzen Landes. Es liegt in einer kleinen Lagune umgeben von Pinienwäldern. Ich schreibe Briefe an meine Freundinnen und nehme die Wärme der Sonne in mich auf.

Den Tagesausflug nach Pamukkale machen wir tatsächlich auch noch. Wir verbringen dabei am Morgen fünf Stunden im Bus und am späten Nachmittag abermals. Auf der 200 km langen Strecke erreichen wir einen Pass auf 1445 m. Die Strasse ist schneebedeckt! Ich geniesse die an mir vorbeiziehende Landschaft und vom Massentourismus unberührte Dörfer. Jedes dieser süssen anatolischen Dörfchen ist mit dem Minarett einer Moschee gekrönt.

Dafür ist Pamukkale umso touristischer. Der Name bedeutet «Baumwollschloss». Ein riesiger Schleier aus Kalkgestein, der weich über Terrassen herabfällt, mit natürlichen Pools voll blassblauem Wasser und überall Stalagmiten. Eine Traumlandschaft.

Auf dem Heimweg lernen wir Linda aus Australien kennen und nehmen sie gleich mit in unser Lieblingslokal Magri Lokanda. Habe ich schon etwas über das türkische Essen geschrieben? Die türkische Küche ist einer der Höhepunkte einer Reise durch die Türkei. Die kalten Vorspeisen, die Mezze, sind meistens hinter Glas in einer Auslage ausgebreitet, damit einem vor dem Bestellen schon das Wasser im Munde zusammenläuft. Es gibt mehrere pürierte Speisen, wie Baba Khanudsch oder Homoss im arabischen Raum, in Olivenöl gekochte und kalt aufgetragene Auberginen, Zucchettis, Peperonis, Artischocken, Pilze; Yoghurt mit Knoblauch, oder Schafskäse; dann warme Speisen, wieder meistens frisches Gemüse mit Knoblauch, an Tomatensauce, mit Käse überbackenen Kartoffelstock und vieles mehr. Die klassischen Hauptspeisen in teureren Lokalen sind Fleisch- oder Fischspiesse vom Grill und knackige Salate. Dazu immer knuspriges frisch gebackenes Weissbrot und Raki, Anisschnaps. Die türkischen Desserts sind mir persönlich fast ein bisschen zu süss. Sie heissen Baklava, Halva, Kadayif, Hanim Göbegi, Dilber Dudagi, sind mit Pistazien, Mandeln, kandierten Marroni, Haselnüssen oder einfach nur mit Puderzucker bestreut und kleben an den Zähnen.

Nur schon der Gedanke, dass ich Kurt in 43 Tagen wiedersehe, macht mich «high». In meinen Tagträumen bin ich schon mehrere Jahre am Reisen. Ich war noch nie so frei in meinem Leben. Als mir vor drei Jahren fünf Monate unbezahlter Urlaub bewilligt worden war, habe ich während der ganzen Zeit gewusst, dass ich an einem vorher abgemachten Montag wieder im Büro zu erscheinen hatte. Jetzt habe ich einfach Zeit. Ich habe keine Wohnung mehr und meine Möbel verkauft. Kurz vor meiner Abreise sagte ich lachend zu meinen Eltern, dass ich ein Clochard sei: arbeits- und obdachlos!

4In der wunderschönen Stadt Bursa. Sie ist noch viel schöner als Kayseri und Konya und strotzt von osmanischer Architektur. An den Hang gebaut bietet sie eine bessere Aussicht, je höher wir steigen. Wir haben uns im Stadtteil Cekirge, in der sogenannten Residential Area, wo die Reichen hausen, in einem Hotel einquartiert. Direkt neben der ältesten Moschee der Stadt, der Imperial-Moschee aus dem Jahre 1367. In diesem Stadtteil sind auch die meisten heissen Quellen, wegen derer heilenden Wirkung einheimische Touristen hauptsächlich hierher kommen. Auch unser Hotel nutzt im Untergeschoss das Wasser einer Quelle und besitzt ein wunderhübsches grosses Badezimmer mit Marmorfliesen und einer hohen gewölbten Kuppel. In der Türkei werden die öffentlichen Badehäuser wie in anderen islamischen Ländern Hammam genannt. Hier gibt es ein paar ganz hervorragend schöne in osmanischem Stil. Fast jede Stadt in der islamischen Welt hat noch mehrere Hammam. Meistens gibt es separate Abteilungen für Frauen und Männer, sonst ist einfach an gewissen Tagen Frauen- und an den anderen Herrentag. Viele traditionelle Bäder sind jahrhunderte alt.

Bursa wurde im zweiten Jahrhundert von einem König namens Prusia I. gegründet und Prusa getauft. Die Osmanen machten sie 1326 zu ihrer Hauptstadt, bis sie sich Konstantinopel, wie Istanbul früher hiess, schnappten. Heute ist Yesil Bursa, die «Grüne Bursa», wie ihre über eine Million zählende Bevölkerung sie liebevoll nennt, die sechstgrösste Stadt des Landes. Schon unter den Byzantinern war sie für ihre heilenden Bäder berühmt. Mich interessieren aber mehr die grossen religiösen Bauten, die uns die Osmanen hinterlassen haben.

Wir klappern zu Fuss die halbe Stadt ab, schlendern durch sehr alte Stadtteile mit wunderschön verwinkelten, abgeschrägten und zusammengebauten Häusern, die in allen Farben angestrichen sind. Sie besitzen noch die uralten, mit Schnitzkunst verzierten Holztüren und hölzernen Erker. Es gibt zahlreiche Parks und von den Strassencafés innerhalb der Stadtmauern der Zitadelle haben wir eine herrliche Sicht auf die typischen mit roten Ziegeln bedeckten Dächer der Altstadt.

Im Muradiye Komplex sind mehrere Gebäude in einer parkähnlichen Anlage verstreut. Moscheen, Medressen und Mausoleen aus Sandstein und grauroten Backsteinen in wunderschön angelegten Rosengärten. Die Ulu Cami ist eine riesengrosse Moschee mit zwei gigantischen Minaretten und viel Kalligraphie verziert. Sie ist wie alle osmanischen Bauten aus verschiedenfarbigen Steinbrocken gebaut. Die farbigen Glasfenster und der Mihrab, die Gebetsnische, die nach Mekka zeigt, sind hier besonders fein gearbeitet. Die Moschee stammt von Yildirim Beyazit aus dem Jahre 1396. Gleich neben ihr beginnt das Basarlabyrinth, zu dem auch zwei Han gehören, ehemalige Karawansereien. Im Innenhof stehen alte Bäume. Ein offener Pavillon wurde über einem Brunnen gebaut. Jeder Ladenraum um den Hof ist von einer kleinen Kuppel bedeckt. Tauben gurren von all den vielen Kuppeln herab. Ich fühle wieder den Puls der alten Seidenstrasse und bin in Höchstform. Sultane und Derwische geistern in meinem Kopf herum. Die Yesil Cami oder Grüne Moschee ist eine der schönsten, die ich bis jetzt in der Türkei gesehen habe. Sie ist mit äusserst filigranen Steinmetzarbeiten versehen und mit glasierten Ziegeln oder Fayencen verziert. Mit ihrem Bau wurde 1412 begonnen.

Natürlich wollen wir auch mit der Gondel auf den Hausberg, den 2530 m hohen Uludag. Oben liegt ein halber Meter Schnee und die Eiszapfen an der Häuserfront sind ungefähr 40 Zentimeter lang. Wir frieren erbärmlich und die Sicht beträgt nur etwa zehn Meter!

Zurück im Hotel feiern ein paar andere Gäste einen Geburtstag und laden uns spontan zu einem Stück Kuchen ein. Die Leute sind unglaublich freundlich und lieb. Am nächsten Morgen hält sogar ein alter Mann mit seinem Auto an als er sieht, wie wir mit offensichtlich schweren Rucksäcken bestückt zur nächsten Bushaltestelle unterwegs sind. Er nimmt uns in seinem Wagen zum grossen Busbahnhof ausserhalb der Stadt mit, wo wir in einen Bus nach Istanbul steigen.

5Ob Istanbul, Kontantinopel oder Byzanz, diese Metropole ist das Tor zum Osten und seit zweieinhalbtausend Jahren eines der wichtigsten Handelszentren der Welt. Alle Waren, die auf der Seidenstrasse transportiert wurden, seien es in Europa oder in Asien angefertigte, kamen durch Istanbul.

Die multikulturelle Stadt wurde von Persern, Römern, Mazedoniern, Griechen und Kreuzrittern beherrscht. Die Osmanen machten sie nach dem 14. Jahrhundert zum Mittelpunkt eines Weltreiches, dessen Dynastie ausser der Türkei auch Serbien, Bulgarien, Mazedonien und später Ägypten, Mesopotamien, Ungarn und sogar Nordafrika umfasste. Tunis, Tripoli, Kairo, Mekka, Medina, Jerusalem, Damaskus, Aleppo, Bagdad, Athen, alles gehörte zum Osmanischen Reich.

Ich habe mich auf den ersten Blick in Istanbul verliebt, als ich vor einem Jahr zum ersten Mal an den Bosporus kam. Sie ist für mich die schönste und interessanteste Stadt Europas - vielleicht auch, weil sie so uneuropäisch aussieht und mich an das orientalische Morgenland erinnert…

Die Griechen schreiben auf allen Karten immer noch Konstantinopel, um den Türken eins auszuwischen. Als ihr Kaiser Konstantin schon ein paar hundert Jahre tot war, konvertierten viele Griechen zum Islam, die in den Moslems ein kleineres Übel sahen, als im verhassten römischen Papst und seinem Gefolge.

Istanbul zeigt sich uns heute von der besten Seite, mit strahlendem Sonnenschein. Wir wohnen in der Jugendherberge gleich neben der Aya Sofia, im schönsten Stadtteil Sultanahnmet mit vielen Parkanlagen und den besten Sehenswürdigkeiten.

Eigentlich sind all die Moscheen und Paläste nur Dekorationen für das pulsierende Leben in den Strassen, Gassen und Basaren. Seeleute von der Marine flanieren in ihren schneeweissen Uniformen mit dem marineblauen Kragen, alte bärtige Männer mit gestrickten Mützen sitzen auf dem Randstein und diskutieren miteinander, während sie eine rosenkranzähnliche Kette durch ihre Hände gleiten lassen. Frauen mit Kopftuch und langen Röcken stricken Pullover, auf einem Mäuerchen sitzend und an eine Moschee-Wand gelehnt, während die Jugend in Jeans oder Miniröcken mit Hamburgern und Coladosen in der Hand durch die Strassen mit den teureren Designerboutiquen streunt. In einem anatolischen Touristenrestaurant kneten Frauen Brotteig, um ihn in den nächsten Minuten zu Fladenbroten zu verarbeiten. Ein alter Mann balanciert seinen Holzbalken mit 2 Körben links und rechts voll frischer warmer Bagels, die mit einer Sesamkruste überzogen sind, auf dem Kopf, und ruft: «Nefis Sim!». Schuhputzer und –flicker sitzen auf kleinen viereckigen Schemeln, vor sich ihre Utensilien: Bürsten, Farbdöschen, Nadeln, Fäden, Hammer, Leder. Unten bei der Galatabrücke stehen Wasserverkäufer; diese herrlich mit Samt und Goldstickereien und anderen märchenhaften Textilien angezogenen Männer, die Wasserbehälter aus Messing wie einen Rucksack auf dem Rücken tragen und sich vorne die Becher ans Gilet gehängt haben, in denen sie das Wasser an durstige Kunden servieren. Eine Frau grilliert auf einem mitgebrachten Holzkohlengrill Maiskolben und bietet diese zum Verkauf an. Ein kleiner Junge ist wie ein Prinz gekleidet, sein Turban und das Cape, sein Umhang, sind aus Satin und mit Straussenfedern geschmückt, weil heute der grosse Tag ist – er wird wie alle islamischen Buben beschnitten. In einem Hinterhof spielen ein paar Männer Karten. Natürlich rauchen alle, aber auch alle Türken. Der Ausdruck «er raucht wie ein Türke» ist die pure Realität.

Der osmanische Sultan Mehmet II. ordnete im 15. Jahrhundert den Bau eines Bedesten an, nach dem Vorbild der Handelshallen in Bursa. Ein Bedesten ist wie ein Han ein abschliessbares Gebäude, wo die Händler eines Basars ihre kostbarsten und teuersten Güter in Sicherheit aufbewahren konnten. Es gleicht einer Karawanserei und ist mit Kuppeln überdeckt. Der immer mehr erweiterte Kapali Carsi oder überdeckte Basar von Istanbul galt bald in aller Welt als Musterbeispiel mit seinem 32 Hektaren grossen Gebäudekomplex mit zwei Bedesten. Heute umfasst diese fast nur noch von Touristen besuchte «Stadt in der Stadt» 40 Hektaren, besteht aus rund 4000 Dolpa genannten Verkaufsnischen oder Läden und 18 Toren. Es herrscht zwar ein Riesengedränge, aber es macht grossen Spass, durch die Basargassen unter den blau-weiss-rot-bemalten Deckengewölben zu schlendern.

Im Misir Carsisi, dem Ägyptischen Basar in Eminonü bei der Galatabrücke, werden Lebensmittel feilgeboten. Tonnenweise pyramidenförmig aufgeschichtete Oliven, viele verschiedene Käsesorten, Süssigkeiten, Pistazien, frische Früchte, knackiges Gemüse, Gewürze in allen Farben, Tee aus allen Teilen der Welt. Auch die Kaffeerösterei an der Ecke macht ein gutes Geschäft.

Schon Ruy Gonzales Clavijo, der um 1404 als Gesandter König Heinrichs von Kastilien dem grossen Timur und seinem siegreichen Heer nach Samarkand folgte, erwähnte die verschiedenen Ladenstrassen und Warenhäuser Istanbuls. Dieser Basar ist sicher einer der schönsten der ganzen Welt. Fast zu perfekt, denn ich liebe das heruntergekommene Ambiente der Basare von Aleppo und Damaskus fast noch mehr!

Die ganze Halbinsel zwischen der Marmara-See und dem Goldenen Horn, wie die Gewässer am Bosporus genannt werden, bietet ein wahres Freilichtmuseum an osmanischer Architektur. Und doch sprüht diese Stadt vor Leben! Wir besuchen die Aya Sofia, die ursprünglich von Theodosius II. im Jahre 415 als Kirche gebaut wurde, wo sich bereits früher eine von Konstantin dem Grossen befand. Die monumentalste Kirche der Welt! Ich sollte Moschee sagen. Koranverse zieren ihren riesigen Innenraum, ein Minbar ist auch da. Christliche Mosaike zeugen noch davon, dass dieses kolossale Bauwerk als Kirche entstanden ist.

Gleich gegenüber befindet sich die Sultan Ahmed Moschee. Um mit dem Bau 1619 beginnen zu können, musste Sultan Ahmed mehrere Paläste seiner Minister dem Erdboden gleich machen. Er schmückte das neue Gotteshaus mit sechs Minaretten, was eigentlich nur Mekka vorbehalten war. Nach vielen Protesten von Fundamentalisten schickte der Sultan schlussendlich seinen Architekten nach Mekka, um dort ein siebtes Minarett zu bauen, damit wieder Ruhe herrschte! Wie beschreibt man eine Moschee von solcher Grösse und Schönheit? Der Durchmesser der Hauptkuppel beträgt 23,5 Meter, sie ist 43 Meter hoch! 21’043 blaue gebrannte Kacheln schmücken ihre Wände. Die Dachkonstruktion mit ihren unzähligen Kuppeln auf verschiedenen Höhen ist kaum in Worte zu fassen.

Abends treffen wir uns mit Halim, einem 26jährigen Türken, den ich voriges Jahr kennengelernt habe. Er arbeitet in einem Hotel und hat mir damals an der Bar Drinks gemixt. Er spricht praktisch kein Englisch, ist aber ein lustiger junger Mann. Mit viel Gestik verstehen wir uns. Wir gehen in eines der unzähligen feinen Lokandas im Stadtteil Taksim zum Abendessen. Anschliessend zeigt er uns seinen Stammklub, die Rockbar «Kemançi», wo sich langhaarige türkische Rocker herumtreiben und zu lauter Live-Musik tanzen.

Am nächsten Tag entdecken wir das «Pera Palace Hotel», das 1892 gegründet worden war, um den reichen Reisenden der legendären «Orient-Express»-Luxuseisenbahn nach ihrer Ankunft eine angemessene Unterkunft bieten zu können. Auf der Gästeliste standen der Schah von Persien, Mata Hari, Greta Garbo, Agatha Christie und Jackie Onassis… Leider nicht unser Budget! Aber ich lasse es mir nicht nehmen, in solchen Etablissements an der Mahagoni-Bar in bequemen Sesseln unter Kronleuchtern einen Drink zu genehmigen.

Dann fahren wir durch den Tünnel mit der kürzesten U-Bahn der Welt, ganze 600 Meter lang, und steigen auf den über 600 Jahre alten Galataturm, um eine sensationelle Aussicht über das Goldene Horn, die Galatabrücke und die Halbinsel mit dem Topkapi-Palast zu geniessen.

Der Dolma Bahçe Palast von Sultan Abdül Meçit ist fast ein bisschen zu kitschig geraten. Irgendwie passt er jedoch zur Dekadenz der letzten Sultane, bevor Mustafa Kemal alias «Atatürk» die Türkische Republik 1923 ausgerufen, die Kalifen und Sultane abgeschafft und das schweizerische Gesetz praktisch Wort für Wort übernommen hat (OR und ZGB).

In Ortaköy gibt es viele kleine Strassencafés, die ihre Tische und Stühle auf den Vorplatz gestellt haben. Von hier aus bewundern wir die grosse Bosporusbrücke, die zum asiatischen Stadtteil führt. Hier treffe ich auf eine Freundin aus Zürich, die mit mir an der Börse gearbeitet hat. Was für ein Zufall! Wir gehen mit ihr, ihrem türkischen Ehemann und Halim zum Abendessen und wieder in die Kemançi-Bar.

Als ich heute meine Eltern anrufe, erzählen sie mir, dass meine beste Freundin Astrid sich entschlossen hat, nächsten Monat auch in den Iran zu kommen und uns drei Wochen zu begleiten. Ich freue mich riesig auf sie! In zwei Wochen werden wir uns in Teheran treffen und in fünf Wochen werde ich Kurt wiedersehen!

Um ein bisschen aus der Hektik der Millionenstadt mit ihren hupenden und stinkenden Autokolonnen und dem Gedränge der Basars auszubrechen, machen wir einen Ausflug zu den Prinzeninseln. Wir treffen uns mit Halim beim Bootssteg in Eminonü und besteigen ein Ausflugsschiff. Erst bei der vierten und grössten Insel, der Büyük Ada, gehen wir von Bord. Es ist eine ruhige Insel. Auf unserem mehrstündigen Spaziergang begegnen wir nur drei Autos, ansonsten sind die Menschen mit Pferdekutschen und Fahrrädern unterwegs. Die Reichen Istanbuls haben hier ihre Ferienhäuser: Schöne alte Kolonialstilvillen aus Holz und Marmor, mit Säulen, Terrassen und riesigen Gärten. Pinienwälder bedecken Teile der Insel und bilden einen grossen Kontrast zu Istanbul mit seinem ständigen Verkehrschaos.

Wir kaufen Brot, Käse, Oliven und Getränke und picknicken auf einer Parkbank. Auf dem Rückweg in die Stadt lernen wir auf dem Schiff einen Inder aus Hyderabad, einen Pakistani aus Kaschmir und einen Palästinenser aus dem Libanon kennen, die alle in Saudi-Arabien arbeiten. Der Inder lädt mich zu seiner Hochzeit ein, die nächstes Jahr in Hyderabad stattfindet. Mal schauen, ob ich es einrichten kann, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.

Am letzten Tag nehmen wir uns mit Halim den Topkapi vor. Er ist schlechthin der architektonische Höhepunkt in Istanbul, der Sultanspalast, wie man sich einen orientalischen Palast vorstellt. Rosengärten sind in den Innenhöfen angelegt worden, es gibt Arkadengänge mit Säulen, mit Arabesken geschmückte Holzportale, Fensterläden, die mit Elfenbein, Perlmutt und Schildpatt eingelegt sind (was mir zwar zutiefst zuwider ist, aber sie sind vor ein paar hundert Jahren entstanden, als diese Materialien noch arglos zu Kunstgegenständen verarbeitet wurden). Zahlreiche Wände sind mit den wunderbarsten Fayencen in Blautönen überzogen, Pavillons ganz in Marmor. Einen Harem gibt es und Palastküchen mit chinesischem Porzellan, das auf Kamel- und Pferderücken auf der Seidenstrasse seinen Weg hierher gefunden hat.

In der Bibliothek sind zahlreiche uralte Bücher ausgestellt, unter anderem auch verschiedene Ausgaben des Korans. Sie sind mit meisterhaften, meist goldenen Kalligraphien bemalt. Unter den vier Disziplinen der Buchmacherei – dem Binden, der Illumination, Illustration und Kalligraphie - genoss die Kalligraphie immer das höchste Ansehen. Das Papier wurde von den Chinesen erfunden und im Islam zuerst in Samarkand produziert. Die erste grosse Papiermühle wurde im Jahre 795 in Bagdad errichtet, das erste Buch aus Papier 870 gedruckt. Der Koran besteht aus 114 Suren oder Versen, die ungefähr 500 Seiten mit 6666 Sätzen und 378’751 Buchstaben füllen. Es dauert etwa ein Jahr, bis ein geübter Schreiber den Koran kopiert hat. Ibn al-Bawwab, der im 11. Jahrhundert gelebt hat und Meister der Kalligraphenschule von Bagdad war, soll in seinem Leben 500 Korane geschaffen haben!

Die Aussicht von dieser auf einem Hügel stehenden Festung auf den blauen Bosporus und die pulsierende Stadt ist unvergesslich.

6Via Samsun und Giresun fahren wir in drei Tagen fast der ganzen türkischen Schwarzmeerküste entlang nach Trabzon. Es wimmelt überall von russischen Händlern, die sich mit Ware eindecken, um diese in der Ukraine, Russland, Weissrussland, Aserbaidschan, Georgien oder Armenien zu verkaufen. Auf die freie Marktwirtschaft nach Glasnost und Perestroika! In den Hotels sprechen die Türken schon recht gut Russisch. Es ist nicht mehr so leicht, in Trabzon ein anständiges Hotel zu finden; die russischen Bisnesmeny haben auch die Prostitution angekurbelt.

Jahrhundertelang war der Name der Stadt Trapezus. Sie befand sich in griechischen Händen. In der byzantinischen Periode hiess sie Trebizond und sämtliche Karawanen von Persien und weiter östlich, die Waren für Europa mit sich führten, kamen auf der Seidenstrasse hier durch.

Trabzon ist, einmal vom Verkehr abgesehen, eine angenehme Stadt mit vielen schattigen Parks, Strassencafés, und einem herrlichen lebendigen Basar mit einer Moschee und einem Bedesten in seiner Mitte.

Etwas ausserhalb steht noch eine grossartige Kirche, die auch Aya Sofia heisst und von einem Kaiser namens Manuel Comnenus im Jahre 1245 gebaut wurde. Sie ist eine der letzten Kirchen, die die Griechen hinterlassen haben, bevor ihre Zeit in Anatolien abgelaufen war. Mit ihren bemalten Fresken von Adam und Eva, der Jungfrau Maria und den Wundern von Jesus gilt sie als bekanntestes Gebäude von Trabzon.

Weil wir bald in den Iran kommen und ich nicht weiss, ob man dort mit American Express Travellers Cheques bezahlen kann, wechsle ich in einer Bank ziemlich viel Reiseschecks in USD-Bargeld. Mir ist zwar nicht sehr wohl, aber die Jünger Khomeinis verdammen so ziemlich alles Amerikanische. Da will ich auf Nummer sicher gehen und nicht eines Tages in der Islamischen Republik Teller waschen müssen.

So oft wir uns Türkische Lire geben lassen, kriegen wir mehr für unsere Dollars. Die hiesige Inflation galoppiert wie in Brasilien! Doch was uns Touristen freut, ist der Einheimischen leid; der Wert ihres Geldes sinkt…

Ich rufe Astrid an, um sie zu fragen, ob mit ihrem Visum für den Iran alles klappt. Sie teilt mir mit, dass unser Flug von Teheran nach Aschkhabad vom 2. auf den 5. Juni verschoben worden ist. Die Reiseagentur in Teheran hat ihr das telefonisch mitgeteilt. Ich schreibe schnell ein Telegramm an Kurt: «Ankunft Aschkhabad Juni 5, Seni Seviyorum». Für die Entschlüsselung der türkischen Wörter hat er dann ein Döner-Kebab-Restaurant angerufen.

Nach dem Frühstück nehmen wir einen Bus nach Maçka und durch ein Seitental in die Berge. Leider sind wir noch etwas zu früh, um die Rhododendronbüsche in voller Blüte erleben zu können.

Das byzantinische Kloster Sümela thront auf einem 270 Meter hohen steilen Berg. Eigentlich klebt es am Berg, an der Felswand. Es geht durch ein lichtes Pinienwäldchen, unter unseine tiefe Schlucht, durch die ein tosender Fluss rauscht. Das Gebirge auf der anderen Talseite ist schneebedeckt. Zum Glück verkauft ein ganz schlauer Geschäftemacher vor dem Kloster kalte Getränke. Ich glaube, ich hätte ihm nach diesem steilen Aufstieg jeden Geldbetrag für ein Fläschchen gegeben!

Das Kloster ist im 4. Jahrhundert gegründet worden. Die bemalten Fresken stammen aus dem 9. Jh. Mir imponiert aber mehr seine Lage. Über eine Holztreppe können wir hinein klettern. Eigentlich besteht es nur aus einer imposanten Wand, die parallel zur Felswand gebaut wurde. Es ist vielleicht 200 Meter lang, aber nur höchstens 20 Meter breit. Wir bekommen einen Bergarbeiterhelm auf den Kopf, weil überall gearbeitet und renoviert wird.

Die Aussicht von diesem «Adlernest» ist atemberaubend und erinnert mich mit seinen Tannenwäldern und dem noch verbliebenen Schnee des letzten Winters an den Norden Kirgistans oder an die Schweizer Alpen um den Frühlingsanfang.

Am nächsten Tag verlassen wir Trabzon, fahren in die Berge und über den legendären 2025 Meter hohen Zigana-Pass. Wir befinden uns jetzt genau auf der Seidenstrasse. Die Bauernhöfe und Siedlungen stehen immer weiter voneinander entfernt. Sie sind von weitem an den Pappeln zu erkennen, die sie umgeben. Am Anfang säumen noch Haselsträucher und Tannenwälder unseren Weg. Als wir über die Baumgrenze kommen, liegen Schneeflecken auf den Wiesen. Beim Aufstieg auf einen zweiten, diesmal sogar 2200 Meter hohen Pass schleicht unser Bus nur noch im Schritttempo um die Haarnadelkurven. Oben angekommen werden wir mit einer weiteren herrlichen Aussicht auf die nordostanatolischen Gebirgsketten belohnt. Später kommen wir wieder durch tiefe Schluchten mit hohen Felsen und durch süsse kleine Dörfer.

In Bayburt, einem Provinzstädtchen mit ca. 30'000 Einwohnern, beschliessen wir, die Fahrt für heute zu unterbrechen. Bayburt liegt auf 1550 m in einer kahlen, sehr trockenen Landschaft, eingebettet zwischen schneebedeckten Bergen. Eine Schlossruine thront auf dem Hügel im Hintergrund.

Wir finden ein schönes grosses Zimmer mit Bad und fliessendem heissem Wasser im Hotel Sevil für weniger als das Abendessen vom Vortag und machen uns zu Fuss auf, den Ort zu erkunden und die Burgruine zu besichtigen. Ein Polizeiwagen nähert sich und ich halte den Daumen raus. Die Polizisten halten prompt und nehmen uns mit. Eine Schar junger Buben redet uns stolz mit den wenigen englischen Wörtern an, die sie kennen. Ich schaue lange in alle Himmelsrichtungen und geniesse die Abgeschiedenheit der Berge. Die Türkei, ich liebe sie, und zwar vor allem diese östliche Ecke Anatoliens!

Zurück in den Strassen Bayburts laden uns zwei alte bärtige Männer zu Apfeltee ein. Im Nu sind wir von einer Gruppe von Leuten umzingelt. Einer spricht deutsch und ein anderer kann etwas Französisch. Jeder fragt uns, woher wir kommen. Anscheinend fahren Touristen meist nur durch. Selten verirrt sich einer in dieses Städtchen. Wir sind die Attraktion des Dorfes. Die Buben empfehlen uns eine gute Lokanda. Der vielleicht achtjährige Ismail begleitet uns dorthin. Ich lege den Arm um seine Schultern und er ist ganz stolz.

7Die letzten 125 Kilometer nach Erzurum sind atemberaubend. Den Pass, über den wir heute fahren, schätze ich auf 2500 Meter, der Zigana Dag jedenfalls ist über 3000 Meter hoch. Vom Pass erblicken wir eine riesige Hochebene, umschlossen von Bergen, die alle im obersten Drittel mit Schnee verzuckert sind. Es sind die Panandöken- und Coruhgebirge, wo sich die Quellen des Euphrat und Tigris befinden, die sich in den Persischen Golf ergiessen und wo der Aras, der in den Geschichtsbüchern noch unter seinem alten Namen Araxes erwähnt ist, seinen Ursprung hat und in das Kaspische Meer fliesst.

Erzurum ist mit seiner Lage auf ca. 1950 m die höchste Provinzhauptstadt der Türkei. Weil das anatolische Plateau vom Mittelmeer bis zum Berg Ararat ständig ansteigt, haben die Menschen dieses Gebiet hier vor langer Zeit «das Dach der Welt» genannt. Im Winter kann die Temperatur hier oben bis 40° C unter den Gefrierpunkt sinken.

Durch diese wichtige Karawanenstadt zogen um 1900 noch jährlich 40’000 beladene Kamele nach Persien. Im 4. Jahrhundert lag Erzurum an der Grenze zwischen dem Byzantinischen Reich und Persien und hiess Theodosiopolis. Nach einer kurzen Besetzung durch die Sassaniden fiel sie wieder zurück an die Byzantiner und wurde in Anastasiapolis umgetauft. Später nannte man sie Karin, bis die Seldschuken einfielen und ihr den Namen Arz er-Rum gaben. Im 14. Jh. kam Timur und brachte Tod und Verderben. Hundert Jahre nachher wurde sie dem Osmanischen Reich einverleibt. Im letzten Jahrhundert belagerten die russischen Truppen des Zaren Erzurum drei Mal. Ich bin froh, dass ihnen die Eroberung nicht gelungen war, sonst hätten die Sowjets nach der grossen Kulturrevolution auch hier die typischen Architekturvergewaltigungen vorgenommen, die man über 11 Zeitzonen verteilt überall in der ehemaligen Sowjetunion vom Finnischen Meerbusen bis in den Fernen Osten findet.

Von weitem sieht Erzurum eher hässlich aus, aber seine Lage, eingekreist von schneebedeckten Dreitausendern, macht es mystisch. Als wir etwas später durch die Strassen flanieren, gefällt es uns sehr gut.

Unser Hotel ist eine düstere dunkle Absteige, passt aber hierher. Ich fühle die Seidenstrassen-Nostalgie in mir aufkommen. Die Altstadt ist klein, wir können uns alles zu Fuss anschauen. Die Cifte Minare Medrese, eine Koranschule, die die mongolische Prinzessin Huant der Stadt zum Geschenk gemacht hat, ist ein Meisterstück der seldschukischen Architektur. Mit zwei Minaretten bestückt, wie sie sonst in der Türkei nicht vorkommen. Es sind keine langen, schmalen wie im Westen, sondern dicke, wuchtige, mit einer stumpfen Spitze. Leider können wir nicht in das Innere der Medresse - das mit schönsten Mustern in Stein gemeisselte Eingangsportal ist abgeschlossen. Dahinter befinden sich drei Grabtürme, die wie die Medresse aus dem 13. Jahrhundert stammen. Die Ulu Cami ist eine 1179 von Emir Abdül Muhammad erbaute Moschee, gross und leer, praktisch ohne Verzierungen. Erst später arbeiteten die Bauherren mit Fayencen.

Auch die Yakutiye Moschee und Medresse wurde unter den Mongolen im 13. Jahrhundert gebaut. Ihr Minarett ist wieder dick und kurz und mit einem zauberhaften Muster aus kleinen Backsteinen verziert, das mich ein bisschen an die Minarette von Bukhara erinnert.

Leider regnet es oft und wir sind froh, den Teppichhändler Nuri und ein neuseeländisches Paar kennen zu lernen und mit ihnen in Nuris Teppichladen Tee zu trinken. Die türkischen Kelims gefallen mir ausserordentlich gut. Aber ich kann mich (hier noch) beherrschen und kaufe keinen. In einem Kleiderladen erstehe ich ein langärmeliges baumwollenes, langes Herrenhemd für den Iran, weil ich dort keine Haut zeigen darf, aber auch nicht mit einem langen Mantel herumzulaufen gedenke.

Der Basarbezirk erstreckt sich über mehrere Gassen und der Höhepunkt ist ein Bedesten, Rüstem Pasha Carsisi, in dessen kleinen Verkaufsnischen viele alte metallene Reliquien aus vergangenen Zeiten verkauft werden. Es ist die wohl romantisch-altmodischste Trödlerladenansammlung der Türkei. Am liebsten hätte ich wieder alles zusammengekauft!

8Dogubeyazit habe ich mir als hässliches kleines Grenzkaff am Ende der Welt vorgestellt. Falsch! Wir kommen nicht mehr los von dieser kleinen übersichtlichen Stadt am Fusse des 5165 Meter hohen Berges Ararat und seinen herzlichen Kurden. Und lernen viele neue Freunde kennen.

Schon die 260 km lange Busfahrt über die ostanatolische Hochebene ist herrlich. Am ersten Abend entdecken wir einen englischen zweistöckigen Touristenbus. Ich spreche einen jungen Mann an, der am Rucksäcke ausladen ist. Er ist mit sechzehn anderen jungen Leuten aus Australien und Neuseeland mit diesem Bus von Kathmandu nach London unterwegs. Eine wilde und ausgeflippte Schar! Sie sind soeben aus dem Iran eingereist und haben seit über zwei Wochen keinen Alkohol mehr getrunken. Das müssen sie natürlich mit einer lauten Party in der Hotelhalle nachholen!

Am zweiten Tag nehmen uns drei Kurden mit zum Ishak Pasha Saray, der majestätisch auf einer Höhe von 2220 m an den Flanken eines Berges thront. Leider sieht man von hier den Berg Ararat nicht, aber die Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Gebirge ist trotzdem gigantisch.

Der Ishak Pasha Palast ist nicht sehr alt, erst im 18. Jahrhundert entstanden. Schon lange standen hier Paläste der Herrscher und Feudalherren. Das alte Dogubeyazit befand sich früher hier oben am Berg, bevor es von den Russen anfangs dieses Jahrhunderts verwüstet worden war. Die Gouverneursfamilie, die diesen letzten Palast baute, war einem Sultan untergeben, der weit weg von hier wohnte. Sie wollte womöglich den Karawanen imponieren, die hier an einem Seitenarm der Seidenstrasse durchgezogen sind.

Das hohe Eingangsportal sieht wie das einer Medresse aus und ist mit pompösen Steinmetzarbeiten versehen. Die Moschee besitzt eine grosse runde Kuppel aus dunkelbraunem Sandstein. Ihr Minarett ist gestreift, aus rotbraunen und ockerfarbenen Sandsteinbrocken. Leider ist der ganze Palast ziemlich verfallen. Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie es in all diesen Räumen einmal ausgesehen hat. Es gab einen Audienzsaal, eine Bibliothek und Schlafstellen für die Wächter. Wo einmal gekocht worden war, ist die Decke noch russgeschwärzt. Einen Harem gab es, einen mit Säulen geschmückten Speisesaal, ein paar mit offenen Feuerstellen zum Heizen versehene Schlafgemächer und auch einen Hammam. Das Gemisch aus armenischen, georgischen, islamischen und osmanischen Stilrichtungen ist einerseits kitschig, andererseits trotzdem schön und wirkt vor allem in dieser mystischen Landschaft sehr romantisch.

In einem kleinen Teehaus weiter oben mit Blick auf den Palast erzählen uns die Kurden, dass ihre Geschäfte mit den Touristen seit vier oder fünf Jahren schlecht gehen. Die Touristen bleiben aus weil sie Angst vor terroristischen Anschlägen haben. PKK-Kämpfer befänden sich am Ararat und der Alpinismus sei völlig zum Erliegen gekommen. Viele Reisebüros mussten schliessen und die verbliebenen Hotels ihre Zimmer zu Spottpreisen anbieten.

In unserem Zweisternhotel «Ishak Pasha» haben wir ein sauberes Zimmer mit Bad für umgerechnet sechs Dollar. In der Hotelhalle ist immer viel Betrieb und wir lernen die beiden Kurden Turan und Zafer kennen. Am Abend nehmen sie uns und Abbie und Mark aus England zum «Murat Camping» mit, einem kleinen Haus mit Restaurant und einem grossen Garten mit Campingmöglichkeiten, gleich unterhalb des Ishak Pasha Palastes. Wir stehen alle draussen unter dem Sternenhimmel und schauen auf die Lichter von Dogubeyazit hinunter. Traumhafte Nacht mit vielen Sternen.

Abbie und ich sind die einzigen zwei Frauen unter etwa 15 Männern, aber das macht nichts, denn den kurdischen Volkstanz, den wir an diesem Abend lernen, tanzt man im Kreis. Nuri spielt Musik auf einem Synthesizer und wir tanzen alle dazu. Unsere kurdischen Freunde laden uns zu Fisch, Chips, Salaten und Brot ein, wir müssen nur die Getränke bezahlen. So ein Abend ist für sie kein Geschäft, aber es geht ihnen auch gar nicht darum.

Tagesausflug ins Herz Kurdistans zum Van-See. Heute am dritten Tag sehen wir zum ersten Mal den Ararat ohne Wolken und in voller Grösse in der Sonne leuchten. Auch der «kleine Ararat» an seiner Seite ist stolze 3890 m hoch! Unser Minibus fährt über die erst 1990 durch dieses einsame Nomadengebiet angelegte Strasse auf einen Pass, von dem wir eine atemberaubende Aussicht über diese endlose Berglandschaft geniessen. Wir überqueren eine weitere Hochebene mit kleinen kurdischen Dörfern, wo Menschen armselig in kleinen Hütten wohnen, Hirten Schafherden vor sich her treiben und Pferde grasen. In Muradiye, einem grösseren Dorf, heisst es Endstation Minibus. In Dogubeyazit hat man uns gesagt, unser Busbillet gelte bis Van!

Wir schlendern durch das Dorf und fallen auf - wahrscheinlich kommt hier selten ein Ausländer vorbei. Alle Leute grüssen uns freundlich und die Kinder winken uns zu. Am anderen Ende des Dorfes stellen wir uns wieder an die Hauptstrasse. Ein Kurde aus Hakkari hält an und nimmt uns mit. Nach 100 km kommen wir an den Van-See. Er liegt auf 1727 m, eingebettet in eine Berglandschaft mit zwanzig Gipfeln, die höher sind als 3000 Meter. Der Süphan Dag ist sogar 4058 m hoch. Der See ist von einem wunderbaren klaren Blau. Auf den saftigen grünen Wiesen an seinen Ufern, die einen schönen Kontrast bieten, grasen Schaf- und Kuhherden. Von Zeit zu Zeit kommen wir an einem kleinen Dörfchen vorbei, dessen Minarett der einzigen Moschee aus dem roten Dächermeer heraussticht.

Erst gegen halb ein Uhr nachmittags kommen wir in die Stadt Van und bedanken uns beim netten Fahrer. Zuerst gehen wir in die Büros der privaten Busgesellschaften, um uns zu erkundigen, wann der letzte Bus heute zurück nach Dogubeyazit fährt. «In einer halben Stunde», antwortet man uns hinter den Schaltern! Na prima, wir sind vier Stunden unterwegs gewesen, um eine halbe Stunde in Van zu sein! So schlimm ist das eigentlich gar nicht, denn die Fahrt war schöner gewesen als die Stadt an sich. Wir kaufen uns ein Sandwich, setzen uns in ein Strassencafé und warten auf unseren nächsten Bus.

Mit dem nächsten Bus fahren wir fast 90 km oder vielleicht ein Viertel am Ufer des wunderbaren Van-Sees entlang nach Erçis und weiter via Patnos nach Agri. Das ist ein grosser Umweg, aber am Nachmittag nehmen keine Busse mehr den kürzeren Weg über die Berge. Irgendetwas Gefährliches liegt in der Luft. Heute sind sicher acht Mal Polizisten in den Bus gestiegen und haben Reisepässe und Identitätskarten kontrolliert. Unsere Schweizer Pässe, die wir ihnen hinhalten, nehmen sie nicht einmal in die Hand. Die Einheimischen werden alle kontrolliert.

Anstatt in Agri auf einen anderen Bus zu warten, machen wir wieder Autostopp. Diesmal nimmt uns ein Lastwagen mit. Der Fahrer spricht nur Türkisch. Mit den vielleicht 25 Wörtern, die ich kenne, finde ich heraus, dass er unterwegs nach Aschkhabad in Turkmenistan ist. Er hat Marmor geladen um ihn dort zu verkaufen. Auf der Rückfahrt wird er mit Textilien beladen sein. Nach den über 20 Tagen, die er ohne seine Frau und Kinder, die in Istanbul wohnen, auskommen muss, wird er sie aber für ein paar Tage an die Südküste in die Ferien mitnehmen, er wird dann eine Woche frei haben. Er ist ganz allein unterwegs und schläft in der Fahrerkabine, trifft sich aber immer mit anderen Lastwagenfahrern auf «Autobahnraststätten», wo sie zusammen kochen und essen.

Erst am späten Abend kommen wir ins Hotel zurück. An der Bar in der Lobby ist was los! Zwei ältere britische Ladies, drei Holländer und ein palästinensisches Paar sind angekommen. Die Palästinenser besitzen, wie auch Suhails Familie aus Damaskus, keinen Reisepass, sondern nur ein sogenanntes Travel Document, mit dem sie nicht weit kommen. Um ihren Urlaub in der Türkei zu verbringen, hat es gerade noch gereicht. Sie wohnen in einem von den Israelis besetzten Gebiet.

Im Report S/14268 des UNO-Sicherheitsrates vom 25. November 1980 weist die UNO-Kommission darauf hin, dass Israel entsprechend den UNO-Resolutionen die demographische Zusammensetzung der besetzten Gebiete nicht verändern darf und dass der Bau von Siedlungen in den besetzten Gebieten nicht erlaubt sei. Dem Report ist auch zu entnehmen, dass Israel bezüglich der Einhaltung der Resolutionen von der UNO mehrfach gemahnt worden ist. Doch seit 1980 hat sich an der Haltung Israels immer noch nichts geändert. Es ist nichts Neues, dass die UNO die Staaten Israel, Irak und Iran unterschiedlich behandelt!

Auch drei Iraner, die sehr gut Englisch sprechen, sitzen an der Hotelbar. Einer arbeitet in den USA und ist jetzt mit seinem Bruder auf dem Weg in den Iran, um seine Verwandten zu besuchen. Er gibt uns grosszügig seine Telefonnummer von Teheran und sagt, wir sollen uns melden, wenn wir dort seien. Der Dritte, Saeed, ist ein Geschäftsmann aus Teheran, der wie schon Marco Polo vor 700 Jahren mit Safran handelt. Marco Polo reiste noch mit einem gepressten Safranziegel, Saeed hat seine kostbare Ware in kleine Plastikdöschen verpackt, dreisprachig beschriftet und reist mit Aktenkoffer und Krawatte. Auch er gibt uns seine Adresse und Telefonnummer mit den Worten, wir sollen uns unbedingt bei ihm melden. Jeder von uns Touristen trinkt noch ein paar Gläschen Raki mehr als sonst, weil wir alle bald in den Iran einreisen, wo kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden darf.

Murat und Zafer hängen ebenfalls in der Hotelhalle herum und überreden mich, noch einen weiteren Tag zu bleiben. Murat gehört das Camping, wo wir jeden Abend zu kurdischer Musik tanzen. Er schmuggelt Alkohol auf Pferderücken nachts über die Grenze in den Iran und redet offen darüber, dass er die PKK unterstützt. Er erklärt mir auch, dass alle Kurden die PKK unterstützen. Ich weiss nicht mehr, wem ich glauben soll. Turan hat mir vor ein paar Tagen die Theorie andrehen wollen, dass es sich bei der PKK um Armenier handelt! Alles was ich mit Sicherheit weiss, ist, dass alle Kurden, die ich bisher kennen gelernt habe, sehr lieb sind.

Nach fast sechs Wochen verlassen wir am 9. Mai die Türkei und fahren mit einem Minibus von Dogubeyazit die letzten 45 km an die iranische Grenze. In einem Vorzimmer verkleide ich mich mit dem Hedschab, einem Kopftuch, das ich vorne zusammenbinde, damit man ausser meinem Haar auch meinen Hals nicht sehen kann und ziehe das langärmelige Männerhemd von Erzurum an, das bis fast zu meinen Knien reicht, «sodass Arme und Beine ausreichend bedeckt und die Körperformen durch den Schritt nicht auf sexuell aufreizende Weise betont sind» (aus einer Tourismusbroschüre). Ein Tschador (wörtlich „Zelt“) ist nicht zwingend vorgeschrieben. Das bodenlange rechteckige Tuch wird über den Kopf gestülpt und muss mit beiden Händen zusammengehalten werden.

Ein Zöllner wühlt in meinem Rucksack und nimmt alle Bücher, die ich zuunterst hineingebettet habe, einzeln hervor. Aber in knapp einer halben Stunde sind alle Formalitäten erledigt. Wir sind drin. In der Islamischen Republik Iran!

Tschai Khana

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