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Syrien: Freundschaft und Basare aus 1001 Nacht

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1Dimaschq asch-Scham, wie Damaskus auf arabisch heisst, wird von Dichtern ”Diamant der Wüste”, ”Braut der Erde” oder auch ”Mutter aller Städte” genannt und immer wieder mit dem Garten Eden gleichgesetzt. Damaskus bildete schon im 7. Jahrhundert als Regierungssitz der omaijadischen Kalifen den Mittelpunkt eines Weltreiches. Es diente Nureddin und Saladdin als Residenz und Ausgangspunkt für den Kampf gegen die Kreuzritter und 800 Jahre später den arabischen Nationalisten als heimliche Hauptstadt. Von hier aus organisierten sie ihren Widerstand gegen die osmanischen, britischen und französischen Besatzer.

Damaskus gilt als die älteste permanent bewohnte Stadt der Welt und ist im Laufe ihrer vieltausendjährigen Geschichte häufig von Erdbeben erschüttert und von Seuchen entvölkert, geplündert und niedergebrannt worden. Sie hat sich aber stets wieder aus der Asche erhoben und gilt als Inbegriff hoher Stadtkultur. Ausserdem hatte sie eine grosse Bedeutung als Handelsstation im internationalen Karawanenverkehr.

Das heutige Syrien ist von Frankreich und Grossbritannien, den Siegern des ersten Weltkrieges, geschaffen worden. Die neue Republik ist nur ein Teil dessen, worunter sich Römer, Osmanen und frühere europäische Reisende ”Syrien” vorstellten. Früher gehörten zu ”Gross-Syrien” das Taurusgebirge der Türkei, die Länder bis zum Euphrat im Osten, die arabische Wüste im Süden und das Mittelmeer im Westen. Die Bewohner von Syrien, dem Libanon, Jordanien und Palästina haben sehr viel gemeinsam in Kultur und Sprache.

Bevor unser Bus in den Busbahnhof einbiegt und hält, frage ich die gut aussehende Frau vor mir, ob sie meine jordanischen Dinars, die ich übrig habe, gegen syrische Pfund eintauschen möchte. Sie erklärt mir in gebrochenem Englisch, dass wir mit ihr auf ihren Mann warten sollen, der sie abholen werde, er könne uns sicher weiterhelfen. Suhail ist 40 Jahre alt und Palästinenser. Er führt ein eigenes Geschäft und spricht sehr gut Englisch. Seine bildschöne Frau Ekhlas ist Irakerin und auch schon 40, sieht aber aus wie 30. Sie kochen nicht nur Tee, sondern tischen gleich ein ganzes Mittagessen auf. Nach ein paar Stunden beisammensitzen und plaudern laden sie uns grad zum Bleiben ein.

Ihre Wohnung ist sehr modern und mit Stil eingerichtet. Drei Schlaf-, zwei Wohn- und sogar zwei Badezimmer mit allem Luxus. Eine grosse Terrasse geht über zwei Seiten des dreistöckigen Mehrfamilienhauses. Ihr ältester Sohn Ahmad ist 16 und spricht auch schon ein bisschen Englisch. Er überlässt uns sein Schlafzimmer und geht zu seiner kleinen Schwester Farah, die 10 Jahre jung ist und wie eine wahre Prinzessin aussieht, und zum 5-jährigen Bruder Ali ins Kinderzimmer. Wie in allen arabischen Ländern werden die Eltern nach dem Namen ihres ältesten Sohnes angesprochen, d.h. die Mutter dürfen auch wir ”Umm Ahmad” (”Mutter des Ahmad”) und den Vater ”Abu Ahmad” (Abu steht für Vater) nennen. Nach ein paar Tagen nennen wir uns alle gegenseitig sowieso nur noch ”Habibi”, bzw. die weibliche Anredeform ”Habibeti”, was man mit ”Liebling” übersetzen kann.

Erst am späten Nachmittag fahren wir wieder in die Innenstadt von Damaskus. Wir sehen uns die wunderbare Altstadt an, die von der UNESCO auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt worden ist. Jahrhundertealte Balkone aus Lehm und Pappelholz und von Ästen gestützte Erker verzieren die Häuser der engen und sehr pittoresken Gassen. Moscheen und Koranschulen mit riesigen Innenhöfen mit Springbrunnen und üppigem Grün laden zum Verweilen ein. Immer wieder bewundern wir die dekorativen antiken Kupferlampen, Torbögen und runden Fenster. Kinder spielen in den Gassen, Katzen springen von einem Dach zum anderen. Wir schlendern zur Madrasa an-Nuri von König Nour Addeen al Shaheed, der von 1118 bis 1174 lebte und ganz Saudiarabien und Ägypten beherrschte, und besichtigen das Dar Anbar, eine Residenz einer Gouverneursfamilie, mit drei Innenhöfen, jeder mit Springbrunnen, Zitronen- und anderen Bäumen, Blumentöpfen und den in Damaskus immer wiederkehrenden Steinmosaiken aus schwarzem Basaltgestein, gelben und weissen Sandsteinblöcken. Im Beit Mirza, einer weiteren Residenz eines reichen Paschas, sind hunderte von Stühlen bereit gestellt worden, weil am Abend eine Hochzeit stattfinden wird. In den Khan Suleiman Pasha, eine Karawanserei im Basar, dürfen wir nicht hinein, weil sie gerade renoviert wird. Dasselbe im Khan As’ad Pasha, einem Khan (Karawanserei) eines Gouverneurs aus dem Jahre 1749.

Der grosse Basar ist eine richtige Stadt in der Stadt und ein malerisches Labyrinth aus Werkstätten und Läden. Parfüms, Gewürze, Süsswaren, Schmuck, Stoffe, Kleider, Antiquitäten, Holzwaren, Musikinstrumente, Textilien, Wolle, Kupferwaren, Leder, Schwerter, einfach alles wird angeboten und je länger wir durch dieses Labyrinth flanieren, desto bereitwilliger übergeben wir uns dem fliessenden Treiben.

Am allerbesten gefallen mir die Trödlerläden der Kupferschmiede. Samovars, Tee- und Kaffeekannen, grosse runde Teller aus Kupfer, Messing, Silber und anderen Metallen, die alle hervorragend mit Hämmern bearbeitet worden sind. Am liebsten würde ich alles zusammenkaufen! Stattdessen setzen wir uns aber zu den alten und jungen Männern des Al Nawfara Coffeeshops und bestellen eine Wasserpfeife mit Apfeltabak. Der Tabak mit Erdbeeraroma ist uns zu süss. Auch hier will man uns einladen - ”hospitality tea!”, ”let me pay your bill” - man lässt uns gar nicht bezahlen und sagt zu uns in deutlichem Schulenglisch ”always at your service”!

Im berühmten Bakdach Ice Cream Parlour probieren wir eine wunderbare Eiscrèmesorte namens Donderma aus Milch, Mandeln und Pistazien. Donderma ist das türkische Wort für diese Art von geklopftem Eis.

Viele Golfaraber machen im billigen Syrien Urlaub und besuchen Bordelle, die in Saudi-Arabien verboten sind. Zum erstem Mal sehe ich Frauen, die von Kopf bis Fuss in den schwarzen Tschador eingehüllt sind und nur Augen und Nase unbedeckt halten. Diese ”schwarzen Geister” stehen vor einem Schaufenster mit Spitzenunterwäsche, darum hat die ganze Situation auch etwas Komisches. Suhail erklärt mir, dass es sich bei ihnen um iranische Pilgerinnen handelt.

Damaskus gilt nach Mekka, Medina und Jerusalem zusammen mit Kairouan (im heutigen Tunesien) in der sunnitischen Überlieferung als viertheiligste Stadt des Islam. Hier soll angeblich Abraham geboren und Moses begraben, sowie der Erzengel Gabriel erschienen sein. Die heilige Maria hat in einer Höhle Zuflucht gefunden auf dem Dschebel Qassyun, dem Hausberg, auf den wir am Abend fahren, um auf die Lichter der Grossstadt hinunterzuschauen. Damaskus hat sechs Millionen Einwohner, das ist fast ein Drittel Syriens, dessen Fläche etwa vier Mal so gross ist wie die Schweiz und doppelt so gross wie Jordanien.

Wie schon in Amman gibt es sehr viele Schmuckläden; die Araberinnen lieben Schmuck, vor allem Gold. Die Araber des Mittelalters haben noch gemeint, Gold wachse auf Bäumen oder wie Karotten knapp unter der Erde und werde bei Sonnenaufgang gepflückt, oder von Ameisen gezüchtet. Der Historiker al-Umari setzte anfangs des 14. Jahrhunderts die Theorie in Umlauf, Gold beginne im August zu wachsen, wenn die Sonne am mächtigsten sei und der Nil anschwelle. Gehe das Wasser dann zurück, könne man auf dem überschwemmten Land Büsche finden, deren Wurzeln aus Gold seien. Die Araber wussten lange nicht, dass jener Teil ihres Goldes, der nicht von der eingeschmolzenen Beute aus geplünderten syrischen Kirchen, ägyptischen Gräbern oder persischen Schatzkammern stammte, aus Westafrika kam. Was ihnen aber bekannt war, ist der Ursprung ihres Silbers, das sie aus Transoxanien, Chorassan und Europa bezogen. Schon die Römer und die Griechen kompensierten Massenlieferungen von Myrrhe und Weihrauch aus Südarabien mit Silber. Heute ist die ”Weihrauchstrasse” von Jemen nach Rom, wie die Seidenstrasse, nur noch Geschichte. Die Erzeugung und der Verkauf von Edelmetallen galten unter strenggläubigen Moslems lange als für die Seele verderblich. Darum übten früher armenische Christen den Beruf der Gold- oder Silberschmiede in Syrien aus. Ihnen haftete der Makel des Okkulten an. Auf zwar unerklärliche, doch irgendwie Furcht erregende Weise standen sie, so glaubte man, mit dunklen Mächten, mit der Magie, der Alchimie und der Heilkunst in Verbindung. Heutzutage wollen die Araberinnen mit viel Schmuck nur noch eine ästhetische Wirkung erzielen und den Reichtum ihrer Familie signalisieren.

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Allahu akbar

Allah ist gross

Aschhadu an la ilaha illa llah

Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt ausser Allah

Asch hadu ann Muhammadan rasulu llah

Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist

Haiya ‘ala s-salah

Herbei zum Gebet

Haiya ‘ala l-falah

Herbei zum Heil

Allahu akbar

Allah ist gross

La ilaha illa llah

Es gibt keinen Gott ausser Allah

Der Gebetsruf des Muezzins von einem Minarett ertönt täglich vor Sonnenaufgang, zu Mittag, in der Mitte des Nachmittags, bei Sonnenuntergang und eineinhalb Stunden danach.

Wir machen mit Suhail in seinem Auto einen Tagesausflug ins 100 km entfernten Bosra im Süden, nahe der jordanischen Grenze. Diese Stadt war einst wegen ihrer Lage an einer Kreuzung der verschiedenen Karawanenwege von grosser Wichtigkeit, verlor dann aber langsam an Bedeutung. Das verbliebene Städtchen und seine alten Ruinen sind wundervoll; alles ist aus schwarzem Basaltgestein.

Bosra wurde in ägyptischen Aufzeichnungen bereits 1300 Jahre vor unserer Zeit erwähnt und im 1. Jh. n. Chr. die nördliche Hauptstadt des Nabatäerreiches. Im Jahre 106 wurde auch Bosra von den Römern eingenommen und Hauptstadt der Provinz Arabien. Die Moslems übernahmen Bosra 634, die Kreuzritter versuchten sie zweimal im 12. Jh. ohne Erfolg einzunehmen, aber die Mongolen zerstörten sie während ihrer Invasion 1261.

Bosras Hauptattraktion ist die herrliche Zitadelle mit ihrem Amphitheater, das 15’000 Menschen Platz bot. Heute schleicht eine italienische Touristengruppe herum. Im Gegensatz zu den historischen Stätten von Jordanien scheint Syriens Tourismus noch in den Kinderschuhen zu stecken. Ist es vielleicht der Diktator Assad, der abschreckt?

Entlang der Hauptstrasse schaut er von Plakatwänden herab, erhebt in päpstlicher Gebärde die Hand, als wolle er uns eine gute Reise wünschen. In jedem Laden hängt sein Porträt und in jedem Bus fährt er mit. Der gut aussehende jüngere Mann, der von anderen Plakaten herunterlächelt, ist sein Sohn Basil, der am 22. Januar 1994 an den Folgen eines Autounfalls in seinem Mercedes 600 ums Leben kam. Er hätte einmal der Nachfolger Assads werden sollen und war bei der Bevölkerung sehr beliebt.

Auch Suhail hat in seinem Geschäft ein Bild von Hafis al-Assad an der Wand hängen, jedoch hinter ihm, damit er ihn nicht immer anschauen muss. ”Es ist besser, ein Bild von Assad im Büro aufzuhängen, sonst könnte die Geheimpolizei womöglich meinen, ich mag unseren Präsidenten nicht und mir blöde Fragen stellen”, klärt er uns augenzwinkernd auf. Weiter erzählt er uns, dass in Syrien sämtliche Telefone abgehört werden. Das alles und noch viel mehr kommt nur im Flüsterton über seine Lippen und er sagt, es sei besser, wenn wir über Politik nur in seiner Wohnung reden, nicht im Restaurant oder irgendwo in der Öffentlichkeit. Sonst könne man möglicherweise von der Mukhabarat, der syrischen Geheimpolizei, wegen ”böser Äusserungen gegen den Präsidenten” verhaftet werden!

Hafis al-Assad putschte sich 1970 an die Macht. Sein Staatsstreich galt nicht als ”Revolution”, sondern als ”Korrekturbewegung”. Der neue Präsident brachte dem Land etwas, dessen es sich in seiner leidvollen Geschichte nur selten erfreut hatte: Stabilität. Zwischen der Unabhängigkeit 1946 und Assads Machtübernahme 24 Jahre später hatte es in Syrien 21 Putschs gegeben! Inzwischen herrscht der 66jährige Alawit länger als die meisten anderen Potentaten im Nahen Osten. Alle belangreichen Posten sind in den Händen von Alawiten, einer religiösen Minderheit, die etwa elfeinhalb Prozent der Bewohner Syriens ausmachen.

Syriens Stabilität fordert ihren Preis: Bis zu 60 Prozent seines Budgets gibt das Land für Armee und Sicherheitsdienste aus. Andere Sektoren kommen entsprechend zu kurz. Ausserdem konnte die nach dem Zerfall der Sowjetunion ausbleibende Unterstützung durch die Zahlungen aus den Golfstaaten nicht wettgemacht werden.

Syrien ist es nicht gelungen, sein erträumtes Ziel zu erreichen und militärisch gleich stark zu werden wie Israel, gegen das es in zwei Kriegen, 1967 und 1973, verloren hatte. Im Siebentagekrieg büsste es die Golanhöhen ein, den strategisch wichtigen Hügelzug, der jetzt einer Aussöhnung mit Israel im Wege steht.

In der Vergangenheit hat das Regime von Assad jeglichen Widerstand brutal unterdrückt. Opposition wird nicht geduldet. Als sich 1982 in der Stadt Hama militante Islamisten gegen die Regierung erhoben, liess Assad kurzerhand das Zentrum der Stadt zerstören. Bis zu 20’000 Menschen, unter ihnen viele unschuldige Zivilisten, sollen damals getötet worden sein. Seither herrscht Ruhe im Land, das im Gegensatz zu Algerien und Ägypten keinen islamischen Widerstand mehr kennt.

Nach dem Ende der Sowjetunion geben im Nahen Osten die USA den Ton an und deren Prioritäten gilt es sich unterzuordnen. Während des Golfkrieges schloss sich Syrien der westlichen Allianz gegen Irak an und liess sich dafür von Saudi-Arabien fürstlich honorieren. 1991 wurde Hafis al-Assad mit 99,9 Prozent der Stimmen zum vierten Mal als Staatspräsident gewählt. Ohne eine politische Öffnung dürfte jedoch der Umbau der maroden Staatswirtschaft zum Scheitern verurteilt sein. Präsident Assad hat übrigens alle Beziehungen zu seinem Feind Saddam Hussein abgebrochen. Es besteht nicht einmal mehr eine Busverbindung, geschweige denn ein Grenzübergang in den Irak. Dennoch ist die Bevölkerung dem irakischen Volk sehr verbunden. Wenn Suhails Ehefrau Ekhlas ihre Eltern im Irak besuchen möchte, muss sie zuerst ein jordanisches Transitvisum einholen und kann nur von Jordanien mit einem Bus nach Irak gelangen. Aber Jordanier und Syrer wissen Politik von anderen Angelegenheiten zu trennen, sind tolerant und nicht fanatisch.

Doch zurück nach Bosra. Ausserhalb der Mauern der schwarzen gespenstigen Burg schlendern wir durch ein grosses Ruinenfeld mit riesigen Säulen, Torbögen, Moscheen, Bädern, Kirchen und Klöstern, alles aus schwarzem Basalt.

Dann fahren wir nach Der’a zu Suhails Bruder, der uns herzlich empfängt und zum Mittagessen einlädt. Nachher nehmen wir ihn, seine Frau und seinen Sohn auf eine kleine Autofahrt ins Grüne mit. Von einem Hügel bietet sich uns eine schöne Aussicht über eine tiefe Schlucht und nach Jordanien. Viele Städter kommen an Wochenenden für ein Picknick hierher. An einem kleinen See warten Tretboote und am Ufer Karussells auf einheimische Touristen.

Abends bekommt unsere Gastgeberfamilie noch mehr Besuch: Faiz und Feihah, ein syrisches Ehepaar, das lange in Schweden gewohnt, und Khaled, der fünf Jahre in Deutschland gearbeitet hat und sehr gut Deutsch spricht. Er lädt uns ein, morgen bei ihm vorbeizuschauen und mit ihm Tee zu trinken. Er kann uns helfen, Geld schwarz zu wechseln, was anscheinend eine heikle Angelegenheit und strengstens verboten ist. Der Schwarzmarktkurs ist natürlich viel höher als der offizielle.

Unsere Gastgeber verwöhnen uns von Herzen. Wir kriegen ein riesiges Frühstück bevor wir uns zu Fuss auf den Weg machen, um Khaled in der Nachbarschaft zu besuchen. Er ist mit der Polin Violet verheiratet, die er in Deutschland kennengelernt hat. Sie war dort Putzfrau und er Maler. Jetzt läuft er nur noch in Anzug und Krawatte herum, betreibt selbst ein Maler- und Tapezierergeschäft und muss sich seine Hände nicht mehr schmutzig machen.

Am Nachmittag fahren wir mit dem Bus in die Stadt. Der unwahrscheinlichste Schnickschnack baumelt am Rückspiegel aller Busse und Taxis: Plastikfrüchte, Täfelchen mit Koransuren, Glöckchen, Assadbildchen und vieles Kitschiges mehr. Das Strassenbild ist ganz anders als in Jordanien. Die meisten Autos sind mindestens zwanzig Jahre alt, wunderschöne, jedoch leider meist verbeulte Oldtimer. Da die Steuern auf Personenwagen 230 Prozent betragen, können sich nur die wenigsten ein neues Auto leisten. Uns gefallen die alten Karren ausserordentlich.

Der Basar zieht mich immer wieder magisch an! Gleich dahinter befindet sich die Omaijaden-Moschee, die als drittgrösste Moschee der Welt gilt und angeblich ab dem Jahre 705 auf dem Areal eines antiken Tempelbezirks an der Stelle einer christlichen Basilika errichtet wurde. In einem Schrein mitten im Gebetssaal ruht das Haupt von Johannes dem Täufer. Die Arkadengänge sind mit prächtigen Mosaiken verziert, die Architektur ist einfach himmlisch! Sogar die Böden sind aus Steineinlegearbeiten. Mein Begleiter muss sich ein Tuch um die Beine binden und ich bekomme einen Mantel mit Kapuze.

Danach besichtigen wir das Saladdin Mausoleum aus dem Jahre 1193, das jedoch vor rund hundert Jahren mit der finanziellen Unterstützung des deutschen Kaisers Wilhelm, der Damaskus 1898 besuchte, renoviert worden war. Saladdin ist der Held der arabischen Geschichte, weil er die Kreuzritter besiegte.

Einen weiteren Höhepunkt unserer Altstadtbesichtigung bildet der Besuch des Bimaristan Al Nuri von 1154. Bimarqui heisst auf Farsi ”krank” und stan ”Haus”, Bimaristan ist daher die Bezeichnung für ein Krankenhaus. Almalek Al Adel Nur al din ben Mahmood Zanki gründete hier die erste und im Mittelalter bekannteste medizinische Universität des ganzen Orients. Hier stossen wir auf viele Informationen über Avicenna und seine Lehren von Pflanzen, Kräutern, Früchten, Musik und Sängern (mehr über den auch Ibn Sina genannten Medicus in den Kapiteln Iran und Usbekistan). Das prächtige Gebäude mit seinem herrlichen Innenhof sieht eher wie eine Medresse oder Karawanserei aus.

In der Sayyida Ruqqaya Moschee treffen wir fast nur noch auf schwarz gekleidete und völlig verschleierte iranische Pilgerinnen. Die hier beigesetzte Frau Ruqqaya, gestorben im Jahre 680, ist eine Grossenkelin des Propheten Mohammed. Ihr Vater war Hussein, der die Muslime seinerzeit in Schiiten und Sunniten gespalten hat. Dieses schiitische Mausoleum zieht deshalb natürlich vor allem Iranerinnen und Iraner an. Ich muss mich hier vollends verhüllen, obwohl Frauen und Männer getrennte Eingänge benützen. Beim Schrein im Innern des mit unzähligen Spiegeln verzierten Raumes beobachte ich die iranischen Pilgerinnen, die ununterbrochen beten und den Schrein sogar küssen. Die wunderbaren blauen Ziegel geben mir einen kleinen Vorgeschmack auf die islamische Architektur im Iran. Ich freue mich!

Ein Afghane schiebt einen Karren vor sich her, der mit einer alten Waage versehen ist, um die grünen unreifen Mandeln zu wiegen, die er verkaufen möchte. Neben der Waage hat er sie pyramidenförmig aufgeschichtet.

Zum Abendessen dürfen wir unsere Gastgeberfamilie zu einer Einladung begleiten. Wir werden von Mahmood eingeladen, einem 50-jährigen Syrer, der auch in Schweden wohnt, hier nur vorübergehend in den Ferien weilt, aber vorhat, wieder permanent nach Damaskus zurück zu ziehen. Er emigrierte vor einigen Jahren, um nicht unter die politischen Räder zu kommen, wie er sagt. Ich werde gefragt, ob ich nicht auch nach Syrien ziehen möchte, um hier ein Geschäft aufzumachen, oder mich sonstwie selbstständig zu machen, hier gäbe es viele Chancen. Doch ich kann mir nicht vorstellen, in einem Land zu leben, in dem alle Telefone abgehört werden, man in den Basaren und Teestuben nicht laut über Politik reden darf und das Porträt des Präsidenten im Geschäft aufhängen muss. Wenn jemand keine andere Wahl hat, als hier zu leben, gibt es sicher Chancen in Syrien. Suhail und Mahmood haben eine ergriffen, aber für mich könnte ich mir höchstens einen befristeten ein- oder zweijährigen Aufenthalt vorstellen.

Dann sind da noch Fatin und Ibrahim. Fatin trägt freiwillig ein Kopftuch, um ihre Haare niemand anderem als ihrer Familie zu zeigen. Sie arbeitet auf einer Bank und hat sich erst vor ein paar Jahren entschieden, ein Kopftuch zu tragen. Vergeblich versuchten seither ihr Mann und ihre Kinder sie davon abzubringen, ihre schönen Haare zu verhüllen. Auch ihre Freundinnen am Arbeitsplatz konnten es ihr nicht ausreden. Als ich das wunderschön mit gehäkelten Spitzen verzierte Kopftuch anprobieren möchte, geht sie mit mir in einen anderen Raum und zeigt sich den versammelten Männern nicht, solange ich ihr Tuch trage. Sie wartet im Nebenzimmer, bis ich es ihr wieder bringe! Die Syrer sind sehr tolerant, diskutieren offen über Religion und Tradition und ich fühle mich sehr gut aufgehoben bei diesen freundlichen und interessanten Menschen.

Nach drei Nächten bei Suhail und seiner Familie verabschieden wir uns herzlich mit Umarmungen und Küssen von all unseren neuen Freunden und ziehen um zu Mahmood, der uns auch noch unbedingt als Gäste haben möchte.

Nochmals streifen wir durch die märchenhafte Stadt und dann laden wir unseren Gastgeber in ein Restaurant seiner Wahl ein. Er sucht sich das Abu Al’Azz aus, ein traditionelles, wunderschön eingerichtetes, zweistöckiges Lokal mit Malereien und Kronleuchtern an den Decken, Wänden aus Steinmosaiken und mit Arabesken verziert. Weil es sich so nah an der Freitagsmoschee befindet, darf kein Alkohol ausgeschenkt werden. Ein Orchester spielt Live-Musik und ein Derwisch tanzt im Kreis. Mahmood sucht etwa fünf verschiedene Vorspeisen für uns alle aus und als Hauptspeise bestellt er diverse Fleischspiesse. Wir hätten vor lauter Kofta, Kubbeh, M’tabel, Homoss, Kubaniye, Buraq, Schischta’uq, Tabuleh, Yalindschi, Fetusch, Makdous und Khobes tenur gar nicht mehr gewusst, was bestellen! Die Rechnung beläuft sich zum Schluss auf ungefähr 13 USD für drei Personen. Syrien ist viel billiger als Jordanien. Das Bild, das wir von unseren zwei Gastgebern erhalten haben, täuscht allerdings darüber hinweg, dass es den Syrern viel schlechter geht als ihren südlichen Nachbarn.

Am nächsten Tag verlassen wir Damaskus. Mahmood bringt uns noch bis zum Busbahnhof und wir versprechen beim Abschied, ihm zu schreiben. Wir nehmen einen Bus nach Homs, suchen uns ein Hotel, deponieren unsere Rucksäcke und gehen gleich wieder auf die Pirsch – mit einem Minibus 75 km zum Crac des Chevaliers, einem Kreuzritterschloss aus dem 11. Jahrhundert. Ich fühle mich ins Mittelalter zurückversetzt und glaube, jede Sekunde komme Richard Löwenherz auf seinem Pferd um die Ecke geritten!

3Palmyra war einmal eine wichtige Oasenstadt für Karawanen auf ihrem Weg vom Mittelmeer nach Mesopotamien. An der legendären Seidenstrasse gelegen, profitierte auch sie von Zolleinnahmen, die von den Karawanenhändlern erhoben wurden. Palmyras wirtschaftliche Wichtigkeit wuchs parallel zum Niedergang des Nabatäischen Reiches am Anfang des zweiten Jahrhunderts unserer Zeit und erreichte den Höhepunkt um das Jahr 270 unter der sagenumwobenen Kaiserin Zenobia. Tadmor (“Stadt der Datteln”), wie diese Oase zu frühester Zeit genannt wurde, fand bereits im 19. Jahrhundert vor Christus Erwähnung und ist später von den Römern in Palmyra – “Stadt der Palmen” – umbenannt worden.

Heute ist es nur noch ein kleines Dörfchen mit Hotels, Restaurants, ein paar Supermärkten und Souvenirläden. Die fast 2000 Jahre alten Ruinen sind auf einer Fläche von circa 50 Hektaren verstreut, ein paar Hügel im Hintergrund, sonst ist alles flach. Obschon es die Hauptattraktion Syriens ist, sehen wir wieder nur sehr wenige Touristen.

Das gespenstige ”Arabische Schloss” aus dem 16. Jahrhundert thront auf einem spitzigen kleinen Hügel. Da beginnen wir unseren Entdeckungsnachmittag. Leider ist die Burg abgeschlossen und wir können nicht hinein. Wir stolpern den steilen Hang hinunter, an den Grabtürmen mit Sarkophagen vorbei und kommen zu den Ruinen von verfallenen Tempeln, Theater und Banketthallen. Eine etwa 700 Meter lange Säulenstrasse führt durch die freistehenden zerfallenen Gebäude. Von nahem sehen wir, wie furchtbar an dieser historischen Stätte renoviert und restauriert worden ist. Mit Beton! Wahrscheinlich haben die Sowjets, lange mit den Syrern befreundet, ihre Archäologen und Wissenschaftler hierher geschickt.

Am Abend lernen wir die zwei Holländer Hani und Peter kennen, die mit ihrem Jeep nach Kenia unterwegs sind. Sie haben sich in ein Hotel einquartiert, weil es ihnen noch zu kalt ist, im Geländewagen zu übernachten. Ich träume schon lange von so einem Überland-Trip mit einem 4x4 nach Afrika, bin aber nicht neidisch, denn ich befinde mich ja auf der Seidenstrasse, meiner Traumroute. Afrika muss noch ein paar Jahre warten; es ist einfach interessant zu hören, was andere mutige und unternehmungslustige Leute so vorhaben!

Weiter geht’s mit einem dieser supermodernen Busse - die in diesem verlotterten Oasenstädtchen aussehen, als kämen sie von einem anderen Planeten - noch weiter in den Osten Richtung Irak, nach Deir-ez-Zour, einer kleinen Provinzstadt in der von Kurden bewohnten Ecke Syriens. Der Lebensmittelmarkt, der hauptsächlich auf den Gehsteigen stattfindet, ist ausserordentlich farbenfroh, weil viele bunt gekleidete Beduinen aus den umliegenden Dörfern in die Stadt gekommen sind um ihre Ware feil zu bieten oder einzukaufen. Am Nachmittag scheint diese Stadt wie ausgestorben.

Ein junger Mann, der uns natürlich sofort als Touristen erkannt hat, lädt uns zu sich nach Hause ein, weil seine Frau Bushra Französisch spricht. Sie ist Französischlehrerin und freut sich sehr über unseren Besuch, kann sie sich so doch mal mit jemanden anders als mit ihren Schülern in dieser Fremdsprache unterhalten. Heute ist sie krank und deshalb kommen ständig ihre Schwester und viele Freundinnen auf Besuch, um ihr Gesellschaft zu leisten, Tee zu trinken und Süssigkeiten zu naschen.

Erst am Abend, wenn es nicht mehr so heiss ist, kommen die Leute wieder auf die Strasse. Dem Euphrat entlang laden Cafés in herrlichen Parkanlagen zum Verweilen ein. Kinder fahren mit dem Riesenrad, junge verliebte Paare setzen sich auf einsame Parkbänke oder man trifft sich für eine Flasche Arrak, das arabische Pendant zu Pernod oder Ouzo.

Am nächsten Morgen nehmen wir den Bus nach Aleppo und gleich weiter nach Lattakia. Stundenlang geht’s dem legendären Euphrat entlang. Es grünt in der Wüste. Zwischen der steinigen Landschaft und den kleinen Dörfern werden viele Felder bewirtschaftet. Nach 300 km erreichen wir die von aussen hässliche Grossstadt Aleppo, in die wir nach ein paar Tagen zurückkommen und tiefer eintauchen wollen. Wir steigen in einen anderen Bus und weiter geht’s über Berge und Hügel westwärts, durch eine mehr und mehr grüne und malerische Landschaft mit Weingärten, Melonenfeldern, Mandel-, Feigen- und Pistazienplantagen. Syrien besteht nicht nur aus Wüste! Wir erkennen Olivenhaine und sogar Reisfelder! Aus Oliven wird in Aleppo in einer grossen Fabrik, die sich in der ehemaligen Residenz des französischen Gouverneurs befindet, Olivenseife hergestellt. Nach weiteren drei Stunden befinden wir uns schon am Mittelmeer.

Suhail aus Damaskus hat uns die Telefonnummer einer Tante gegeben, die eine Wohnung vermietet. Die hilfsbereiten jungen Männer von der Busgesellschaft suchen mit uns ein Telefon und rufen diese Tante für uns an. Sie holt uns an einer Tankstelle ab und wir mieten bei ihr eine Drei-Zimmer-Wohnung. Im Quartierladen an der Ecke kaufen wir ein. Die Leute in der Nachbarschaft sind sehr freundlich. Wahrscheinlich kommt hier nie ein Ausländer vorbei! Selten spricht ein Anwohner Englisch oder Französisch. Die Wohnblöcke erinnern mich an Russland, sind höchstwahrscheinlich auch von sowjetischen Architekten entworfen worden. Ich finde Lattakia hässlich, eine riesige Hafenstadt ohne schöne Strandpromenaden. Die Syrer verbringen hier ihre Sommer-Badeferien. Für mich keine Verlockung.

Mit einem Minibus fahren wir der hier scheusslichen Mittelmeerküste entlang nach Ugarit, einer Ruinenstätte bei Ras Shamra. Einmal eine sehr wichtige Stadt, wurde sie 3000 Jahre vor Christi Geburt bekannt, als hier mit Zypern und Mesopotamien gehandelt wurde. Ihre goldensten Zeiten hatte sie vom 13. bis 16. Jahrhundert vor unserer Zeit, als sie ein Zentrum für Handel mit Ägypten, der Ägäischen See, Mesopotamien und dem Rest von Syrien war und ein Zentrum des Lernens. Der königliche Palast war im 13. vorchristlichen Jahrhundert eines der berühmtesten Gebäude von ganz Westasien. In der Stadt befand sich eine Bibliothek und hier wurden Tafeln mit Buchstaben gefunden, deren Schrift als erstes Alphabet überhaupt gilt. Es handelt sich um eine sehr historische Stätte, denn die Griechen sowie später auch die Römer entwickelten ihre Schrift aus den Zeichen des hier gefundenen Alphabetes. Von diesen Skripten lassen sich alle heutigen Alphabete ableiten. Leider gibt es heute für uns nicht mehr viel zu sehen.

Wir fahren weiter ins Landesinnere und kommen ins Bauerndörfchen Al-Haffeh und zur Ruine Qala’at Salah ad-Din, einer Zitadelle, die der islamische Führer Saladdin im Jahre 1188 nach dem Fall von Lattakia von den Kreuzrittern übernahm. Unter Sultan Baibar kam sie 1272 unter die Kontrolle der Mameluken (das waren die, die ihre Schiesstechnik an der Sphinx in Ägyptens Hauptstadt Kairo erprobt hatten und ihr durch die Schiessübungen die zahlreichen Löcher im Gesicht zufügten!). Die Überreste dieser Zitadelle auf einem Hügel über einer tiefen Schlucht in einer schönen Landschaft voller Orangenhaine, Grapefruitplantagen und Wäldern sehen herrlich aus.

Am zweiten Tag besuchen wir zwei kleinere Küstenstädte, Jabla und Banyas. Beide haben Spazier- und Flanierwege am Meer entlang, felsige Klippen, aber grässliche Abfallhalden und keine Sandstrände. Im süssen kleinen Strandcafé auf einem Felsen gehen wir auf ein Bier.

4Als ich zum ersten Mal ein Bild von der Zitadelle von Aleppo sah, die auf einem steilen Felsenhügel thront, wusste ich, dass ich sie unbedingt besuchen musste. Ich nahm meinen Weltatlas zur Hand und suchte Aleppo, fand es aber nicht. Der Name kommt aus dem Lateinischen; die Araber nennen sie bis heute Halab!

Etwa 1000 Jahre vor der Gründung von Byzanz und Rom war Aleppo –oder Halab - schon um 1800 vor Christus die Residenzstadt eines eigenständigen Königreiches. Archäologen meinen, dass sich an der Stelle der heutigen Zitadelle bereits im 4. vorchristlichen Jahrtausend eine befestigte Siedlung befand.

Diese Stadt zwischen dem hügeligen fruchtbaren Küstengebiet und der kargen ebenen Wüste im Landesinnern bildete den perfekten Schnittpunkt zwischen der abendländisch-mediterranen und der islamisch-vorderasiatischen Welt und war eine sehr wichtige Handelsstadt auf der Seidenstrasse. Hier waren Araber, Armenier, Griechen, Iraker, Perser, Inder und später Venezianer unter anderem mit einer Kolonie vertreten. 12 Kilometer lange und überdachte Gassen bilden den grössten Basar der Welt, über den schon Ibn Battuta (1304-1356), ein arabischer Reisender und viel zitierter Schriftsteller, geschrieben hat: «In Halab stehen die schönsten Kaufhallen, die ich je gesehen habe!»

Aleppo wurde von Hurritern, Hethitern, Assyrern, Persern und Seleukiden erobert, halb zerstört und wieder aufgebaut und kam erst unter den Römern ein bisschen zur Ruhe. Dank ihnen erlebte sie Wohlstand. Die ersten ausgedehnten Marktanlagen wurden gebaut. Nachdem die Stadt von den Byzantinern zerstört worden war, verfiel sie schliesslich in Provinzialität. Erst unter den legendären Gegenspielern der Kreuzritter, Nureddin und Saladdin, und Saladdins Sohn, dem Ajjubiden-Sultan Ghazi, wurde die Zitadelle zu einem beispiellosen Festungswerk samt Burggraben ausgebaut. Medressen für Koran- und Sufischüler wurden errichtet, Handel und Gewerbe angekurbelt und der Suq, der Basar, erweitert. Den Venezianern wurde vertraglich das Recht eingeräumt, in Aleppo eine Niederlassung zu unterhalten.

Nachdem die Mongolen 1260 und 1400 eingefallen waren und die ganze Stadt verwüstet hatten, erholte sich Aleppo erst wieder im 15. Jahrhundert, als Syrien an die Osmanen fiel. Halab wurde zum Hauptsitz einer Reichsprovinz und zum wichtigsten Handelsplatz der ganzen Levante.

Zuerst gehen wir ins legendäre 100-jährige Hotel Baron, in das 1911 und 1914 Lawrence von Arabien und später Agatha Christie, Lady Louis Mountbatten, Gertrude Bell und Freya Stark abgestiegen sind. Lawrence hat angeblich nie einen Teppich gekauft, ohne den Vater der armenischen Brüder Mazloumian – den Besitzern - um Rat zu fragen. Atatürk hat hier gewohnt und hohe türkische und deutsche Offiziere, die während des ersten Weltkrieges in die Stadt kamen. Der syrische König Faisal nahm auf dem Balkon des Zimmers 215 den militärischen Salut entgegen. Nasser und Tito hielten auf der Terrasse ihre Reden. Leider sind heute alle 30 Zimmer ausgebucht und wir genehmigen uns nur einen Drink an der Bar. Wir machen uns auf die Suche nach einem billigeren Hotel, um uns unserer Rucksäcke zu entledigen und erkunden dann die heute zweitgrösste Stadt Syriens mit einer Million Einwohner.

Neben unzähligen modernen Boutiquen entdecken wir viele sehr alte traditionelle Holzhäuser. Viele Händler, die ihre Ware auf Tüchern auf den Gehsteigen ausbreiten, wie wir es bei uns in der Schweiz vom Flohmarkt kennen, sind aus Russland, Georgien, Aserbaidschan und Zentralasien. Ich höre viele russische Wörter. Reklametafeln sind mit kyrillischer Schrift beschriftet. Auf den Strassen bemerke ich nur Männer, fast keine Frauen. Eine wilde Stadt ist das, irgendwie unheimlich.

Am nächsten Morgen gehen wir endlich zum Labyrinth der zwölf Kilometer Basargassen. Es herrscht ein reges Treiben. Die Eingänge sind manchmal dunkel und eng, gehen dann aber in breitere Gassen über, in denen es immer wieder rechts und links Nischen gibt, die in eine der zwölf Karawansereien führen. Es handelt sich um jahrhundertealte Gebäude, die immer um einen Hof gebaut wurden, meist zweistöckig. Über den Balkongeländern der oberen Stockwerke hängen Teppiche und Kelims. Neben Lebensmitteln, Parfüms, Brennholz, Badeutensilien, Schuhen und Kunsthandwerk ist der Aleppiner Suq vor allem für Textilien berühmt, dem wichtigsten Wirtschaftsfaktor Syriens. In den bunten Nischen der Kolonnadenstrassen bestaunen wir Tischdecken, Kamelhaarsäcke, Seile, Damen- und Hochzeitskleider (die in allen kitschigen Pastelltönen zu haben sind), Stoffe, Leder, Rohseide, Baumwolle, Hüte und Kopftücher. Die ersten Europäer, die hier Handel trieben, waren die Venezianer 1548, ganze dreihundert Jahre nach Marco Polo. Im 16. und 17. Jahrhundert stiessen französische, holländische und englische Händler zu ihnen.

Die Zitadelle dominiert die Stadt. In einer Teestube am Fusse des Hügels mit der lange uneinnehmbaren Festung sitzen wir neben Nargileh rauchenden alten Männern, trinken Tee und saugen natürlich auch an einer Wasserpfeife. Zuerst überschreiten wir die Brücke über den Burggraben durch ein monumentales Tor aus dem 12. Jahrhundert und folgen dann massiven Mauern, die im 16. Jahrhundert unter den Mameluken entstanden sind, nachdem Aleppo aus dem Joch der barbarischen Mongolen befreit worden war. Der königliche Palast stammt aus dem Jahre 1230, die Moschee aus derselben Zeitepoche wurde Nureddin gewidmet. Innerhalb der dicken Mauern der Zitadelle wächst Gras. Als wir auf der Mauer selbst umherlaufen, von der man einen grandiosen Ausblick auf die heutige Grossstadt hat, lernen wir ein paar junge Leute kennen. Da ist eine hochmoderne junge Frau in Jeans und engem T-Shirt, stark geschminkt. Daneben trägt ihre beste Freundin einen langen Mantel und ein Kopftuch, das sie vorne geknotet hat, damit niemand ihre Haare oder ihren Hals sieht! Ich fotografiere sie, sie lichten mich ab und wir lächeln uns gegenseitig zu. Immer wieder treffe ich auf diesen Kontrast: Moderne Damen und «schwarze Geister» - leben und leben lassen, wie schon in Jordanien angetönt…

Alles riecht förmlich nach der uralten Entstehungsgeschichte dieser faszinierenden Stadt. Handelsstrassen führten von Europa über Istanbul via Aleppo nach Mosul, Lattakia und Damaskus; später nannten die Seleuciden diese Stadt Beroea. Als Palmyra an die Römer fiel, wurde Aleppo Haupthandelsstadt zwischen dem Mittelmeer und Asien. Die Perser zerstörten sie 611 und die Moslems nahmen sie 637 auf ihrer Invasionstournee ein. Auch der Name von Kreuzritter Balduin taucht wieder auf; er nahm sich die Zitadelle 1124, nachdem die Byzantiner zwar zweimal die Stadt eingenommen hatten, die Zitadelle jedoch nicht stürmen konnten. 1517 fiel die Stadt an die osmanischen Türken. Alles klingt so interessant und wenn ich die alten Männer an den uralten Nähmaschinen in der Sonne sitzen sehe, fühle ich mich um hundert Jahre zurückversetzt.

Im Al-Jadayda-Stadtviertel wohnen die Armenier. Hier finden wir viele unglaublich schöne Residenzen von reichen Händlern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Fünf verschiedene christliche Religionsrichtungen wohnen in diesem Teil der Metropole. Ein paar armenische Kathedralen sind besonders alt und weisen wunderbare Fresken auf. Eine Frau kommt soeben durch ein grosses Tor auf die Strasse. Sie bewohnt das Beit Ghazaleh, eine heruntergekommene Residenz einer reichen Familie aus besseren Zeiten. Sie zeigt uns den Palast und wir träumen nur davon, so etwas zu besitzen, zu renovieren und hier wohnen zu können. Die Holzwände und –decken sind alle bemalt und es gibt sogar einen Hammam, ein riesiges Badezimmer unter einer hohen Kuppel. Das Yasmeen House und das Sissi House, zwei weitere märchenhafte palastähnliche Privatresidenzen aus alten Zeiten, sind nun in luxuriöse Restaurants verwandelt worden, wie auch andere Häuser der ehemaligen Karawanenhändler. Man muss nur ein bisschen neugierig die Nase durch die offenen Türen stecken und manchmal wird man in einen traumhaften Innenhof eingeladen…

Schlaftrunken torkeln wir um Viertel vor fünf Uhr morgens zum Busbahnhof. Meine Schweizer Uhr zeigt 06.30 Uhr, aber die Wanduhr im Billet-Büro schon 07.30. Wir haben den Bus verpasst, weil in der Nacht auf Sommerzeit umgestellt wurde! Der nächste Bus in die Türkei geht erst in zwei Stunden! Solange wollen wir nicht warten, wenn wir schon so früh aufgestanden sind. Kurz entschlossen chartern wir ein Taxi für die restlichen 45 km an die syrische Grenze.

Warum habe ich immer ein so mulmiges Gefühl, wenn ich an eine Grenze fahre? Oder ist es, weil ich mich auf dem Weg zu einem Grenzübergang im Mittleren Osten befinde? Habe ich zu viele Filme über den nahen Osten gesehen, die in Hollywood gedreht wurden? Oder ist es das verfluchte Buch über die Mutter und deren Tochter…? Ich verwünsche die westlichen Massenmedien allesamt, denn nach 5 Minuten sind die Formalitäten auf der syrischen Seite bereits erledigt!

Tschai Khana

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