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Der Mann im Wirtshaus

Es war ein schäbiger Raum. Ein miefiges Bett, ein morscher Tisch und ein Stuhl, der so abgenutzt war, dass sein angeschwärztes Holz den Eindruck erweckte, jeden Augenblick in sich selbst zusammenzufallen. Das kleine Fenster mit der eingestaubten Scheibe war die einzige Lichtquelle und versetzte das Schlafzimmer im oberen Stock des Wirtshauses in ein düsteres Halbdunkel – passend zu Skals Stimmung. Mit drei Schritten hatte der Mann den kleinen Raum durchquert und machte sich an der verrosteten Verriegelung des Rahmens zu schaffen.

»Lässt sich natürlich nicht öffnen«, seufzte er resigniert in das Zimmer hinein. Doch außer ihm selbst war niemand da, der zuhörte. Es war auch nicht so, dass Skal hier drin hätte lüften wollen, obwohl der Raum es durchaus nötig gehabt hätte, aber er musste sich bewegen. Er musste seine Finger mit irgendetwas beschäftigt halten, da sonst die düsteren Gedanken erneut von ihm Besitz zu ergreifen drohten.

Die Nacht würde der alte Soldat ohnehin unten im Schankraum verbringen. Mit einem selbstmitleidigen Lächeln dachte Skal daran, dass er sich so etwas noch vor einigen Wochen nicht einmal im Traum gewagt hätte. Ein Meuchelmörder – und nur Otairio allein wusste, wie viele hinter ihm her waren – hätte leichtes Spiel gehabt, ihm im Schlaf die Kehle durchzuschneiden. Aber das war ihm inzwischen egal. Skal war ein gebrochener Mann, der in seinem Leben schon oft am Abgrund gestanden hatte. Doch dieses Mal war es etwas anderes. Als Iatas hatte er auf ganzer Linie versagt.

Der Orden der Iatas, der seit über zweitausend Jahren zumeist Menschen, hin und wieder aber auch andere Geschöpfe der Zivilisierten Völker von Epsor zu Elitekriegern ausbildete, duldete kein Versagen. Söldner wie ihn gab es inzwischen überall. Manche verdingten sich in regelmäßigen Abständen als Glücksritter in einem der vielen Kriege, von denen es in letzter Zeit mehr gab als gute Ernten. Andere wiederum bereicherten sich als Kopfgeldjäger. Ein Beruf, der zwar kein regelmäßiges Gehalt versprach, doch wenn man mal einen von den großen Verbrechern aufgriff, dann hatte man immerhin für eine ganze Weile ausgesorgt. Viele, zumeist noch sehr junge und unerfahrene Kämpfer, suchten in letzter Zeit dieses Abenteuer. Alt oder wohlhabend wurden in diesem Geschäft jedoch nur die Allerwenigsten.

Und dann gab es noch jene von Skals Sorte. Er hatte bereits vor langer Zeit seine Ausbildung zum Iatas beendet. Doch in den letzten Jahren hatte sich viel in Epsor verändert und man musste kein Gelehrter sein, um zu erkennen, dass eine neue Zeit anbrechen würde. Die Welt der Menschen war im Umbruch.

Ungleich mehr Fehden brachen jetzt im Laufe eines Mondes aus als zuvor in einem Jahrzehnt. Jahrhunderte lange Feindschaften lösten sich zugunsten von Bündnissen auf, die geschmiedet wurden, um ehemalige Freunde zu überfallen und ihnen den Krieg zu erklären. Kinder wurden zu Soldaten, während Krieger seines Schlages immer seltener wurden. Die alten Werte zählten schon seit geraumer Zeit nichts mehr. Und Epsor sah sich inzwischen der Bedrohung vieler einzelner Grafschaften und Herzogtümer gegenüber, die kaum mehr Land besaßen als ein Großbauer. Doch mit Hilfe ihrer in aller Eile bewaffneten Armeen mehrten sie ihre Macht unaufhörlich und fochten untereinander um den verwaist stehenden Königsthron. Inzwischen zählte nur noch, wer mehr Nachschub an neuen jungen Männern hatte.

Zu meiner Zeit war das noch anders, dachte Skal sich im Stillen und lauschte auf die Stimmen unten in der Schankstube. Es lag bereits eine kleine Ewigkeit zurück, dennoch waren einige Teile der Erinnerung frisch und intensiv, da sie schon so oft vor seinem geistigen Augen abgelaufen waren. Vor allem in der letzten Zeit.

Neun Jahre war es mittlerweile her, dass Skal sich des Schicksals eines jungen Kriegers angenommen hatte, der die Grundausbildung zum Iatas beinahe schon mit Leichtigkeit gemeistert zu haben schien.

Cedryk war aus jeder Sicht ein wahrhaft talentierter junger Mann, in dem Skal mehr gesehen hatte, als nur einen Schüler. Für ihn war er wie ein Sohn gewesen. Ein Sohn, mit dem er die Welt bereist und beobachtet hatte, wie er an seinen Aufgaben wuchs; wie er stetig reifer wurde und ihm schlussendlich sogar ebenbürtig war. Während ihrer vielen Abenteuer hatten sie sich nicht nur Freunde gemacht, und waren dem Tod auch mehr als einmal nur knapp von der Schippe gesprungen. Aber obwohl Krieg und Zerstörung ihre dunklen Schatten auf die beiden Freunde geworfen hatten, war es dennoch die schönste Zeit, die Skal jemals erlebt hatte. Viel mehr als die Erinnerungen daran, war ihm davon nun jedoch nicht mehr geblieben. Denn der Schüler, welchen man ihm guten Gewissens anvertraut hatte, war tot. Cedryk war durch Skals Verschulden gestorben. Noch immer sah er vor sich das Bild des blutbesudelten Körpers und den anklagenden Blick in seinen toten, kalten Augen.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und der alte Krieger wurde urplötzlich aus seinen trüben Gedanken gerissen. Noch vor Kurzem wäre Skals natürlicher Reflex der Griff zum Schwert gewesen, wenn ein Unbekannter die Tür öffnete, doch er hatte sich aufgegeben und ließ inzwischen jede Schutzmaßnahme fahren. Sein Leben war ihm nichts mehr wert.

»Mein Herr ... mein Herr.« Der dicke Wirt war ins Zimmer getreten und versuchte nun umsichtig auf sich aufmerksam zu machen. »Mein Herr, Euer Essen ist fertig, wünscht Ihr hier zu speisen oder ...«

»Nein, lass es unten. Ich komme sofort«, meinte Skal tonlos, nahm seinen Rucksack, das Schwert und den Mantel und folgte dem Wirt aus dem dunklen Raum. Er hatte nicht vor, noch einmal in das Zimmer zurückzukehren. Skal brauchte jetzt Gesellschaft, auch wenn sie nur aus dem Gesindel bestand, welches sich um diese Zeit in einem so abgelegenen Gasthaus herumtrieb.

Im Schankraum angekommen, der vor einer halben Stunde noch fast leer gewesen war, tummelten sich jetzt, außer Skal, dem Wirt und seiner Kellnerin, erstaunlich viele Leute. Eine Handvoll zerlumpter Söldner aus der nördlichen Tundra saßen nahe der Tür und spielten mit unbemalten, grobgeschnitzten Würfeln an einem der Ecktische. In beinahe schon regelmäßigen Abständen johlten sie immer wieder auf, wenn ihre Münzen reihum den Besitzer wechselten. Einer von ihnen, ein alter Haudegen mit warzigem Gesicht, und einer ledernen Augenklappe, blickte kurz zu Skal auf, als dieser die Treppe herabschritt. Doch schien er seinen braunen Mantel nicht als die Auszeichnung und Uniform zu erkennen, welche sie darstellte. Bereits einen Lidschlag später war die Aufmerksamkeit des Mannes wieder bei seinen düsteren Begleitern und den fallenden Würfeln.

Genau wie für Skal war es für die meisten hier sicher die letzte Übernachtungsmöglichkeit vor der noch einen halben Tagesritt entfernten Hafenstadt Lerm. Von dort aus würde er dann mit der Fähre nach Baknakaï, dem Hauptsitz seines Ordens, übersetzen.

Flüchtig und dennoch mit unverhohlener Neugier ließ der Iatas seinen Blick weiter durch den Raum schweifen. Neben einem Kaufmann – man erkannte ihn an der für seine Zunft üblichen grünen Mütze, die ihn als neutralen Händler kennzeichnete und auch in Kriegszeiten freies Geleit versprach – saßen zwei Zwerge, sowie ein vornehm gekleideter Herr mit seinem Reisegefolge in der Stube. Wahrscheinlich hatte der Adlige nicht ohne Grund die am weitesten von den Nordmännern entfernten Tische in Beschlag genommen. Mit gerümpfter Nase saß er demonstrativ mit dem Rücken zu ihnen auf seinem Stuhl und starrte übertrieben konzentriert auf seinen Teller.

»Hier ist noch ein freier Platz, mein Herr«, sprach der Wirt dienstbeflissen und führte Skal zu einem Stuhl direkt am Tresen. Einen Moment später stellte ihm die Kellnerin die Reste von dem, was wohl mal ein Kaninchen gewesen war, in einem halbrunden Napf auf die zerkratze Holzvertäfelung.

»Darf ich mir die Frage erlauben, was ein hoher Iatas wie Ihr in meiner kleinen Schänke will?«, fragte der Wirt vorsichtig, während er einen schmutzigen Becher mit einem noch schmutzigeren Lappen zu säubern versuchte. »Nicht, dass es mich stören würde, aber die meisten Leute nutzen die Hauptstraße südlich von hier, um nach Lerm zu gelangen.«

»Ich ... hatte es nicht so eilig«, entgegnete Skal ausweichend und stocherte unzufrieden in seiner Mahlzeit, wobei er es tunlichst vermied, dem Mann in die trüben Augen zu sehen. Cedryks Tod machte ihm immer noch schwer zu schaffen, und es brannte ihm auf der Zunge, darüber zu reden, obwohl er wusste, dass es gefährlich für ihn war. Doch wem sollte der alte Wirt es denn schon weitererzählen? Skal musste sich einfach jemandem mitteilen, viel zu lange hatte er schon geschwiegen und den Kummer in sich hineingefressen.

»Weißt du, bis vor Kurzem erstrahlte die Welt für mich noch in einem wunderbaren Glanz, und man hat großes Vertrauen in meine Fähigkeiten gesteckt. Aber das Leben holt einen schlussendlich doch immer wieder ein.« Skal atmete schwer. »Ich habe versagt. Mein Schüler, Cedryk war sein Name, ist tot.

Wäre er doch bloß nicht so sturköpfig gewesen.« Die letzten Worte murmelte der alte Krieger unverständlich und an sich selbst gewandt in seinen ungepflegten Bart. »Nun hat man mich in den Hauptsitz meines Ordens berufen. Einen neuen Schüler werden sie mir wohl kaum noch einmal anvertrauen – würde ich an ihrer Stelle auch nicht. Außerdem bin ich dafür ohnehin schon viel zu alt. Gleichzeitig bin ich für den Stand eines Großmeisters im Hohen Rat aber noch zu jung. Vielleicht werde ich hingerichtet. Mir ist es ehrlich gesagt egal.«

Der Wirt staunte nicht schlecht und hielt betroffen mit dem Reinigen seines Bechers inne. »Das tut mir sehr leid. Darf ich fragen, wie Euer werter Schüler verstorben ist, mein Herr?«

»NEIN, verdammt! Das darfst du nicht. Und hör endlich auf, mich Mein Herr zu nennen, das bin ich nicht!«, schrie Skal, dem augenblicklich die Zornesröte ins Gesicht stieg. Sogleich drehten sich alle Köpfe im Raum nach ihm um.

»Das bin ich nicht«, flüsterte er jetzt nur noch, wobei ihm eine einzelne Träne über die Wange rollte.

Das Biest in Dir

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