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Den Jahren der gewerblichen Beschäftigungslosigkeit und der Kriegsdepression, in denen Rathenau und Valentin, um ihrer Fabrik überhaupt eine größere Arbeit zuzuführen, dem ihnen an sich fremden Auftrag aus dem Gebiet der Waffenindustrie nachgegangen waren, folgte bald die Gründerperiode mit ihrem Überschwung, ihren stürmischen Hoffnungen und schweren Enttäuschungen. An alledem sollte auch die Webers’sche Maschinenfabrik Anteil haben. Die Inhaber entschlossen sich, da die Räume in der Chausseestraße eine Vergrößerung, wie sie diese planten, nicht zuließen, eine neue Fabrik nach modernen Grundsätzen auf billigem Gelände in der Nähe der Stadt zu errichten. Sie erwarben einen geeigneten Komplex von großer Ausdehnung in Martinikenfelde für 70000 Taler. Der Plan war großzügig angelegt. An den beiden gegenüberliegenden Straßenfronten lagen nach Martinikenfelde zu die mächtige Eisengießerei, an der Huttenstraße die ihr an Größe entsprechende Modellierwerkstatt und Dreherei und zwischen ihnen auf der westlichen Seite Schmiede und Kesselschmiede. Im Mittelpunkte befand sich die zentrale Dampferzeugungsstation, die alle Maschinen des ausgedehnten Werkes durch wohl isolierte Röhren mit Dampf versorgte. Die Kondensation erfolgte durch Ejekteure, deren Bau die Firma neuerdings aufgenommen hatte, auch nur ein Schornstein war auf dem Werke vorhanden.

„Die Gießerei bestand aus einem Längsschiff von ca. 20 Meter Spannweite und einer beträchtlichen Höhe und Länge. Sie war mit großen Kupolöfen, schweren Lauf- und Drehkranen, tiefen Dammgruben und allen Vorrichtungen einer modernen Gießhalle ausgerüstet, um die schwersten Stücke in Sand, Masse und Lehm zu gießen. An ihren Enden schlossen sich zweistöckige Gebäudeflügel an; der eine diente als Modelltischlerei und Modellboden, der andere für Kleinguß, der mit Maschinen geformt wurde. — Die Montagehalle war in Form und Größe der Gießerei ähnlich, die sich ihr anschließende Dreherei mit kräftigen Werkzeugen reichlich versehen. Auch in den anderen Werkstätten ließen die Einrichtungen nichts zu wünschen übrig.“

Rathenau faßte später sein Urteil über die Anlage in die Worte zusammen: „Es war eine Fabrik aus einem Guß, wie sie Berlin nicht besaß.“ Schon während des Baues waren in der Gründerzeit Offerten von Großbanken zur Umwandlung des Unternehmens in eine Aktien-Gesellschaft immer wieder ihren Inhabern gemacht worden. Rathenau hatte sie zuerst standhaft zurückgewiesen, ja er hatte sogar ein großes Kapital unter nicht leichten Bedingungen von privater Seite beschafft, um den Klauen des Geldmarktes zu entschlüpfen, dem er eine unüberwindliche Abneigung entgegenbrachte und trotzdem, so bekannte er später resigniert, „entging ich meinem Schicksal nicht.“

„Ein befreundetes Bankhaus hatte mit einer ersten Bank sich verbunden und meinen Sozius zum Verkauf überredet. Trotz der ungewöhnlichen Bedingungen, die ich in der Erwartung stellte, daß sie die Käufer abschrecken würden, gingen sie zu meinem Bedauern auf diese ein und verwandelten das gutrentierende Unternehmen in eine Aktiengesellschaft. Ich übernahm keine Aktie, erhielt vielmehr den gesamten Kaufpreis in bar ausgezahlt, die Leitung der Geschäfte mußten wir trotz allem Widerwillen für einige Zeit übernehmen, da eine geeignete Direktion nicht sogleich sich finden ließ und die zweckmäßige Umwertung der Bestände von nicht zu unterschätzendem Wert war. Die Geschäfte gingen zunächst glänzend, als aber der Krach von 1873 hereinbrach und das große und sehr geschätzte Bankinstitut, das die Gründung durchgeführt hatte, von diesem am stärksten betroffen wurde, erlitten wir zwar keine Einbuße an dem vorhandenen Betriebskapital, aber die Obligationen, die für den Bau der neuen Fabrik uns zugesichert waren, konnten nicht zur Ausgabe gelangen, und Hypotheken waren nicht zu beschaffen. Mein Entschluß war sofort gefaßt: Nachdem die Fabrikbauten schleunigst vollendet und alle Gläubiger befriedigt waren, legten wir unsere Stellungen nieder und überließen das weitere Geschick der Gesellschaft, die später liquidierte. Den fast täglich an mich herantretenden, zuweilen sehr verlockend erscheinenden Anerbietungen, das glänzende Unternehmen zurückzuerwerben, entzog ich mich durch eine lange Reise. Gewiß wäre es ein gutes Geschäft gewesen, die beiden Werke billig zu kaufen und den früheren Betrieb mit vergrößerten Mitteln aufzunehmen, aber dieses Ansinnen widerstrebte mir. Geradezu verfolgt hat mich mit seinen Anträgen der reiche Verwandte eines Großindustriellen der Branche, der Kriegsmaterial in Martinikenfelde fabrizieren wollte, große Aufträge der Regierung hinter sich hatte und über sehr erhebliche pekuniäre Mittel verfügte. Der Kauf kam ohne meine Mitwirkung zustande, die schöne Fabrik wurde umgestaltet, und ihr Besitzer stellte die Zahlungen ein, nachdem er das große Vermögen der Erzeugung von Stahl geopfert hatte. Aus dem Konkurs erwarben die Waffen- und Munitionsfabriken dieses Werk und gestalteten es für ihre Zwecke um.“

Das Bankinstitut, das an der Finanzierung sich beteiligte, war die Preußische Boden-Kredit-Aktienbank, deren Direktor Schweder Aufsichtsrat-Vorsitzender bei der „Berliner Union“ — so hieß die neue Aktiengesellschaft — geworden war. Er hatte Rathenau und Valentin sogar größere Geldmittel als sie beanspruchten, förmlich aufgedrängt, indem er in den Aufsichtsratssitzungen darlegte, daß es auf 300000 Mark mehr oder weniger bei einer solchen Gründung nicht ankomme. Infolgedessen war das finanzielle sowohl wie das betriebliche Gewand des neuen Unternehmens den Gewohnheiten jener Zeit entsprechend sehr reichlich bemessen worden. Man hatte neue Fabrikationszweige aufgenommen und wenn auch alles organisch gut gegliedert und nach dem Rathenauschen Urteil „wie aus einem Guß“ hingestellt war, so setzte es doch die pünktliche und regelmäßige Zuführung immer neuer Geldmittel voraus. Als nun die Krise hereinbrach, stockte der Kapitalzufluß plötzlich, die bereits gedruckten Schuldverschreibungen konnten nicht mehr emittiert werden und zu allem Überfluß brach Schweder, eine der verwegensten Spekulantennaturen jener Periode, finanziell zusammen und wurde seines Direktorpostens bei der von ihm geleiteten Bank enthoben. Als daraufhin die Direktoren der „Berliner Union“ bei dieser Bank vorstellig wurden und um die Hergabe der ihnen zugesagten Mittel ersuchten, wurde ihnen ein kühl ablehnender Bescheid. Die Bank habe sich zu nichts verpflichtet, sie könne und wolle als Hypothekenbank überhaupt derartige industrielle Geschäfte nicht mehr machen und die Herren möchten sich an Schweder halten. Mit diesem Bescheid mußten sich Rathenau und Valentin zufrieden geben. Es blieb nichts anderes übrig als die Liquidation der Gesellschaft, bei der die Gläubiger nichts verloren, die Aktionäre allerdings nur sehr wenig retteten. Mit geschmälertem aber immerhin noch ansehnlichem Besitz — jeder der beiden Teilhaber verfügte damals aus dem Verkauf der Aktien über ein Vermögen von etwa 900000 M. — ging Rathenau nach 10jähriger Tätigkeit aus seinem ersten Unternehmen heraus. Aber er behielt doch als nie vergessene Lehre aus der ganzen Angelegenheit die später für seine großen Transaktionen sehr nützliche und heilsame Abneigung gegen Geschäfte zurück, für die er vorher das Geld nicht bar im Kasten hatte. Ihm, dem sich gewisse persönliche Erfahrungen hartnäckig bis zur Grenze der Zwangsvorstellung einprägten, hatte sich für allezeit ein Mißtrauen gegen Banken und Bankiers eingegraben, von denen er, wenn es irgend ging, bei seinen Geschäften nicht abhängig sein wollte. Hier liegt die erste tiefe Wurzel für seine Bankguthabenpolitik in der A. E. G.-Zeit, die wir später noch kennen lernen werden. Auch eine unüberwindbare Antipathie gegen Effektenspekulationen jeder Art hatten die Erlebnisse und Erfahrungen der Gründerjahre in ihn gelegt. Der Zusammenbruch Schweders, die Liquidation der „Berliner Union“, und das tragische Schicksal seines Schwiegervaters Nachmann, der nach schweren Börsenverlusten aus dem Leben schied, waren die Fälle, die sich von dem gleichgestimmten Hintergrund der allgemeinen Zeitverhältnisse für ihn besonders scharf abhoben und ihn persönlich tief berührten. Sein Unterbewußtsein hat diese Eindrücke nie vergessen.

Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter

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