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Viertes Kapitel Technische Vorbedingungen

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Inhaltsverzeichnis

„Als Emil Rathenau seine Siegeslaufbahn begann, war die Elektrotechnik wenig mehr als ein bescheidener Versuch, die großartigen Forschungen der Physik des vorigen Jahrhunderts nützlicher Verwertung zu erschließen. Die Erfindungen trugen noch deutlich den Stempel ihrer Geburtsstätte — es waren Erzeugnisse instrumentaler Technik. Werner v. Siemens, selbst aus dieser hervorgegangen, war der erste, dessen weitschauender Geist die Notwendigkeit erkannte, die Hilfe eines Bundesgenossen, der Maschinentechnik, herbeizurufen, das Studium der Elektrotechnik den Technischen Hochschulen zuzuweisen, und mit dem Maschinenbau auf das Innigste zu verschmelzen. Schwierig war die Aufgabe, die er damit den technischen Hochschulen erteilte, fehlte es denselben doch zunächst an geeigneten Lehrkräften, die mit theoretischem Wissen praktisches Können vereinten. Da brachte Hilfe die schnell sich entwickelnde Technik selber. Hervorragende Maschineningenieure, technische Physik beherrschend, traten in die Werkstätten der Elektrotechnik und wurden bald ihre Lenker und Leiter. Als der ersten einer — Emil Rathenau. Es war ein großes Glück für die deutsche Elektrotechnik, daß ihr neben Siemens ein Mann erstand, von gleichen Überzeugungen beseelt, mit genialer Veranlagung zum Maschineningenieur erzogen, der, zwar nicht mit ihm vereint, wohl aber im edelsten Wetteifer mit ihm gleichen Zielen zustrebte. Dem Wirken dieser beiden Männer verdankt die deutsche Elektrotechnik ihre erstaunlich schnelle Entwicklung.“

(Prof. Dr. Slaby in einer Festrede zur Feier des 25jährigen Bestehens der A. E. G.)

Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, welche allgemeinwirtschaftlichen Bedingungen Emil Rathenau vorfand, als er am Anfang der 80er Jahre daranging, ein neues Unternehmen aufzubauen. Jetzt soll untersucht werden, wie es mit der Entwicklung der elektrotechnischen Industrie stand, der sich Rathenau zuwandte, weil er auf ihrem Gebiet die größten Zukunftsmöglichkeiten für einen technischen Kaufmann sah.

Die Elektrotechnik, als Grundlage der Elektrizitäts-Industrie, das heißt einer praktisch-wirtschaftlichen Ausnutzung der Wissenschaft von der Elektrizität ist viel jünger als die Erfindung oder besser als die Findung der galvanischen Kraft. Sie ist ganz und gar ein Kind des 19. Jahrhunderts und setzte zu ihrer Ausbildung die Pionierdienste voraus, die auf allgemein-technischem Gebiete erst die Physik und die Chemie leisten mußten. Der erste Schritt in das seitdem experimentell vielfach durchleuchtete Gebiet einer ihrem inneren Wesen nach noch immer geheimnisvollen Kraft wurde halb durch Zufall getan. Lange Zeit ging die herrschende Ansicht dahin, daß die magnetischen und elektrischen Erscheinungen nicht miteinander zusammenhingen. Ein dänischer Physiker Hans Chrystian Oersted entdeckte 1820 das Prinzip des Elektromagnetismus, indem er bemerkte, daß eine auf seinem Experimentiertische befindliche Magnetnadel durch galvanischen Strom abgelenkt wurde. Deutsche, französische und englische Forscher warfen sich bald darauf mit intensiver Energie auf das neue Gebiet der Wissenschaft und suchten die schmale Eingangspforte durch systematische Arbeit zu erweitern. Während man auch nach der Entdeckung Oersteds zunächst noch an der Ansicht festhielt, daß nicht die Elektrizität, sondern der Magnetismus die einfachere, grundlegende Kraft sei, begründete Ampère die Theorie, daß das Grundphänomen das elektrische sei und daß alle Äußerungen des Magnetismus auf elektrischen Strömen beruhten, eine Theorie, die als erwiesen gelten konnte, nachdem gezeigt worden war, daß durch elektrischen Strom ein Magnetfeld erzeugt werden konnte. Damit war die industriell so außerordentlich fruchtbar gewordene Einwirkung der elektrischen Kraft auf den Grundstoff aller modernen industriellen Betätigung, das Eisen, festgestellt, das die Eigentümlichkeit besitzt, durch einen elektrischen Strom sehr kräftig magnetisiert zu werden. Gauß und Weber gelangten auf Grund ihrer Arbeiten im Jahre 1833 zur Erfindung des elektrischen Telegraphen und stellten bald darauf die erste telegraphische Verbindung auf eine kurze Strecke — zwischen ihren beiden Arbeitsstätten in Göttingen — her. Damit schien die deutsche Forschung, nachdem sie dieses eminent praktische Problem wissenschaftlich gelöst hatte, sich zunächst begnügen zu wollen. Für eine praktische Ausnutzung fehlte es in Deutschland damals an einer entwickelten Industrie und gerade umgekehrt wie bei späteren großen Erfindungen, die im Auslande gemacht, aber in Deutschland systematisch-praktisch durchgebildet wurden, ließ man bei den ersten epochemachenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrotechnik die grundsätzlichen Erkenntnisse der Wissenschaft ohne Folgen. Wie später auch das von dem deutschen Physiker Philipp Reis erfundene Telephon wurde der elektrische Telegraph in Amerika entwickelt. Schon im Jahre 1835 konstruierte der Amerikaner Samuel Morse den nach ihm benannten Fernschreibapparat, auch andere Amerikaner und Engländer, wie Wheatstone und Coke befaßten sich erfolgreich mit der Ausbildung des Telegraphen. Im Jahre 1844 wurde die erste öffentliche Telegraphenleitung zwischen Washington und Boston eingerichtet und dem öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht. Die verkehrstechnische Entwicklung des Telegraphen schritt nun mit schnellen Schritten fort. In Amerika, wo besonders große Entfernungen zu überwinden sind, war das Bedürfnis nach rascher Nachrichtenübermittelung naturgemäß am stärksten, und der praktische Sinn überdies am schnellsten bereit, die Errungenschaften der Technik nutzbar zu machen. Aber auch Europa rührte sich. England, Frankreich und Deutschland vermochten sich der Bedeutung nicht zu entziehen, die der Telegraph für das ganze wirtschaftliche, soziale und politische Leben gewinnen mußte. Die Welt war damals bereits aus dem handwerklichen in das maschinelle Zeitalter getreten, und sie rückte auch immer entschiedener in das Zeichen des Verkehrs. Im Jahre 1838 war die erste Eisenbahn in Deutschland fertiggestellt worden, nun folgten allenthalben neue Schienenwege, und die Eisenbahnverwaltungen erkannten bald die Vorteile, die es ihnen bot, ihre Linien von telegraphischen Leitungen begleiten zu lassen. So trafen sich die Bedürfnisse der maschinellen Verkehrstechnik mit denen der elektrischen. Der erste Anstoß für die Einführung des Telegraphen kam in Preußen allerdings nicht von der verkehrspolitischen, sondern von der militärischen Seite her. Die Kommission des preußischen Generalstabes für die Einführung der elektrischen Telegraphen übertrug im Jahre 1847 dem Artillerieleutnant Werner Siemens die Herstellung einer unterirdischen Telegraphenlinie von Berlin nach Großbeeren zu Versuchszwecken. Eine glücklichere Wahl hätte die Militärbehörde nicht treffen können. Damit wurde zum ersten Male der Mann mit der Lösung einer bedeutsamen Aufgabe betraut, der zu den größten technischen Konstrukteuren aller Zeiten gehörend, die Entwicklung der elektrotechnischen Industrie in ihrer ersten, grundlegenden Periode anregen, führen und verkörpern sollte wie kein zweiter in Deutschland, wie nur wenige andere in der ganzen Welt. In der Mitte zwischen technischer Wissenschaft und Praxis stehend, war es Werner Siemens in einer Zeit, in der eine tiefe Kluft zwischen der Theorie und der ausübenden Technik gähnte, vergönnt, sich beide Gebiete ganz zu eigen zu machen, auf beiden Gebieten Gedanken aus erster Hand, von primärem Wert und schöpferischer Auswirkung zu prägen und miteinander zu verschmelzen. Die eiserne Folgerichtigkeit seines technischen Denkens, und die nie ermüdende und nie abschweifende Konstanz seiner Arbeit ermöglichten es ihm, die fruchtbaren Gedanken zur industriellen Reife zu entwickeln. Kein schnelles Blitzlicht, das hier und dorthin springend dunkle Gebiete der Forschung einen Augenblick erhellt und es dann anderen oder auch dem Zufall überläßt, sie dauernd aufzuklären, sondern eine ruhig brennende Flamme, die sich von dem zu erforschenden Gegenstand nicht früher abkehrt, bis sie ihn von allen Seiten abgeleuchtet hat. Nicht so geniefunkelnd, experimentell-geistreich und vielseitig wie der amerikanische „Zauberer“ Thomas Alva Edison, aber nicht weniger finderisch als dieser. Der ernste Kopf, das tiefe Auge, die feste Hand des Niederdeutschen, eine Natur, die mit einer Sache ringt und sie nicht läßt, bevor sie sich ihm ergeben hat. Gewiß, auch Werner Siemens fehlte manches, wovon später noch zu reden sein wird. Aber es war vielleicht gut, daß ihm dieses fehlte, wofür in seiner Zeit die Bedingungen wenigstens in Deutschland noch nicht vorhanden waren, was ihn möglicherweise in der Sicherheit seines Wesens und Wollens nur beirrt, in der Gradlinigkeit seines Schaffens zersplittert hätte. Gerade dadurch, daß Werner Siemens die Möglichkeiten und Forderungen seiner Zeit so völlig erschöpfte, erschöpfte er sich in ihnen, ging die Entwicklung schließlich über ihn hinweg, vermochte er sich einer anderen Zeit nicht mehr so recht anzupassen.

Werner Siemens wurde im Jahre 1816 in Lenthe in Hannover als Sohn eines Gutspächters geboren. Schon den jungen Gymnasiasten drängten Begabung und Neigung zur Technik. Da das Studium auf der Bauakademie, dem damals einzigen technischen Lehrfach, dem Vater zu kostspielig war, wurde auf Anraten eines Freundes der Familie ein Kompromißweg gefunden. Werner Siemens sollte preußischer Pionieroffizier werden, wo er Gelegenheit haben würde, dasselbe zu lernen wie auf der Bauakademie. Wie so viele strebsame Jünglinge aus den deutschen Mittel- und Kleinstaaten wandte sich Siemens nach Preußen. „Der einzige feste Punkt in Deutschland ist jetzt der Staat Friedrichs des Großen und die preußische Armee,“ sagte ihm zustimmend der Vater, als er seinen Entschluß zu erkennen gab. Werner Siemens wurde aber nicht Pionier-, sondern Artillerieoffizier, da ihm gesagt wurde, daß er als solcher bedeutend bessere militärische Aussichten und dieselbe technische Vorbildung haben würde. Die Zeit auf der Artillerie- und Ingenieurschule nutzte der junge Mann in ernster Weise aus, auch als Offizier in verschiedenen preußischen Garnisonstädten befaßte er sich mit wissenschaftlichen Studien und Experimenten. Die Erfindung Jacobis, Kupfer in metallischer Form durch den galvanischen Strom aus reiner Lösung von Kupfervitriol niederzuschlagen, veranlaßte ihn, sich im Jahre 1840 mit der Galvanisierung zu beschäftigen. In der Zitadelle von Magdeburg, in der er eine ihm wegen Sekundierens beim Duell auferlegte Festungshaft absolvieren sollte, richtete er sich, ganz zufrieden mit der ihm ermöglichten Muße, ein Laboratorium ein, und es glückte ihm, ein neues Verfahren galvanischer Versilberung und Vergoldung zu entdecken. Der praktische Sinn des jungen Offiziers äußerte sich darin, daß er, obwohl als Militär in der Wahl der Mittel zur Einleitung von Geschäften sehr beschränkt, darauf bedacht war, aus seiner Erfindung Kapital zu schlagen. Es gelang ihm, mit der Neusilberfabrik J. Heninger einen Vertrag abzuschließen, auf Grund dessen er dieser eine Anstalt für Vergoldung und Versilberung nach seinen Patenten gegen Gewinnbeteiligung einrichtete. Seinen Bruder Wilhelm schickte er nach England, damit er dort den Versuch mache, die elektrolytischen Patente und das später erfundene Verfahren der Vernickelung zu verwerten. Diesem glückte es auch, die Patente für 1500 Pfd. Sterl. an eine englische Firma zu verkaufen. Bald lenkten größere Aufgaben das Interesse Werner Siemens auf sich. Er beteiligte sich an den Versuchen, die Leonhardt im Auftrage des Generalstabes der preußischen Armee über die Frage der Ersetzbarkeit der optischen Telegraphie durch elektrische anstellte. Siemens konstruierte einen Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung, dessen Herstellung er einem jungen Mechaniker namens Halske anvertraute. Kurze Zeit später fand er in dem damals neu auf dem englischen Markte erschienenen Guttapercha ein ausgezeichnetes Isolationsmaterial für unterirdische elektrische Drahtleitungen, wie sie damals angesichts der herrschenden Meinung, daß oberirdische Leitungen zu leicht der Zerstörung ausgesetzt seien, für allein anwendbar gehalten wurden. Er stellte ferner auch eine Schraubenpresse her, durch die der erwärmte Guttapercha unter Anwendung hohen Drucks nahtlos um den Kupferdraht gepreßt wurde. Siemens Entschluß, sich ganz der Entwicklung des Telegraphenwesens zu widmen, stand nun fest. Er veranlaßte im Jahre 1847 den Mechaniker G. Halske, mit dem die gemeinsame Arbeit ihn näher verbunden hatte, eine Telegraphenbauanstalt zu begründen, in die er nach seiner Verabschiedung aus dem Heeresdienste selbst eintreten wollte. Das Betriebskapital von 6000 Talern lieh ihm ein Vetter, der Justizrat Siemens, der Vater des später so berühmt gewordenen ersten Direktors der Deutschen Bank Georg von Siemens. Die Werkstatt wurde in einem Hinterhaus der Schönebergerstraße in der Nähe des Anhalter Bahnhofs eröffnet. Siemens selbst wollte seine ganze Kraft dem neuen Unternehmen erst widmen, wenn die Generalstabskommission zur Einführung des elektrischen Telegraphen ihre Aufgabe voll erfüllt hatte. So sehr er auch die ihm offenstehende Laufbahn, sich dank seiner beherrschenden Stellung in der Telegraphenkommission allmählich zum Schöpfer und Leiter des preußischen Staatstelegraphen aufzuschwingen, als zu eng, zu wenig selbständig, zu bureaukratisch ablehnte, hier lag doch in der damaligen Zeit noch das Feld, auf dem er am entscheidendsten an der Verwirklichung seiner Pläne mitarbeiten konnte. Bald darauf wurde auch die bereits erwähnte erste unterirdische Telegraphenlinie Berlin-Großbeeren und die oberirdische Linie Berlin-Potsdam fertiggestellt, und von dem freien Blick dieses kaufmännischen Soldaten zeugt es, daß er — im Gegensatz zu den Heeresbehörden — dafür eintrat, daß die neuen Linien nicht nur dem Militär, sondern auch dem Publikum zur Verfügung stehen mußten. Die März-Revolution und der dänische Krieg von 1848 unterbrachen die systematische Arbeit am Telegraphen. Wir sehen Siemens als Kriegstechniker in Kiel, Friedrichsort und Eckernförde, wo er die Verteidigung dieser Seehäfen durch Minensperren — die ersten, die jemals gelegt wurden — und durch Hafenbatterien durchführte. Nach Berlin zurückgekehrt, nahm Siemens die telegraphischen Projekte mit Hochdruck wieder auf. Der brave Halske hatte, unbeirrt durch Revolution und Kriegsgeschrei, seine Telegraphenapparate auch ohne Bestellung weiter fabriziert und dadurch das junge Unternehmen vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Zuversicht sollte sich lohnen. Es gab bald Arbeit in Hülle und Fülle. Eine große unterirdische Telegraphenlinie von Berlin nach Eisenach und eine oberirdische von dort nach Frankfurt, wo damals das erste deutsche Parlament tagte, waren im Auftrage des preußischen Handelsministeriums zu bauen. Die Loslösung des Telegraphen vom rein militärischen Interesse, seine Verwendung im Dienste des Verkehrs war eine Tatsache. Siemens zog nun endgültig den Soldatenrock aus und trat als offener Teilhaber in die Firma Siemens & Halske ein. Die Periode der Versuche, der tastenden Anfänge und kleinen Dimensionen ist überwunden. Die Entwicklung verstärkt, verbreitert, vervielfältigt sich, geht ins Große und trägt die Firma Siemens & Halske zur Bedeutung nicht nur des ersten elektrotechnischen Unternehmens in Deutschland, sondern eines Welthauses empor.

Neben Telegraphenanlagen wurden bald Läutewerke für Bahnanlagen, Meßinstrumente hergestellt. Der im Jahre 1850 nach Europa gekommene Morse-Apparat wurde von der Firma mit vielen Verbesserungen versehen und zu einer Vollendung gebracht, die ihn über alle früheren Systeme weit hinaushob. Das Absatzgebiet wurde über Deutschland hinaus erweitert. Insbesondere in Rußland verstand es die junge Firma, die im Jahre 1849 immer noch mit 32 Arbeitern auskam, festen Fuß zu fassen; neben kleineren Telegraphenlinien wurden die großen Strecken Petersburg-Warschau, Moskau-Kiew-Odessa, Petersburg-Reval und Petersburg-Helsingfors fertiggestellt. Werner Siemens hatte das Glück, energische und tüchtige Brüder zu besitzen, denen er die Geschäfte im Auslande anvertrauen konnte, was dazu beitrug, den Familiencharakter der Siemensschen Unternehmungen zu wahren, und trotz der notwendig gewordenen Dezentralisation aufrecht zu erhalten. Wie Karl Siemens das russische Geschäft, den technischen Weisungen des genialen Werner folgend, aber kaufmännisch mit einem hohen Grade von Selbständigkeit und Geschick entwickeln konnte, so vermochte Wilhelm Siemens, der früh nach England gegangen war, trotz der starken Konkurrenz in diesem technisch dem damaligen Deutschland überlegenen Lande, eine starke Stellung zu erkämpfen. Er lieferte für den indischen Telegraphen Materialien und Apparate und eröffnete einen lohnenden Fabrikationszweig durch die Konstruktion des nach ihm benannten Wassermessers. Entscheidend wurde die Betätigung in England für die Bedeutung, die sich die Firma Siemens & Halske in der Kabelfabrikation und in der Kabellegung erwerben sollte. Zunächst beschränkte man sich auf die Herstellung von Kabeln und elektrischen Apparaten für die Unterwassertelegraphie, und entwickelte grundlegende Methoden für Kabelprüfung und Fehlerbestimmung. Die erste selbständige Kabellegung für die Linie Kartagena-Oran, die von der französischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, aber infolge ungünstiger Formation des Meeresbodens dreimal mißglückte, forderte schwere Opfer, die die Brüder Siemens nicht entmutigten, aber den vorsichtigen, jeder Großzügigkeit baren Halske veranlaßten, die Trennung des Londoner Geschäfts von dem Berliner zu beantragen. Diese erfolgte und das Londoner Geschäft ging unter der Firma Siemens Brothers in den Besitz der Brüder Wilhelm, Werner und Karl über. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Firma für den Bau von Überseekabeln hat nicht getrogen. Im Laufe der Jahre gelang es Siemens Brothers mit einem direkten Kabel von Irland nach Amerika das Monopol eines damals unter den Auspizien Sir William Penders gebildeten Kabelringes zu durchbrechen und andere große Überseekabel in Auftrag zu bekommen. Kein Geringerer als der große Gelehrte Sir William Thomson hatte das erste Siemenskabel geprüft und für fehlerfrei und außerordentlich sprechfähig erklärt. Vorangegangen war die Errichtung einer eigenen Guttaperchafabrik in England, die notwendig wurde, da die einzige englische Fabrik, die bis dahin nahtlos mit Guttapercha umpreßte Drähte nach dem Siemensschen System herstellte, offenbar im Interesse jenes Kabelringes bei der Lieferung von gereinigter Guttapercha an Siemens Brothers Schwierigkeiten gemacht hatte. Die Gesellschaft, die von den Brüdern Werner, Wilhelm und Karl Siemens für den Bau der Kabellinie Irland-Amerika gegründet wurde, mußte ihr Kapital auf dem Kontinent aufbringen, da der englische Markt durch die übermächtige Konkurrenz verschlossen war. Schon vorher hatte der ständig nach neuen Projekten ausschauende Geist Werner Siemens ein anderes gewaltiges Werk ersonnen und ausgeführt. Es handelte sich um nichts geringeres, als um den Bau einer Indo-Europäischen Überland-Telegraphen-Linie, die England über Preußen, Rußland und Persien mit seiner Kolonie Indien verband. Zu diesem Zwecke wurde eine englische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 425000 Pfd. Sterl. gegründet, die sämtliche Konzessionen von den beteiligten Regierungen erwarb und die Linie bis zum Jahre 1869 fertigstellte. Der Bau, die Lieferungen an Materialien und Apparaten und die Unterhaltung der ganzen Linie wurde der Firma Siemens & Halske übertragen, die sich ihrerseits mit einem Fünftel des Aktienkapitals an dem Unternehmen beteiligte. Die Indo-Europäische Überland-Linie und die Kabelgesellschaft Irland-Amerika bilden die ersten Fälle von sogenannten Betriebsunternehmungen, die nicht im fremden Auftrag, sondern auf eigene Initiative von einer Fabrikationsgesellschaft in der elektrischen Industrie gegründet worden sind. Für Werner Siemens sind es Ausnahmefälle geblieben, die nicht einem geschäftlichen System entsprangen, sondern der Verwirklichung technischer und verkehrspolitischer Lieblings-Gedanken dienen sollten, weil diese Verwirklichung auf anderem Wege nicht hätte erfolgen können. Zu den Prinzipien der Firma Siemens & Halske gehörten derartige Eigen-Gründungen durchaus nicht, und wir werden später sehen, daß hier gerade ein Ansatzpunkt für das kaufmännisch anders geartete und modernere System Emil Rathenaus lag.

Schon der unternehmerische Wagemut, den damals die Firma Siemens & Halske an den Tag legte und der die Grenzen der Firma immer weiter ins Weltwirtschaftliche und Großbetriebliche hinausschob, sagte Halske, dem ersten Sozius Werner Siemens und Mitbegründer der Firma nicht zu. Sein ehrlicher, gediegener, aber immerhin begrenzter und ängstlicher Geist liebte nur Geschäfte, die er überblicken konnte. Wohl fühlte er sich nur in kleineren Dimensionen, das andere schien ihm ein Wagen, das dem Hazardieren verwandt war. Darum schied er im Jahre 1868 aus der Firma, der er in den ersten Jahren ihres Bestehens als geschickter und tüchtiger Feinmechaniker hatte treffliche Dienste leisten können, die ihm aber entwachsen war, seitdem sich die Firma handwerkliche Talente, wie er eins war, zu Dutzenden gegen mäßige Bezahlung halten konnte. An Bedeutung für das Geschäft war Halske schon lange hinter Siemens Jugendfreund William Meyer, der jahrelang die Stellung eines Oberingenieurs und Prokuristen bekleidet hatte, zurückgeblieben. Meyers Nachfolger, der frühere Leiter des Hannoverschen Telegraphenwesens Karl Frischen, überragte als Persönlichkeit Halske noch beträchtlicher. Endlich wuchs in der Person des Herrn v. Hefner-Alteneck, der aus dem jüngeren Schülerstabe Werner Siemens stammend, als Chef des Konstruktionsbureaus tätig war, eine Kraft heran, der als technischer Erfinder in der Folgezeit Bedeutendes leisten sollte und als Konstrukteur neben Werner Siemens wohl bestehen konnte. Damit war Halskes Platz als erster Mitarbeiter Werner Siemens in einer dem neuen Charakter des Geschäfts entsprechenden Weise schon lange besetzt worden, ehe er ihn noch verlassen hatte.

Alles was die Firma Siemens & Halske, was die Elektrizitätsindustrie in der vergangenen Periode geleistet hatte, was auch noch den Hauptinhalt des nächsten Jahrzehnts bildete, gehörte der Schwachstromindustrie, das heißt der Erzeugung von Elektrizität auf chemischem Wege an. In Deutschland waren in dieser ersten Blüteperiode der Elektrizitätsindustrie nur verhältnismäßig wenige größere Firmen neben Siemens & Halske tätig. Bedeutung erwarben außerdem eigentlich nur die Firmen Felten & Guilleaume in Mülheim a. Rh., Gebr. Naglo und H. Poege in Chemnitz. Im übrigen gab es wohl eine ganze Anzahl von kleinen Betriebswerkstätten, die mit wenigen Arbeitern auskamen, und sich auf die Anfertigung von Apparaten, kleineren Telegraphenanlagen, Instrumenten usw. beschränkten. Über eine nationale, kaum lokale Bedeutung gingen aber diese Betriebe nicht hinaus. Wie wenig auch Siemens & Halske damals noch trotz ihres internationalen, weit ausgesponnenen Geschäfts dem entsprachen, was wir heute unter einem Großunternehmen verstehen, geht daraus hervor, daß diese Firma im Jahre 1869 nur 250, im Jahre 1875 nur 600 Arbeiter beschäftigte, eine Anzahl, die ungefähr die Hälfte der damals in der ganzen deutschen Elektrizitätsindustrie verwandten Arbeiter darstellte. Die überragende Bedeutung der Firma Siemens & Halske in dieser Periode hatte insofern ihr gutes, als der deutschen Elektrizitätsindustrie dadurch die konjunkturellen Ausschreitungen und die darauf folgende Krise erspart blieben, die in den anderen damals industriell weiter entwickelten Ländern infolge der Übergründungen elektrotechnischer Unternehmungen unausbleiblich gewesen waren. Die erste der großen elektrotechnischen Krisen berührte infolgedessen Deutschland nur verhältnismäßig wenig. Am stärksten hatte sie England betroffen, wo die industrielle Elektrotechnik namentlich nach den ersten großen Erfolgen des Kabelbaus mit einer Hochflut von Gründungen und Projekten eingesetzt hatte. Die hohen Dividenden der ersten Kabelunternehmungen hatten zur Nachahmung angestachelt, und das Publikum riß sich förmlich um die Papiere von Aktiengesellschaften, die irgend etwas mit Elektrizität zu tun hatten. Da die Aktien nach dem englischen Gesetz auf den kleinen Betrag von 1 Pfd. Sterl. ausgegeben werden konnten, ergriff das elektrische Spekulationsfieber auch die kleinsten Kapitalistenschichten. Ein Börsenkrach fegte diese ungesunden Auswüchse schließlich fort und die englische Regierung hielt es für richtig, als im Jahre 1880 mit der Lichtelektrizität ein neues Feld für Gründungen auf elektrotechnischem Gebiete sich zu eröffnen schien, mit einem beschränkenden Gesetz, der Electric Lighting Act, einzugreifen. Durch dieses Gesetz, das elektrische Beleuchtungsanlagen für die Dauer von 20 Jahren als ein Monopol der Regierung erklärte, wurde aber nicht nur die Entwicklung der Gründerei und Spekulation, sondern auch die der elektrotechnischen Industrie behindert, was sich in den kommenden Zeiten der zweiten elektrotechnischen Blüteperiode, in der die Starkstrom-Industrie zur Geltung kam, als ein schwerer Nachteil für England erwies. Die großen Erfolge der deutschen Starkstromindustrie, die dieser die unbestrittene Führung in Europa sicherten, sind einmal dadurch ermöglicht worden, daß in Deutschland dank der soliden Vorherrschaft der Firma Siemens & Halske kein kapitalistischer Zusammenbruch den Enthusiasmus für elektrische Gründungen abgekühlt hatte; dann aber auch dadurch, daß England, das gegebene Hauptwettbewerbsland, schon unangenehme Erfahrungen mit der industriellen Elektrotechnik hinter sich hatte, von denen sich weder die Regierung, noch das Publikum im richtigen Augenblick befreien konnten.

Das große historische Verdienst Werner v. Siemens lag nicht nur in der hervorragenden Mitwirkung, die er der Entwicklung der Schwachstromtechnik hatte angedeihen lassen, sondern in der schöpferischen Wendung, die er der Starkstromtechnik durch seine grundlegende Erfindung des sogenannten dynamo-elektrischen Prinzips im Jahre 1866 gegeben hatte. Dieses Prinzip besteht darin, daß Elektrizität nicht wie beim Schwachstrom auf chemischem Wege (durch Elemente oder Batterien), sondern auf physikalischem Wege durch die elektromagnetische Induktionsmaschine erzeugt wird. Werner v. Siemens schildert seine Versuche auf diesem Gebiete und die Ergebnisse, zu denen er durch sie gelangte, in seinen Lebenserinnerungen folgendermaßen:

„Bereits im Herbst des Jahres 1866, als ich bemüht war, die elektrischen Zündvorrichtungen mit Hilfe meines Zylinderinduktors zu vervollkommnen, beschäftigte mich die Frage, ob man nicht durch geschickte Benutzung des sogenannten Extrastromes eine wesentliche Verstärkung des Induktionsstromes hervorbringen könnte. Es wurde mir klar, daß eine elektromagnetische Maschine, deren Arbeitsleistung durch die in ihren Windungen entstehenden Gegenströme so außerordentlich geschwächt wird, weil diese Gegenströme die Kraft der wirksamen Batterie beträchtlich vermindern, umgekehrt eine Verstärkung der Kraft dieser Batterie hervorrufen müßte, wenn sie durch eine äußere Arbeitskraft in der entgegengesetzten Richtung gewaltsam gedreht würde. Dies mußte der Fall sein, weil durch die umgekehrte Bewegung gleichzeitig die Richtung der induzierten Ströme umgekehrt wurde. In der Tat bestätigte der Versuch diese Theorie, und es stellte sich dabei heraus, daß in den feststehenden Elektromagneten einer passend eingerichteten elektromagnetischen Maschine immer Magnetismus genug zurückbleibt, um durch allmähliche Verstärkung des durch ihn erzeugten Stromes bei umgekehrter Drehung die überraschendsten Wirkungen hervorzubringen.

Es war dies die Entdeckung und erste Anwendung des allen dynamo-elektrischen Maschinen zu Grunde liegenden dynamo-elektrischen Prinzips. Die erste Aufgabe, welche dadurch praktisch gelöst wurde, war die Konstruktion eines wirksamen elektrischen Zündapparates ohne Stahlmagnete, und noch heute werden Zündapparate dieser Art allgemein verwendet. Die Berliner Physiker, unter ihnen Magnus, Dove, Rieß, du Bois-Reymond, waren äußerst überrascht, als ich ihnen im Dezember 1866 einen solchen Zünderinduktor vorführte und an ihm zeigte, daß eine kleine elektromagnetische Maschine ohne Batterie und permanente Magnete, die sich in einer Richtung ohne allen Kraftaufwand und in jeder Geschwindigkeit drehen ließ, der entgegengesetzten Drehung einen kaum zu überwindenden Widerstand darbot und dabei einen so starken elektrischen Strom erzeugte, daß ihre Drahtwindungen sich schnell erhitzten.“

Die Priorität der Siemensschen Erfindung ist bald nach ihrer Bekanntgabe von verschiedenen Seiten bestritten worden. Die Engländer Wheatstone und Varley nahmen für sich die Gleichzeitigkeit der Idee in Anspruch. Immerhin hat Werner v. Siemens das dynamo-elektrische Prinzip zuerst literarisch dargestellt, konstruktiv mit Hilfe des sogenannten Doppel-T-Ankers ausgeführt, und ihm den Namen gegeben. Sein Verdienst wird nicht geschmälert, wenn man selbst annimmt, daß er etwas erfunden habe, was damals in dem Gang der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung logisch begründet und sozusagen in der Luft lag. Dies zeigt im Gegenteil, daß seine Erfindung systematischer Arbeit und folgerichtigem Denken, nicht einem Zufall ihr Dasein verdankt. Richtig ist hingegen, daß Werner v. Siemens weder die Dynamomaschine zu voller praktischer Brauchbarkeit entwickelt, noch den ganzen Umfang ihrer industriellen Nutzungsmöglichkeit erkannt und mit der sonst bei ihm gewohnten Energie zu verwirklichen gesucht hat. Sein Gedanken- und Arbeitskreis war doch wohl zu sehr von den Problemen der Schwachstromtechnik erfüllt, seine Kraft zu sehr von der lebenslangen Beschäftigung mit ihr absorbiert, als daß er sich dem Neuland der Starkstromtechnik hätte mit unverminderter Schaffensfähigkeit zuwenden können. Dazu gehörte eine unverbrauchte Frische, eine Jugend mit Zukunftsaugen, nicht der Rest eines mit Arbeit und Gedanken überfüllten Lebens.

Die praktische Verwertbarkeit der Dynamomaschine wurde gefördert durch die Einführung des sogenannten Pacinottischen Ringankers und des Hefnerschen Wickelungssystems (Trommelanker), aber erst Gramme baute im Jahre 1869 die erste wirklich gut funktionierende und industriell brauchbare Dynamomaschine, die kontinuierlichen Gleichstrom erzeugte. Werner v. Siemens hat selbstverständlich als der bedeutende Techniker und der klare Kopf, der er war, erkannt, daß die neue Erfindung eine große Tragweite besitze. An seinen Bruder Wilhelm schrieb er schon im Jahre 1866: „Die Effekte der dynamo-elektrischen Maschine müssen bei geeigneter Konstruktion kolossale werden. Die Sache ist sehr ausbildungsfähig und kann eine neue Ära des Elektromagnetismus anbahnen. Magnet-Elektrizität wird billig werden und kann nun zur Lichterzeugung, für elektrochemische Zwecke, ja selbst wieder zum Betriebe von kleinen elektromagnetischen Maschinen zum Vorteil verwandt werden.“ — Man sieht, das sind Worte, in denen die höchsten Erwartungen und Hoffnungen sich widerspiegeln, aber es ist merkwürdig, die Hand Werner v. Siemens war bei den Ausführungsmaßnahmen auf dem neuen, als gewaltig erkannten Gebiet nicht mehr so sicher, fest und glücklich wie früher, die Phantasie arbeitete nicht mehr so hoffnungsfreudig und kühn, und die Durchführung wirkt sozusagen kleiner als der Gedanke. Wenn Werner v. Siemens auch recht wohl erkannte, daß die Erzeugung starker Gleichströme und großer Strommengen für die Lichterzeugung von großer Bedeutung sein werde, so sah er doch auf diesem Gebiete hauptsächlich nur die äußerlich pompöse Bogenlampe, die in den 70er Jahren erfunden worden war, und für die Siemens & Halske in der Hefner-Alteneckschen Differential-Lampe ein besonders gutes Modell besaßen. Die unscheinbarere, aber für die elektrische Beleuchtung viel wichtiger gewordene Glühlampe lehnte Siemens nicht gerade ab. Er ließ sich, als Emil Rathenau mit genialem Blick die großartige Zukunft dieser Lampe erkannt hatte und zu ihrer Einführung in Deutschland die Unterstützung der damals maßgebenden deutschen elektrotechnischen Firma nachsuchte, sogar ziemlich leicht von ihrem Wert überzeugen, aber seine ganze Stellung zur Glühlampe war doch mehr passiv. Sie mußte ihm erst plausibel gemacht, fast aufgedrängt werden. Er riß sie nicht an sich, wie er vor 30 Jahren den Telegraphen an sich gerissen hatte. Auch von der gewaltigen quantitativen Ausdehnungsfähigkeit der Dynamomaschine machte er sich nicht das richtige Bild. Als Emil Rathenau, der in den ersten Jahren seiner Tätigkeit für die Edison-Gesellschaft die Maschinen vertragsgemäß bei Siemens & Halske bauen lassen mußte, von Siemens bis dahin unerhört große Maschinentypen verlangte, sah ihn der große Konstrukteur verwundert, und fast geringschätzig wie einen überspannten Dilettanten an, und sagte ihm: „Gewiß, bauen kann ich Ihnen solche Maschinen, aber gehen werden sie nicht.“ Emil Rathenau ließ die Maschinen schließlich aber doch bauen, und sie gingen nicht nur, sondern es gingen auch noch solche, neben denen sich seine ersten heute als Zwerge ausnehmen würden. Emil Rathenau reichte als positiver Techniker auch nicht entfernt an Werner v. Siemens heran, aber in diesen Dingen und zu diesen Zeiten hatte er den größeren technischen Weitblick.

Auch im Kaufmännischen ging Werner v. Siemens nicht ganz mit der aufkommenden neuen Zeit mit, wenngleich ein Unternehmen, wie das von Siemens & Halske naturgemäß genug innere Triebkraft und Elastizität besaß, um seine Stellung — allerdings hier und da nach einigem Zaudern — allen Methoden der Konkurrenz gegenüber zu verteidigen, und wo es nottat, sich ihnen anzupassen. Einrosten ließ diese Firma ihren Betrieb auch auf der Höhe der Entwicklung nicht, lebendig blieb ihr Geschäft auch in der Folgezeit, aber das Bahnbrechende ging doch in mancher Hinsicht verloren. Das Kämpfen wurde nicht verlernt, aber doch das Angreifen und Erobern. Die Zeiten, in denen Werner Siemens nacheinander sechs Außenseiterlinien gegen den englischen Kabelring aufbot, und immer eine neue Linie begann, wenn sich der Ring mit der früheren verglichen hatte, wichen ruhigeren Perioden, in denen nicht das Erringen des Besitzes, sondern seine Wahrung dem Ganzen den Stempel aufdrückte. Das lag sozusagen an der zunehmenden „Klassizität“, in die sich Werner v. Siemens hineinwuchs. Der Grundzug seines Wesens war ja nie loderndes Temperament, heiße Flamme gewesen, wie sie manchmal auch Grauköpfe noch zu Ausbrüchen, Überraschungen, Neuerungen bringen mögen. Die ruhige Wärme, die gleichmäßige Kraft, die seiner ganzen Natur eigen war, gaben seinem reifen Alter etwas Zurückhaltendes, in sich Geschlossenes, manchmal Abweisendes. Eine gewisse — wenigstens äußere — Abkühlung war bei Menschen seines Schlages mit den zunehmenden Jahren nicht zu vermeiden. Wir haben bereits früher einmal gesagt, daß Werner v. Siemens in der Mitte zwischen Wissenschaft und Technik stand und durch die eine die andere zu erobern trachtete. In seinen späteren Jahren suchte er immer tiefer von dem Technischen in das Wissenschaftliche vorzudringen, und wie ernst seine Wissenschaftlichkeit nicht nur war, sondern auch von der Zunft und ihren Königen genommen wurde, zeigt sich darin, daß Männer wie Magnus, Dove, du Bois und Helmholtz ihm eng befreundet waren und ihn durchaus als ihresgleichen betrachteten. Du Bois-Reymond sagte von ihm, daß er nach Beanlagung und Neigung in weit höherem Maße der Wissenschaft als der Technik angehöre und Werner Siemens war mit dieser Charakteristik durchaus zufrieden. Er wurde philosophischer Ehrendoktor, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, und war als solches nicht nur genötigt, sondern auch gern bereit, sich über Probleme der angewandten technischen Wissenschaft hinaus, auch mit rein naturwissenschaftlichen Untersuchungen und Arbeiten allgemeiner Art zu beschäftigen. Diese Beschäftigung und dieser Umgang mußten auch auf die kaufmännische Seite seiner Tätigkeit zurückwirken. Er wurde als Kaufmann sehr vornehm, und als der alte Kaiser Wilhelm ihm durch die Ernennung zum Kommerzienrat eine Ehre erweisen wollte, bemerkte er ablehnend zu dem Beauftragten des Monarchen: „Premierleutnant, Dr. phil. honoris causa und Kommerzienrat vertrügen sich nicht, das mache ja Leibschmerzen.“ — Es wäre indes völlig falsch, wenn man Werner Siemens, wie dies hier und da geschehen ist, kaufmännische Talente und Neigungen absprechen wollte. Er besaß sie in hohem Maße, wie sich schon in seiner ersten Periode der technischen Erfindungen, für die er mit großer Geschäftsgewandtheit noch als Offizier sofort die richtige kaufmännische Ausnutzung zu finden wußte, hinlänglich gezeigt hat; wie noch stärker die spätere meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen Kaufmannschancen bewies. Man vergleiche damit z. B. die Weltfremdheit, mit der ein Gauß auf jede kommerzielle Verwertung seines Telegraphen verzichtet hatte, man vergleiche damit auch moderne Erfinder, wie Nernst, Röntgen, Ehrlich usw., die zwar — im Zeitalter der technischen Ausnutzung — sehr wohl verstanden, Industrielle für ihre Entdeckungen zu interessieren und Kapital aus ihnen zu schlagen, aber trotzdem Gelehrte gewesen und geblieben sind. Werner Siemens war — das kann man auch seiner eigenen anders lautenden Ansicht gegenüber aufrecht erhalten — im Kerne seines Wesens vor allem nicht nur praktischer Techniker, sondern auch praktischer Kaufmann. Er beherrschte nicht nur die großen, sondern auch die kleinen kaufmännischen Mittel und konnte nicht nur klug, sondern auch gerissen sein. Erst nachdem er sich in diesen Richtungen so weit ausgelebt hatte, als es die Bedingungen seiner Zeit und seine Veranlagung erlaubten, gab er der dritten Fähigkeit seiner reichen Natur freie Bahn, die vielleicht nicht die innerste, aber doch die innerlichste seines Wesens war, in der er am reinsten und klarsten zu einer Vertiefung und Sammlung seiner Gedankenarbeit, zu einem einheitlichen, geschlossenen Wissensbild, zu einer Klarheit über sich, die Wurzeln und Kräfte seiner Welt gelangen konnte. Diese Verinnerlichung und Veredelung seines Wesens, die gewiß nur wenig mit Akademikerstolz, mit geschmeichelter Eitelkeit des wissenschaftlich Anerkannten zu tun hatte, ehrt den Menschen Siemens gewiß; diese schließliche seelische Intensivierung ist keine geringe ethische Leistung für einen von Hause aus praktisch veranlagten Menschen, dessen Leben lange Zeit im Zeichen der äußersten, vielgestaltigsten Expansion gestanden hatte. Dem industriellen Kaufmann und seinem Unternehmen hat sie naturgemäß nicht in gleicher Weise zum Vorteil gereicht.

Die Starkstromtechnik brachte bald das zu Wege, was in den Zeiten der Schwachstromtechnik — wenigstens in Deutschland — nicht gelungen war. Es entstand neben Siemens & Halske eine ganze Reihe von Unternehmungen, die sich im industriellen Großbetrieb der Elektrotechnik zuwandten. Auf dem Gebiete des Telegraphen und des Kabels hatten die Verhältnisse so gelegen, daß zur Gründung von Betrieben, die den Bau von großen Telegraphenlinien und Kabelverbindungen für fremde oder auch für eigene Rechnung unternehmen wollten, umfangreiche Kapitalien und eingehende Erfahrungen nötig waren. An solche Aufgaben traute man sich in Deutschland, besonders angesichts des Vorsprungs, den Siemens & Halske darin erworben hatten, nicht heran. Für die Herstellung von Apparaten, Instrumenten und Materialien der Schwachstromindustrie genügten aber kleinere Mechanikerbetriebe, die der großgewerblichen Methoden entraten konnten, da es auf die feinmechanische Arbeit, nicht auf die Maschinentechnik ankam. Dies wurde mit einem Schlage anders, als die Starkstromtechnik auf dem Plane erschien. Dynamomaschinen, elektrische Lampen usw. ließen sich nur in fabrikmäßigen Betrieben herstellen. Hierzu waren aber weder — wenigstens in der ersten Zeit — besonders große Kapitalien nötig, noch war die weit überlegene Konkurrenz älterer Fabriken zu überwinden. Die Firma Siemens & Halske mußte hier genau so von vorn anfangen, wie alle anderen Fabriken, und es gab eine ganze Menge von Fachleuten, die in der Maschinentechnik ebenso große, vielleicht noch größere Vorkenntnisse besaßen, als die Ingenieure dieser Firma. Gegen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre entstanden infolgedessen mehrere elektrotechnische Fabriken, die sich vornehmlich der Starkstromindustrie zuwandten. Von ihnen sind besonders zu erwähnen die Elektrizitätsgesellschaft vorm. Schuckert und die Deutschen Elektrizitätswerke Garbe, Lahmeyer & Co., die später in die Kommanditges. und schließlich in die Elektrizitäts-Aktiengesellschaft W. Lahmeyer & Co. überführt wurde. Ihre Entstehung hat mit der Lichtelektrizität, die — ihrerseits vorbereitet durch die Konstruktion der Dynamomaschine — wiederum eine Reihe weiterer Unternehmungen wie die Deutsche Edison-Ges. (A. E. G.), die Helios-Elektrizitäts-Ges., die Elektrizitäts-Akt.-Ges. Kummer ins Leben rief, noch nicht viel zu tun. Jene Gründungen — Schuckert und Lahmeyer — beruhten hauptsächlich auf der Fabrikation von Dynamomaschinen. Besonders die Entwicklung der Schuckertschen Fabrik illustriert deutlich die Bedeutung, die die praktische Ausgestaltung der Dynamomaschine für die geschäftlichen Aussichten neuer Unternehmungen in der Elektrizitätsindustrie gehabt hat.

Johann Sigmund Schuckert gehört zu den interessanteren Persönlichkeiten der deutschen Elektrizitätsindustrie, und darum seien seinem ungewöhnlichen Lebens- und Entwicklungsgang einige Worte gewidmet. Schuckert hat keine Ingenieurbildung erhalten, sondern er stammte aus ganz einfacher Mechanikerlaufbahn, und ist in dieser Hinsicht von allen bekannten Persönlichkeiten der deutschen Elektrizitätsindustrie am meisten Halske ähnlich. Während dieser aber alles, was er geworden ist, seinem Sozius Siemens verdankte, dessen fortreißende Persönlichkeit den für bescheidene Verhältnisse Geschaffenen über die ihm sonst gesetzten Grenzen hinaushob, ohne ihn doch auf der erreichten Höhe heimisch machen zu können, besaß Schuckert die Energien des Auftriebs in sich selbst. In einer mechanischen Werkstätte seiner Vaterstadt Nürnberg duldete es ihn nur gerade die drei Lehrjahre. Dann ging er auf die Wanderschaft durch eine Reihe von größeren deutschen Städten. In Berlin arbeitete er eine Zeitlang im Betriebe von Siemens & Halske. Allmählich brachte er es bis zum Werkmeister, die Mußestunden, die ihm seine Berufsarbeit ließ, zu seiner technischen Fortbildung benutzend. Sein Wandertrieb führte ihn schließlich nach Amerika, wo er auch bei Edison tätig war. Im Jahre 1873 kehrte er nach Nürnberg zurück, wo er eine kleine Werkstätte errichtete und sich mit der Reparatur von Nähmaschinen und der Herstellung von Instrumenten und Apparaten beschäftigte, die er zum Teil selbst konstruierte oder verbesserte. Seine Fabrikate verleugneten nicht den Fachmann, der die Elemente der Feinmechanik nicht nur technisch, sondern auch handwerklich bis ins Kleinste studiert hatte. Im Jahre 1875 baute er seine erste Dynamomaschine, und die vorzüglichen Eigenschaften, die sie besaß, schufen seinen Erzeugnissen Ruf, seinem Geschäft die Grundlage für den Aufschwung. Auch die Bogenlampe und später die Glühlampe traten hinzu, wodurch sich das Unternehmen allmählich zum größeren elektrotechnischen Etablissement auswuchs, das in Alexander Wacker einen tüchtigen Kaufmann fand, der die technische Arbeit Schuckerts so lange glücklich ergänzte, als er sich nicht zu unbeherrschten Experimenten hinreißen ließ.

In technischer und kaufmännischer Hinsicht richteten sich die meisten der damals neugegründeten Firmen bis zum Beginn der 90er Jahre noch immer nach dem Vorbild von Siemens & Halske, die damals ihren Vorrang noch unbestritten behaupteten. Sie begannen als offene Handelsgesellschaften und sobald es galt, ihnen eine straffere handelsrechtliche Form zu geben, bedienten sie sich der Rechtsnatur der Kommanditgesellschaft, die auch Siemens & Halske (Inhaber Werners Bruder Karl und Werners Söhne Arnold und Wilhelm) nach dem im Jahre 1890 erfolgten Austritt Werner v. Siemens aus der Firma gewählt hatten. Erst später, als die A. E. G. sich immer stärker mit ihren neuen Geschäftsmethoden an die Seite von Siemens & Halske und an dieser vorbei in den Vordergrund schob, wurde auch für die anderen Unternehmungen der Elektrizitätsindustrie die Aktiengesellschaft die gegebene Form, für die sich Emil Rathenau schon bei der Gründung seiner Gesellschaft im Jahre 1883 ohne Zögern, und ohne an irgend welche Vorbilder zu denken, entschieden hatte. Selbst Siemens & Halske konnten schließlich nicht umhin, ihr Unternehmen auch in dieser Hinsicht ihrer jüngeren Konkurrenz anzupassen und wandelten im Jahre 1897 ihre Kommanditgesellschaft als letzte der großen Elektrizitätsfirmen in eine Aktiengesellschaft um. Der Typ Rathenau hatte endgültig gesiegt. Werner v. Siemens, der im Jahre 1892 gestorben war, hatte diesen Umschwung allerdings nicht mehr erlebt. Ob er ihn gebilligt hätte, ist schwer zu sagen. Noch im Jahre 1889, als er seine Lebenserinnerungen schrieb, äußerte er sich über die Frage der rechtlichen Form von gewerblichen Unternehmungen folgendermaßen:

Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter

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