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Hoffnung
ОглавлениеMeri blickte durch ein ovales Fenster. Seit Stunden. Sie saß festgekettet in einem Transporter und sah, wie andere Transporter durch einen schweren Ionensturm flogen. Das fahle Irisieren jenes Sturms erhellte die Hüllen der Raumschiffe. Nach einer Reise weit hinter verlorenen Galaxien flogen sie einen Planeten an. Meris schwarze Augen blinzelten vertikal. Konzentriert musterte sie den Planeten. Die äußere Beschaffenheit ähnelte den gesammelten Daten über den Planeten Sora. Sie erinnerte sich, wie sie mit Generälen die Dokumente in der Zentrale des Widerstands eingesehen hatte. Dunkle Wolken verdeckten die Sicht und hüllten Meri für einen Moment in Dunkelheit ein. Eine Sichel aus grünem Licht reflektierte an den Gläsern. Sie spürte, wie das Raumschiff landete. Die Ladeluke schwang hinunter. Aggressive Laute, die sie nicht kannte, forderten die Wesen auf, über die Ladeluke hinabzugehen. Auch sie stand auf, reihte sich ein und machte sich bereit. Für die Angst, das Adrenalin, den Anfall wilder Panik. Sie wühlte in jedem Winkel ihrer Gefühlswelt. Ihr Herz fand nichts. Zu sehr war sie an dem Krieg gewohnt. An der Ungewissheit, ob der Morgen für sie, für Freunde, ihre Familie oder Vertraute existieren würde. Allein war sie seit jeher nie. Hörte Stimmen, überall. Füllten die Stille zwischen den Herzschlägen. Aus den tiefsten Winkeln ihres Bewusstseins riefen sie nach ihr. Die Verluste des Krieges.
Einige stiegen zaghaft die Ladeluke hinab. Meri war sich sicher, manche hatten seit Wochen keinen Himmel gesehen. Uniformierte Wesen mit überlangen Gestirnen und ebenso langen Armen trieben sie mit Elektroschocks aus Kampfstöcken zusammen. Meri kniff die Augen ein wenig zu und gewöhnte sich an das grelle Licht. Geduckt blickte sie auf die breite Plattform und beobachtete die Auseinandersetzung zwischen den Gefangenen und den uniformierten Wesen, die sich wie Gefängniswärter verhielten. Dann drehte sie ihren Kopf und sah in den Transporter hinein. Sie war die Letzte. Einen Schritt nach dem anderen setzte sie. Dabei surrten die schlanken Fühler an ihren Schläfen wie wild und deuteten in die andere Richtung. Ihre Spitzen boten ein Lichtspiel, das nur Meri verstand. In jenem Moment bedauerte sie ihre Eigenschaften als Ashvaari. Dass sie friedliebend und ausgesprochen gefühlsbetont war, gefiel ihr. So hatte sie nicht selten ihr Leben ekstatisch genießen können. Vielmehr bedauerte sie das unmissverständliche Erahnen zukünftiger Ereignisse. Und ihre Fühler, die ein Eigenleben führten und Meri über wahre Gefühle in der unmittelbaren Umgebung informierten. Diese Fähigkeiten bereiteten ihr auf der Plattform Kummer. Als ihre nackten Füße den rauen Boden berührten, zog sie ihre fleckige braune Decke weiter hoch. Kühle Winde erfassten ihren hungrigen Körper und peitschten an den Wangen vorbei. Meri fühlte den sicheren Tod. Dennoch wollte sie erfahren, wie der geheimnisvolle Planet aussah, auf dem sie sterben würde. Achtsam begab sie sich zum Rand der Plattform. Eine Ebene aus erkalteter Lava, gekräuselt von seichten Rinnen, die quer über die Fläche ins Nirgendwo führten. Hier und dort verwehte die Atmosphäre in kurzlebigen Böen den Sand und jagte zarte Wirbel von einer Düne zur anderen. Noch eine Weile sah sie diesem unschuldigen Naturspektakel zu und seufzte. Hinter ihr schrie ein Gefängniswärter auf und stampfte auf sie zu. Die Fühler surrten und sie wich seinem Hieb mit dem Elektroschocker aus und lief stolpernd zur Reihe. Noch einmal warnten ihre Fühler sie, doch es war zu spät. Sie stieß jemanden und blickte hastig auf. „Meri, hier bist du.“ Sie strich ihr schwarzes Haar aus dem Gesicht. „Hier endet unsere Reise, Lorkeheen“, sagte sie. Seine Kiemen schlackerten nun heftiger. „Das fühlst du? Bei den heiligen Göttern von Kalzoor!“ Die Gefängniswärter gaben der Reihe ein Zeichen und sie setzte sich in Bewegung. Sie gingen auf ein Tor zu, düster und kalt wie die Seelen von den uniformierten Wesen, die sie wie eine Herde zu diesem Tor trieben. Hinter ihnen starteten die Transporter und hoben ab. Der Gelehrte neben Meri presste die schmalen lila Lippen zusammen. „Ich wachte auf … und meine Heimat lag in Trümmern.“
„Der Widerstand ist stark, er ist stark. Der Friede wird kommen.“ Ihre Schultern zuckten, als ein Gefängniswärter neben ihr begann, bestialisch zu grölen. „Durch Informanten hörte ich, dass die achte Welt gefallen ist … mit ihm.“ Sie griff sich ins Gesicht. „Meri, ist dir die Bedeutung dieses Umstandes bewusst? Der Widerstand ist zerstört, unser aller Hoffnung tot.“ Meri blickte auf, sie hatte neuen Mut gefasst. „Nein, du irrst. Ich war … ich bin beim Widerstand und weiß, dass eine kleine Gruppe in die neunte Welt reiste, um den Stein zu finden. Er soll irgendwo dort begraben liegen.“ Lorkeheen hob die vier Brauen. „Und? Haben sie ihn?“
„Nein, die Höllenarmee fing sie ab. Funkstille seit jeher. Aber der Stein ist in der neunten Welt, ohne Zweifel. Und wenn Steve wirklich gestorben ist, hat seine Gefährtin überlebt und sucht dort nach einem Nachfolger.“ Weit vorne schrien Gefängniswärter auf und die Reihe machte Halt. „Hm, soviel ich in Erfahrung bringen konnte, hat der Weltraum in dieser Welt einen beträchtlichen Umfang, doch nur ein einziger Planet von dort ist bewohnt, Meri. Der Widerstand war eine Armee von tapferen Rebellen unterschiedlicher Spezies, die ihr Wissen teilten und ihre Technologien vereinten. Dennoch ist er nun zerschlagen. Wie soll diese eine unerfahrene Spezies es schaffen?“ Sie beide hörten einen weiteren Aufschrie. „Wir müssen daran glauben, mein Freund.“ Das Tor rüttelte und wurde langsam durch eine Kettenkonstruktion nach oben gezogen. Tiefrotes Licht hüllte die Überlebenden ein. Noch ein Aufschrie ganz vorn und die Reihe setzte sich in Bewegung. Hin und wieder übertönten qualvolle Schreie die dröhnenden Maschinen. Das Schlackern seiner Kiemen setzte wieder ein und Lorkeheen sah zu ihr hinunter. „Es wird nicht sehr wehtun, oder Meri?“ Ihre Augen wurden feucht. „Das kann ich dir nicht versprechen.“ Unter ihnen in der Reihe begann das Wimmern und Krächzen. Meri holte aus einem Ärmel eine Perlenkette, über die sie ihre zwei linken Daumen legte. Dann schloss sie die Augen und betete. Leise, für alle.