Читать книгу Hüter des Multiversums - F.G. WERTHEIMER - Страница 5
Willkommen an der Santa Cruz High
ОглавлениеDie Schule mit den sechs Säulen vor dem Haupteingang und der gleichen Anzahl an Laternen am Rand der breiten Treppen versprühte einen gewissen Charme wie die Sunnydale High aus Buffy, wie Andrew fand. Die Korridore hatten sich rasch mit Schülern gefüllt. Es wurde laut getratscht, gelacht und gescherzt. Spinde knallten, Bücher und Collegeblöcke wurden hineingepackt oder herausgeholt; Öffnungszeiten der Schulbibliothek oder Informationen zu Sprechstunden von den Pinnwänden abgeschrieben. Die Coolen mit stets lässigen Klamotten, lässigen Sprüchen und einer lässigen Einstellung zur Bildung ließen in diesem Chaos nichts anbrennen. Sie machten hauptsächlich den Cheerleaderinnen schöne Augen und führten sie nicht nur in die Räume, die für das Lernen vorgesehen waren. Unter all den anderen Gruppierungen wie den Skaterboys, den Gruftis oder den Sportlern gab es auch die verkannten Streber. Zu ihnen zählte Andrew, der über den gewachsten Flurboden schritt und all das ignorierte. Er suchte die Klasse für die erste Stunde auf. In der Hand hielt er den Comic, über dem ein längsgezogener Knick zierte. Er betrat sie, huschte an den leeren Bänken vorbei und setzte sich auf einen Fensterplatz in der dritten Reihe hin. Die Ausgabe von Action Comics vor sich liegend, verschränkte Andrew die Arme und starrte darauf. „Hey, Raymond. Seit wann nutzt du die Speed Force? Du wirst immer schneller im Zählen der Stiegen bis hierher. Oh …“ Andrew blickte auf. David beugte sich über seine Schulter. „War das Philly?“, fragte er und straffte die zerschlissene Lederjacke. „Er saß hinter mir.“
„Aber Raymond, du vergisst nie etwas. Heute beginnt die Schule und du weißt, was er tut.“
„Ich las die Geschichte und bemerkte nicht, dass ich vor dem Sitzplatz mit dem Kaugummifleck saß“, sagte Andrew und richtete seine Brille. David schüttelte das Haar aus dem Gesicht, nahm sich das Heft, das für Andrew keinen Wert mehr hatte, und lehnte sich an die Wand neben dem Fenster. Beim Blättern beobachtete er hin und wieder das Treiben auf den Treppen. „Das ist unser Philly. Du scheinst wütend über den Knick zu sein. Willst du nicht zur Beruhigung die Stufen im Schulgebäude zählen?“
„Nein, das ist unlogisch. Ich kenne die Anzahl. Gezählt habe ich sie vor eintausendeinhundertfünfundachtzig Tagen.“ David zuckte mit den Schultern und kratzte sich am T-Shirt mit dem Aufdruck der Band Van Halen. „War nur eine Idee. Kühl bleiben, Skynet.“ Als Andrew innerlich vom Exemplar Abschied genommen hatte, hob er die Umhängetasche auf die Schulbank und packte die Bücher für den Englischunterricht aus.
Aus dem Lärm im Flur kristallisierten sich kurze, schwere Schritte heraus, die zügig die Klasse anpeilten. Andrew blickte von den aufgeschlagenen Buchseiten auf und horchte. „Daniel kommt.“
„Was? Wer?“
„Daniel kommt.“ David linste zur Tür Mit einem breiten Grinsen und offenen Armen kam er den beiden entgegen. Ein aufgeknöpftes Hemd, darunter ein T-Shirt mit einem Aufdruck eines unvergesslichen Moments aus der Videospielgeschichte aus Zelda. „Hey, ihr ungezogenen Bengel! Was habt ihr in den Ferien so getrieben?“ Andrew blätterte im Buch um. „Du hast die meiste Zeit mit uns verbracht, folglich müsstest du dich an alles erinnern können. Das macht diese Frage somit völlig überflüssig.“ Daniel sah den Anhänger der Satansmusik fragend an. „Was hat Raymond denn?“ David drückte ihm den Grund wortlos in die Hand. Daniel rollte die Ausgabe auf und musterte das Cover wie ein Arzt das Röntgenbild. „Hm, das Ding ist hinüber. Philly’s Song?“ Andrew nickte. „Du solltest endlich auf digitale Comics umsteigen, Kalkleiste. Ein Tablet bringt’s.“ „Es ist nicht dasselbe, Speckwalze“, gab Andrew scharf zurück. Daniel hob die Brauen. „Seit wann kann Raymond kontern?“
„David riet mir, dir das beim nächsten Mal zu sagen. Wie es aussieht, hat die Aussage seinen Zweck erfüllt.“ Daniel boxte David spielerisch in den Bauch. „Wie konntest du nur?“
„Irgendwann muss sich Raymond zur Wehr setzen. Am besten eignen sich Speckwalzen zum Üben.“ Daniel boxte ihn nochmal. Dann betrachtete er sich selbst. „Aber ich habe in den Ferien abgenommen, ganze zwei Kilo.“ Andrew vergrub sich tiefer in das Buch. „Du meinst, du hast Kleidung getragen, die ganze zwei Kilo weniger wiegen.“ Daniels Blick wanderte hilfesuchend zu David. „Skynet lernt schnell, Danny Boy.“ David nahm Daniel in den Arm. „Hey, lass ihn einfach. Er wird schon wieder. Und du, nimm das nicht so persönlich. Klar?“ Daniel zuckte mit den Schultern. Auch er setzte sich und nahm Sachen für die erste Stunde heraus. David blieb am Fenster. Nach und nach füllte sich die Klasse mit schlaftrunkenen Mädchen und Jungen. Die meisten fielen gähnend auf die Sessel und benutzten den Rucksack als Ersatzkissen. Da noch etwas Zeit blieb, spielte Daniel auf seinem Smartphone ein paar Levels Mega Man X.
„Seht euch die an!“ Andrew und Daniel horchten auf. „Wo, wo?“, fragte Daniel. „Nicht so laut“, sagte eine Schülerin verschlafen. Als Andrew antworten wollte, war sie bereits in ihrem Rucksack versunken. David klopfte in die Richtung. Lockiges braunes Haar glänzte in der Morgensonne, grüne Augen blitzten mit jedem ihrer Schritte auf. So kam es Andrew vor. In der einen Hand hielt sie ein silbernes Notebook fest, in der anderen den Schulterriemen ihrer Reportertasche. „Mann, an ihr ist einfach alles al dente“, sabberte Daniel. Andrew blinzelte und nickte. „Sie ist hübsch, Freunde.“ Sie verrenkten ihre Köpfe, um zu sehen, wie das nach hinten gebundene Haar durch den Haupteingang hinein baumelte. David schüttelte den Kopf wie nach einem beeindruckenden Zaubertrick. „Die ist bestimmt nicht von hier. Die habe ich noch nie gesehen. Entweder eine Lehrerin oder eine Journalistin. Ich bin platt“, sagte David. „Yay, Lernen wird wieder Spaß machen!“, jubelte Daniel und rieb sich die Hände. Andrew steckte die Nase wieder in eine Lektion. „Das ist Spekulation. Du wirst höchstwahrscheinlich enttäuscht“, sagte Andrew. „Raymond, Das ist eine Gabe. Ist dir das bewusst? Ja?“
„Das ist keine Gabe. Das ist Logik“, gab Andrew zurück, ohne Daniel anzusehen.