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Das Interview

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In der Cafeteria lärmte es in allen Ecken. Andrew biss ein großes Stück von seinem Sandwich ab. „Juhu, das Wochenende steht bald an und Daniel macht noch heute eine an!“, David widmete ihm seine volle Aufmerksamkeit, „Und wenn sie ‚Ja' sagt, begeht sie heute Nacht eine unanständige Schandtat!“ Er verschluckte sich und ließ die anderen Schokokekse auf den Tisch rollen. Daniel klopfte seinen Rücken ab und genoss dabei einen Muffin. Andrew verfolgte den Hustenanfall emotionslos und biss nochmal ins Sandwich. „Dann wachst du auf und wäschst dir die Hände.“ Andrew kassierte von Daniel einen finsteren Blick. „Warte nur“, murmelte er herausfordernd, „bis ich Harley Quinns Holzhammer in die Finger bekomme, dann …“ David hob beschwichtigend die Hand. „Beruhigt euch, ihr Knalltüten. Alles cool, okay?“ Phil war mit seinem Obstsalat fertig und streifte mit den Fingern an den Seiten seines aufgeschlagenen Geschichtsbuches, während er verträumt auf die Eingangstür blickte. David, der sich von dem Hustenanfall erholt hatte, tippte auf Phils Finger. Er blickte auf. Davids Blick verharrte und er zog Daniel zu sich, der zuerst nicht Bescheid wusste, aber dessen Blick dann auch verharrte. „Was ist los?“, fragte Phil und fuhr herum. „Ist sie das? Ich meine, ist sie das da drüben wirklich?“, fragte Daniel erstaunt. Beide starrten zum Obstkorb hinüber. Andrew, der den beiden gegenüber saß, lehnte sich mit prüfendem Blick nach hinten. „Ja, das ist sie eindeutig. Diesmal ist weit und breit kein Pädagoge zu sehen. Das lässt darauf schließen, dass …“

„Alles verstanden, Kalkleiste, ruinier uns nicht den Moment“, unterbrach ihn Daniel. „Meine Haut ist fleischfarben. Wenn du anderer Meinung bist, solltest du zum Augenarzt“, sagte Andrew und spülte die Mahlzeit mit einer Pepsi herunter. „Was für ein heißes Eisen“, schwärmte Daniel. Phil räusperte sich und blickte ins Buch. „Wir schreiben das Jahr 2019, Danny Boy. Nicht 1985.“ Er reagierte nicht, genau wie die anderen beiden. Phil blickte auf und gab dem Gruppenzwang nach. Die Lehrerin beziehungsweise Reporterin entschied sich vor dem Obstkorb für eine Birne. Valerie erschien neben ihr und nahm sich einen Apfel. Beide plauderten ein wenig, bis Alice kam und sie abholte. Die Brünette biss hinein und sah sich um.

„Alter, wenn sie uns aussucht, ist das mein Glückstag. Mein Glückstag, versteht ihr?", gab David seinen Freunden aufgeregt zu verstehen. Sie begab sich in Bewegung. Ihre Gangart wurde geschäftiger, ihre Stiefel klackten auf dem Boden. Alles deutete darauf hin. Sie umklammerte das Notebook mit dem Arm, in dessen Hand sie die Birne hielt, und streckte ihnen fröhlich die Hand entgegen. „Einen schönen Tag wünsche ich euch. Ich heiße Thalatte und betreibe ein wenig Recherche. Wenn ihr Zeit habt, möchte ich euch gerne ein paar Fragen über eure Pläne nach dem Abschluss stellen“, sie setzte sich und klappte ihr Notebook auf, „Es dauert einen kleinen Moment.“ Sie zwinkerte und lächelte auf eine Weise, die alle bis auf Phil hypnotisieren ließ. „Gut, mal sehen.“ Auf Davids Lippen machte sich ein gewisses Schmunzeln bemerkbar. Bevor sie ihren Mund für die erste Frage spitzen konnte, war ihr Phil zuvorgekommen. „Entschuldigen Sie bitte, Miss.“ Sie hob einen Bleistift in seine Richtung. „Thalatte, bitte.“ Ihr herzerweichendes Lächeln veranlasste die drei, ihre Köpfe auf den Händen abzustützen. „Gern. Dürfte ich, darf ich fragen, um was es bei der Unterhaltung mit Valerie gegangen ...“ David ließ seine Hände auf den Tisch knallen. „Phil, du bist ein toller Freund, aber bitte nicht heute. Tu das nicht. Sie ist den ganzen Weg hierher gereist, um uns zu interviewen. Und nicht deine Schallplatte zu hören.“

„David!“, sagte Phil und umklammerte das Geschichtsbuch. „Also, so weit musste ich gar nicht reisen, ganz und gar nicht“, sagte Thalatte kleinlaut mit beschwichtigender Gestik. „Was denn, Phil?“ Sein fragender Blick schweifte zu ihr hinüber, die mittlerweile sein Bandshirt entdeckt hatte, „Okay, Thalatte. Was für Fragen hast du uns mitgebracht?“ Sie blickte ihn an. „Moment, bitte.“ Etwas irritiert blätterte sie in ihrem Notizbuch. Phil hätte ihn in diesem Moment erwürgen können. „Beginnen wir mit dir, Phil“, David zog die Arme zu sich und änderte seine Sitzposition, „Ich will …”, ein weißes Blatt wurde rasch aufgefaltet und aufs Notizbuch gelegt, „… wissen, was du nach dem Abschluss tun willst.“

„Ich will aufs College und einen guten Job danach finden. Ich will, dass meine Familie stolz auf mich ist.“

„Deine Familie, ist sie dir sehr wichtig?“

„Natürlich, nicht nur sie, sondern auch meine Freunde.“

Ihr Arm schwang in Davids Richtung. „Aber das hörte sich vorhin nicht ganz so an.“

„Das darfst du nicht negativ sehen. Er meinte es nicht so. David, Daniel, Andrew und ich sind seit dem Anfang des letzten Schuljahres etwas gereizt“, er strich sich über die Stirn, „Die Sache ist die: Wir waren ursprünglich eine Clique von fünf. Doch leider will sie mit uns seit dem Beginn der zwölften Klasse nichts mehr zu tun haben.“

„Meinst du etwa die nette Blonde von vorhin?“, dabei zeigte sie auf den Obstkorb. „Ja, genau. Da wir uns aber Sorgen um Valerie machen, erkundigen wir uns ab und zu über sie.“

„Eher Phil, und das bei jedem Furz, der nach ihr riechen könnte“, kommentierte David und wich seinen Augen aus. „Sie scheint wirklich nett zu sein. Wenn nicht eine der Nettesten an dieser High School“, sie machte sich eifrig Notizen, verweilte an einer Stelle und fuhr fort, „Das ist wirklich unschön und muss für euch eine große Belastung sein. Wart ihr, warst du vielleicht irgendwann unehrlich zu ihr?“ Phils Augenbrauen zogen sich zusammen. „Nein. Lügen ist nicht mein Ding, warum sollte ich?“ Eine korpulente Hand schlängelte sich zur Mitte des Tisches und schnappte sich den letzten Schokokeks. „Yep, der ist vollkommen ehrlich. Ehrlicher als jemand, der unter Wahrheitsdrogen gesetzt wird.“ In mampfenden Pausen kamen die Worte aus Daniel. Sichtlich von dem Anblick amüsiert, füllte Thalatte das Blatt mit weiteren Notizen. „Klingt vielversprechend. Jetzt die finale Frage: Wenn Dir eine Sache wichtig ist, Phil. Egal was. Was würdest du dafür opfern?“ Sie sah ihn eindringlich an. Phil verzog die Miene. Nur er schien diese Fragen merkwürdig zu finden. Die drei schmachteten sie weiter mit ihren Blicken an. Ungewöhnlich für Phil. Besonders Andrews Emotionen in den Gesichtszügen. Aber auch bei ihm war seit ihrer Erscheinung etwas anders. Er konnte die Situation rational einschätzen, aber irgendetwas in ihm brachte ihn dazu, jede Frage zu beantworten. Geleitet durch die innersten wahren Gefühle. Und es fühlte sich verrückter Weise vernünftig an. „Alles. Ich würde alles, was ich kann, dafür tun, um es zu erreichen.“ Thalatte dankte mit einem leisen Lächeln und verstaute das zusammen gefaltete Blatt in ihrer Jacke, klappte das Notebook zu und sagte ihm in einem sanften und verständnisvollen Ton: „Es tut mir sehr leid, wie sich die Freundschaft mit ihr entwickelt hat, Phil. Ich wünsche dir trotzdem alles Gute und viel Erfolg in deinem Leben. Wer weiß, vielleicht wird etwas passieren, was dir helfen wird, mit ihr zu sprechen.“ Sie drehte den Kopf zur großen Wanduhr, die über der Kantinentheke hing. „Ich muss los. Bye!“ Rasch wurden ihre Schritte mit denen im Flur eins.

Langsam verließ ihn dieses sonderbare Gefühl und seine Freunde wirkten wieder ansprechbar. „Jungs, was war das?“ David zuckte mit den Schultern. „Was meinst du? Thalatte war bei uns, verdrückte die Birne und ging dann wieder. Tolles Ding.“ Daniel und Andrew korrigierten ihn nicht. „Aber sie hat mir komische Fragen gestellt.“

„Ach ja? Welche?“ Phil schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig. Ich meine, sie waren einfach komisch. Ich muss noch lernen. Wir sehen uns dann.“

„Am ersten Tag?“, fragte David.

„Am ersten Tag.“

„Kein Scherz?“

„Kein Scherz.“

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