Читать книгу Ein tödlicher Kuss - Fiona Grace, Фиона Грейс - Страница 7
KAPITEL VIER
ОглавлениеLacey versuchte, sich wieder zu sammeln. Sie verspürte den überwältigenden Drang dem Lederwarenhändler eine Million Fragen zu stellen, doch sie wollte dem Mann nicht verraten, dass er möglicherweise über ihren lange verschollenen Vater sprach. Sie bemühte sich, ganz beiläufig zu klingen, als ob Frank nur ein gemeinsamer Bekannter wäre.
„Ich kenne Frank von der Arbeit“, sagte sie. „Und Sie?“
„Ich auch“, sagte der Lederhändler. „Frank ist durchs Land gereist, um seinen Bestand aufzustocken. Nach London. Poole. Wilfordshire. Ich glaube, er hatte einen Laden in Canterbury, habe ich recht?“
„Ja, ich glaube schon“, sagte Lacey atemlos.
Canterbury. Da war er wieder, der Hinweis, den Xavier entdeckt hatte. Der Hinweis, der von der Botschaft, die ein Mann namens Frank seiner Geliebte auf der ersten Seite der Canterbury Tales hinterlassen hatte, indirekt bestätigt worden war. Hinzu kamen Laceys Kindheitserinnerungen an ihren Sommerurlaub in Wilfordshire, bei dem ihre Mutter sich geweigert hatte mitzukommen. Naomi hatte damals in einem Antiquitätengeschäft, das von einer wunderschönen Frau geführt worden war, eine Statue zerbrochen, und alles begann sich zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen.
Ihr Herz pochte heftig. „Ich nehme an, Sie haben mittlerweile keinen Kontakt mehr zu Frank, oder?“, fragte sie.
Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich glaube, er ist vor kurzem weggezogen. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass sein Geschäft geschlossen wurde.“
Lacey spürte einen plötzlichen, heftigen Schmerz in ihrer Brust, als wäre sie gerade in den eisigen Ozean gesprungen. „Er ist nicht mehr dort? Sind Sie sich da sicher? Ich weiß, dass sein Geschäft in New York City geschlossen hat, aber ich wusste nicht, dass auch sein Geschäft in Canterbury nicht mehr existiert. Sie schluckte den harten, panischen Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, herunter.
„Ja. Wirklich schade. Er war ein reizender Kerl. Ich frage mich, wo er jetzt ist.“
Er hielt inne und ließ die quälende Frage, über die Lacey so viele Jahre lang nachgegrübelt hatte, zwischen ihnen stehen.
Dann sagte er: „Es überrascht mich, dass Sie Frank von der Arbeit kennen. Sie sehen viel zu jung aus, um seine Arbeitskollegin zu sein! Ich hätte Sie nicht einen Tag älter als vierzig geschätzt.“
Lacey rang sich ein Lächeln ab. Was hätte sie davon, diesem Mann zu sagen, dass er recht hatte, dass sie zu jung war, um Franks Arbeitskollegin zu sein, weil sie nämlich seine Tochter und keine Geschäftspartnerin war, und dass er sie als Kind verlassen hatte?
„Ich nehme an, Sie wissen nicht, wo er hin ist, oder?“ fragte Lacey. Sie gab sich die größte Mühe, ruhig zu bleiben, aber sie konnte hören, dass ihre Stimme zitterte.
„Keine Ahnung“, sagte der Mann und zuckte die Achseln. „Vielleicht weiß es jemand von Sawyer's.“
„Sawyer's?“, fragte Lacey.
„Sawyer & Sons“. Das große Auktionshaus in Dorchester. Sie können doch keine Kollegin von Frank sein und Sawyer nicht kennen! Er war eine Zeit lang jedes Wochenende dort.“
„Das muss mir entfallen sein.“
Lacey konnte all diese neuen Informationen kaum aufnehmen. Zu erfahren, dass ihr Vater einen Laden in Canterbury eröffnet hatte, aber vor kurzem weitergezogen war, fühlte sich unglaublich grausam an. Das war fast noch schlimmer, als wie wenn sie nie erfahren hätte, dass er dort überhaupt einen Laden gehabt hatte. Und dann auch noch einen Einblick in das Leben zu bekommen, das er in England geführt hatte – wo er das Auktionshaus Sawyer & Sons jedes Wochenende besucht hatte – erweckte ein merkwürdiges Gefühl in ihr. Als wäre sie ein Eindringling oder so. Wie es sich anhörte, war er in dieselbe Routine zurückgefallen und hatte denselben Lebensstil geführt, den er in New York City hinter sich gelassen hatte, nur diesmal ohne Frau und Kinder. War das etwa das Einzige, was er in seinem Leben hatte ändern müssen? Waren sie der einzige Grund, warum er gegangen war?
„Ich habe einen Flyer“, fügte der Mann hinzu. Er nahm eine glänzende Broschüre von seinem Schwarzen Brett und reichte sie Lacey. „Da sind alle Auktionen von Sawyer & Sons aufgelistet, die dieses Jahr stattfinden.“
Lacey überflog die Broschüre. Die Karte auf der Rückseite zeigte, dass das Auktionshaus in Dorchester nicht weit von ihrem nächsten geplanten Stopp in Weymouth entfernt war. Es wäre kein großer Umweg, wenn sie kurz dort vorbeischauen würde, auch wenn ihr Herz dabei vielleicht noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden würde.
Sie kam zu dem Schluss, dass sie dieses Risiko eingehen musste. Sie hatte sich entschieden, keinen Abstecher nach Canterbury zu machen, während sie in Dover in der Nähe Urlaub gemacht hatte, und diese Entscheidung könnte sie durchaus die einzige wirkliche Spur gekostet haben, den sie zu ihrem Vater gehabt hatte.
Sie bezahlte ihre Waren, bedankte sich bei dem Besitzer des Ledergeschäfts für seine Hilfe und machte sich dann mit Chester auf den Weg zum Lieferwagen. Nachdem sie alles darin verstaut hatte, rief sie in ihrem Laden an, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung war.
„Wie läuft‘s?“, sagte sie in ihr Handy.
„Viel los“, ertönte Ginas Stimme an ihrem Ohr. „Wie läuft es bei der der Schatzsuche?“
Lacey überlegte, ob sie Gina erzählen sollte, was sie über ihren Vater erfahren hatte, entschied sich dann jedoch dagegen. Es laut auszusprechen, würde die Sache irgendwie realer machen, und dazu war sie noch nicht bereit.
„Erfolgreicher, als ich erwartet hatte“, sagte sie ausweichend.
„Also, ich habe gerade mit den Druckern telefoniert“, sagte Gina. „Wie sich herausgestellt hat, haben sie morgen geschlossen, sie können die Plakate also nur heute drucken. Deswegen habe ich ihnen einfach grünes Licht gegeben.“
Nach allem, was sie gerade über ihren Vater erfahren hatte, waren die Plakate so ziemlich das Letzte, woran Lacey im Moment dachte. „Alles klar. Ich vertraue dir. Solange ein Pferd auf dem Plakat ist, muss ich es nicht vorher sehen.“
„Ja, ja. Da ist ein Pferd drauf. Eine Art von Pferd zumindest.“
Lacey schloss die Augen und das Herz rutschte ihr in die Hose. „Eine Art von Pferd? Was soll das heißen?“
„Naja, ich habe das Bild aus dem Internet“, erklärte Gina. „Ich habe nach ‚Rennpferd‘ gesucht und das Bild direkt von der Seite mit den Ergebnissen heruntergeladen. Ich bin also nicht auf die eigentliche Website gegangen.“
Lacey gefiel die Richtung nicht, die dieses Gespräch nahm. „Sprich weiter …“
„Mir ist erst im Nachhinein aufgefallen, dass das Bild von einer Rettungsstation stammt, einer Wohltätigkeitsorganisation für Pferde, die im Ruhestand sind. Du weißt schon, die keine Rennen mehr laufen, weil sie zu alt sind. Also es ist ein Pferd, nur eben ein sehr altersschwaches.“
Lacey seufzte. Gut, dass die Aufgabe nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war. „Hoffentlich fällt es niemandem auf“, sagte sie. „Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen. Ich mache einen kleinen Abstecher zu einem Auktionshaus ein paar Kilometer weiter, das ich mir ansehen möchte. Mal sehen, ob ich da vielleicht neue Kontakte knüpfen kann.“
„Natürlich“, erwiderte Gina reumütig. Lacey konnte regelrecht hören, wie sie mit den Augen rollte. „Dann werde ich also die Kasse machen und heute Abend abschließen?“
Ein vertrautes Gefühl von Schuld stieg in Lacey auf. Sie musste sich daran erinnern, dass Gina ihre Angestellte war. Das Erledigen von Routineaufgaben gehörte nun einmal zu ihrer Stellenbeschreibung. „Wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin, um mich darum zu kümmern, dann ja.“
„In Ordnung“, seufzte Gina.
Lacey legte auf und sah Chester an. „So wie sie mit mir spricht, könnte man fast meinen, ich würde sie nicht bezahlen! Dabei habe ich ihr sogar dieses große Hydrokultursystem besorgt, wegen dem sie monatelang herumgeheult hat.“
Sie rollte mit den Augen und drehte den Schlüssel in der Zündung herum. Der Wagen sprang stotternd an. Als sie die Hafenstraße entlang in Richtung Dorchester fuhr, betrachtete sie das Ledergeschäft im Außenspiegel. Als sie den Laden betreten hatte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie mit etwas viel Kostbarerem als Antiquitäten wieder fahren würde: einer heißen Spur zu ihrem Vater.